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Nachhaltiger Konsum: Unterschiedliche Kaufkraft von Haushalten muss berücksichtigt werden

DIW Wochenbericht 27 / 2024, S. 431-436

Sonja Dobkowitz

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  • Einkommensschwache Haushalte können sich nachhaltige Produkte – wie Bio-Lebensmittel oder Fairtrade-Kleidung – oft nicht leisten, auch wenn sie es wollten
  • Herausforderung für den Staat: Einerseits umweltfreundliches Verhalten fördern, andererseits damit einhergehenden Anstieg gefühlter Ungleichheit abmildern
  • Modellergebnisse mit US-Daten legen nahe, dass Balance zwischen Umverteilung und Umweltsteuern gefunden werden muss, um gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt nicht zu schmälern
  • Einkommensungleichheit und Preisaufschlag für nachhaltige Produkte in Deutschland geringer als in USA, Potenzial für nachhaltigen Konsum daher größer
  • Anstieg des Wunsches nach nachhaltigen Produkten erstrebenswert, um Umweltsteuern wie CO2-Preis zu ergänzen – einkommensschwache Haushalte müssten aber unterstützt werden

„Wenn immer mehr Menschen nachhaltig konsumieren wollen, dann sollte die Politik ermöglichen, dass auch Menschen mit geringen Einkommen sich nachhaltige Produkte leisten können. Ansonsten verschärft sich die gefühlte Ungleichheit.“ Sonja Dobkowitz

Einkommensschwache Haushalte können sich nachhaltige Produkte – wie Bio-Lebensmittel oder Fairtrade-Kleidung – oft nicht leisten. Das Gefühl von Einkommensungleichheit wird durch das Bedürfnis nach nachhaltigen, aber teureren Produkten verstärkt. Was kann der Staat in einer solchen Situation tun, wenn er also einerseits umweltfreundliches Verhalten fördern und andererseits damit verbundene größere Unterschiede zwischen armen und reichen Haushalten abmildern will? Die auf Daten aus den USA basierenden Modellergebnisse dieses Wochenberichts verdeutlichen das Dilemma: Der Staat kann nicht Steuern und Abgaben zum Schutz der Umwelt, wie eine Tierwohlabgabe, erhöhen und zugleich mittels Einkommensteuererhöhungen mehr umverteilen. Denn beides führt in der Theorie dazu, dass insgesamt weniger produziert wird und die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt sinkt. Die richtige Balance beider Instrumente hängt sowohl von der Einkommensungleichheit in einem Land als auch vom Preisunterschied zwischen nachhaltigen und nichtnachhaltigen Produkten ab. In jedem Fall muss die finanzielle Situation einkommensschwacher Haushalte bedacht werden, wenn der Trend, nachhaltig zu konsumieren, steigen soll.

Weltweit versuchen Staaten neben Steuern auf nichtnachhaltigeinfoIn diesem Beitrag meint „nachhaltig“ nicht nur Umweltaspekte des Konsums und der Produktion, sondern auch soziale Auswirkungen, wie Arbeitsbedingungen, und das Tierwohl. Produkte ihre Umweltpolitik durch Orientierungshilfen, beispielsweise ein Bio-Siegel, zu ergänzen. Das Ziel ist, den Wunsch nach nachhaltigem Konsum zu fördern. Auch in Deutschland gibt es solche politischen Bestrebungen: Im Jahr 2030 sollen 34 Prozent des gesamten Konsums der hiesigen Haushalte nachhaltig sein.infoDie vorige Bundesregierung legte in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie 2021 ein Ziel für den Anteil nachhaltigen Konsums fest. Nachhaltig bezieht sich hier auf Produkte mit staatlichem Umweltzeichen. Vgl. Bundesregierung (2021): Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie. Weiterentwicklung 2021 (online verfügbar; abgerufen am 24. Juni 2024. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Das würde im Vergleich zu 2022 mehr als eine Verdopplung des Marktanteils nachhaltiger Produkte bedeuten.

