Wohnen wird ein soziales Problem bleiben

Blog Marcel Fratzscher vom 16. Februar 2024

Im vergangenen Jahr sanken die Immobilienpreise erstmals wieder. Ein Grund zum Aufatmen ist das trotzdem nicht. Vor allem die Politik ist weiter in der Pflicht.

Die Preise für Wohnimmobilien sind im Jahr 2023 deutlich zurückgegangen, wie das Statistische Bundesamt berechnete. Das Institut für Weltwirtschaft Kiel bezeichnete den Rückgang sogar als historisch einmalig. Auch die jüngsten Berechnungen des DIW Berlin zu den Kaufpreisen belegen diesen Trend. Die Zahlen schüren Hoffnung, dass Wohnen wieder erschwinglicher wird – nach der Explosion der Mieten und Kaufpreise in den letzten 15 Jahren. Manche spekulieren sogar schon, eine Immobilienblase sei geplatzt.

Diese Kolumne erschien am 16. Februar 2024 auf ZEIT ONLINE in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Diese Hoffnung dürfte sich jedoch als Illusion erweisen. Denn vor allem die Mieten in den Städten werden wohl weiter steigen. Die Politik sollte, statt auf Preiskorrekturen im Markt zu hoffen, selbst notwendige Reformen auf den Weg bringen.

Mieten dürften weiter steigen

Von einer geplatzten Immobilienblase zu sprechen, ist übertrieben und irreführend. In der Ökonomie reden wir von einer Blase, wenn der Wert einer Immobilie deutlich von den Faktoren abweicht, die ihr langfristig ihren Wert geben. Vor allem die Erwartungen des künftigen Preises spielen eine wichtige Rolle: Menschen und Investoren sind gewillt, mehr Geld für eine Wohnung oder ein Haus zu bezahlen, wenn sie erwarten, dass die Mieten für vergleichbare Immobilien in Zukunft steigen werden. Auch die Finanzierungsbedingungen spielen eine wichtige Rolle. Niedrige Zinsen, wie wir sie viele Jahre hatten, machen nicht nur die Finanzierung einer Immobilie billiger, sondern auch alternative Anlagen unattraktiver.

Und genau hier liegt das Problem: In den vergangenen zehn Jahren drifteten Kaufpreise und Mieten von Wohnimmobilien weit auseinander, weil die Kaufpreise viel stärker zulegten als die Mieten – wie jährliche Untersuchungen des DIW Berlin festgestellt haben. Damit verbinden nun viele die Hoffnung, dass sinkende Kaufpreise auch zu geringeren Mieten führen werden. Eine Trendumkehr bedeutet jedoch, dass die Preise fallen und gleichzeitig die Mieten – zumindest in größeren Städten – in den kommenden Jahren weiterhin erheblich steigen könnten. Und zwar so lange, bis die Lücke zwischen Kaufpreis und Miete wieder geschlossen ist. Zudem erlebt Deutschland zwar wirtschaftlich schwierige Zeiten, aber private finanzielle Vermögen schrumpfen nicht, sondern steigen weiter – und damit auch die Kaufkraft künftiger Immobilienbesitzer. Über kurz oder lang fallende Zinsen dürften die Preise ebenfalls wieder befeuern.

Soziale Schieflage wird sich verschärfen

Daher ist die Korrektur an den Immobilienmärkten gut und notwendig, aber sie wird den Anstieg der Mieten kaum eindämmen oder gar zu sinkenden Mieten führen. In den großen Städten wird weiter das Gegenteil der Fall sein. 

Darunter leiden vor allem Menschen mit geringen Einkommen. Denn die Wohnungsknappheit nimmt in großen Städten meist zu. Es gibt noch immer einen Nettozuzug in die meisten Städte, der die Anzahl von Wohnungsneubauten übersteigt. Die Bundesregierung hatte sich das Ziel gesetzt, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu bauen – erreicht dieses Ziel mit weniger als 300.000 neuen Wohnungen pro Jahr jedoch bei Weitem nicht. Und auch 2024 dürfte in dieser Hinsicht ernüchternd sein, da die Anzahl neuer Wohnungen weiter fallen könnte, wie eine DIW-Studie zeigt. Die Verantwortung hierfür liegt nicht primär bei der Bundesregierung, sondern bei den Städten und Kommunen, die für die notwendigen Rahmenbedingungen verantwortlich sind.

