Der Diskurs zu Kriminalität und Zuwanderung muss sachlicher werden

Blog Marcel Fratzscher vom 17. März 2025

Was weiß die Forschung über Migration und Gewalt? Drei Erkenntnisse aus Studien zeigen, warum die pauschale Aussage "Zuwanderung erhöht Kriminalität" nicht stimmt.

Die Messerattacke in Aschaffenburg, die Anschläge in Magdeburg und München und andere Gewalttaten haben Ängste vor mangelnder Sicherheit und einer Zunahme von Kriminalität und Gewalt durch Migranten ausgelöst. Der dadurch ausgelöste Diskurs in Politik und Gesellschaft ist intensiv – und emotional. Um nicht missverstanden zu werden: Gewalttaten wie in München, Aschaffenburg und anderen Städten dürfen in Deutschland nicht toleriert oder gerechtfertigt werden. Die Täter müssen vor dem Gesetz zur Verantwortung gezogen und bestraft werden. Aber: Es braucht eine Versachlichung der Debatte zu Zuwanderung und Kriminalität insgesamt, um den Diskurs nicht zu verzerren und aus den Taten die richtigen Schlüsse zu ziehen. Nur so werden Politik und Gesellschaft Lösungen finden können.

Diese Kolumne von Marcel Fratzscher erschien am 14. März 2025 auf ZEIT ONLINE in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Bei der Debatte um die Migrationspolitik geht es derzeit um viele Fragen. Wir wollen uns hier darauf konzentrieren, ob eine Reduzierung der (irregulären) Migration einen Rückgang von Kriminalität erreichen kann. Dazu liefert die Wissenschaft drei zentrale Erkenntnisse aus über 50 Industrieländern.

Erstens steigen Sorgen vor Kriminalität, auch in Deutschland und gerade im Zusammenhang mit Migration. Dabei sind insbesondere schwere Straftaten in Deutschland seit Anfang der 2000er zurückgegangen, während die Zuwanderung aus anderen europäischen Ländern und die Zahl von Geflüchteten im gleichen Zeitraum stark zugenommen hat. Entgegen der Wahrnehmung vieler Menschen ist Deutschland insgesamt ein sicheres Land – die Sicherheitslage hat sich im Vergleich mit der Lage vor 25 Jahren sogar verbessert.

Die zweite Erkenntnis: Gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil haben Ausländerinnen und Ausländer einen deutlich höheren Anteil an Straftätern als Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft. Von den Tatverdächtigen in der polizeilichen Kriminalstatistik machen sie beispielsweise rund ein Drittel aus. Es stimmt also auf den ersten Blick, dass Migranten überproportional häufig Straftaten begehen. Diese Aussage kann jedoch nicht stehen bleiben, ohne die (bekannten) Risikofaktoren für Kriminalität zu berücksichtigen: Die Gruppe der Zuwanderer in Deutschland unterscheidet sich stark von der deutschen Bevölkerung. Zugewanderte sind überproportional häufig männlich, jung und haben im Durchschnitt weniger Bildung und Einkommen. Ganz unabhängig vom Migrationshintergrund sind dies demografische und sozioökonomische Risikofaktoren für Kriminalität. Mit anderen Worten: Auch unter Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft verüben junge Männer mit wenig Bildung und Einkommen deutlich häufiger Straftaten.

Und auch andere Faktoren haben einen starken kausalen Effekt auf Kriminalität: Menschen ohne Arbeit und ohne Perspektiven begehen häufiger Straftaten. Dies ist insbesondere im Kontext von Geflüchteten relevant, für die oft kein Zugang zum Arbeitsmarkt besteht.

Die dritte Erkenntnis scheint auf den ersten Blick widersprüchlich: Obwohl die Wahrscheinlichkeit, kriminell zu werden, für Einzelne höher ist, dokumentieren wissenschaftliche Studien für verschiedene Länder, dass Migration die lokale Kriminalitätsrate insgesamt in einer Stadt oder in einer Region im Durchschnitt nicht signifikant erhöht.