Mit einem Anstieg des WunschesinfoDer Begriff „Wunsch“ bezeichnet hier den Nutzen, der aus dem Konsum nachhaltiger ­Produkte gewonnen wird. Er ist unabhängig von Preisen, Einkommen und Steuern. Er beschreibt einen Nutzenunterschied, den Haushalte aus dem Konsum nachhaltiger Produkte gegenüber nichtnachhaltigen Produkten erfahren. Er ist auch unabhängig von der Notwendigkeit, Grundbedürfnisse zu erfüllen, und von Budgetrestriktionen. Ein Wunsch, nachhaltige Produkte zu konsumieren, kann moralische Überzeugungen widerspiegeln. Genauso gut kann ein Grund für zusätzlichen Nutzen aus nachhaltigem Konsum aus gesellschaftlichem Druck erwachsen. Vgl. hierzu zum Beispiel: Iris Vermeir und Wim Verbeke (2006): Sustainable food consumption: Exploring the consumer attitude – behavioral intention gap. Journal of Agricultural and Environmental Ethics 19(2), 169–194., nachhaltige Produkte zu konsumieren, geht aber nicht automatisch ein entsprechendes Konsumverhalten einher. Wer mehr nachhaltige Produkte kaufen möchte, tut es nicht unbedingt oder kann es aus finanziellen Gründen nicht. Die Literatur weist auf eine sogenannte „Einstellungs-Konsumverhaltens-Diskrepanz“ hin. Hier wird unterschieden zwischen der Einstellung gegenüber Nachhaltigkeit und tatsächlichem Konsumverhalten.infoWas im Folgenden als „tatsächlicher Konsum“ bezeichnet wird, ist abhängig von der Einstellung, aber auch von Budgetrestriktionen. Die „Einstellung“ bezeichnet hier Werte oder Normen, die zwar den „Wunsch“, nachhaltig zu konsumieren, beeinflussen, aber nicht identisch mit diesem sind. Zum Beispiel kann eine grundsätzlich umweltfreundliche Einstellung Ausdruck im Wahlverhalten finden. Wenn aber die Möglichkeit, mit der eigenen Nachfrage einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten, als gering eingeschätzt wird, bleibt der Wunsch, nachhaltig zu konsumieren, gering. Die „Einstellungs-Konsumverhaltens-Diskrepanz” besagt, dass die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten geringer ausfällt, als es die Einstellung der Haushalte vermuten lässt. Die Gründe dafür sind vielfältig.infoMögliche Gründe sind: Zweifel an der Effektivität nachhaltigen Konsums, Bequemlichkeit oder ein vermuteter Qualitätsvorteil nichtnachhaltiger Produkte. Zur Einstellungs-Konsumverhaltens-Diskrepanz vgl. zum Beispiel Vermeir und Verbeke (2006), a. a. O.

In diesem Wochenbericht wird der Fokus auf Einkommen, also Budgetrestriktionen, gelegt. Es wird ein wirtschaftstheoretisches Modell verwendet, das von der Beobachtung ausgeht, dass sich einkommensschwache Haushalte umweltfreundlichen Konsum oft nicht leisten können. Das Gefühl von Einkommensungleichheit wird durch das Bedürfnis nach nachhaltigen, aber teureren Produkten verstärkt. Nun reduzieren sowohl Umverteilung mittels Einkommensteuern als auch Umweltsteuern in der Theorie die Nachfrage und die Produktion. Der Staat steht vor einem Dilemma: Er kann nicht Steuern und Abgaben zum Schutz der Umwelt erhöhen und zugleich mehr umverteilen, sondern muss die richtige Balance aus beidem finden.

