Blog Marcel Fratzscher vom 30. August 2024
AfD und BSW könnten bei den Landtagswahlen stark abschneiden, doch eine Regierungsbeteiligung beider Parteien wäre riskant – und nicht im Sinne der meisten Ostdeutschen.
In Sachsen und Thüringen werden am Sonntag die Landtage gewählt. Die Alternative für Deutschland (AfD), deren Verbände in beiden Ländern vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft sind, und das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) könnten die großen Gewinner werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Parteien in Regierungsverantwortung kommen. Was würde dies für Wirtschaft und Gesellschaft und für die eigenen Wählerinnen und Wähler bedeuten?
Diese Kolumne erschien am 30. August 2024 auf ZEIT ONLINE in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.
Auf Basis des Wahl-O-Mats der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) habe ich in einer Kurzstudie die Positionen der beiden Parteien und wie sich diese voneinander unterscheiden, untersucht. Die Analyse zeigt: AfD und BSW überschneiden sich sehr stark in der Klima- und der Innenpolitik sowie in manchen Bereichen der Gesellschaftspolitik. Ihre Positionen sind nicht nur radikal, sondern teils auch widersprüchlich.
Die AfD inszeniert sich zunehmend als Ostpartei, auf Bundesebene verfolgt sie aber häufig eine Politik, von der vor allem Westdeutsche profitieren würden und die den Interessen vieler Ostdeutscher entgegenstehen: Beispielsweise hatte sich die Partei gegen eine Mindestlohnerhöhung auf zwölf Euro ausgesprochen. Auch will sie die Erbschaftsteuer abschaffen, obwohl Menschen in Ostdeutschland viel seltener Erbschaften erhalten und etwa 98 Prozent der gesamtdeutschen Erbschaftsteuer in Westdeutschland gezahlt werden. Das AfD-Steuerkonzept aus dem Jahr 2021 sieht außerdem vor, überwiegend hohe Einkommen zu entlasten. Auch dadurch würden mehr Menschen in West- als in Ostdeutschland profitieren. In einer Studie zur letzten Bundestagswahl habe ich ein AfD-Paradox aufgezeigt: Die Positionen der AfD sind nicht nur in vielen Bereichen widersprüchlich, sondern sie würden den eigenen Wählerinnen und Wählern, vor allem in Ostdeutschland, am meisten schaden.
Das ist auch bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen so. Doch was ist mit dem BSW? Auch die Positionen dieser neuen Partei sind teils radikal. Und sie überschneiden sich mit denen der AfD stellenweise stark, etwa bei Fragen der Klima- und Innenpolitik. Beide Parteien lehnen Zuwanderung ab und sehen Vielfalt und eine offene Gesellschaft höchst kritisch. Beide haben ein konservatives Gesellschafts- und Menschenbild, in dem Vielfalt wenig wertgeschätzt wird.
Ähnliches gilt für die Innenpolitik, bei der beide Parteien Rechte von Minderheiten beschneiden und den Überwachungsstaat ausweiten wollen – sowohl die AfD als auch das BSW stehen für einen starken, kontrollierenden Staat und sind dafür bereit, Freiheiten und Vielfalt zu beschneiden.
Das BSW vertritt zum Teil identische Positionen zur AfD, etwa wenn es um eine konsequentere Abschiebung von ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländern geht. Das BSW ist außerdem für Grenzkontrollen, eine Idee, die etwa die Linke ablehnt und worin sich beide Parteien stark unterscheiden. Bei der Verteidigungspolitik, der Ablehnung von Waffenlieferungen an die Ukraine und den Sanktionen gegen Russland vertreten AfD und BSW, aber auch die Linke alle drei die gleichen Positionen.
Einig sind sich AfD und BSW auch beim Klima: Beide Parteien sind strikt gegen fast jegliche Maßnahme zum Klimaschutz. Sie leugnen entweder den vom Menschen gemachten Klimawandel oder sehen zumindest kaum eine Notwendigkeit dafür, das Klima und die Umwelt schützen. Entsprechend stehen beide Partien Atomkraft neutral oder positiv gegenüber, sie sind außerdem gegen eine schnellere Erhöhung des CO₂-Preises und gegen die stärkere Förderung von Fotovoltaik.
