Welche Wirkung hat ein bedingungsloses Grundeinkommen?

Was wäre, wenn jeder Mensch in Deutschland monatlich 1.200 Euro bekäme – ohne Gegenleistung, ohne Bedingungen? Für viele klingt das nach Utopie, für andere nach Spinnerei. Für Jürgen Schupp, Sozialwissenschaftler und langjähriger Direktor des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), war es vor allem eine empirisch überprüfbare wissenschaftliche Fragestellung. Als Teil eines großangelegten Feldexperiments hat er untersucht, welche Wirkung ein solches Grundeinkommen entfalten kann. 

„Das bedingungslose Grundeinkommen beruht auf der Idee, dass regelmäßig ein pauschaler Geldbetrag jeder Person universell ausgezahlt wird, ohne dass es an Bedingungen geknüpft ist, wie die Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder die aktive Suche nach Arbeit,“ erklärt Jürgen Schupp im Interview. „Die Idee dahinter ist schon sehr alt. Vor ungefähr 500 Jahre sind die ersten philosophischen Schriften dazu erschienen.“ Dabei existieren in der internationalen Debatte verschiedene Vorstellungen darüber, wie hoch ein solches Grundeinkommen ausgestaltet sein sollte: von einem partiellen Grundeinkommen, das nicht das gesamte Existenzminimum abdeckt, bis hin zu umfassenden Modellen, wie sie auch in Deutschland diskutiert werden.

Wie das DIW Berlin in Spiel kam

Schupp verfolgt die Diskussion schon länger: Als er in den 80er-Jahren am DIW angefangen habe, habe es frühe Debatten über solche bedingungslosen Geldzahlungen „im Kontext der bereits damals als notwendig erkannten grundlegenden Reformnotwendigkeiten unseres Systems der beitragsfinanzierten sozialen Sicherung“ gegeben, erklärt Schupp heute.

Ein entscheidender Anstoß kam 2016 mit der Schweizer Volksabstimmung. Zwar stimmte eine klare Mehrheit gegen ein Grundeinkommen, doch knapp ein Viertel der Bevölkerung sprach sich für die Einführung aus – ein Achtungserfolg, den Schupp in einem Kommentar im DIW Wochenbericht (PDF, 133.21 KB) mit der Forderung einer empirischen Überprüfung der Reformidee verband. Auffällig war für ihn, dass die Debatte stark von Annahmen über das Menschenbild geprägt war: „Viele Diskussionen fußen auf Klischees – entweder vom Menschen, der satt und faul wird oder vom intrinsisch motivierten Bürger, der sich nun zu entfalten vermag. Aber ich als empirisch und analytisch ausgerichteter Sozialwissenschaftler dachte: Das ist eine Fragestellung, die es verdient, dass man das auch mal erprobt und Experimente dazu macht.“

Jürgen Schupp bei der Veranstaltung im DIW Berlin, bei dem die finnischen Forscher*innen von ihrem Projekt berichteten.
© DIW Berlin

Zur etwa gleichen Zeit startete in Finnland ein staatliches Experiment, in dem Arbeitslose zwei Jahre lang ein Grundeinkommen erhielten. Dort zeigte sich, dass die gängige „Hängematten-These“ wonach Menschen nicht mehr arbeiten wollen, weil der finanzielle Druck fehle, nicht haltbar war. Schupp hatte daraufhin den finnischen Leiter des Projektes zu einer öffentlichen OECD-Veranstaltung am DIW zur Einordnung der finnischen Forschungsergebnisse eingeladen. „Das Thema fand breites Interesse“, erinnert sich Schupp.

Mittlerweile wurde das Thema auch am DIW Berlin für eigene empirische Forschungsfragestellungen aufgegriffen. Im Rahmen des Sozio-oekonomischen Panels, fragten Schupp und seine Kolleg*innen erstmals die Stimmungslage der Bevölkerung zu einer Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens ab. Die Befragungen belegte, dass in den Jahren 2016/2017 etwa die Hälfte der Deutschen ein Grundeinkommen befürwortete und vor allem bei Jüngeren Personen große Zustimmung fand. Im WB 15/2019 ging es auch um die Akzeptanz der Idee des Grundeinkommens. 

Das Pilotprojekt in Deutschland

Kurz darauf kam der Kontakt zum Verein Mein Grundeinkommen, der bereits seit 2014 mithilfe von Crowdfunding kleinere Grundeinkommen verloste. Über eine Doktorandin Schupps entstand der Austausch, aus dem sich eine Zusammenarbeit entwickelte. Für das DIW war es eine ungewöhnliche Kooperation: Auf der einen Seite eine NGO mit klarer Mission, auf der anderen Seite Forschende, die Ergebnisoffenheit einforderten, um einen Beitrag für den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt zu leisten. Aus dieser Kooperation des DIW Berlin zusammen mit der Wirtschaftsuniversität Wien und dem Verein Mein Grundeinkommen entstand das bislang größte Feldexperiment dieser Art in Deutschland.

Über drei Jahre erhielten 122 zufällig ausgewählte Personen monatlich 1.200 Euro. Dies entspricht einer Gesamtsumme von mehr als fünf Millionen Euro, ausschließlich finanziert durch Spendende der Zivilgesellschaft. Das Forschungsdesign folgte dabei experimentellen Standards: die eine Gruppe erhielt die Zahlungen und eine Kontrollgruppe, bestehend aus 1.580 Menschen, diente als Vergleich. Die Studienauswahl war an drei Beschränkungen geknüpft, nämlich dass nur Einpersonenhaushalte, die im Alter von 21 bis 40 Jahren waren, sowie vor Beginn der Geldzahlungen über ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 1.100 bis 2.600 Euro verfügten in die Studie einbezogen wurden. Diese Eingrenzungen dienten dazu, methodische Probleme, wie die mögliche Anrechnung auf Sozialleistungen in Mehrpersonenhaushalten, zu vermeiden.