Wunsch, nachhaltig zu konsumieren, steigert Gefühl von Ungleichheit

Im Folgenden sollen die Auswirkungen eines Anstiegs des Wunsches, nachhaltig zu konsumieren, untersucht werden. In dem mit Daten aus den USA kalibrierten ModellinfoDer Modellrahmen wird im Kasten dieses Berichts genauer beschrieben. Dieser Teil des Berichts stützt sich auf das Modell und die Analysen in Sonja Dobkowitz (2023): Essays on the Transition to Sustainable Economies. Dissertation, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (online verfügbar). (Kasten) haben Haushalte die Wahl zwischen zwei Arten von Produkten: nachhaltig und nichtnachhaltig produzierten. Die Informationen zur Art der Produktion sind allen Beteiligten bekannt.infoDer Fokus der Analyse ist der Effekt von Einkommensungleichheit auf die Vermeidung negativer Auswirkungen auf Dritte und die Umwelt durch die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten. Deshalb abstrahiert das Modell von Aspekten wie Greenwashing, also eine bloß behauptete nachhaltige Produktion. Diese Faktoren spielen in der Realität eine Rolle. Das Modell beschreibt eine theoretische Situation, in der Orientierungshilfen, wie Bio-Siegel, Haushalte vollständig über die tatsächlich mit dem Konsum eines Produkts verbundenen negativen Auswirkungen auf Dritte ­aufklären.

Um die Folgen eines steigenden Wunsches, nachhaltige Produkte zu konsumieren, zu betrachten, wird ein quantitatives, statisches Modell der Makroökonomie verwendet.infoVgl. hierzu Dobkowitz (2023), a. a. O.

In der beschriebenen modellierten Ökonomie gibt es drei Akteure: Firmen, Haushalte und Staat. Haushalte wählen, wie viele Stunden sie auf dem Arbeitsmarkt anbieten. Außerdem entscheiden sie über die Menge und die Zusammensetzung ihres Konsums. Firmen produzieren entweder nachhaltige oder nichtnachhaltige Produkte. Die Produktion des nichtnachhaltigen Produkts bedeutet negative Auswirkungen auf Dritte, die nicht im Preis berücksichtigt sind. Dies wird als Externalität bezeichnet.infoDamit sind hier beispielsweise Umweltverschmutzung, schlechte Arbeitsbedingungen oder schlechte Formen der Tierhaltung gemeint.

Haushalte wählen nun die Kombination von Produkten, die zum einen am ehesten ihrer Einstellung gegenüber Nachhaltigkeit entspricht. Zum anderen soll die Menge an konsumierten Produkten ausreichen, um Grundbedürfnisse zu decken. Es gibt zwei Typen von Haushalten, die sich nur aufgrund ihrer Arbeitsproduktivität und damit in ihrem Einkommen unterscheiden: einkommensstarke und einkommensschwache Haushalte. Einkommensstark bedeutet in diesem Fall, dass das Einkommen ausreicht, um Grundbedürfnisse ausschließlich mit nachhaltig produzierten Produkte zu decken. Diese Haushalte konsumieren entsprechend ihrer Einstellung zu nachhaltigen Produkten. Bei einkommensschwachen Haushalten hingegen kann der tatsächliche Konsum einen geringeren Anteil nachhaltiger Produkte aufweisen, als es die zugrunde liegende Einstellung zu nachhaltigem Konsum erwarten ließe. Auf diese Weise generiert das Modell eine „Einstellungs-Konsumverhaltens-Diskrepanz“ aufgrund von Einkommensunterschieden.

Der Staat beabsichtigt, die gesellschaftliche Wohlfahrt zu steigern.Dazu wählt der Staat die Höhe von Einkommen- und Umweltsteuern. Umweltsteuern belasten nichtnachhaltig produzierende Firmen prozentual zu ihren Produktionskosten. Staatseinnahmen werden pauschal an die Haushalte zurückgeführt.

