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Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit bei Eltern: Wunsch und Wirklichkeit liegen teils weit auseinander

DIW Wochenbericht 29 / 2024, S. 459-466

Ludovica Gambaro, Annica Gehlen, C. Katharina Spieß, Katharina Wrohlich, Elena Ziege

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  • Mütter und Väter teilen sich Erwerbs- und Sorgearbeit in Deutschland nach wie vor sehr ungleich auf
  • Studie auf Basis von FReDA-Daten zeigt, dass Einstellungen zu idealer Aufteilung von Erwerbsarbeit bei Paaren mit Kindern unter zwölf Jahren egalitärer sind als gelebte Wirklichkeit
  • Ein Grund für Diskrepanz liegt in deutschem Steuer- und Transfersystem und insbesondere im Zusammenspiel von Ehegattensplitting und Minijobs
  • Unzureichende Kinderbetreuungsinfrastruktur und hoher Gender Pay Gap setzen ebenfalls Anreize für Zuverdienermodell und Familienernährermodell
  • Um gleichmäßige Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit attraktiver zu machen, sollte Steuer- und Transfersystem modernisiert und Kita-Angebot ausgebaut werden

„Ideale und die Realität klaffen bei der Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit in Deutschland teils deutlich auseinander. Ein wichtiger Grund für die Diskrepanzen ist das Steuer- und Transfersystem, insbesondere das Zusammenspiel von Ehegattensplitting und Minijobs sowie beitragsfreier Mitversicherung von Ehepartner*innen in der gesetzlichen Krankenversicherung.“ Katharina Wrohlich

Mütter und Väter teilen sich die Erwerbs- und Sorgearbeit in Deutschland im Durchschnitt sehr ungleich auf. Frauen gehen oftmals nur in Teilzeit einer Erwerbstätigkeit nach – weitere geschlechtsspezifische Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt sind die Folge. Aktuelle Auswertungen von Daten des familiendemografischen Panels FReDA zeigen, dass die Vorstellungen über die ideale Aufteilung der Erwerbsarbeit bei Paaren mit Kindern unter zwölf Jahren in der Bevölkerung deutlich egalitärer sind als die gelebte Wirklichkeit der Paare mit Kindern in der entsprechenden Altersgruppe. Einer der strukturellen Gründe für diese Diskrepzanz sind die finanziellen Anreize des deutschen Steuer- und Transfersystems, die sich für verheiratete Paare insbesondere aus dem Zusammenspiel von Ehegattensplitting und steuerlicher Behandlung von Minijobs ergeben. Hinzu kommen eine unzureichende Kinderbetreuungsinfrastruktur und der nach wie vor sehr hohe Gender Pay Gap in Deutschland. Will die Politik geschlechtsspezifische Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt abbauen, sollten das Steuer- und Transfersystem modernisiert und Kita-Angebote weiter ausgebaut werden, um eine gleichmäßigere Aufteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit attraktiver zu machen.

Geschlechtsspezifische Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt sind in den vergangenen Jahren vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit und damit auch der politischen Diskussion gerückt. Gleichzeitig gibt es in Deutschland wenig messbare Fortschritte beim Abbau dieser Ungleichheiten. So liegt die geschlechtsspezifische Lohnlücke, der Gender Pay Gap, hierzulande seit einigen Jahren konstant bei 18 ProzentinfoVgl. Statistisches Bundesamt (2024): Gender Pay Gap 2023: Frauen verdienten pro Stunde 18 Prozent weniger als Männer. Pressemitteilung Nr. 027 vom 18. Januar 2024 (online verfügbar; abgerufen am 1. Juli 2024. Dies gilt auch für alle anderen Onlinequellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). und ist damit im europäischen Vergleich sehr hoch.infoVgl. Julia Schmieder und Katharina Wrohlich (2021): Gender Pay Gap im europäischen Vergleich: Positiver Zusammenhang zwischen Frauenerwerbsquote und Lohnlücke. DIW Wochenbericht Nr. 9, 141–147 (online verfügbar). Die empirische Arbeitsmarktforschung zeigt, dass Elternschaft die geschlechtsspezifischen Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt deutlich verstärkt. Zahlreiche Studien zu den sogenannten „child penalties“ zeigen, dass nach der Geburt des ersten Kindes die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei den Bruttostundenlöhnen und auch den Erwerbsarbeitsstunden – und somit auch beim Bruttojahreseinkommen – deutlich zunehmen und in höherem Alter relativ konstant bleiben.infoVgl. zum Beispiel Henrik Kleven et al. (2019): Child Penalties across Countries: Evidence and Explanations. American Economic Association, Papers and Proceedings Vol. 109, 122–126; und Jonas Jessen (2022): Culture, children and couple gender inequality. European Economic Review, Vol. 150, 104310 (online verfügbar).