Für Schupp und sein Team war das Projekt in mehrfacher Hinsicht Neuland: „Das Fragebogengeschäft habe ich als ehemaliger SOEP-Leiter von der Pike auf gelernt, auch mit Längsschnittdaten war ich vertraut. Aber was wirklich neu für mich war, war so ein großes auf drei Jahre angelegtes Feldexperiment. Beim SOEP gibt es keine von Forschenden bewusst durchgeführten Eingriffe der befragungsbereiten Haushalte, die darauf abzielen, mögliche Verhaltensänderungen zu erforschen. Beim Pilotprojekt wollten wir hingegen genau die Wirkung eines regelmäßigen Geldimpulses messen und solche experimentell angelegten Designs sind in den Sozialwissenschaften vergleichsweise selten.“ Der Start des Projektes schlug medial große Wellen, sodass auch am DIW Berlin zahlreiche Menschen anriefen und Mails schrieben, um sich für ein Grundeinkommen zu bewerben.

Zum Start des Pilotprojekts vor dem Bundestag: Janine Busch, Miriam Witz und Michael Bohmeyer vom Verein Mein Grundeinkommen e.V., Susann Fiedler von der Universität Wien, Jürgen Schupp vom DIW Berlin, und Maheba Goedeke Tort vom Verein Mein Grundeinkommen e.V. (v.l.n.r.)
© Marcel Maffei

Die Ergebnisse der Studie

Das Pilotprojekt wurde vom DIW sowie von der Wirtschaftsuniversität Wien engmaschig begleitet. Neben den quantitativen Erhebungen gab es aber auch qualitative Beobachtungen. Teilnehmende berichteten in Interviews und Medienberichten über persönliche Veränderungen – von beruflichen Neuanfängen bis hin zu Weiterbildungen. Schupp warnt jedoch vor Überinterpretationen: „Man muss sich hüten, aus diesen Geschichten allgemeine Wirkungen abzuleiten.“

Die Ergebnisse der DIW-Studie fielen differenziert aus. Eine „Arbeitsmarktflucht“ ließ sich nicht beobachten. „Es gibt keine Veränderungen in dem Anteil derjenigen, die arbeiten im Vergleich zur Kontrollgruppe, auch nach drei Jahren nicht,“ erklärt der Soziologe. Etliche der von den Initiatoren erhofften Wirkungen, etwa zu Jobwechseln oder ehrenamtlichem Engagement, bestätigten sich jedoch statistisch nicht. „Es sind eher Null-Effekte, sagen die Statistiker.“

Deutlich erkennbar waren jedoch Verbesserungen beim subjektiven Wohlbefinden. „Wir haben schon stabil erkennbare Effekte auf Lebenszufriedenheit, mentale Gesundheit und Autonomieempfinden, die wir den Geldzahlungen zuschreiben können.“ Bemerkenswert sei, dass diese Effekte über die gesamte Laufzeit anhielten, ohne den typischen Gewöhnungseffekt, der beispielweise bei Lohnerhöhungen eintritt, wie im Discussion Paper 2129 dargestellt ist.

© DIW Berlin

Die Zukunft des bedingungslosen Grundeinkommens

Doch neben der Frage der Wirksamkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens, bleibt die oft gestellt Frage der Finanzierung eines solchen Projektes. Diese könne laut Schupp nicht auf einer Verschuldungsbasis angelegt sein, sondern müsse aus laufenden staatlichen Haushaltsmitteln, also Steuern, gedeckt werden. Der ehemalige SOEP-Direktor äußert sich hier klar: „Es wäre weltfremd zu glauben, dass der Staat in den nächsten zehn Jahren in der Lage wäre, so ein teures Reformprojekt umzusetzen.“

Wahrscheinlicher sei es, dass einzelne Elemente des Grundeinkommens in Teilbereichen des Sozialstaats Einzug halten, denn „diese grundsätzliche Idee von für alle gleich hohen und bedingungslosen sowie vor allem bürokratiearmen Geldzahlungen schimmert an verschiedenen Ecken unserer Gesellschaft und in einigen der gegenwärtigen Diskussionen um Reformprojekte auf.“ So etwa bei der Debatte um die Kindergrundsicherung oder dem pauschalen Klimageld als Rückerstattung der CO₂-Abgabe.

Und auch während der Corona-Pandemie, in der viele Menschen durch das bestehende Sicherungssystem fielen oder erst verspätet Geldzahlungen erhielten, gewannen Forderungen nach einem temporären Grundeinkommen an Sichtbarkeit. Für Schupp zeigt sich darin, dass Krisen immer wieder den Blick auf einfache, eher universelle und vor allem unbürokratische Geldzahlungen lenken. „Für das partielles Grundeinkommen, das an verschiedenen Ecken diskutiert und als Option genannt wird, sehe ich durchaus Chancen, dass – sei es in Krisenzeiten, sei es in Transformationszeiten – neue sozialpolitisch wirksame Instrumente geschaffen werden.“

Autorin: Anna Lotta Noisten

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Wissenschaftler in der Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel

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