Hausfrau oder Arbeitskraftreserve? Erwerbsbeteiligung von Frauen in Ost und West

Warum verdienen Frauen im Schnitt weniger als Männer? Wie wirken sich Elternzeiten auf Karrieren und Einkommen aus? Wie viel arbeiten Frauen, wie viel Männer und warum ist das so? Heute geht der Bereich Gender Economics am DIW Berlin diesen Fragen nach. Aber schon lange bevor das Thema der geschlechtsspezifischen Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt in den Wirtschaftswissenschaften große Beachtung fand, beschäftigten sich Forscherinnen und Forscher am DIW Berlin mit der Frauenbeschäftigung, besonders in Bezug auf die Unterschiede zwischen Ost und West – also damals zwischen der BRD und der DDR. Wir werfen einen Blick auf die Wochenberichte aus den 1950er und 1960er Jahren und schauen uns an, wie sich der Blick auf Frauenarbeit verändert hat.

„Frauenüberschuss“ sorgt für Beschäftigung von Frauen

Bereits im Wochenbericht vom 12. Januar 1951  lässt sich ein Kapitel zur „Frauenarbeit in Westdeutschland“ finden, das die Auswirkungen des Krieges auf die Beschäftigung von Frauen betrachtet. Darin heißt es: „Die berufstätige Frau, die in ihrer Arbeit nicht nur eine Erwerbsquelle für ihre Übergangszeit zu ihrer Verheiratung, sondern eine Lebensaufgabe sieht, ist heute in Deutschland zu einer typischen Erscheinung geworden.“ Der entscheidende Grund hierfür lag in dem „Frauenüberschuss“ in der deutschen Gesellschaft nach dem zweiten Weltkrieg, denn bereits 1939 waren 28,9 Prozent der Beschäftigten im Bundesgebiet weiblich, 1950 waren es 30 Prozent. Da aber nach wie vor viele Frauen keiner Erwerbstätigkeit nachgingen, stellten die DIW-Forscher*innen fest, dass von einer „Arbeitskraftreserve“ von einer halben Million Frauen auszugehen sei. Wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen aus dieser Analyse zogen die Wissenschaftler*innen damals nicht.

Die Frau als Arbeitskraft oder für Haushalt und Kinderversorgung zuständig? Dazu gingen die Meinungen in BRD und DDR auseinander.
© DIW Berlin

„Kulturauffassung“ spreche gegen Berufstätigkeit von Müttern

Mit der Frauenarbeit in der sowjetischen Besatzungszone setzte sich der Wochenbericht vom 2. März 1951 auseinander. Die Autor*innen stellen fest, dass die DDR-Regierung die 2,5 Millionen Hausfrauen als „ungenutzte Reserve“ ansähen und es erklärtes Ziel sei, diese zur Arbeit zu bewegen. Die DIW-Forscher*innen erklären, dass es dabei einen Widerstand in der DDR-Bevölkerung (damals nur „Besatzungszone“ genannt) gäbe – weil es eine „überlieferte deutsche Kulturauffassung“ gäbe, „nach der die Frau in erster Linie ihren Beruf in der Arbeit als Hausfrau sieht, also in der Sorge für ein kultiviertes Heim und für das leibliche und seelische Wohl der Familie“. Deshalb werden auch die Bemühungen der Regierung kritisch gesehen, mehr Frauen zur Berufstätigkeit zu bewegen.

Lohngleichheit als „propagandistisch ausgewertetes Prinzip“

Sechs Jahre später beschäftigen die Wissenschaftler*innen des DIW Berlin sich noch einmal mit der Berufstätigkeit von Frauen in der DDR, im Wochenbericht vom 7. Juni 1957. Auch, wenn in diesem Wochenbericht zum Ausdruck kommt, dass bestimmte Berufe nicht der Kondition von Frauen entsprächen und die Bemühungen der Regierung, mehr Frauen zur Berufstätigkeit zu animieren, kritisch gesehen werden, stellen die Autor*innen fest, dass die Berufstätigkeit der Frau in diesem Teil Deutschlands „nicht als Folge, sondern als Voraussetzung von Gleichberechtigung“ zu erkennen sei – eine geradezu revolutionäre Analyse für die damalige Zeit. Interessant ist auch der Blick auf die Frage nach Lohngleichheit. Dieses Prinzip sei in der DDR „propagandistisch ausgewertet“. Das klingt fast so, als wäre dieses Prinzip – der gleiche Lohn für die gleiche Arbeit – gar nicht erstrebenswert. Die DIW-Analysen zeigen, dass es zwar in der DDR offiziell keine unterschiedliche Bezahlung von Frauen und Männern im Sinne von offiziellen Lohngruppen oder ähnlichem gäbe. Die geringen Verdienste von Frauen im Vergleich zu Männern entständen vor allem dadurch, dass Frauen in den untersten Lohngruppen eingruppiert seien.

Frauen als fester Teil der Arbeitskraft der DDR, wie diese Briefmarke anlässlich des 35-jährigen Bestehen zeigt.
© Adobe/zabanski

Eine gewisse Faszination scheinen die Forscher*innen für die  Situation der berufstätigen Frauen in der DDR zu hegen, auch wenn im Wochenbericht vom 13. März 1964 immer noch nicht von der DDR geschrieben wurde, sondern von Mitteldeutschland. Der Anteil der Frauen im erwerbsfähigen Alter betrug damals in der DDR 72,7 Prozent, während es in Deutschland nur 49,7 Prozent waren. Ein „Dilemma“, wie es die Autor*innen des Wochenberichtes nennen, sei das Ziel der DDR-Regierung gleichzeitig die Geburtenrate und den Beschäftigungsanteil der Frauen zu erhöhen. Damit das gelingen könne, nennen sie im Wochenbericht verschiedene Maßnahmen: Die Einführung eines Systems von Geburtenhilfen, sowie der Ausbau staatlicher Kindergärten und Kinderhorte. Hinzu kommen Verkaufsstellen des Einzelhandels, Wäschereien und Bügelanstalten, die die Frauen von hauswirtschaftlichen Aufgaben entlasten sollen. Nach wie vor, so stellen die Wissenschaftler*innen fest, sind die  allermeisten Frauen in der DDR (84 Prozent) als ungelernte oder angelernte und damit nicht vollständig qualifizierte Arbeitskräfte tätig.

Die „mitverdienende Ehefrau“ in den USA

Im Jahr 1959 ging es noch einmal um die Berufstätigkeit von Frauen, dieses Mal betrachteten die Forscher*innen die Situation von „mitverdienenden Ehefrauen“ in den USA, wie im Wochenbericht vom 23. Januar 1959 beschrieben. Auch in den USA hatte sich die Situation für Frauen auf dem Arbeitsmarkt durch den zweiten Weltkrieg enorm verändert. Vor dem Krieg waren nur 14 Prozent der US-Ehefrauen berufstätig, im Jahr 1957 waren es 28 Prozent. Dies sei zum einen „Folge der Anforderungen der Kriegswirtschaft“, zum anderen habe aber auch „das Streben nach erhöhter materieller Unabhängigkeit eine nicht unwesentliche Rolle gespielt“.  Im Vergleich mit Deutschland stellten die Wissenschaftler*innen fest, dass in Deutschland zwar wesentlich mehr Frauen berufstätig waren als in den USA, eben weil der „Frauenüberschuss“ in Deutschland höher sei, aber in den USA deutlich mehr Ehefrauen berufstätig waren als in der BRD.

Autorin: Lena Högemann

Gender Economics am DIW Berlin

100 JAHRE DIW BERLIN IN FÜNF EPOCHEN

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