Auch Medien müssen ihrer Verantwortung besser gerecht werden

Was erklärt diesen vermeintlichen Widerspruch, dass Migranten häufiger Straftaten begehen, die gesamte Anzahl der Straftaten in einer Region jedoch durch Zuwanderung nicht steigt? Die Frage ist wissenschaftlich nicht abschließend geklärt. Eine mögliche Erklärung ist, dass in manchen Regionen die Zuwanderung einfach zu gering ist und die zusätzlichen Straftaten (die von einer Minderheit der zugewanderten Menschen begangen werden) nicht sonderlich ins Gewicht fallen. Dies scheint für manche Regionen plausibel, für andere (insbesondere solche mit hoher Zuwanderung) vielleicht nicht. Eine andere Erklärung ist, dass die Kriminalität mancher Zuwanderer die Kriminalität von Einheimischen "ersetzt": Fehlende Qualifikationen und Perspektiven mögen manche Zuwanderer dazu bringen, kriminell zu werden – während Kriminalität in anderen Bevölkerungsgruppen sinkt. Andere Erklärungsansätze setzen bei regionalen Risikofaktoren an: Migranten ziehen häufiger in Städte und Ballungsräume, in denen die Kriminalitätsraten generell höher sind.

Pauschale Aussagen stimmen meist nicht

Als Fazit lässt sich festhalten, dass wir noch zu wenig über die Auswirkungen von Migration auf Kriminalität wissen, vor allem für Deutschland. Aber durch das, was wir wissen, sollten wir sehr vorsichtig und zurückhaltend mit der Behauptung sein, Zuwanderung erhöhe die Kriminalität. Die bisherigen Erkenntnisse unterstreichen, dass diese Aussage so pauschal nicht stimmt.

Was wir jedoch wissen: Deutschland ist in den letzten 20 Jahren ein sichereres Land geworden, es gibt heute weniger Kriminalität und schwere Straftaten. Und: Nicht Hautfarbe, Religion oder Herkunft sind die Ursachen für Kriminalität, sondern sozioökonomische Faktoren, fehlende Perspektiven und eine schlechte Integration.

Woher kommen also die Ängste und Sorgen zu steigender Kriminalität insbesondere im Zusammenhang mit Migration? Studien für andere Länder zeigen, dass ein nicht unerheblicher Teil durch die Medienberichterstattung verursacht wird. Menschen fühlen sich unsicher – und diese Unsicherheit wird durch eine Berichterstattung verstärkt, die besonders Gewalttaten von Zuwanderern in den Mittelpunkt stellt. Dies fällt vornehmlich im Vergleich zu anderen Formen von Gewalt auf – beispielsweise der oft weniger fokussierten Berichterstattung zu häuslicher Gewalt, die häufig auftritt, aber proportional weniger mediale Aufmerksamkeit bekommt (2023 gab es täglich circa 700 Fälle von polizeilich gemeldeter häuslicher Gewalt, auch gegen Kinder, und circa 240 Tötungen pro Jahr von Frauen durch Familienmitglieder, Partner oder Ex-Partner. Dies soll keine Form der Gewalt relativieren, und allein der Vergleich ist unangebracht – die Zahlen sollen lediglich die Diskrepanzen zwischen Häufigkeiten einerseits und dem Fokus der Berichterstattung andererseits illustrieren.

Mehr Dialog statt Grenzschließungen

Für Lösungen brauchen wir weniger Emotionalität und Verunsicherung, sondern einen sachlicheren Dialog, der auf Zahlen und Fakten basiert. Kriminalität lässt sich weder durch Grenzschließungen noch durch Stigmatisierung von Migranten wirksam reduzieren. Die Täter von Aschaffenburg und Magdeburg waren als kriminell bekannt – hier muss gehandelt werden. Von ihnen auf die große Mehrheit der nicht kriminellen Zuwanderer zu schließen, wäre aber der falsche Ansatz. Vielmehr sollten Politik und Gesellschaft ihre Anstrengungen verdoppeln, insbesondere Geflüchtete schneller und besser in Arbeitsmarkt und Gesellschaft zu integrieren und ihnen klare Perspektiven zu bieten – genauso wie Polizei und Justiz geltendes Recht entschiedener umsetzen sollten. Dafür müssen ihnen die notwendigen Befugnisse erteilt werden.

Auch einzelne Medien müssen ihrer Verantwortung besser gerecht werden, denn die Emotionalisierung der Debatte zu Zuwanderung und Kriminalität macht Lösungen nicht leichter, sondern schwieriger, wenn dies zur Stigmatisierung führt und die Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt erschwert.

Themen: Migration

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