Ein wesentlicher Grund für die Zunahme der geschlechtsspezifischen Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt liegt in der Erwerbs- und Sorgearbeit: Nach der Geburt des ersten Kindes teilen sich Paare diese deutlich ungleicher auf. So gibt es bei der Elternzeit zwischen Müttern und Vätern größere Unterschiede: Auch wenn der Anteil der Väter, die Elternzeit nehmen, in den letzten 15 Jahren nicht zuletzt dank des im Jahr 2007 eingeführten Elterngeldes stark zugenommen hat, nimmt die Mehrheit der Väter nach wie vor keine Elternzeit. Väter, die dies doch tun, pausieren deutlich kürzer als Mütter von ihrem Job.infoVgl. Uta Brehm, Mathias Huebener und Sophia Schmitz (2022): 15 Jahre Elterngeld: Erfolge, aber noch Handlungsbedarf. Bevölkerungsforschung aktuell Nr. 6, 3–7 (online verfügbar); sowie Katharina Wrohlich und Aline Zucco (2023): 15 Jahre Elterngeld: Auswirkungen und Reformoptionen. Hans Böckler Stiftung, Working Paper Forschungsförderung Nr. 281 (online verfügbar). Nach der Elternzeit kehren Mütter selbst nach vorheriger Vollzeiterwerbstätigkeit überwiegend in Teilzeit auf den Arbeitsmarkt zurück, was bei Vätern so gut wie gar nicht der Fall ist.infoVgl. Annekatrin Schrenker und Aline Zucco (2020): Gender Pay Gap steigt ab dem Alter von 30 Jahren stark an. DIW Wochenbericht Nr. 10, 137–146 (online verfügbar).

Mehrheit der Paare mit Kindern in Westdeutschland lebt nach Zuverdienermodell

In Westdeutschland ist das sogenannte „Zuverdienermodell“, bei dem der Vater in Vollzeit und die Mutter in Teilzeit oder geringfügig erwerbstätig ist, bei Paaren mit Kindern die am häufigsten gewählte Erwerbskonstellation. Über 60 Prozent aller westdeutschen Paare, deren jüngstes Kind im klassischen „Kindergartenalter“ (drei bis fünf Jahre) oder im Grundschulalter (sechs bis zehn Jahre) ist, teilen die Erwerbsarbeit nach diesem Modell auf (Abbildung 1). Bei Paaren, deren jüngstes Kind unter drei Jahren alt ist, trifft dies ebenfalls noch auf fast 50 Prozent zu. Allerdings kommt in dieser Gruppe auch das „Familienernährermodell“, bei dem der Vater einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgeht, während die Mutter gar nicht erwerbstätig ist, mit über 20 Prozent häufig vor. Paare mit älteren Kindern entscheiden sich mit etwa zehn Prozent hingegen deutlich seltener für das Familienernährermodell. Diese Zahlen ergeben sich aus Berechnungen auf Basis von Daten des familiendemografischen Panels FReDAinfoNorbert F. Schneider et al. (2021): Family Research and Demographic Analysis (FReDA): Evolution, Framework, Objectives, and Design of “The German Family Demography Panel Study”. Comparative Population Studies, 46 (online verfügbar)., das repräsentativ für die Bevölkerung in Deutschland von 18 bis 50 Jahren ist (Kasten 1).

