DIW Wochenbericht 47 / 2024, S. 733-741
Laura Schmitz, Johannes Brehm, Henri Gruhl, Robin Kottmann, Nico Pestel, Sandra Schaffner
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„Umweltzonen sorgen nicht nur für bessere Luft und damit eine bessere körperliche Gesundheit der Anwohner*innen. Sie wirken sich auch positiv auf die Bildung und die mentale Gesundheit aus.“ Laura Schmitz
Diese Studie untersucht die Auswirkungen von Umweltzonen auf Schulleistungen und psychische Gesundheit in Deutschland. Auf Basis administrativer Schul- und Gesundheitsdaten belegt die Untersuchung, dass Umweltzonen nicht nur die Luftqualität verbessern, sondern auch positive soziale Effekte haben. Der Anteil der Grundschüler*innen, die aufs Gymnasium wechseln, stieg in den betroffenen Gebieten um einen Prozentpunkt. Zudem sank die Wahrscheinlichkeit für Antidepressiva-Verschreibungen um vier Prozent (von 7,3 auf 7 Prozent), wobei die Effekte bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen besonders ausgeprägt waren. Diese Befunde verdeutlichen, dass junge Menschen in höherem Maße von besserer Luftqualität profitieren. Die Ergebnisse sind für die Gestaltung nachhaltiger Umwelt- und Sozialpolitik relevant, da sie nahelegen, dass Bemühungen zur Luftreinhaltung weitreichende gesellschaftliche Vorteile mit sich bringen. Politische Entscheidungsträger*innen sollten daher solche Maßnahmen vorantreiben, die langfristig auch Bildung und mentaler Gesundheit zugutekommen.
Trotz erheblicher Verbesserungen der Luftqualität in den vergangenen Jahrzehnten führen Luftschadstoffe nach wie vor weltweit zu etwa sieben Millionen vorzeitigen Todesfällen pro Jahr.Siehe Pressemitteilung der Weltgesundheitsorganisation vom 22. September 2022: New WHO global air quality guidelines aim to save millions of lives from air pollution (online verfügbar, abgerufen am 1. November 2024, dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Zahlreiche Studien belegen, dass Luftverschmutzung in der Bevölkerung gesundheitliche Beschwerden verursacht, insbesondere im Bereich der Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen.Siehe unter anderem Nico Pestel und Florian Wozny (2021): Health effects of Low Emission Zones: Evidence from German hospitals. Journal of Environmental Economics and Management, 109, 102512. Jüngere Studien deuten darauf hin, dass auch das menschliche Gehirn unter der Schadstoffbelastung leidet, was sich unter anderem an einem Abfall der kognitiven LeistungJames Archsmith, Anthony Heyes und Soodeh Saberian (2018): Air quality and error quantity: Pollution and performance in a high-skilled, quality-focused occupation. Journal of the Association of Environmental and Resource Economists, 5(4), 827–863.Steffen Künn, Juan Palacios und Nico Pestel (2023): Indoor Air Quality and Strategic Decision Making. Management Science 69(9), 5354–5377. und ProduktivitätTom Y. Changet al. (2019): The effect of pollution on worker productivity: evidence from call center workers in China. American Economic Journal: Applied Economics, 11(1), 151–72., wie auch an Verhaltensauffälligkeiten bei KindernMarion Mortamais et al. (2019): Effects of prenatal exposure to particulate matter air pollution on corpus callosum and behavioral problems in children. Environmental Research, 178, 108734. äußert. Diese neuen Erkenntnisse rücken die Frage in den Vordergrund, inwieweit Umweltmaßnahmen nicht nur dem Umweltschutz und der körperlichen Gesundheit dienen, sondern auch andere Lebensbereiche wie Bildungschancen und Lebensqualität fördern können.
