DDR-Forschung am DIW

Die deutsche Teilung prägte die Arbeit am DIW so stark wie an keinem anderen Wirtschaftsforschungsinstitut. Direkt nach dem Krieg musste das DIW zunächst sowjetische Übernahmeversuche abwehren. Aber auch als die Entscheidung für den Westen gefallen war, prägte das Leben und das Wirtschaften in der geteilten Stadt die Arbeit der Wissenschaftler*innen, wie diese Geschichte über das DIW und die Stadt Berlin zeigt. Schon unmittelbar nach Gründung der beiden deutschen Staaten bilden Wirtschaft und Gesellschaft der DDR einen Interessenschwerpunkt der Forschenden. Einige von ihnen haben zuvor in der Sowjetisch Besetzten Zone (SBZ) gearbeitet. Und alle in Berlin lebenden DIW-lerinnen und DIW-ler erleben unmittelbar, welche politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen die deutsche Teilung und der Aufbau einer sozialistischen Planwirtschaft in Ost-Berlin hat. Das DIW und seine Wirtschaftswissenschaftler*innen bauen daher ab 1946 eines der ersten institutionellen Zentren der DDR-Forschung in Berlin auf.

Ein sogenanntes Steinzeugkombinat in Bitterfeld mit rauchenden Schornsteinen im November 1981.
© Bundesstiftung Aufarbeitung, Harald Schmitt, Bild 81 1142 001FV

Die „Abteilung Sowjetische Besatzungszone“ wird 1954 umbenannt in „Abteilung Mitteldeutschlandforschung“. Im Zuge der Ostannäherung der Bundesrepublik während der Großen Koalition und dann unter Bundeskanzler Willy Brandt wird aus der Abteilung 1968 „DDR und östliche Industrieländer“. Bis zur Wiedervereinigung 1990 bleibt die DDR ein Objekt intensiver Erforschung und wissenschaftlicher Beobachtung der DIW-Wissenschaftler*innen. Da den offiziellen Angaben der DDR-Führung misstraut wird, beschreiten DIW-Mitarbeitende eigene Wege zur Statistik-Sammlung, unter anderem durch im Ostteil der Stadt durch Geschäfte spazieren und Preise auswendig lernen.

Berichte für Konrad Adenauer über die wirtschaftlichen Entwicklungen in der DDR

Einer der frühen DDR-Experten am DIW ist Bruno Gleitze, der 1949 seinen Job als Leiter des Statistischen Zentralamts in Ost-Berlin aufgibt und ans DIW in West-Berlin wechselt. Gleitze ist seit 1919 Mitglied der SPD und wird 1966 für die SPD Wirtschafts- und Verkehrsminister in Nordrhein-Westfalen werden. Am DIW baut Gleitze bis Ende 1953 die DDR-Forschung auf, bis er als Leiter zum Wirtschaftswissenschaftlichen Institut des Deutschen Gewerkschaftsbunds wechselt. Bis dahin berichten Gleitze und die anderen DDR-Forscher*innen am DIW regelmäßig Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem Kanzleramt über die wirtschaftliche Entwicklung in der DDR und die Wirtschaftspolitik des argwöhnisch beobachteten Nachbarn.infoQuelle: 75 Jahre DIW Berlin 1925 – 2000. Ein kurzer historischer Rückblick. Und Krengel (1985), S. 128f.

Über viele Jahre leitet dann Doris Cornelsen die Abteilung „DDR und östliche Industrieländer“ am DIW. Sie unterhält beste Kontakte zu DDR-Behörden und zu wirtschaftswissenschaftlichen Einrichtungen in Ostdeutschland, um an Daten zu gelangen und vermutlich auch, um mehr zu erfahren, als in den offiziellen Statistiken der DDR stand. Regelmäßig fährt Cornelsen nach Ost-Berlin und auch zur Leipziger Messe, dem „Schaufenster des Sozialismus“.

Im Stasi-Unterlagen-Archiv lässt sich wenig über das DIW Berlin finden.
© Maximilian Schönherr, via Wikimedia Commons

Kein Hinweis auf direkte Stasi-Tätigkeit von Forschenden am DIW

Das DIW und insbesondere die DDR-Forschungen erregen das Missfallen der DDR-Staatsführung. Für die DDR gehörte das DIW zu den „Einrichtungen des Klassengegners“ wie Günter Mittag, im Zentralkomitee der SED zuständig für Wirtschaftsfragen und die Lenkung der Planwirtschaft, an den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker schreibt. Insofern würde es nicht verwundern, wenn das DIW inmitten des geteilten Berlins, mitten im Zentrum des Kalten Krieges ein Ziel der DDR-Spionage und der Staatssicherheit war. Angesichts der sonst üblichen Sammelwut hat die Stasi im Lauf der Jahrzehnte jedoch nicht viel über das DIW zusammengetragen, wie eine Recherche im Bundesarchiv für die Stasi-Unterlagen ergibt. Laut einer Sachbearbeiterin des Bundesarchivs gab es andere Einrichtungen der westdeutschen DDR-Forschung, zu denen die Stasi sehr viel mehr Material gesammelt hat. Die meisten Informationen zum DIW, die die Stasi ablegte, stammen aus öffentlich zugänglichen Quellen.

Die ehemalige Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg.
© Gunnar Klack, via Wikimedia Commons, bearbeitet DIW Berlin

Nur ein Fall ist bekannt, bei dem 1956 interne DIW-Informationen an die Stasi gingen. Laut der Stasi-Akten im Bundesarchiv, wurden die Tagesordnung der Kuratoriumssitzung und der Haushaltsentwurf mit sehr detaillierten Informationen 1956 an die Stasi weitergeleitet (MfS - HA XVIII Nr. 17144). Ob die undichte Stelle in einem der Büros der zahlreichen DIW- Kuratoriumsmitglieder oder im DIW-Vorstand leckte, lässt sich nicht mehr feststellen. Auf eine Unterwanderung durch die Stasi, wie sie manchmal unterstellt wurde, lassen die Quellen des Bundesarchivs jedoch nicht schließen.

100 JAHRE DIW BERLIN IN FÜNF EPOCHEN

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