Damit dürfte sich auch die soziale Schieflage weiter verschärfen. In den vergangenen 25 Jahren mussten Haushalte mit mittleren und geringen Einkommen im Durchschnitt einen immer höheren Anteil ihres monatlichen Nettoeinkommens fürs Wohnen aufbringen: Knapp ein Drittel aller Mieterinnen und Mieter gibt heute mehr als 40 Prozent des monatlichen Nettoeinkommens für das Wohnen aus. Und der Anstieg der Löhne und Gehälter in den letzten zehn Jahren konnte den bei Mieten und Wohnkosten nicht decken. Hinzu kommt die hohe Inflation, mit stark steigenden Lebensmittelpreisen und Energiekosten – auch sie haben die Lohnsteigerungen deutlich übertroffen, gerade bei Menschen im Niedriglohnbereich.

Niemand sollte also auf eine platzende Immobilienpreisblase hoffen. Stattdessen müsste vor allem die Politik die Ursachen für die explodierenden Mieten und Wohnkosten angehen. Langfristig wird nur eine deutliche Ausweitung des Angebots von Wohnungen den Druck auf Preise und Mieten wieder reduzieren können. Dafür müssen Innenstädte verdichtet werden, neue Wohngebiete ausgewiesen und Gewerbeimmobilien umgewandelt werden. Die Politik muss dabei die demografische Entwicklung viel stärker berücksichtigen als bisher, zumal wohl auch in den kommenden zehn Jahren deutlich mehr Menschen vom Land in die Städte ziehen werden. Auch ein besserer öffentlicher Nahverkehr würde helfen, dass mehr Menschen über größere Distanzen pendeln können. Zudem müssen Genehmigungsverfahren vereinfacht und beschleunigt werden. Und die öffentliche Hand muss wieder selbst viel mehr in den sozialen Wohnungsbau investieren – anstatt das dem Markt zu überlassen.

Eine wichtige Hürde waren und sind die begrenzten Kapazitäten der Baubranche. Die Politik muss den Wettbewerb in dieser Branche deutlich verbessern. Das würde dazu führen, dass Bauunternehmen ihre Produktivität steigern. Mehr Wettbewerb und eine höhere Produktivität sind essenziell, um Preise und Mieten drücken zu können und Wohnen wieder erschwinglicher zu machen.

Regulierung und innovative Förderung

Die Politik sollte zudem ihr Augenmerk stärker auf eine kluge Regulierung legen. Denn die Verbesserung auf der Angebotsseite wird nur langfristig wirken. Regulierung ist wichtig, um kurzfristig die Mieten stabilisieren zu können. Die meisten großen Städte nutzen Mietpreisbremsen, die jedoch häufig wenig effektiv sind. Die Politik kann deutlich weitergehen, muss jedoch aufpassen, mit falscher Regulierung nicht den Neubau zu schwächen – so wie dies die vorherige Berliner Regierung mit einem Mietendeckel versucht hatte, der vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurde.

Und die Politik sollte sich auf innovative Modelle der zielgenauen Förderung konzentrieren. Natürlich würde eine geringere Grunderwerbsteuer helfen. Dennoch werden viele Menschen sich nie ein Eigenheim leisten können. Die Politik sollte sich viel mehr auf junge Menschen konzentrieren, die kein Eigenkapital haben, was eine der wichtigsten Hürden für den Immobilienerwerb heute ist. Ein innovatives Modell ist der Mietkauf, bei dem der Staat ein kostengünstiges Darlehen zur Verfügung stellt, damit sie das nötige Eigenkapital für ein Eigenheim aufbringen können, so wie vom DIW Berlin vorgeschlagen.

Wohnen ist und bleibt eine der wichtigsten sozialen Fragen unserer Zeit. Und auch die jüngste Entwicklung an den Immobilienmärkten sollte nicht die Illusion erzeugen, dass das Wohnen günstiger wird. Die Politik ist mehr denn je in der Pflicht, nun die richtigen Weichen zu stellen, damit zumindest innerhalb der kommenden zehn Jahre die Wohnkosten sinken – zum Wohle der Menschen und zur Entlastung der Städte.

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