Ein Produkt erfüllt zwei Zwecke: Zum einen stellt sein Konsum sicher, dass GrundbedürfnisseinfoGrundbedürfnisse beinhalten ein Minimum an Ausgaben für Wohnung, Heizung, Strom, Kleidung, Nahrung, Transport und Gesundheit. Grundbedürfnisse unterscheiden sich von beobachteten Konsumkörben, indem letztere beispielsweise durch Gewohnheiten geprägt sein können. Grundbedürfnisse sollen das physische Überleben sicherstellen und je nach Definition auch die soziale Teilhabe ermöglichen. In diesem Bericht werden Ausgaben für Grundbedürfnisse genutzt vom Institute for Women’s Policy Research (2018): Basic Economic Security in the United States: How Much Income Do Working Adults Need in Each State? (online verfügbar). erfüllt werden. Dabei geht es nur um die Menge an Produkten, nachhaltige und nichtnachhaltige Produkte unterscheiden sich unter diesem Gesichtspunkt nicht. Zum anderen erfahren Haushalte einen Nutzen aus dem Konsum von Produkten – dabei gibt es aber Auswirkungen auf Dritte zu bedenken, die durch den Konsum oder auch die Produktion eines Produkts entstehen. Ein nachhaltiges Produkt schafft möglicherweise einen zusätzlichen Nutzen, da es dem Haushalt zum Beispiel das Gefühl gibt, etwas Gutes für die Umwelt zu tun. Haushalte wählen eine Kombination aus nachhaltigen und nichtnachhaltigen Produkten, die diese beiden Zwecke bestmöglich abdeckt. Für einkommensstarke Haushalte stellt dies keinen Konflikt dar, sie können ihre Grundbedürfnisse mit einem beliebig hohen Anteil nachhaltig produzierter Produkte decken. Für einkommensschwache Haushalte hingegen gilt das nicht. Für sie ist es wichtiger, ihre Grundbedürfnisse zu decken, als nachhaltige Produkte zu konsumieren.

Wenn Haushalte insgesamt nun mehr nachhaltige Produkte konsumieren wollen, steigt die Nachfrage nach diesen Produkten und das Verhältnis von nachhaltiger zu nichtnachhaltiger Produktion. Dies bringt eine von der Nachfrage verursachte Verringerung der nichtnachhaltigen Produktion mit sich – ein wünschenswerter Effekt auf die Externalität, also den Auswirkungen auf Umwelt und Dritte. Weniger steuerliche Umweltpolitik wird nötig. Einkommensschwache Haushalte können die Kombination aus nachhaltigen und nichtnachhaltigen Produkten aber kaum anpassen, obwohl ihr Wunsch, nachhaltig zu konsumieren, steigt. Diese Haushalte sind nicht in der Lage, veränderte Wünsche nach Nachhaltigkeit in ihrem Konsumverhalten umzusetzen, ohne unter die Grundbedürfnisschwelle zu fallen. Die gefühlte Ungleichheit steigt.

Politik reagiert mit mehr Umverteilung und geringeren Umweltsteuern

Wie sollte die Politik auf den veränderten Wunsch, nachhaltig zu konsumieren,infoDer Ausgangspunkt dieser Analyse ist eine intrinsische Verhaltensveränderung der ­Haushalte, auf die die Politik mit Steuerinstrumenten reagiert. Die Verhaltensänderung der Haushalte, also ein gestiegener Wunsch nach nachhaltigem Konsum, muss von steuerlicher Umweltpolitik unter­schieden werden. reagieren? Im Folgenden wird ein Staat betrachtet, dessen Ziel es ist, die gesellschaftliche Wohlfahrt zu steigern.infoWohlfahrt ist definiert in einem utilitaristischen Sinn als Summe aller individuellen Nutzen in der Gesellschaft. Die Nutzen werden durch Nutzenfunktionen bestimmt. Haushalte profitieren von Konsum und Freizeit. Sie werden negativ beeinflusst durch die nichtnachhaltige Produktion, die sie im Gesamten als gegeben annehmen. Dazu kann der Staat die Höhe von Einkommen- und Umweltsteuern wählen.infoDer Begriff „Umweltsteuern“ wird hier vereinfachend für korrigierende Steuern auf nichtnachhaltige Produktion benutzt. Umweltsteuern erhöhen die Kosten der Produktion. Die folgenden Modellergebnisse veranschaulichen die Effekte eines Anstiegs des Wunsches, nachhaltig zu konsumieren, auf die Steuerpolitik anhand der USA im Jahr 2018.infoDie Daten zur Einkommensverteilung nach Steuern und Transferzahlungen kommen von der Panel Study of Income Dynamics (2024): Public use dataset. Produced and distributed by the ­Survey Research Center, Institute for Social Research, University of Michigan (online verfügbar). Preisinformationen für biologische und konventionelle Nahrungsmittel stammen aus Daten des United States Department of Agriculture (2021): Market News Retail Dataset (online verfügbar). Die Grundbedürfnisse sind hergeleitet vom Institute for Women’s Policy Research (2018), a. a. O. Für genauere Angaben zu den Datenquellen und der Herangehensweise vgl. Dobkowitz (2023), a. a. O.

