Blog Marcel Fratzscher vom 10. März 2025
Trotz des Megapakets von Union und SPD: Eine grundlegende Reform der Schuldenbremse ist dringend notwendig. Nur dann leben die Alten nicht mehr auf Kosten der Jungen.
Union und SPD wollen für die neue Bundesregierung ein großes Sondervermögen für Infrastruktur auflegen und Ausnahmen von der Schuldenbremse für Verteidigung schaffen. Der Staat braucht mehr Geld und muss dringend die notwendigen Investitionen tätigen. Dies darf aber nicht dazu führen, dass eine grundlegende Reform der Schuldenbremse ausbleibt. Denn das Resultat wäre, dass unsere Gesellschaft weiterhin zulasten der jungen und künftigen Generationen lebt.
Diese Kolumne von Marcel Fratzscher erschien am 7. März 2025 auf ZEIT ONLINE in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.
Die Befürworter der Schuldenbremse haben recht: Die Generation der Babyboomer darf jungen und künftigen Generationen nicht immer mehr Schulden hinterlassen. Wo sie jedoch falsch liegen: Das Problem ist nicht die explizite Staatsverschuldung in Form von Staatsanleihen und Krediten, sondern die riesigen und wachsenden impliziten Schulden und Verpflichtungen, die sich die Babyboomer für ihre künftigen Sozialleistungen und den Verbrauch knapper Ressourcen auf Kosten der jungen Generation gönnen. Wir brauchen daher dringend eine neue Schuldenbremse, die das leistet, was die alte Schuldenbremse nicht leistet: Zukünftige Generationen schützen sowie zwischen Jung und Alt ausgleichen.
Die Obsession der Deutschen mit Schulden und der Schuldenbremse hat zuletzt immer absurdere Züge angenommen. Trotz großer Krisen und gigantischer Herausforderungen verweigerte sich eine Mehrheit in Politik und Gesellschaft, der Realität ins Auge zu schauen. Wir brauchen in den nächsten Jahren kontinuierlich mehr Geld für Verteidigung, wenn wir Europa vor Putin schützen und in Zukunft in Frieden leben wollen. Das nun geplante Finanzpaket wird sich kurzfristig positiv auf die Wirtschaft auswirken, trotzdem ist es nicht die beste Lösung. Denn Deutschland wird in den kommenden Jahrzehnten noch mehr Geld benötigen.
Wir müssen Klima und Umwelt schützen, um noch viel größere Katastrophen in der Zukunft zu verhindern. Und wir müssen in Bildung, Innovation und Infrastruktur investieren, um unseren wirtschaftlichen Wohlstand, gute Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.
Im Bundeswahlkampf haben die Parteien allerdings genau das Gegenteil versprochen: Sie wollten Steuersenkungen für Spitzenverdienende und höhere Ausgaben für die Sozialsysteme — von beidem werden vor allem die Babyboomer profitieren. Zusammen mit der geltenden Schuldenbremse bedeutet dies: Der Staat hat nicht mehr, sondern weniger Geld für Investitionen in Verteidigung, Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit zur Verfügung.
Auch der Staat und seine Bediensteten müssen sich auf deutliche Zumutungen einstellen. Die Zahl der Staatsbediensteten kann in einer schrumpfenden Gesellschaft nicht immer weiter steigen. Gleichzeitig benötigen wir durch den demografischen Wandel deutlich mehr Beschäftigte in Pflege und Gesundheit sowie in Bildung und Qualifizierung. Die neue Bundesregierung sollte sich das Ziel setzen, in den nächsten vier Jahren die Anzahl der öffentlich Bediensteten zu reduzieren, was viele Behörden unter massiven Anpassungsdruck setzen wird. Forderungen der Gewerkschaft Ver.di nach zehn Prozent mehr Lohn sind völlig illusorisch und schädlich.
Dabei ist die explizite Staatsverschuldung – also das Verhältnis der Schulden aus Staatsanleihen und Krediten zur Wirtschaftsleistung – von gut 64 Prozent das deutlich geringere Problem. Zumal kaum ein Industrieland eine geringere Staatsschuldenquote hat als Deutschland. Das eigentliche Problem sind die impliziten Schulden oder auch verdeckten Schulden in Form von Zusagen der Sozialsysteme, vor allem an die Babyboomer.