In der Gesellschaftspolitik gibt es ebenfalls große Überschneidungen: In Sachsen sind AfD und BSW beispielsweise beide gegen eine verpflichtende Frauenquote in öffentlichen Institutionen. Beide Parteien haben sich auch gegen das Gendern ausgesprochen, sie sind also gegen die Möglichkeit, in Schulen geschlechtliche Vielfalt sprachlich darzustellen. Zudem lehnen beide Parteien eine stärkere Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bei Fragen ab, die Minderjährige direkt betreffen.
Bleibt noch die Wirtschafts- und Finanzpolitik: Hier unterscheiden sich BSW und AfD stark voneinander. Während sich das BSW zwischen den Grünen, der SPD und der Linken positioniert und für den Staat eine Rolle in der Wirtschaft sieht, befürwortet die AfD eine extrem neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik mit Steuersenkungen für Spitzenverdienerinnen und -verdiener. Die AfD will generell weniger Staat und mehr Markt in fast allen Wirtschaftsbereichen.
Konsistent sind die Positionen über die Politikbereiche hinweg sowohl bei der AfD als auch beim BSW kaum. So fordert die AfD etwa Steuersenkungen für Menschen mit sehr hohen Einkommen und will soziale Leistungen abbauen, zugleich will sie die staatliche Unterstützung wiederum erhöhen, beispielsweise für die Landwirtschaft. Das passt nicht so recht zusammen. Auch beim BSW sind Widersprüche offensichtlich: Bei der Wirtschaftspolitik und vor allem bei der Sozialpolitik wünscht sich das BSW meist mehr Staat und mehr Staatsausgaben. Bei der Gesellschaftspolitik vertritt das BSW jedoch eine eher intolerante Politik, die sich gegen Vielfalt und Toleranz gegenüber Minderheiten richtet. Und nicht konsistent erscheint auch, dass das BSW zwar mehr Staat in der Wirtschafts- und Sozialpolitik fordert, jedoch weniger Staat beim Klima- und Umweltschutz. Das heißt, das BSW leugnet entweder, dass staatliche Regulierung beim Klimaschutz notwendig ist, oder es verhält sich opportunistisch, indem sie auf eine gewisse Wählerklientel abzielt, die Klimaschutz kritisch gegenübersteht. Der Widerspruch ist umso größer, da es häufig eher BSW-Wählerinnen und -Wähler sind, die besonders stark unter der Klimakrise leiden.
Erstaunlich ist, wie stark sich die Positionen des BSW von der Partei Die Linke, aus der sie erst kürzlich hervorgegangen ist, unterscheidet. Vor allem bei der Wirtschafts-, der Finanz- und der Klimapolitik und einigen Bereichen der Gesellschaftspolitik könnten die Unterschiede zwischen beiden kaum größer sein. Lediglich bei der Sozial- und der Außenpolitik gibt es größere Überschneidungen: Beide wollen einen starken Sozialstaat und vertreten eine prorussische Politik.
Dies ist ein bemerkenswertes Resultat, da das BSW von vielen Politikerinnen und Politikern angeführt wird, die noch im vergangenen Jahr teils hochrangige Positionen in der Partei Die Linke innehatten. Man fragt sich, wie sie in so kurzer Zeit einen so radikalen Kurswechsel vollziehen konnten. Oder anders formuliert: Wie konnten sie so lange hochrangige Positionen in der Partei Die Linke bekleiden, wenn sie in vielen Bereichen konträre Standpunkte vertreten?
Es stellt sich die Frage, ob die Positionierungen von AfD und BSW lediglich opportunistisch und wahlstrategisch sind, oder auch auf politischer Überzeugung beruhen. Viele ihrer Positionen sind intern jedoch inkonsistent. Das Resultat einer solchen Politik wäre ein Verlust von Arbeitsplätzen, da Wohlstand und Wachstum gefährdet wären. Die Gesellschaft würde außerdem weiter gespaltet. Eine Regierungsbeteiligung von AfD oder BSW wäre daher ein gefährliches Experiment.
Themen: Arbeit und Beschäftigung , Europa , Klimapolitik