Die Analysen in diesem Bericht basieren auf der ersten Welle der FReDA-Daten. „FReDAinfoDie Abkürzung FReDA steht für „Family Research and Demographic Analysis“. Diese Studie nutzt Daten des FReDA Panels, Datenrelease v.3.0.0 (DOI: 10.4232/1.14080 | 10.4232/1.14065 | 10.4232/1.13745), Martin Bujard et al. (2023): FReDA – The German Family Demography Panel Study. GESIS, Köln. Study No. ZA7777; Data File Version 3.0.0 (online verfügbar). – Das familiendemografische Panel“ ist eine neue Panelerhebung, die im Jahr 2021 startete. Es handelt sich um eine repräsentative Befragung der in Deutschland lebenden Bevölkerung im Alter von 18 bis 50 Jahren. Damit konzentriert sich FReDA auf das junge und mittlere Erwachsenenalter. Im Rahmen von FReDA werden zweimal im Jahr Daten zu partnerschaftlichen und familiären Lebenssituationen erhoben. Befragt wird eine sogenannte Ankerperson im Haushalt sowie deren Partner*in – insgesamt konnten im Herbst 2023 etwas mehr als 30000 Interviews realisiert werden. Die in FReDA enthaltenen Fragen thematisieren zahlreiche demografische, psychologische, ökonomische und soziologische Facetten des Lebens. Ein besonderes Augenmerk gilt der Familienplanung und den Formen des partnerschaftlichen Zusammenlebens. Je nach Lebenssituation werden dabei auch Eltern-Kind-Beziehungen oder die Beziehungen zwischen den Generationen angesprochen. Die Erhebungen von FReDA erlauben auch internationale Vergleiche mit zahlreichen anderen Ländern in Europa und darüber hinaus, da der Fragenkatalog alle drei Jahre dem des „Generations and Gender Survey“ (GGS)infoVgl. die Informationen zum Generations and Gender Survey (GGS) auf der Website des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (online verfügbar). entspricht. Im Jahr 2022 ist die Befragung des Beziehungs- und Familienpanels (pairfam) in die FReDA-Studie integriert worden und wird in ihr fortgeführt. Bisher können jeweils Daten der ersten beiden Wellen der Jahre 2021 bis 2023 von der Wissenschaft bezogen werden.

Die Analysen beruhen auf Aussagen der Ankerperson zur eigenen Erwerbstätigkeit, zur Erwerbstätigkeit des*der Partner*in und zu den eigenen Einstellungen zur Erwerbstätigkeit von Eltern aus der ersten Welle von 2021. Die Frage zur eigenen Erwerbstätigkeit lautet: „In welchem Umfang sind Sie beschäftigt? Sind Sie…?“. Die Antwortmöglichkeiten lauten:

  • In Vollzeit beschäftigt
  • In Teilzeit beschäftigt
  • Geringfügig beschäftigt, in einem Minijob oder einem Ein-Euro-Job

Die Erwerbstätigkeit des*der Partner*in wird mit der Frage „Ist Ihr Partner oder Ihre Partnerin in der letzten Woche einer bezahlten Tätigkeit nachgegangen?“ und folgenden Antwortmöglichkeiten erfasst:

  • Ja, bezahlte Tätigkeit
  • Ja, bezahlte Tätigkeit, aber in Urlaub, Elternzeit oder Ähnliches
  • Nein, keine bezahlte Tätigkeit, aber arbeitssuchend
  • Nein, keine bezahlte Tätigkeit und nicht arbeitssuchend
  • Weiß nicht

Um zwischen Vollzeit- und Teilzeiterwerbstätigkeit zu unterscheiden, wird für Personen mit bezahlter Tätigkeit auf die Frage „Wie viele Stunden arbeitet Ihr Partner oder Ihre Partnerin normalerweise pro Woche in dieser Tätigkeit oder in diesem Unternehmen, einschließlich Überstunden?“ zurückgegriffen. Alle Tätigkeiten von 35 Stunden oder mehr werden als Vollzeittätigkeit definiert.

Die Einstellungen zur Erwerbstätigkeit von Eltern werden mit der Frage „Stellen Sie sich eine Familie mit Mutter, Vater und zwei Kindern vor, von denen das jüngste Kind zwei Jahre alt ist. Sollte die Mutter Vollzeit, Teilzeit oder gar nicht arbeiten?“ erfasst.

Die gleiche Frage wird auch zur Erwerbstätigkeit des Vaters gestellt und für Szenarien, in denen das jüngste Kind vier oder acht Jahre alt ist.

FReDA ist ein Kooperationsprojekt des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), von GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften und der Universität zu Köln. Die Gesamtkoordination des Projekts liegt beim BiB.