Zwar hat sich die Luftqualität in den vergangenen Jahrzehnten dank technologischer Fortschritte in der Fahrzeug- und Industrieproduktion deutlich verbessert, doch in vielen Ballungsgebieten werden nach wie vor die von der Europäischen Union (EU) festgelegten und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Richtwerte für Luftqualität verfehlt. Um diese Belastungen zu reduzieren und die EU-Grenzwerte einzuhalten, führten viele Städte gebietsbezogene Fahrbeschränkungen wie Umweltzonen ein, in denen nur Fahrzeuge mit bestimmten Emissionsstandards erlaubt sind. Auch in Deutschland wurden ab 2008 in mehreren Städten Umweltzonen eingerichtet, um die Luftverschmutzung durch den Straßenverkehr zu verringern. Dieser politische Schritt stieß aufgrund der potenziellen Kosten für Autofahrer*innen sowie möglicher wirtschaftlicher Nachteile für den innerstädtischen Handel vielerorts auf Kritik.
Für eine umfassende Bewertung solcher Maßnahmen ist es entscheidend, nicht nur die direkten Effekte auf die Luftqualität, sondern auch die indirekten sozialen Auswirkungen zu berücksichtigen. Dieser Wochenbericht untersucht erstmals die Effekte von Umweltzonen auf zwei gesellschaftlich besonders relevante Bereiche: Bildung und psychische Gesundheit.Dem Wochenbericht liegen zwei Arbeitspapiere zugrunde: Johannes Brehmet et al. (2022): From low emission zone to academic track: Environmental policy effects on educational achievement in elementary school Ruhr Economic Papers Nr. 980; und Johannes Brehmet et al. (2024): Low depression zones? The effect of driving restrictions on air pollution and mental health Ruhr Economic Papers Nr. 1093. Anhand administrativer Schul- und Krankenkassendaten und mittels ökonometrischer Analysen wird untersucht, wie sich die Einführung von Umweltzonen auf Schulerfolg und mentale Gesundheit auswirkt – beides zentrale Faktoren für den sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt einer Gesellschaft.
Die Luftverschmutzung in Städten wird vor allem durch Feinstaub (PM10 und PM2.5) und Stickoxide (NOx) verursacht. Diese Partikel können aufgrund ihres teils mikroskopisch kleinen Umfangs tief in die Atemwege eindringen und schwerwiegende gesundheitliche Probleme auslösen.Bert Brunekreef und Stephen T. Holgate (2002): Air pollution and health. The Lancet, 360(9341), 1233–1242. Der Straßenverkehr spielt dabei eine zentrale Rolle: Fahrzeuge, besonders solche mit Dieselantrieb, stoßen große Mengen an Stickoxiden aus.Laut Umweltbundesamt verursachen Diesel-Pkw rund 65 Prozent der direkten Stickstoffdioxid-Emissionen des Straßenverkehrs, siehe Webseite des Umweltbundesamtes. 2012 stufte die WHO Staubpartikel, die bei der Verbrennung von Diesel entstehen, als „sicher krebserregend“ ein.Siebe Pressemitteilung der WHO vom 12. Juni 2012 (online verfügbar). Umweltzonen greifen als politische Maßnahme, indem sie die Zufahrt zu bestimmten Stadtgebieten für Fahrzeuge mit hohen Emissionen beschränken.