In den Bereichen Rente, Gesundheit und Pflege hat die deutsche Politik, vor allem der Generation der Babyboomer, so gigantische Versprechungen gemacht, dass die Staatsausgaben und die Beiträge der Erwerbstätigen in den nächsten Jahren explodieren werden. Im Vergleich zu den expliziten Schulden in Höhe von etwa 64 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung können die impliziten Schulden, je nach Annahme und Art der Berechnung, bereits heute bei über 300 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung liegen, wie Schätzungen von Instituten von Arbeitgebern wie Arbeitnehmern zeigen.
Den größten Anteil daran haben die Versprechen der Sozialsysteme an die Babyboomer. Der Wertverlust der natürlichen Ressourcen und die steigenden Kosten durch Klimawandel und Naturkatastrophen sowie die mangelnde Verteidigungsfähigkeit sind noch nicht berücksichtigt, weil sie so schwer messbar sind. Die tatsächliche Belastung, die die Babyboomer den jüngeren Generationen hinterlassen, ist also noch deutlich höher.
Letztlich bedeutet diese Politik eine gigantische Umverteilung von Jung zu Alt. Leidtragende sind die jungen und zukünftigen Generationen, die mit ihrer Arbeit und ihrem Vermögen für diese Versprechen geradestehen müssen. Bei der Bundestagswahl im Februar hatten sie aber kaum eine Stimme: Alle Menschen jünger als 18 durften nicht wählen und die Gruppe der 18- bis 30-Jährigen macht lediglich 13 Prozent aller Wähler*innen aus. Die über 60-Jährigen dagegen mit 42 Prozent mehr als dreimal so viele. In einer Demokratie ist es daher nicht verwunderlich, dass die politischen Parteien vor allem ihre Wählerklientel bedienen wollen, und das sind nicht die jungen Menschen. Die Zukunft hat aktuell keine Mehrheit.
Um diese Fehlentwicklung zu korrigieren, brauchen wir eine generationengerechte Schuldenbremse mit vier Elementen, die ich anlässlich der Neuwahlen ausführlich dargestellt habe. Das erste Element ist die Verpflichtung, dass der Staat nicht länger von seiner Substanz leben darf, sondern kontinuierlich so viel investieren muss, dass der Wert der Infrastruktur, der Daseinsvorsorge und der Umwelt wächst und nicht weiter schrumpft. Das erfordert Transparenz durch die Messung dieser Vermögen und Werte. Ein zweites Element ist daher, dass Investitionen anders behandelt werden müssen als die konsumtiven Ausgaben des Staates, die in Zukunft mit der Demografie schrumpfen müssen. Vor allem Verwaltung und Bürokratie müssen in einer kleiner werdenden Gesellschaft abgebaut werden.
Das dritte Element erfordert den Abbau der impliziten Verpflichtungen der Sozialsysteme. Dies muss nicht bedeuten, dass die Leistungen für Rente, Gesundheit und Pflege gekürzt werden müssen, sondern dass die Finanzierung der Sozialsysteme nicht primär über eine Umverteilung von Jung zu Alt, sondern von Reich zu Arm erfolgt. Mit anderen Worten: Die starken Schultern in unserer Gesellschaft müssen sich deutlich stärker als bisher am Gemeinwohl beteiligen – so wie es auch im Grundgesetz verankert ist. Diese Pflicht zur Verteilungsgerechtigkeit ist das vierte Element einer generationengerechten Schuldenbremse.
Die hohe Staatsverschuldung ist ein Problem – nicht jedoch die explizite Staatsverschuldung, sondern die enormen und steigenden Verpflichtungen der Sozialsysteme und der Verzehr öffentlichen Vermögens – von Klima und Umwelt über eine mangelnde Verteidigungsfähigkeit bis hin zu unzureichender Infrastruktur. Unsere Demokratie ist dysfunktional geworden, weil sich die immer dominanter werdende Gruppe der Babyboomer auf Kosten der jungen und zukünftigen Generationen bedient und ihnen zukunftsfeindliche Lasten aufbürdet. Eine kurzfristige Lösung mit Sondervermögen wird keine langfristige Abhilfe schaffen. Die neue Bundesregierung sollte mit hoher Priorität die Schuldenbremse reformieren, der zentrale Aspekt muss dabei aber die Generationengerechtigkeit sein.
Themen: Öffentliche Finanzen , Steuern , Verteilung