Die Einsamkeit sozial und politisch bekämpfen

Blog Marcel Fratzscher vom 27. Dezember 2024

Einsamkeit hat fatale Folgen für die gesamte Gesellschaft. Jede und jeder kann betroffen sein. Es gibt aber drei Gruppen, die vor allem Nachteile erfahren.

Zunehmend setzt sich auch in der Politik die Erkenntnis durch, dass Einsamkeit nicht das Problem jedes einzelnen Menschen ist, sondern erheblichen Schaden für Gesellschaft und Wirtschaft verursacht. Auf Basis repräsentativer Daten des Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) des DIW Berlin hat die Bundesregierung jüngst ein Einsamkeitsbarometer und eine Strategie mit zahlreichen Maßnahmen präsentiert. Einsamkeit bleibt aber weiterhin ein unterschätztes und unzureichend verstandenes Problem, vor allem für junge Menschen.

Diese Kolumne von Marcel Fratzscher erschien am 27. Dezember 2024 auf ZEIT ONLINE in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Die vergangenen Jahre haben eine Debatte und eine vermeintliche Epidemie der Einsamkeit hervorgebracht. Großbritannien führte ein Einsamkeitsministerium ein, um der Thematik größere Bedeutung zu verleihen. Dabei ist allerdings Vorsicht geboten. Denn schon die Definition von Einsamkeit ist komplex. Einsamkeit ist per se nicht ein Mangel an sozialen Kontakten, sondern eher die Diskrepanz zwischen den sozialen Kontakten, die man sich wünscht, und die man tatsächlich hat. Auch ein verheirateter Mensch mit Kindern kann von chronischer Einsamkeit betroffen sein. Eine alleinstehende Person mit sehr wenigen sozialen Kontakten dagegen mag sich selbst genug sein und keine Einsamkeit empfinden.

Wie misst man Einsamkeit?

Auch die Messung von Einsamkeit ist kompliziert, denn der Begriff ist negativ konnotiert und Menschen sind daher vorsichtig, sich selbst als einsam zu bezeichnen. Das SOEP – eine der wenigen repräsentativen Datenquellen für Deutschland dazu – stellt daher die Frage nach Einsamkeit indirekt, nämlich ob Menschen sich in der Vergangenheit mehr Kontakte gewünscht hätten, ob sie sich als Teil der Gemeinschaft fühlen und wie sie dies empfinden. Aus den Antworten werden Schlussfolgerungen über Einsamkeit gezogen.

Vor allem die chronische Einsamkeit, also wenn Menschen sich wiederholt oder über einen längeren Zeitraum einsam fühlen, kann zum Problem für die Gesellschaft als Ganzes werden. Die Gefahr ist groß, dass Einsamkeit in einem Teufelskreis endet: Betroffene fühlen sich von der Gesellschaft zunehmend abgelehnt und verlieren ihr Selbstwertgefühl. Dies kann eine schlechtere Gesundheit zur Folge haben und etwa zu einem schwächeren Immunsystem, häufigeren Erkrankungen und Fehlzeiten am Arbeitsplatz führen, aber auch zu einer geringeren Produktivität und einer höheren Wahrscheinlichkeit von Depressionen. Dies wiederum kann die Selbstwahrnehmung verändern: Einsame Menschen können anderen Menschen die Verantwortung für ihre Einsamkeit geben und ihr soziales Umfeld als feindlich und ausgrenzend empfinden. Das kann zu einer noch stärkeren Abschottung und einer Vertiefung der Einsamkeit führen und damit zu einer weiteren Verschlechterung der Gesundheit.

Manche sprechen sogar von einer Epidemie der Einsamkeit: Einsamkeit kann chronisch werden und zunehmend mehr Menschen betreffen, mit negativen Auswirkungen für Gesundheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Einsame Menschen haben zudem eine geringere soziale und politische Teilhabe. Letztlich kann eine starke Zunahme von Einsamkeit zu einer sozialen und politischen Polarisierung der Gesellschaft beitragen. So gibt es auch Erkenntnisse, dass Einsamkeit das Vertrauen in politische Institutionen sinken lässt und damit empfänglicher macht für Verschwörungserzählungen.