Die Einführung von Umweltzonen in Deutschland erfolgte im Rahmen der EU-Richtlinie 2008/50/EG, die Grenzwerte für Luftschadstoffe festlegte und die Mitgliedstaaten verpflichtete, Maßnahmen zu ergreifen, wenn diese überschritten wurden. Ab 2008 wurden die ersten Umweltzonen in Städten wie Berlin, Köln und Hannover eingerichtet. Fahrzeuge in diesen Zonen müssen eine entsprechende Plakette tragen, die auf den Emissionsstandards basiert. Heute dürfen nur Fahrzeuge mit einer grünen Plakette uneingeschränkt in Umweltzonen fahren. Bis 2019 wurden in Deutschland insgesamt 58 Umweltzonen eingerichtet (Abbildung 1). In den letzten Jahren ist jedoch ein rückläufiger Trend zu verzeichnen: 2023 und 2024 wurden in Baden-Württemberg in Städten wie Heidelberg und Heilbronn mehrere Umweltzonen wieder aufgehoben. Im Jahr 2024 sind in Deutschland noch 38 Umweltzonen in Kraft. Obwohl die alten EU-Grenzwerte von 2008Die EU-Grenzwerte aus dem Jahr 2010 für PM10 betrugen 40 µg/m3 im Jahresmittel und 50 µg/m3 im Tagesmittel, mit maximal 35 erlaubten Überschreitungen pro Jahr. Für PM2.5 lag der Jahresmittelwert bei 25 µg/m3, während für NO2 ein Jahresmittelwert von 40 µg/m3 und ein stündlicher Grenzwert von 200 µg/m3 (mit maximal 18 erlaubten Überschreitungen pro Jahr) festgelegt war. mittlerweile nur noch selten überschritten werden, hat die EU dieses Jahr eine Revision der Richtlinie beschlossen, die neue und strengere Ziel- und Grenzwerte ab 2030 vorsieht (Tabelle 1). Diese basieren auf den Empfehlungen der WHODiese Aktualisierung der Air Quality Guidelines (AQGs) hatte die WHO bereits 2021 auf Basis der wissenschaftlichen Evidenz zu den gesundheitlichen Effekten von Luftverschmutzung erstellt. und zielen darauf ab, die Luftqualität weiter zu verbessern und die Gesundheitsrisiken durch Luftverschmutzung zu minimieren. Insbesondere in deutschen Großstädten werden zusätzliche Maßnahmen zur Reduzierung von Emissionen notwendig sein, um die neuen Vorgaben bis 2030 zu erfüllen (Abbildung 2).
PM10 (µg/m³) | NO2 (µg/m³) | PM2.5 (µg/m³) | |
---|---|---|---|
EU-Jahresgrenzwerte 2008 | 40 | 40 | 25 |
Neue EU-Jahresgrenzwerte für 2030 | 20 | 20 | 10 |
WHO-Richtlinie 2021 | 15 | 10 | 5 |
Anmerkung: Die EU-Grenzwerte von 2008 umfassen neben den Jahresmittelwerten auch Tagesmittelwerte von 50 µg/m³ für PM10 (maximal 35 Überschreitungen pro Jahr erlaubt) und stündliche Grenzwerte von 200 µg/m3 für NO2 (maximal 18 Überschreitungen pro Jahr erlaubt).
Quellen: WHO, Darstellung basierend auf Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa (online verfügbar).
Gebiete, in denen Umweltzonen eingeführt wurden, sind im Vergleich zu sonstigen städtischen Gebieten in Deutschland tendenziell sozioökonomisch benachteiligt und weisen eine höhere Luftverschmutzung auf (Tabelle 2).
Umweltzonen | Sonstige städtische Gebiete | |
---|---|---|
Sozioökonomische Merkmale | ||
Kaufkraft pro Kopf (in Euro) | 20456,8 | 21291,1 |
Arbeitslosenquote (in Prozent) | 9,7 | 8,5 |
Anteil Bewohner*innen mit ausländischer Staatsangehörigkeit (in Prozent) | 20,3 | 14,9 |
Anteil Kinder (in Prozent) | 22,9 | 23,1 |
Luftverschmutzung | ||
PM10 (in μg/m3) | 24,3 | 22,3 |
NO2 (in μg/m3) | 41,5 | 26,9 |
PM2.5 (in μg/m3) | 13,9 | 13,6 |
Ergebnisvariablen | ||
Bildung | ||
Anteil der Grundschüler*innen, die auf ein Gymnasium wechselten (in Prozent) | 38,2 | 40,0 |
Mentale Gesundheit | ||
Anteil an Bewohner*innen, die… | ||
… an einer Depression leiden (in Prozent) | 7,0 | 6,8 |
… an einer Angststörung leiden (in Prozent) | 5,9 | 6,4 |
… Antidepressiva einnehmen (in Prozent) | 7,2 | 7,1 |
… in psychotherapeutischer Behandlung sind (in Prozent) | 6,2 | 6,3 |
Anmerkung: Sonstige städtische Gebiete umfassen Städte mit mindestens 100000 Einwohner*innen. Eigene Darstellung, 2005–2019.
Quellen: Sozioökonomische Daten auf 1km x 1km-Rasterzellebene von RWI-GEO-GRID, Luftverschmutzungsdaten des Umweltbundesamtes, administrativen Schul- und Krankenkassendaten.