Wenn der Wunsch, nachhaltige Produkte zu konsumieren, steigt, rückt die Politik in dem Modell von Umweltsteuern ab und fokussiert sich auf Umverteilung (Abbildung). Durch die Verhaltensänderung der Haushalte reduzieren sich die negativen Auswirkungen der Produktion. Weniger steuerliche Umweltpolitik wird nötig. Dies schafft mehr Spielraum für Umverteilung. Der Staat erhöht die Einkommensteuer, um diesen Spielraum zu nutzen und mehr umzuverteilen, damit sich auch einkommensschwache Haushalte nachhaltige Produkte leisten können. Die Politik wird darin bestärkt, denn die gefühlte Ungleichheit steigt durch den Trend zu nachhaltigeren, aber teureren Produkten. Dies erklärt den starken Anstieg der Transferzahlungen, wenn der Wunsch nach nachhaltigem Konsum groß ist.

Die Modellergebnisse verdeutlichen dabei einen Zielkonflikt zwischen steuerlicher Umweltpolitik und Umverteilung. Der Staat kann nicht gleichzeitig hohe Einkommen- und Umweltsteuern wählen: Wenn Einkommensteuern erhöht werden, verringert sich in der Regel der Arbeitseinsatz, weil der reale Stundenlohn sinkt. Arbeit lohnt sich weniger für die Haushalte, und die gesamtwirtschaftliche Produktion nimmt ab. In der Literatur werden solche Einkommensteuern als verzerrend bezeichnet, weil sie zu einer unerwünschten Verhaltensänderung führen.

Umweltsteuern wirken ähnlich auf das Arbeitsangebot der Haushalte: Die Umweltsteuer senkt die Kaufkraft, folglich lohnt es sich weniger zu arbeiten. Das Arbeitseinkommen ist wiederum die Basis der Einkommensteuer. Da die Einnahmen aus dieser Steuer sinken, wird es für den Staat schwieriger, niedrige Einkommen durch Umverteilung zu erhöhen. Der Staat muss die optimale Balance zwischen Einkommen- und Umweltsteuern finden.

Verlagerung des Politikfokus auf Ungleichheit

Basierend auf den US-Daten zeigen die Modellergebnisse, dass die Reaktion der Politik auf eine Verschiebung des Wunsches, nachhaltig zu konsumieren, davon abhängt, wie groß dieser Wunsch zu Beginn ist. Es zeichnen sich in diesem Modell zwei Ausprägungen ab: Ein marginaler Anstieg des Wunsches führt zu einer deutlichen Verringerung der nichtnachhaltigen Produktion. Geringere Umweltsteuern werden notwendig. Es bleibt mehr Raum für Umverteilung (Abbildung 1).

Bei einem stärker ausgeprägten Wunsch nach nachhaltigen Produkten dominiert der Effekt der wachsenden gefühlten Ungleichheit. Hier wird Umverteilung wichtiger als die durch Umweltsteuern bedingte Reduktion nichtnachhaltiger Produktion. Der Staat wählt niedrigere Umweltsteuern und dafür höhere Einkommensteuern, um höhere Transferzahlungen an einkommensschwache Haushalte zu ermöglichen. In letzterem Szenario nutzt der Staat Umverteilung als ein Instrument, um die negativen Auswirkungen der Produktion zu reduzieren: Jeder weitere Euro Einkommen für einkommensschwache Haushalte ermöglicht es diesen, mehr zu konsumieren. Neben dem Konsum nachhaltiger Produkte steigt zwar auch die Nachfrage dieser Haushalte nach nichtnachhaltigen Produkten minimal. Da der Konsum nichtnachhaltiger Produkte von einkommensstarken Haushalten dem Trend entsprechend aber abnimmt, sinkt insgesamt die Nachfrage nach nichtnachhaltigen Produkten. Auf diese Weise hilft Umverteilung, die negativen Auswirkungen der Produktion zu senken. Allerdings ist dieses Politikinstrument diesbezüglich weniger effektiv als eine Umweltsteuer, da nicht die Umweltpolitik im Vordergrund steht, sondern vorrangig die gefühlte Ungleichheit gemindert werden soll.

