Diskriminierung macht krank

Blog Marcel Fratzscher vom 15. Februar 2021

Burn-out, Depressionen und Herzkrankheiten: LGBTQI*-Menschen haben ein erhöhtes Krankheitsrisiko. Das steht in krassem Widerspruch zum Prinzip der Chancengleichheit.

185 Schauspieler und Schauspielerinnen haben sich am vergangenen Freitag im Magazin der Süddeutschen Zeitung als lesbisch, schwul, bi, queer, nicht-binär oder trans* (LGBTQI*) geoutet und damit die längst überfällige Debatte über Identität, Glück und Diskriminierung dieser Menschen in den Mittelpunkt gerückt. Die Forschung zum Wohlbefinden von LGBTQI*-Menschen steckt noch in den Anfängen. Aktuelle Studien zeigen nun, dass nicht nur Diskriminierung dieser Menschen noch weit verbreitet ist, sondern auch deren Chancen auf ein gesundes Leben in Deutschland massiv beschnitten sind.

Dieser Beitrag ist am 11. Februar 2021 in der ZEIT ONLINE–Kolumne Fratzschers Verteilungsfragen erschienen.

Im Sommer 2020 hat das DIW Berlin mit der Universität Bielefeld eine Studie zur Diskriminierung von LGBTQI*-Menschen veröffentlicht. Sie zeigt, dass sich viele nicht trauen, sich am Arbeitsplatz zu ihrer sexuellen Orientierung und sexuellen Identität zu bekennen. Diejenigen, die offen damit umgehen, erfahren häufig Diskriminierung und haben schlechtere berufliche Chancen. Eine diese Woche erschienene Studie des DIW Berlin mit der Universität Bielefeld untersucht die Gesundheit von LGBTQI*-Menschen im Vergleich zur restlichen Bevölkerung und findet massive Unterschiede entlang mehrerer gesundheitlicher Dimensionen.

Diskriminierung kann krank machen

So besteht bei LGBTQI*-Menschen eine dreimal höhere Wahrscheinlichkeit, an Depressionen und Burn-out zu erkranken. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass ein erheblicher Teil dieser Krankheiten auf Diskriminierung und Ablehnung sowohl am Arbeitsplatz als auch im Privatleben zurückzuführen ist. Und dies passiert nicht nur, wenn sich diese Menschen zu ihrer Identität und Orientierung bekennen.

LGBTQI*-Personen sind häufiger von psychischen Erkrankungen betroffen

LGBTQI*-Menschen leiden doppelt so häufig an Herzkrankheiten, chronische Rückenbeschwerden und Migräne kommen ebenfalls deutlich häufiger vor.
Auch beim emotionalen Wohlbefinden und der Einsamkeit schneiden LGBTQI*-Menschen deutlich schlechter ab als andere. Sie fühlen sich sehr viel häufiger sozial isoliert und traurig. Besonders stark sind die gesundheitlichen Einschränkungen für trans* Menschen, bei denen 40 Prozent unter Angststörungen leiden.

Es sind katastrophale Zahlen und Fakten, die diese Studie offenbart. Denn eine schlechtere Gesundheit bedeutet weniger Glück und Lebenszufriedenheit. Es verschließt den betroffenen Menschen viele Chancen und Möglichkeiten, ihr Leben zu gestalten und somit Eigenverantwortung übernehmen zu können. Es polarisiert unsere Gesellschaft und führt zu Konflikten. Kurzum, die große Diskriminierung und fehlende Chancengleichheit für LGBTQI*-Menschen sind im krassen Widerspruch zu all dem, wofür unsere Demokratie und die Werte unserer Gesellschaft stehen, bei der die Würde eines jeden Menschen gleichermaßen unantastbar sein sollte.

Vorstöße der Politik noch unzureichend

Es besteht dringender Handlungsbedarf für die Politik, nicht nur über dieses Versagen unserer Gesellschaft gegenüber LGBTQI*-Menschen zu sprechen, sondern konkrete Veränderungen vorzunehmen. Zwar gab es in den vergangenen Jahren eine Reihe von Gesetzesänderungen wie die Anerkennung eines dritten Geschlechts. Aber dies reicht bei Weitem nicht aus und geht zu langsam. So sollte das Strafgesetzbuch homophobe und transfeindliche Hasskriminalität explizit mit aufnehmen und sanktionieren.

Eine andere Maßnahme, die in der Studie vorgeschlagen wird, ist die Schaffung von "Safe Spaces", von sicheren Orten, wie in Vereinen oder durch kulturelle Angebote, um Möglichkeiten des Austauschs zu verbessern. Und letztlich müssen auch Wissenschaft und Medien deutlich mehr tun, um dieses wichtige Thema stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen. Schulen sollten die Auseinandersetzung mit dieser Thematik in ihr Curriculum aufnehmen. Und die Forschungsförderung für Themen, die vor allem LGBTQI*-Menschen betreffen, sollte deutlich verstärkt werden.

Es ist höchste Zeit für einen Bewusstseinswandel in Bezug auf LGBTQI*-Menschen und nicht nur die Frage, wie Diskriminierung und Ausgrenzung verhindert werden können. Es ist essenziell, dass wirkliche Chancengleichheit in Bezug auf jede Facette des gesellschaftlichen Lebens, von der sozialen Teilhabe bis hin zur Gesundheit, geschaffen wird. Auch wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen dazu deutlich mehr beitragen, um unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden.

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