Die medizinische Forschung zeigt, dass Luftverschmutzung nicht nur Atemwege und das Herz-Kreislauf-System belastet, sondern auch signifikante Auswirkungen auf das menschliche Gehirn hat.Clara G. Zundel et al. (2022): Air pollution, depressive and anxiety disorders, and brain effects: A systematic review. NeuroToxicology, 93, 272–300 (online verfügbar). Feinstaub und Stickoxide lösen entzündliche Prozesse aus, die sowohl kurzfristige kognitive Beeinträchtigungen als auch langfristige neurologische Schäden verursachen können.Rubén D. Arias-Pérez et al. (2020): Inflammatory effects of particulate matter air pollution. Environmental Science and Pollution Research, 27(34), 42390–42404. Besonders betroffen sind Kinder, deren Gehirne sich noch in der Entwicklung befinden,Lilian Calderón-Garcidueñas et al. (2015): Air pollution and children: Neural and tight junction antibodies and combustion metals, the role of barrier breakdown and brain immunity in neurodegeneration. Journal of Alzheimer’s disease, 43(3), 1039–1058. sowie ältere Erwachsene, bei denen die Belastung das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz und Alzheimer erhöht.Kelly Bishop, Jonathan D. Ketcham und Nicolai V. Kuminoff (2023): Hazed and confused: The effect of air pollution on dementia. Review of Economic Studies, 90(5), 2188–2214. Feinstaub (PM2.5) spielt dabei eine zentrale Rolle: Diese besonders kleinen Partikel gelangen über die Lunge in den Blutkreislauf und können so das Gehirn erreichen und dort Entzündungen auslösen. Diese Entzündungen schädigen neuronale Verbindungen und beeinträchtigen kognitive Funktionen wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Lernfähigkeit.Mengwen Ye et al. (2023): Progress in mechanisms, pathways and cohort studies about the effects of PM2.5 exposure on the central nervous system. Reviews of Environmental Contamination and Toxicology, 261(1), 7. Stickoxide reduzieren zudem die Sauerstoffversorgung des Gehirns und sorgen so für kognitive Beeinträchtigungen.Michele Salvagno et al. (2024): Oxidative Stress and Cerebral Vascular Tone: The Role of Reactive Oxygen and Nitrogen Species. International journal of molecular sciences, 25(5), 3007.
Die meisten dieser Studien zeigen jedoch lediglich einen korrelativen Zusammenhang auf. Die komplexen Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Umweltfaktoren, sozioökonomischen Einflüssen und individuellen gesundheitlichen Voraussetzungen erschweren es, klar festzustellen, ob die beobachteten gesundheitlichen Auswirkungen direkt durch die Luftverschmutzung verursacht werden oder ob sie das Ergebnis anderer, miteinander verwobener Faktoren sind. Hier setzt die vorliegende Studie an, indem umfangreiche neue Datenquellen erschlossen und mittels ökonometrischer Analysen (Kasten 1) ausgewertet werden, um die kausalen Effekte der Verbesserung der Luftqualität durch die Einführung von Umweltzonen zu identifizieren.
Die Analyse der Effekte von Umweltzonen auf Bildungs- und Gesundheitsergebnisvariablen in den diesem Wochenbericht zugrunde liegenden Studien basiert auf einem Differenz-von-Differenzen (DvD)-Ansatz. Er ermöglicht es, die kausalen Effekte der Umweltzonen zu isolieren, indem zwei Gruppen verglichen werden: eine Behandlungsgruppe, die von der Einführung der Umweltzonen betroffen ist, und eine Kontrollgruppe, die nicht betroffen ist. Die Veränderungen der betrachteten Variablen (Schulübergangsquoten beziehungsweise Gesundheitsindikatoren) werden vor und nach der Einführung der Umweltzonen in beiden Gruppen analysiert.
