Medienbeitrag vom 27. Februar 2024
2024 warten besonders schwierige Herausforderungen auf die Wirtschaft. Es braucht den richtigen Mix aus staatlichem Eingriff und marktlicher Steuerung, meinen Tomaso Duso und Martin Gornig.
Der Industriestandort Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten als erstaunlich robust erwiesen. Trotz großer Wirtschaftskrisen konnte die deutsche Industrie ihren Weltmarktanteil in der Größenordnung von knapp acht Prozent behaupten. Entsprechend ist in Deutschland anders als in anderen westlichen Ländern die Bedeutung der Industrie gemessen an der Wirtschaftsleistung nach wie vor hoch. Auch im abgelaufenen Jahr 2023 nahm die industrielle Wertschöpfung nominal um nahezu zehn Prozent zu. Real, also unter Berücksichtigung der Preissteigerungen, stagnierte die Industrie allerdings wie die Gesamtwirtschaft.
Dieses Gastkommentar von Tomaso Duso und Martin Gornig erschien am 26. Februar 2024 im Handelsblatt.
Hinter der Robustheit der deutschen Industrie steht ein sehr dynamischer Strukturwandel innerhalb der Industrie. Die Konzentration auf den Maschinenbau, die Pharmaindustrie und insbesondere auf die Autoproduktion nahm immer mehr zu.
In diesem Jahr steht die deutsche Industrie angesichts schwacher gesamtwirtschaftlicher Konjunkturdaten vor besonders großen Herausforderungen. Dies gilt vor allem für die Transformation hin zu klimaneutralen Produktionsprozessen, die erhebliche Innovations- und Investitionsanstrengungen erfordert. Den Löwenanteil davon werden wie in der erfolgreichen Vergangenheit die Unternehmen erbringen.
Die systemischen Risiken sind gegenüber früheren Jahren deutlich gestiegen. In zentralen Innovationsfeldern wie der Elektromobilität oder der Wasserstofftechnologie hängt der Innovationserfolg einzelner Unternehmen entscheidend davon ab, dass auch andere Unternehmen erfolgreich in die neuen Wertschöpfungsketten investieren. Und da gilt es: ohne Lade-Infrastrukturen und Batterierecycling keine erfolgreichen Elektroautos, ohne effiziente Wasserstoffaufbereitung und sichere Transportwege keine klimaneutrale Stahlproduktion.
Hinzu kommt, dass die Sicherheit globaler Lieferketten stets mehr abnimmt. Die Coronapandemie und die zunehmenden kriegerischen Auseinandersetzungen wie der russische Angriff auf die Ukraine, der Nahostkonflikt oder die Drohgebärden Chinas gegenüber Taiwan gefährden den globalen Warenhandel.
Mit zunehmender Lagerhaltung und einer Diversifizierung der Lieferanten könnten die Risiken von Produktionsausfällen verringert werden. Solange das Ausfallrisiko aber nicht eintritt, sind im Preiswettbewerb diejenigen Unternehmen im Vorteil, die diese politischen Risiken nicht einpreisen.
Die genannten systemischen und politischen Risiken können selbst große Unternehmen nicht allein tragen. Es kommt zu Innovations- und Investitionsblockaden, sprich zu Marktversagen. Industriepolitische Eingriffe können helfen, diese Blockaden wenigstens teilweise zu beheben. Ohne durchgreifenden technologischen Fortschritt wird die Klimakrise zu großen Wohlstandsverlusten führen. Dasselbe droht, wenn infolge der geopolitischen Veränderungen die globalen Wertschöpfungsketten nicht angepasst werden. Es geht nicht um die Frage, ob Industriepolitik zur Lösung der großen globalen, gesellschaftlichen Herausforderungen notwendig ist, sondern wie gut man sie ausgestaltet.
Entscheidend für den Erfolg einer effizienzsteigernden Industriepolitik ist es, für die jeweiligen Problemkonstellationen die richtige Mischung aus staatlichem Eingriff und marktlicher Steuerung zu finden. Hier lässt sich keine pauschale Regel anwenden. Wie viel darf eine Sicherung der Versorgung der Industrie mit Mikrochips kosten, welche Regulierungen beschleunigen den wettbewerblichen Ladesäulenaufbau oder wie lassen sich Forschungsdurchbrüche bei Energiespeicherungstechnologien erzielen?
Umso notwendiger ist es, einheitliche und verbindliche Ablauforganisationen aufzubauen, die transparente industriepolitische Entscheidungsmechanismen etablieren. Darüber hinaus muss die Politik den Mut haben, Prioritäten zu setzen und klar zu benennen und damit den Strukturwandel auch gegen Partikularinteressen durchzusetzen. Wie bei der Wettbewerbspolitik soll hier die EU eine zentrale Rolle übernehmen. So könnten aus vorhandenen Ansätzen, wie dem European Chips Act oder den Important Projects of Common European Interest (IPCEI), klare Regeln zum Ausgleich von Wettbewerbs- und Industriepolitik entwickelt werden.
Themen: Energiewirtschaft , Industrie , Klimapolitik , Unternehmen