Bei etwa zwölf bis 16 Prozent aller westdeutschen Paare sind – je nach Alter des jüngsten Kindes – beide Elternteile in Vollzeit erwerbstätig. Dieses „universale Erwerbstätigenmodell“ wählen Eltern deutlich häufiger als das sogenannte „Erwerbs- und Sorgemodell“, in dem beide Elternteile jeweils etwa 30 Stunden pro Woche in Teilzeit erwerbstätig sind – dies ist nur bei drei bis fünf Prozent aller Paare in Westdeutschland der Fall.

Auch in Ostdeutschland ist das „Erwerbs- und Sorgemodell“ nicht sehr verbreitet. Deutlich häufiger als im Westen sind jedoch beide Elternteile in Vollzeit erwerbstätig: Mehr als 40 Prozent der Paare, deren jüngstes Kind drei Jahre oder älter ist, leben nach diesem universalen Erwerbstätigenmodell – mehr als doppelt so viele wie in Westdeutschland. Bei Paaren, deren jüngstes Kind jünger als drei Jahre ist, ist jedoch im Osten wie im Westen das Zuverdienermodell am stärksten verbreitet.

Einstellungen der Bevölkerung zur Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit egalitärer als Aufteilung in Realität

Einige aktuelle Umfragen deuten darauf hin, dass das Zuverdienermodell und die damit einhergehende ungleiche Aufteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen Müttern und Vätern von einem erheblichen Teil der jungen Familien als nicht ideal angesehen wird. So nennt zum Beispiel der Väterreport 2023 der Bundesregierung Umfrageergebnisse, nach denen etwa die Hälfte aller Väter angibt, dass idealerweise Väter und Mütter jeweils die Hälfte der Kinderbetreuung übernehmen sollten – in nur 21 Prozent der Familien ist das aber tatsächlich der Fall. Die gleiche Umfrage stellte fest, dass mehr als 40 Prozent der befragten Väter gerne einen größeren Anteil an der Kinderbetreuung übernehmen würden, als sie es tatsächlich tun.infoVgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2023): Väterreport 2023: Entwicklungen und Daten zur Vielfalt der Väter in Deutschland (online verfügbar).

Auf Basis der FReDA-Daten lässt sich abhängig vom Alter der Kinder noch genauer analysieren, welche Erwerbsarbeitszeit für Mütter und Väter von der Bevölkerung in der Theorie als ideal angesehen wird. In FReDA werden alle Teilnehmer*innen – unabhängig davon, ob sie selbst Kinder haben oder nicht – nach ihrer Einstellung zu diesem Thema befragt. Dabei wird unterschieden, ob das hypothetische jüngste Kind im Haushalt zwei, vier oder acht Jahre alt ist.infoVgl. hierzu auch Martin Bujard und Leonie Kleinschrot (2024): Wieviel sollten Mütter und Väter arbeiten? Idealvorstellungen variieren in und nach der Rushhour des Lebens. Bevölkerungsforschung aktuell Nr. 1 (online verfügbar); sowie Ludovica Gambaro et al. (2023): Should Mama or Papa Work? Variations in Attitudes towards Parental Employment by Country of Origin and Child Age. Comparative Population Studies 48, 339–368. Diese Einstellungen spiegeln die durchschnittlichen gesellschaftlichen Normen wider, von denen Eltern bei ihrer Entscheidung zur Aufteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit umgeben sind.

Die Auswertungen dieser Daten für das Jahr 2021 zeigen, dass bei der als ideal erachteten Arbeitsteilung das Zuverdienermodell am häufigsten genannt wird. Mehr als 40 Prozent der Befragten in Westdeutschland sind der Meinung, dass bei Paaren mit Kindern im Alter von zwei, vier oder acht Jahren eine Vollzeiterwerbstätigkeit des Vaters und eine Teilzeiterwerbstätigkeit der Mutter die ideale Arbeitsaufteilung sei. Im Osten sind diese Werte geringer: Hier gibt nur knapp ein Drittel der Befragten an, dass dieses Modell für Paare mit einem Kind im Alter von zwei Jahren aus ihrer Sicht ideal ist. Mit Blick auf Paare mit älteren Kindern (vier oder acht Jahre) betrachten sogar nur gut 20 Prozent der Befragten im Osten dieses Modell als ideal (Abbildung 2).