Fast 20 Prozent der deutschen Haushalte können Grundbedarf nicht ausschließlich nachhaltig decken

Im Jahr 2018 waren in den USA knapp 45 ProzentinfoDepartment of Agriculture (2021), a. a. O.; Institute for Women’s Policy Research (2018), a. a. O.; Panel Study of Income Dynamics (2024), a. a. O. der Bevölkerung finanziell nicht in der Lage, ihre Grundbedürfnisse ausschließlich mit nachhaltigen Produkten zu decken. Die Kosten nachhaltiger Produkte waren dort um 56 Prozent höher als für nichtnachhaltige Produkte. Um einzuschätzen, wie ein Anstieg des Wunsches nach nachhaltigem Konsum in Deutschland wirken würde, soll nun ein Blick auf die Verteilung der verfügbaren EinkommeninfoEs handelt sich hierbei um Haushaltsäquivalenzeinkommen. Siehe dazu auch den Eintrag „Äquivalenzeinkommen“ im Glossar des DIW Berlin (online verfügbar). Die Daten zum verfügbaren Einkommen kommen vom Sozio-oekonomischen Panel (SOEP-Core v38.1) und sind gewichtet. und der Preise für nachhaltige Produkte hierzulande geworfen werden.

Der Anteil der Haushalte in Deutschland, deren Einkommen so gering ausfällt, dass sie ihre Grundbedürfnisse nicht zur Gänze mit nachhaltigen Produkten decken können, lag im Jahr 2018 bei 20 Prozent.infoDiese Berechnung bezieht sich auf Preisdaten aus Mario Schmidt, Benjamin Held und ­Christian Haubach (2016): Warenkorbbasierter Preis- und Umweltwirkungsvergleich von ökologischem und konventionellem Konsum (WaPrUmKo) (online verfügbar). Preisinformationen werden angewandt auf die Grundbedarfsausgaben aus dem Regelsatz des SGB II und Katharina Höstermann (2016): Konsum, Lebensstandard und Existenzminimum: Forschungslücken der Sozialstrukturanalyse und Sozialpolitikforschung. Dissertation, Universität zu Köln (online verfügbar). Die so errechneten notwendigen Ausgaben für nachhaltige Produkte werden dann mit den Informationen zur Verteilung der verfügbaren Einkommen aus dem SOEP-Core v38.1 (gewichtet) verglichen, um den Anteil derer zu ermitteln, die sich nicht ausschließlich mit nachhaltigen Produkten versorgen können. Er war also 25 Prozentpunkte niedriger als der Wert für die USA. Die Verteilung der Einkommen spielt also auch in Deutschland eine Rolle. Der in Deutschland im Vergleich zu den USA niedrigere Anteil hängt auch mit einer geringeren Preisdifferenz hierzulande zusammen: Die notwendigen Ausgaben für den nachhaltigen Konsumkorb waren im Jahr 2018 nur etwa 17 Prozent höher als für die jeweils nichtnachhaltige Alternative. Der hiesige Marktanteil nachhaltiger Produkte von rund 7,5 Prozent im Jahr 2018infoUmweltbundesamt (2024): Indikator: Umweltfreundlicher Konsum (online verfügbar). ist geringer als der Wert in den USA von 16 Prozent (Abbildung 2).infoDie als nachhaltig klassifizierten Produkte unterscheiden sich zwischen Deutschland und den USA. Die Daten des Umweltbundesamts beziehen sich auf Produkte mit staatlichem Umweltsiegel. Die Daten aus den USA beziehen sich auf Angaben der Produzenten. Das bedeutet, dass per ­Definition ein geringerer Anteil der Produkte in den Daten für Deutschland als nachhaltig eingestuft wird. Es handelt sich also um eine untere Grenze für die Größe des nachhaltigen Marktsegments. Da mehr Menschen in Deutschland ein Einkommen beziehen, das den Konsum nachhaltiger Produkte ermöglicht, lässt der geringere Marktanteil auf einen niedrigeren Wunsch, nachhaltig zu konsumieren, schließen.