Die DvD-Methode setzt voraus, dass sich die Ergebnisse der beiden Gruppen ohne Intervention parallel entwickelt hätten („parallel trend assumption“). Um Verzerrungen zu vermeiden, werden Kontrollgruppen ausgewählt, die in ihrer sozioökonomischen und regionalen Struktur möglichst ähnlich zur Behandlungsgruppe sind. In diesem Fall besteht die Kontrollgruppe aus großen Städten mit über 100000 Einwohner*innen,Abbildung 1. da Umweltzonen mehrheitlich in Großstädten eingeführt wurden. Zudem werden Kreis-Jahres-Trends und kleinräumige sozioökonomische Variablen berücksichtigt, um mögliche Veränderungen der gesellschaftlichen Zusammensetzungen in- und außerhalb der Umweltzonen herauszurechnen.Zusätzliche Spillover-Analysen zeigen, dass die Effektgröße nicht durch Spillovers von der Behandlungsgruppe in die Kontrollgruppe verzerrt werden, siehe Brehm et al. (2022), a.a.O. und Brehm et al. (2024), a.a.O.
In dieser Analyse kommen erweiterte DvD-Modelle zum Einsatz, die speziell die schrittweise Einführung der Umweltzonen und mögliche dynamische Effekte abbilden.Clément De Chaisemartin und Xavier d’Haultfoeuille (2024): Difference-in-differences estimators of intertemporal treatment effects. Review of Economics and Statistics, 1–45 und Liyang Sun und Sarah Abraham (2021): Estimating dynamic treatment effects in event studies with heterogeneous treatment effects. Journal of Econometrics, 225(2), 175–199. Da Umweltzonen über mehrere Jahre hinweg sukzessive eingeführt wurden, wird die zeitliche Staffelung berücksichtigt. Es wird erwartet, dass Anpassungen wie ein verändertes Mobilitätsverhalten oder der verstärkte Kauf emissionsarmer Fahrzeuge zu zeitlich variierenden Effekten auf die analysierten Ergebnisse führen können.
Zunächst untersucht die Studie, inwiefern die Einführung von Umweltzonen die Luftqualität in deutschen Städten verbessert hat. Zur Messung der Luftqualität werden verschiedene Datenquellen genutzt (Kasten 2). Das Umweltbundesamt betreibt ein landesweites Netzwerk von Messstationen, die kontinuierlich Schadstoffkonzentrationen wie Feinstaub (PM10) und Stickstoffdioxid (NO2) erfassen. Frühere Studien haben bereits belegt, dass Umweltzonen ein wirksames Mittel zur Reduzierung der Luftverschmutzung sind.Luis Sarmiento, Nicole Wägner und Aleksandar Zaklan (2022): Umweltzonen verbessern Luftqualität und Gesundheit, verringern aber temporär Lebenszufriedenheit. DIW Wochenbericht Nr. 89 (13), 203–211 (online verfügbar). Aufbauend darauf zeigt die vorliegende Studie, dass Umweltzonen die Konzentrationen von Feinstaub (PM10) um durchschnittlich 10,4 Prozent und Stickstoffdioxid (NO2) um 15,3 Prozent im Vergleich zur Kontrollgruppe senken konnten.Dies deckt sich mit den Ergebnissen früherer Studien, z.B. Nico Pestel und Nico Wozny (2021): Health effects of Low Emission Zones: Evidence from German hospitals. Journal of Environmental Economics and Management, 109, 102512. Erstmals werden in dieser Studie zusätzlich satellitengestützte Schätzungen der Feinstaubkonzentration (PM2.5) zur Analyse herangezogen. Die Untersuchung ergibt, dass Umweltzonen auch die PM2.5-Belastung um 3,1 Prozent reduzieren konnten, auch wenn dieser Effekt weniger stark ausgeprägt ist als bei PM10 und NO2 (Abbildung 3). Hier könnte der tatsächliche Effekt möglicherweise unterschätzt werden, da Satellitendaten im Vergleich zu den stationären Daten des Umweltbundesamts eine geringere Präzision bei lokal variierenden Schadstoffkonzentrationen bieten.
Die Daten zur Einführung der Umweltzonen in Deutschland stammen vom Umweltbundesamt (UBA), während die geografische Abdeckung der Zonen auf Informationen von OpenStreetMap.org basiert. Die Luftqualitätseffekte werden anhand täglicher Schadstoffwerte (PM10 und NO2) des UBA, erhoben zwischen 2005 und 2018 an über 650 Messstationen, analysiert. Ergänzend werden Satellitendaten zu Feinstaub mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometern (PM2.5) in die Analyse einbezogen.Aaron van Donkelaar et al. (2021): Monthly global estimates of fine particulate matter and their uncertainty. Environmental Science & Technology, 55(22), 15287–15300.