In Ost- wie in Westdeutschland fällt jedoch auf, dass der Anteil der Familien, die tatsächlich nach diesem Zuverdienermodell leben, deutlich höher ist als der Anteil der in FReDA befragten Personen mit und ohne Kind, die dieses Modell als ideal erachten. Während zum Beispiel in Westdeutschland 63 Prozent der Paare, deren jüngstes Kind sechs bis zehn Jahre alt ist, nach dem Zuverdienermodell leben, sehen dieses dort nur 42 Prozent der Befragten als ideal für Paare mit Kindern in dieser Altersgruppe an. Auch in Ostdeutschland wählen deutlich mehr Paare mit Kindern dieses Modell, als es den Einstellungen der jungen und mittelalten Erwachsenen entspricht: 38 Prozent der Paare, deren jüngstes Kind im Grundschulalter ist, leben nach diesem Modell, aber nur 21 Prozent der ostdeutschen Befragten sehen es als ideal an.

Die Befragten in Ostdeutschland erachten überwiegend das universale Erwerbstätigenmodell mit zwei in Vollzeit erwerbstätigen Elternteilen als ideal – zumindest, wenn das jüngste Kind älter als drei Jahre ist. 62 Prozent der ostdeutschen Befragten sind der Meinung, dass dieses Modell für Paare mit einem Kind im Alter von acht Jahren ideal sei. In Westdeutschland ist der Anteil mit 38 Prozent deutlich geringer. In beiden Landesteilen fällt jedoch auf, dass der Anteil der Paare, die tatsächlich nach diesem Modell leben, deutlich geringer ist (16 Prozent in West- und 43 Prozent in Ostdeutschland).

Die relativ größte Diskrepanz zwischen den allgemeinen Einstellungen und der gelebten Wirklichkeit ist beim Erwerbs- und Sorgemodell zu beobachten, in dem beide Elternteile im Umfang von etwa 30 Stunden pro Woche erwerbstätig sind. Dieses Modell wird – je nach Alter des jüngsten Kindes – in West- und Ostdeutschland von nur drei bis sechs Prozent aller Paare gewählt, aber von einem erheblichen Anteil der Befragten als ideal angesehen: Jeweils etwa 30 Prozent in Ost- und Westdeutschland sind der Meinung, dass dieses Modell die ideale Arbeitsteilung sei für Paare, deren jüngstes Kind zwei Jahre alt ist. Ist das jüngste Kind vier Jahre alt, sehen das noch jeweils mehr als 20 Prozent so, im Falle eines achtjährigen Kindes noch 18 Prozent in West- und 15 Prozent in Ostdeutschland.

Insgesamt lässt sich somit festhalten, dass der Anteil der Befragten, die eine egalitäre Aufteilung der Erwerbsarbeit (entweder im universalen Erwerbstätigenmodell oder im Erwerbs- und Sorgemodell) als ideal erachten, in Ostdeutschland unabhängig vom Alter des jüngsten Kindes deutlich höher ist als der Anteil der Befragten, die eine ungleiche Aufteilung bevorzugen. In Westdeutschland ist das teilweise anders: Hier sehen Befragte für Paare mit Kindern im Alter von zwei oder vier Jahren mehrheitlich das Familienernährer- oder das Zuverdienermodell als ideal an. Ist das jüngste Kind jedoch acht Jahre oder älter, ist auch in Westdeutschland eine Mehrheit der Befragten der Auffassung, dass eine egalitäre Aufteilung der Erwerbsarbeit ideal sei.infoInteressant ist hierbei, dass die Einstellungen zur Erwerbs- und Sorgearbeit von Frauen und Männern sehr ähnlich sind – und zwar unabhängig vom Alter des jüngsten Kindes. Allerdings ist der Anteil von Frauen, die das Erwerbs- und-Sorgemodell präferieren, größer als der Anteil der Männer. Diese bevorzugen dafür häufiger das universale Erwerbstätigenmodell.