Die Folgen für die Gesellschaft sind fatal

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass vor allem vier verletzliche Gruppen stark von Einsamkeit betroffen sind. Zum einen sehen wir eine starke Zunahme der Einsamkeit unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Vor allem mit der Covid-Pandemie ist die Einsamkeit der jungen Menschen, aber auch der älteren, sehr stark gestiegen. Während die Einsamkeit unter älteren Menschen jedoch wieder deutlich sinkt, ist sie unter jungen Menschen nicht deutlich zurückgegangen, sondern verharrt auf einem hohen Niveau. Leider gibt es zu wenige Daten, um die Ursachen klar zu belegen. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass junge Menschen in ihren sozialen und persönlichen Entwicklungen häufig dauerhafte Nachteile erfahren haben, die schwer zu kompensieren sind. Keine wissenschaftlichen Belege gibt es jedoch für die Behauptung, die stärkere Nutzung sozialer Medien sei verantwortlich für den Anstieg der Einsamkeit unter jungen Menschen.

Geflüchtete bilden die zweite Gruppe, die besonders häufig unter Einsamkeit leidet. Eine Studie des DIW Berlin zeigt, dass die Einsamkeit unter Geflüchteten vor der Pandemie drei- bis viermal höher war als unter Deutschen ohne Migrationsgeschichte. Mit der Pandemie ist der Anteil junger Menschen, die unter Einsamkeit leiden, auf ein ähnlich hohes Niveau gestiegen wie unter Geflüchteten. Vielleicht verstehen nun auch mehr Deutsche, die die Einsamkeit ihrer Kinder erleben, wie dramatisch die Konsequenzen von Einsamkeit auch für andere Gruppen sind.

Einsamkeit auch in strukturschwachen Regionen besonders verbreitet

Drittens sind Menschen mit geringen Einkommen, Arbeitslose und diejenigen, die viel Sorgearbeit leisten, tendenziell häufiger von Einsamkeit betroffen, wie auch aus dem Einsamkeitsbarometer der Bundesregierung hervorgeht. Die Gründe dafür dürften vielfältig sein, beispielsweise geringe finanzielle Mittel für soziale Aktivitäten und Teilhabe sowie eingeschränkte Mobilität. 

Zudem gibt es Anzeichen, dass vor allem Menschen in strukturschwächeren Regionen häufiger unter Einsamkeit leiden. In solchen Gegenden wandern junge Menschen – die eigenen Kinder oder Enkelkinder – ab, weil soziale Treffpunkte, Kneipen oder Geschäfte schließen und es auch sonst immer weniger Gelegenheiten für spontane Begegnungen gibt. Wie eine Studie des DIW Berlin im Juli zeigt, so ist vor allem in diesen demografisch schwächeren Regionen die Frustration mit der Politik besonders groß und der Stimmanteil der AfD sehr viel höher als anderswo.

Einsamkeit ist ein gesellschaftliches Phänomen mit erheblichen gesundheitlichen, sozialen und politischen Konsequenzen. Es ist gut, dass die Politik das Problem erkannt und eine Strategie zur Bekämpfung vorgestellt hat. Dies wird jedoch nicht ausreichen, denn es gibt nach wie vor zu wenig Daten und Wissen über die Ursachen von Einsamkeit als auch über die Instrumente, um diese zu bekämpfen. Die Politik wäre gut beraten, mehr Fokus auf die drei verletzlichen Gruppen von jungen Menschen, Menschen mit Migrationsgeschichte und Menschen in strukturschwachen Regionen zu legen. Und die Politik sollte mehr tun und vor allem die Prävention von Einsamkeit in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen rücken, denn wie bei vielen sozialen, gesundheitlichen und gesellschaftlichen Problemen ist eine effektive Vorsorge der beste Weg, um größeren Schaden für den Einzelnen und für die Gesellschaft zu vermeiden.

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