Für die Bildungseffekte werden Schulübergangsquoten von Grundschulen in Nordrhein-Westfalen zwischen 2005 und 2018 genutzt, wobei die Übertrittsrate auf das Gymnasium als zentraler Indikator für den langfristigen Bildungserfolg dient. Schulstandorte wurden mit der geografischen Abdeckung der Umweltzonen abgeglichen, um zu bestimmen, ob eine Schule innerhalb einer Umweltzone liegt. Insgesamt besteht die Stichprobe aus 3464 Grundschulen in NRW. Ergänzend dazu werden Daten auf Kreisebene aus ganz Deutschland ausgewertet.
Die Analyse der Auswirkungen auf die mentale Gesundheit basiert auf anonymisierten Daten einer großen deutschen Krankenkasse. Diese Daten umfassen unter anderem Diagnosen zu Depressionen und Angststörungen, Verschreibungen von Antidepressiva sowie Facharztbesuche bei Psychotherapeut*innen und Psychiater*innen. Diagnosen wurden nach ICD-10-GM klassifiziertInternationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (online verfügbar)., Verschreibungen nach dem ATC-System.ATC-Klassifikation (online verfügbar). Die Stichprobe besteht aus Personen im Alter von 15 bis 65 Jahren, die zwischen 2005 und 2019 versichert waren. Personen, die während des Untersuchungszeitraums ihren Wohnsitz wechselten, wurden ausgeschlossen, um Verzerrungen zu vermeiden. Aus Datenschutz- und Rechenaufwandsgründen werden die Individualdaten auf das Postleitzahlen-Jahr-Niveau aggregiert, woraus sich eine Stichprobengröße von 20070 Postleitzahlengebieten mit insgesamt über zwei Millionen versicherten Personen ergibt. Zusätzlich werden sozioökonomische Daten auf ein Kilometer mal ein Kilometer-Rasterzellebene (RWI-GEO-GRIDRWI-GEO-GRID: Socio-Economic Data on grid level (online verfügbar).) sowie Wetterdaten des Deutschen Wetterdienstes in die Analysen integriert.
Anschließend wird in der Studie untersucht, inwiefern sich die Einführung von Umweltzonen und die damit verbundene geringere Schadstoffbelastung auf den Bildungserfolg von Schüler*innen ausgewirkt hat. Dabei werden administrative Schuldaten aus Nordrhein-Westfalen verwendet, die die Schulübergangsraten von Grundschüler*innen auf weiterführende Schulen im Zeitraum von 2005 bis 2018 dokumentieren (Kasten 2). Als zentrale abhängige Variable dient die Übergangsrate auf das Gymnasium, die in der deutschen Bildungslandschaft eine entscheidende Rolle spielt, da sie maßgeblich über die langfristigen Bildungschancen und späteren beruflichen Perspektiven eines Kindes bestimmt.Christian Dustmann, Patrick A. Puhani und Uta Schonberg (2017): The long-term effects of early track choice. The Economic Journal, 127, 1348–1380.
Vor der Schaffung von Umweltzonen gingen in den betroffenen Gebieten weniger Grundschüler*innen zum Gymnasium als in der Kontrollgruppe, was auf sozioökonomische Unterschiede in der Zusammensetzung der Schüler*innenschaft zurückzuführen ist (Tabelle 2). Diese Differenzen verringerten sich jedoch nach der Einführung der Umweltzonen (Abbildung 4). Insgesamt erhöhte sich die Übergangsrate auf das Gymnasium in Umweltzonen um etwa einen Prozentpunkt, von 38,9 auf 39,9 Prozent. Dies könnte darauf hindeuten, dass – wie es die medizinische Forschung nahelegt – die Lernfähigkeit durch bessere Luftqualität positiv beeinflusst wurde.