Steuer- und Transfersystem macht Zuverdienermodell finanziell besonders attraktiv

Es mag zahlreiche individuelle Gründe geben, warum die gelebte Arbeitsteilung von der als ideal erachteten Arbeitsteilung abweicht. Arbeitsbedingungen, die es nicht ermöglichen, die gewünschte Arbeitszeit umzusetzen, können eine Rolle spielen, ebenso wie struktuelle Restriktionen, zum Beispiel fehlende Kinderbetreuungsplätze. Zudem beeinflussen finanzielle Anreize durch das Steuer- und Transfersystem in Deutschland und die im Durchschnitt unterschiedlich hohen Löhne von Männern und Frauen die Erwerbsentscheidungen. Um diese Anreize zu illustrieren, werden im Folgenden die Haushaltsnettoeinkommen für fünf verschiedene Erwerbskonstellationen bei verheirateten Paaren simuliert. Für die Simulationen werden durchschnittliche Bruttostundenlöhne für Männer (25,30 Euro) und Frauen (20,80 Euro)infoDiese Werte bilden die Durchschnitte der Bruttostundenlöhne von Männern und Frauen im Jahr 2023 ab. Vgl. dazu Statistisches Bundesamt (2024), a.a.O. angenommen (Kasten 2).

Die Berechnungen der Nettoeinkommen stilisierter Haushalte für unterschiedliche Erwerbskonstellationen wurde mit der Software GETTSIM erstellt. GETTSIM (GErman Taxes and Transfers SIMulator) ist ein Programm, das Forschende an mehreren Forschungsinstituten und Universitäten in Deutschland, darunter das DIW Berlin,infoAußerdem zählen dazu das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA), das ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) sowie Universitäten in Berlin, Bonn, Mannheim, München und Kassel. gemeinsam entwickeln. Das Programm wurde als Open-Source-Projekt implementiert und ist somit der Öffentlichkeit frei zugänglich.infoDie Dokumentation sowie der Quellcode von GETTSIM sind online abrufbar.

GETTSIM kann für beliebige Haushaltskonstellationen, Erwerbssituationen und Einkommenslagen genutzt werden, um relevante Größen des deutschen Steuer-und-Transfersystems zu simulieren. Hierzu gehören beispielsweise die Steuerlast von Haushalten, individuelle Sozialversicherungsbeiträge sowie Transferleistungen wie Arbeitslosengeld, Kindergeld, Wohngeld, Bürgergeld und Rentenansprüche.

Für die Analyse in diesem Wochenbericht wurden fünf Modellhaushalte simuliert, die die Einkommenssituation einer dreiköpfigen Familie mit unterschiedlichen Erwerbskonstellationen verheirateter Eltern abbilden. Für diese Haushalte wurden mit GETTSIM die Sozialversicherungsbeiträge, Steuerlast und Transfers wie Kindergeld für das Jahr 2023 berechnet, um das verfügbare Nettoeinkommen zu ermitteln. Das Wohngeld wurde für die vorliegenden Analysen außer Acht gelassen.

Die simulierten Modelle entsprechen dem Familienernährermodell (Mann in Vollzeit, Frau nicht erwerbstätig), zwei Versionen des Zuverdienermodells (Mann in Vollzeit, Frau mit 20 Stunden in Teilzeit oder mit sechs Stunden geringfügig beschäftigt), dem universalen Erwerbstätigenmodell (beide in Vollzeit erwerbstätig) sowie dem Erwerbs- und Sorgemodell (beide 30 Stunden pro Woche erwerbstätig).

Sind beide Elternteile in Vollzeit erwerbstätig, ist das monatliche Haushaltsnettoeinkommen am höchsten …

Erwartungsgemäß ist das Haushaltsnettoeinkommen im Fall des universalen Erwerbstätigenmodells, bei dem beide Elternteile in Vollzeit erwerbstätig sind, mit 4861 Euro pro Monat am höchsten (Abbildung 3). Am zweithöchsten ist das Nettoeinkommen beim Zuverdienermodell mit einer Teilzeiterwerbstätigkeit der Frau (3952 Euro pro Monat). Damit liegt es leicht über dem Einkommen beim Erwerbs- und Sorgemodell (3832 Euro pro Monat), obwohl in diesen beiden Modellen die insgesamt geleisteten Wochenarbeitsstunden gleich sind. Da jedoch per Annahme im Simulationsmodell der Bruttostundenverdienst des Mannes um 18 Prozent – das entspricht dem aktuellen Gender Pay Gap – höher ist als derjenige der Frau, ergibt sich beim Zuverdienermodell ein höheres Nettoeinkommen. Wenn die Frau in diesem Modell geringfügig erwerbstätig ist, liegt das Nettoeinkommen mit 3440 Euro pro Monat deutlich niedriger. Am niedrigsten ist das Haushaltsnettoeinkommen erwartungsgemäß im Fall des Familienernährermodells, bei dem nur ein Nettoeinkommen von 2941 Euro erzielt wird.