Diese Punkte legen nahe, dass ein Anstieg des Wunsches, nachhaltig zu konsumieren, in Deutschland dazu führen würde, dass die negativen Auswirkungen der Produktion stärker reduziert werden könnten als in den USA. Hinzu kommt der geringere Anteil einkommensschwacher Haushalte in Deutschland, der den Anstieg der gefühlten Ungleichheit begrenzen würde. Eine intrinsische Verhaltensänderung hin zu mehr nachhaltigem Konsum wäre also wünschenswert und eine gute Ergänzung zu steuerlichen Politikmaßnahmen. Nichtsdestotrotz sollte die Politik die Veränderung der Nachfrage mit mehr umverteilenden Maßnahmen begleiten.

Fazit: Mehr Umverteilung nötig, wenn Wunsch nach nachhaltigem Konsum steigt

Zwei Effekte begleiten einen allgemeinen Anstieg des Wunsches der Haushalte, nachhaltige Produkte zu konsumieren: Auf der positiven Seite kommt es zu einer Verringerung nichtnachhaltiger Produktion. Nicht eingepreiste, negative Auswirkungen auf Dritte können so begrenzt werden. Auf der negativen Seite bringt ein größerer Wunsch nach nachhaltigem Konsum einen Anstieg der gefühlten Ungleichheit mit sich, da sich einkommensschwache Haushalte nachhaltige Produkte weniger leisten können als einkommensstarke Haushalte.

Die Modellergebnisse mit den Daten aus den USA zeigen: Ein hoher Wunsch der Konsument*innen nach nachhaltigen Produkten zusammen mit einer stark ungleichen Verteilung der Einkommen kann dazu führen, dass ein Staat, der die Gesamtwohlfahrt im Blick hat, seine Umweltpolitik immer weiter lockert, um der wachsenden Ungleichheit entgegenzuwirken.

In Deutschland sind mehr Menschen als in den USA in der Lage, nachhaltige Produkte zu konsumieren. Dies liegt auch an einer niedrigeren Preisdifferenz zwischen nachhaltigen und nichtnachhaltigen Produkten. Der Wunsch, nachhaltig zu konsumieren, scheint hingegen ähnlich bis weniger stark ausgeprägt zu sein als in den USA. Deshalb wäre ein Anstieg des Wunsches der Haushalte, nachhaltiger zu konsumieren, in Deutschland wünschenswert und würde die steuerliche Umweltpolitik gut ergänzen.infoVgl. hierzu auch Sachverständigenrat für Umweltfragen (2023): Politik in der Pflicht: Umweltfreundliches Verhalten erleichtern. Sondergutachten (online verfügbar). Dies sollte aber unbedingt mit dem politischen Bestreben einhergehen, Einkommensungleichheit nicht durch die Umweltsteuern zu vergrößern. Um dies zu erreichen und mehr Spielraum für Umverteilung zwischen den Haushalten zu erreichen, wären höhere Einkommensteuern eine Möglichkeit. Zudem sollten steuerliche Vergünstigungen für nichtnachhaltige Produkte reduziert oder abgeschafft werden.infoVgl. hierzu Rafael Postpischil et al. (2022): Ökologische Finanzreform: Produktbezogene Anreize als Treiber umweltfreundlicher Produktions- und Konsumweisen. Reformvorschläge für die Mehrwertsteuer. UBA-Texte 38/2022 (online verfügbar).

Sonja Dobkowitz

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Makroökonomie



JEL-Classification: E71;H21;H23;Q58
Keywords: Income Inequality, Demand-driven Structural Transformation, Corrective Taxation, Redistribution, Sustainability
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2024-27-4

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