Weiterführende Analysen zeigen, dass Kinder, die in Umweltzonen leben, seltener an Atemwegsinfektionen erkranken. Dies deutet darauf hin, dass eine bessere Gesundheit und die damit verbundene Verringerung von Krankheitstagen – neben möglichen direkten Effekten auf die kognitive Leistung – ein Mechanismus sein könnte, durch den Umweltzonen den Bildungserfolg fördern.Dass sich Umweltzonen positiv auf die Gesundheit von Kindern auswirken, zeigen auch Hannah Klauber et al. (2024): Killing prescriptions softly: Low emission zones and child health from birth to school. American Economic Journal: Economic Policy, 16, 220–248. Weitere Heterogenitätsanalysen zeigen, dass die Effekte bei Jungen und in sozioökonomisch benachteiligten Gebieten etwas ausgeprägter sind, was darauf schließen lässt, dass Umweltzonen auch zur Verringerung von Bildungsungleichheiten beitragen dürften. Der stärkere Effekt bei Jungen könnte darauf zurückzuführen sein, dass diese im Kindesalter anfälliger für Atemwegserkrankungen sind.D.S. Postma (2007) Gender differences in asthma development and progression. Gender medicine, 4, S133–S146.
Zuletzt untersucht die Studie, inwiefern sich die geringere Schadstoffbelastung durch die Einführung von Umweltzonen auf die psychische Gesundheit der Bevölkerung ausgewirkt hat. Dabei werden anonymisierte Gesundheitsdaten einer großen deutschen Krankenkasse verwendet, die Diagnosen von Depressionen und Angststörungen sowie die Zahl entsprechender Behandlungen und Verschreibungen im Zeitraum von 2005 bis 2019 dokumentieren (Kasten 2). Als zentrale abhängige Variablen dienen die Wahrscheinlichkeit einer Diagnose von Depressionen oder Angststörungen sowie die Häufigkeit von Medikamentenverschreibungen und Facharztbesuchen.
Die Häufigkeit psychischer Erkrankungen in Gebieten mit Umweltzonen geht im Vergleich zur Kontrollgruppe deutlich zurück (Abbildung 5). Die Ergebnisse belegen eine statistisch signifikante Reduktion der Wahrscheinlichkeit von Antidepressiva-Verschreibungen um vier Prozent, was einer Verringerung von 7,3 auf sieben Prozent entspricht. Zugleich sinkt die Wahrscheinlichkeit, eine*n Spezialist*in aufzusuchen, um 5,7 Prozent (Inzidenz sinkt von 6,2 auf 5,9 Prozent). Auch die Wahrscheinlichkeit der Diagnose einer psychischen Erkrankung geht zurück: Depressionen verringern sich um 3,5 Prozent und Angststörungen um 4,2 Prozent. Diese Effekte sind vergleichbar mit den gesundheitlichen Auswirkungen von Umweltzonen auf Herz-Kreislauferkrankungen die in früheren Studien gezeigt wurden.Klauber et al. (2024), a.a.O. und Pestel et al. (2021), a.a.O.
Zudem finden sich etwas größere Effekte auf die Intensität der Behandlung: So sinkt etwa die Anzahl der Facharztbesuche um 7,4 Prozent, was darauf hindeutet, dass durch die Einführung von Umweltzonen auch die Intensität psychischer Probleme verringert wurde. Besonders starke Effekte zeigen sich bei jungen Menschen zwischen 15 und 29 Jahren (Abbildung 5). Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass entzündliche Reize während der Gehirnentwicklung intensiver wirken.Susanna Roberts et al. (2019): Exploration of NO2 and PM2.5 air pollution and mental health problems using high-resolution data in london-based children from a UK longitudinal cohort study. Psychiatry research, 272, 8–17. Zudem sind Kinder und Jugendliche aufgrund ihres höheren Atemvolumens im Verhältnis zur Körpergröße und ihrer weniger entwickelten Abwehrmechanismen in der Lunge anfälliger für Luftschadstoffe.Sam Brockmeyer und Amedeo d’Angiulli (2016): How air pollution alters brain development: The role of neuroinflammation. Translational neuroscience, 7 (1), 24–30. Dieser Befund – dass Luftverschmutzung besonders jungen Menschen schadet – steht im Einklang mit der Literatur zu den langfristigen gesundheitlichen Folgen einer frühen Belastung durch LuftverschmutzungKenneth Chay und Michael Greenstone (2003): The impact of air pollution on infant mortality: Evidence from geographic variation in pollution shocks induced by a recession. The Quarterly Journal of Economics, 118(3), 1121–1167. und korrespondiert mit den in dieser Studie dargestellten positiven Effekten auf den Bildungserfolg von Grundschüler*innen.