… pro geleisteter Arbeitsstunde ist jedoch das Zuverdienermodell finanziell am attraktivsten

Ganz anders sieht diese Reihenfolge jedoch aus, wenn nicht das Nettoeinkommen pro Monat, sondern pro geleisteter Arbeitsstunde betrachtet wird: Teilt man das Haushaltsnettoeinkommen durch die Summe der von beiden Eltern geleisteten Arbeitsstunden, so ist das Einkommen beim Zuverdienermodell, in dem die Frau geringfügig (sechs Stunden pro Woche) und der Mann in Vollzeit erwerbstätig ist, mit 17,26 Euro netto pro Stunde am höchsten, dicht gefolgt vom Familienernährermodell mit 16,96 Euro pro Stunde. Im Zuverdienermodell, bei dem die Frau in Teilzeit erwerbstätig ist (20 Stunden pro Woche) oder im Erwerbs- und Sorgemodell, bei dem beide Elternteile 30 Stunden pro Woche ihrem Beruf nachgehen, liegt das Nettoeinkommen pro Arbeitsstunde mit 15,20 Euro beziehungsweise 14,74 Euro pro Stunde deutlich darunter. Am niedrigsten ist es mit 14,02 Euro pro Stunde, wenn beide Elternteile vollzeiterwerbstätig sind (Abbildung 4).

Nimmt man dieses letzte Modell, also das universale Erwerbstätigenmodell, als Referenzmodell und vergleicht die gemeinsame Arbeitszeit beider Elternteile und das Haushaltsnettoeinkommen mit den anderen Modellen, zeigt sich: Beim Zuverdienermodell mit Minijob (sechs Stunden pro Woche) hat der Haushalt 71 Prozent des Nettoeinkommens des Referenzhaushalts, muss dafür aber nur 57 Prozent der Arbeitszeit aufbringen. Beim Zuverdienermodell mit Teilzeit (20 Stunden pro Woche) hat der Haushalt 81 Prozent des Nettoeinkommens des Referenzhaushalts bei 75 Prozent der Arbeitszeit und beim Erwerbs- und Sorgemodell (beide Eltern arbeiten jeweils 30 Stunden pro Woche) sind es 79 Prozent des Einkommens bei ebenfalls 75 Prozent der Arbeitszeit. Im Familienernährermodell hat der Haushalt im Vergleich zum Referenzmodell 61 Prozent des Einkommens bei 50 Prozent der Arbeitszeit. Die Relation zwischen gemeinsamer Arbeitszeit und Nettoeinkommen ist somit im Zuverdienermodell mit Minijob am attraktivsten.

Fazit: Reformen im Steuer- und Transfersystem können gleichmäßigere Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit attraktiver machen

Die allgemeinen Einstellungen zur Arbeitsteilung bei Paaren mit Kindern weichen stark von der gelebten Wirklichkeit ab. Neben individuellen Motiven sprechen auch einige strukturelle Gründe dafür, dass insbesondere das Zuverdienermodell, in dem der Mann in Vollzeit und die Frau in Teilzeit oder geringfügig erwerbstätig ist, so häufig vorkommt.infoVerdient die Frau pro Stunde mehr als der Mann, ist das Zuverdienermodell mit umgekehrten Rollen (Frau arbeitet Vollzeit, Mann im Minijob oder in Teilzeit) ebenfalls finanziell attraktiv. Diese Konstellation kommt empirisch jedoch sehr selten vor. Einige dieser strukturellen Gründe, die hier nicht analysiert werden, liegen in der Kinderbetreuungsinfrastruktur. Dabei geht es insbesondere um fehlende Kita-Plätze für Kinder unter drei Jahren, Ganztagsplätze für Kinder im KindergartenalterinfoSophia Schmitz et al. (2023): Bundesweite Standards für bedarfsgerechte Angebote, insbesondere Ganztagsangebote, in der Kindertagesbetreuung für Kinder bis zum Schuleintritt. Expertise, Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (online verfügbar). sowie ein unterentwickeltes Angebot an Ganztagsplätzen für Grundschulkinder.info21 Prozent der Familien in Deutschland mit Kindern zwischen einem Jahr und drei Jahren haben keinen Kita-Platz, obwohl Bedarf besteht. Vgl. Mathias Huebener et al. (2023): Frühe Ungleichheiten: Zugang zu Kindertragesbetreuung aus bildungs- und gleichstellungspolitischer Perspektive. Friedrich-Ebert-Stiftung, FES diskurs, November (online verfügbar). Mehr als zwei Drittel der Kinder im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt werden in Vollzeit betreut. Allerdings ist nur die Hälfte der Schulkinder unter elf Jahren in Ganztagsbetreuung. Das bedeutet, dass fast die Hälfte der Kinder maximal 25 Stunden pro Woche in der Schule betreut wird. Vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2022): Bildung in Deutschland 2022. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zum Bildungspersonal (online verfügbar).

Zudem sorgt das deutsche Steuer- und Transfersystem dafür, dass das Zuverdienermodell für verheiratete Paare finanziell besonders attraktiv ist. Dies liegt am Zusammenspiel von Ehegattensplitting, steuerlicher Behandlung der Einkünfte aus Minijobs und beitragsfreier Mitversicherung von Ehepartner*innen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Zusätzlich machen die durchschnittlich um 18 Prozent höheren Bruttostundenlöhne von Männern eine ungleiche Aufteilung der Erwerbsarbeit kurzfristig ebenfalls attraktiv.

Will die Politik geschlechtsspezifische Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt und bei der Aufteilung der unbezahlten Sorgearbeit abbauen, sollten Reformen in den genannten Bereichen des Steuer- und Transfersystems auf den Weg gebracht werden. Vorschläge für Reformen des Ehegattensplittings, zum Beispiel in Form eines Realsplittings mit Übertragungsbetrag, liegen seit geraumer Zeit auf dem Tisch.infoIn so einem Steuermodell werden beide Partner*innen individuell besteuert, aber der*die Partner*in mit dem höheren Einkommen kann einen Betrag in Höhe des Grundfreibetrags auf ihre*n Partner*in übertragen. Vgl. dazu Björn Fischer et al. (2020): Reform des Ehegattensplittings: Realsplitting mit niedrigem Übertragungsbetrag ist ein guter Kompromiss. DIW Wochenbericht Nr. 41, 785–794 (online verfügbar). Alternativen zur beitragsfreien Mitversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung sollten ebenfalls diskutiert werden.infoKai-Uwe Müller et al. (2013): Evaluationsmodul: Förderung und Wohlergehen von Kindern: Endbericht. Studie im Auftrag der Geschäftsstelle für die Gesamtevaluation ehe- und familienbezogener Maßnahmen und Leistungen in Deutschland, Prognos AG, für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und das Bundesministerium der Finanzen. DIW Politikberatung kompakt Nr. 73 (online verfügbar). Wichtig wäre zudem eine Abschaffung der Minijobs, zumindest für Personen im Haupterwerbsalter (für Schüler*innen, Studierende und Rentner*innen könnten sie beibehalten werden). In Zeiten des zunehmenden Arbeitskräftemangels scheint es nicht effektiv, geringfügige Beschäftigung in Form von Minijobs weiterhin zu subventionieren und damit eine stark ungleiche Aufteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit bei Paaren zu fördern. Darüber hinaus ist eine bedarfsgerechte Kinderbetreuungsinfrastruktur für Kinder ab dem zweiten Lebensjahr bis zum Alter von zwölf Jahren und ein modernisiertes Steuer- und Transfersystem, das bezahlte Arbeit insbesondere für Mütter attraktiver macht, gefragt. So könnte die Diskrepanz zwischen der als ideal erachteten Arbeitsteilung und der gelebten Wirklichkeit abgebaut werden und dem Arbeitsmarkt ein größeres Erwerbsvolumen insbesondere von Frauen zur Verfügung stehen.

Annica Gehlen

Doktorandin in der Abteilung Staat

Katharina Wrohlich

Leiterin in der Forschungsgruppe Gender Economics



JEL-Classification: D13;J16;J22
Keywords: family labor supply, gender gaps, social norms, tax and transfer system, work incentives
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2024-29-1

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