Die Ergebnisse dieser Studie zur Wirkung von Umweltzonen auf Schulleistungen und psychische Gesundheit verdeutlichen die weitreichenden gesellschaftlichen Vorteile solcher Maßnahmen. Umweltzonen, die ursprünglich zur Reduzierung der Luftverschmutzung und zum Schutz der physischen Gesundheit eingeführt wurden, zeigen signifikant positive Effekte auf den Bildungserfolg von Grundschüler*innen und die mentale Gesundheit der Bevölkerung. Die Verringerung von Feinstaub und anderen Luftschadstoffen führt nicht nur zu einem Rückgang von Atemwegs- und Herz-Kreislauferkrankungen, sondern auch zu verbesserten kognitiven Fähigkeiten und einem geringeren Risiko für psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen. Ein zentraler Befund der Studie ist, dass besonders Kinder und junge Menschen von der besseren Luftqualität profitieren.
Diese Ergebnisse sind damit relevant für die aktuellen Debatten in der Bildungs- und Gesundheitspolitik sowie für eine nachhaltige städtische Umweltpolitik. Deutschland steht hier vor großen Herausforderungen: So schnitten deutsche Schüler*innen in der PISA-Studie 2022 schlechter ab als jemals zuvor,OECD (2023): PISA 2022 Results (Volume I): The State of Learning and Equity in Education, PISA. OECD Publishing (online verfügbar). und insbesondere bei Kindern und Jugendlichen wird zunehmend häufiger eine Depression diagnostiziert.Immer mehr Kinder und Jugendliche leiden an Depressionen, vgl. Destatis (online verfügbar). Gleichzeitig wohnen immer mehr Menschen und vor allem junge Menschen in Städten. Besonders in sozioökonomisch benachteiligten Gebieten, die überproportional unter hoher Schadstoffbelastung leiden, könnte eine bessere Luftqualität Ungleichheiten im Bildungs- und Gesundheitswesen reduzieren. Kinder aus diesen Familien haben bekanntermaßen geringere BildungschancenOECD (2018): Equity in Education: Breaking Down Barriers to Social Mobility. OECD Publishing (online verfügbar). und ein höheres Risiko, an Depressionen zu erkranken.Caroline Cohrdeset al. (2022): Erkennen-Bewerten-Handeln. Schwerpunktbericht zur psychischen Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland. Teil 1–Erwachsenenalter. Robert Koch Institut.
Politische Entscheidungsträger*innen können aus diesen Erkenntnissen wichtige Schlüsse ziehen. So sollten Umweltmaßnahmen nicht nur aus einer Umwelt- und Gesundheitsperspektive betrachtet werden, sondern auch hinsichtlich ihrer Vorteile für das gesellschaftliche Wohl und die Bildungschancen. Dies ist besonders relevant angesichts der jüngsten Entwicklungen in Baden-Württemberg, wo bereits Umweltzonen aufgehoben wurden. Da die überarbeitete EU-Luftqualitätsrichtlinie strengere Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide vorsieht, sind weitere ambitionierte Maßnahmen zur Luftreinhaltung zu erwarten. In diesem Zusammenhang könnte die Reduzierung von Emissionen des Verkehrssektors neben dem Klimaschutz erhebliche gesundheitliche und soziale Vorteile bringen. Politische Entscheidungsträger*innen sollten nicht nur kurzfristige wirtschaftliche Aspekte abwägen, sondern auch die langfristigen sozialen und gesundheitlichen Vorteile einer nachhaltigen Verkehrspolitik einbeziehen – da diese letztlich auch den wirtschaftlichen Interessen des Landes zugutekommen.
Themen: Verkehr, Umweltmärkte, Ressourcenmärkte, Gesundheit, Bildung
JEL-Classification: I18;I21;J24;Q53;Q58
Keywords: low emission zones, air quality, education, mental health
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2024-47-2