Blog Marcel Fratzscher vom 22. April 2025
Steuererleichterungen für Unternehmen, Rentengarantie für Babyboomer: Mit Schwarz-Rot nimmt die wirtschaftliche Umverteilung von Arm zu Reich und von Jung zu Alt zu.
Die Unterstützung für die AfD ist in den letzten Monaten gewachsen, mittlerweile liegt sie in Umfragen gleichauf mit der Union. Da stellt sich die Frage, welche Verteilungswirkungen der neue Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD haben wird – und was dieser etwa für AfD-Wähler*innen bietet. Aber auch für zum Beispiel die junge Generation, die sich in den vergangenen Jahren zunehmend von den demokratischen Parteien der Mitte abgewandt hat?
Diese Kolumne von Marcel Fratzscher erschien am 18. April 2025 auf ZEIT ONLINE in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.
Viel wird über die Frage diskutiert, wie die Wirtschaft gestärkt, Migration begrenzt und manche Maßnahmen finanziert werden sollen. Mindestens genauso wichtig ist jedoch die Frage, wie sich der gesellschaftliche Zusammenhalt in den kommenden Jahren entwickeln wird. Das ist ebenso wichtig für Wirtschaft und Wohlstand und für die Frage, ob es der neuen Bundesregierung gelingen wird, die Aushöhlung der Demokratie und die soziale Spaltung zu stoppen oder gar zurückzudrehen. Dass AfD-Wählende allein durch eine verschärfte Migrationspolitik befriedet werden, ist naiv zu glauben. Zumal die Bundestagswahl große Unterschiede beim Wahlverhalten zwischen gesellschaftlichen Gruppen gezeigt hat.
Ungewöhnlich am Koalitionsvertrag ist, wie vage die Ziele formuliert sind. Konkrete Versprechen fehlen. Es wird viel darüber geschrieben, was man tun will – wenig jedoch, was man konkret tun wird. Das kann zu Dauerstreit führen. Es gibt der Bundesregierung aber auch die Möglichkeit, schnell und flexibel auf neue Entwicklungen zu reagieren, ohne die Ziele ständig neu verhandeln zu müssen.
Konkret wird der Vertrag aber bei der Umverteilung: Hier profitieren Unternehmen und die Industrie besonders. Denn es soll Steuererleichterungen für Investitionen geben. Energieintensive Industrieunternehmen werden stark vom Absenken der Energiesteuer um fünf Cent profitieren. Die neue Bundesregierung hat eine deutliche, schrittweise Reduzierung der Körperschaftsteuer für Unternehmen von heute 15 auf 10 Prozent in Aussicht gestellt. Für Bürger*innen dagegen gibt es kaum Entlastungen; manche Förderprogramme, wie bei der Gebäudesanierung und der E-Mobilität, wurden sogar gekürzt oder gestrichen.
Als zweite Verteilungsperspektive enthält der Koalitionsvertrag eine Umverteilung von Arm zu Reich. So profitieren Menschen mit hohen Vermögen und Einkommen nicht nur durch die steuerliche Entlastung der Unternehmen – zum Teil, weil sie selbst Unternehmer*innen sind –, sondern auch perspektivisch durch die vom CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann in Aussicht gestellten Erleichterungen bei der Einkommensteuer für Besserverdienende. Auch profitieren Gutverdienende deutlich mehr von der versprochenen Mehrwertsteuersenkung in der Gastronomie sowie von der Erhöhung des Dienstwagenprivilegs und der Pendlerpauschale. Steuererhöhungen auf große Einkommen, Vermögen oder Erbschaften wurden ausgeschlossen.
Menschen mit geringen und mittleren Einkommen dagegen gehören tendenziell zu den Verlierern. Eine Reihe von Sozialleistungen sollen gekürzt werden – beispielsweise beim Bürgergeld. Maßnahmen zur Bekämpfung von Kinderarmut, zur Qualifizierung oder um Wohnen in den Städten wieder etwas erschwinglicher zu machen, sind zu einem großen Teil Fehlanzeige. Energie und Lebensmittel werden durch die CO₂-Bepreisung in den kommenden Jahren teurer werden, ein sozial ausgleichendes Klimageld wird es aber wohl nicht geben.
Auch die Arbeitsmarktpolitik wird die Ungleichheit der verfügbaren Einkommen eher vergrößern. Insbesondere die Steuerbefreiung von Überstunden für Menschen, die in Vollzeit arbeiten, nutzt vor allem jenen, die nicht prekär oder in Teilzeit beschäftigt sind. Die Koppelung eines Mindestlohns von 15 Euro pro Stunde an das Votum der Mindestlohnkommission dürfte dagegen bedeuten, dass die Lohnuntergrenze auch in den kommenden Jahren eher moderat steigen dürfte.
Als Viertes dürften auch die Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen sowie zwischen Deutschen und Migranten größer werden. Die Hürden für Ukrainer*innen für die Integration in Deutschland werden zunehmen, da diese nicht mehr sofort Zugang zum Bürgergeld haben werden. Zudem gibt es kaum spezifische frauenpolitische Maßnahmen im Koalitionsvertrag. Die vielen Hürden für Frauen auf dem Arbeitsmarkt – von fehlenden Kita- und Ganztagsschulplätzen über steuerliche Fehlanreize durch Minijobs und Ehegattensplitting bis hin zu einer geringeren Bezahlung – werden im Koalitionsvertrag kaum adressiert. Die steuerliche Bevorzugung von Überstunden bei Menschen in Vollzeit dürfte die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen eher vergrößern.
Und als Fünftes dürften auch regionale Ungleichheiten tendenziell größer werden. Die steuerliche Förderung insbesondere von Industrieunternehmen kommt vor allem dem ohnehin schon reichen Süden Deutschlands zugute, wie auch die stärkere Förderung von Innovation, Digitalisierung und KI. Der Rückzug aus manchen Klimaprojekten dürfte eher strukturschwachen Regionen im Osten und Norden schaden. Zudem gibt es kaum spezifische Ost-Förderprogramme.
Die Konsequenz ist, dass soziale Mobilität und Chancengleichheit eher ab- als zunehmen werden. Kaum ein Koalitionsvertrag der letzten Jahrzehnte war so stark auf die Zementierung und Verstärkung des Status quo ausgerichtet wie dieser. Und dies betrifft die Prioritäten der Union genauso wie die der SPD. Beide scheinen vor allem ihre eigene Wählerklientel bedienen und schützen zu wollen – dabei handelt es sich um ältere Menschen mit mittleren bis besseren Einkommen. Nicht mehr, sondern weniger soziale Mobilität und Chancengleichheit dürften unweigerlich das Resultat sein.
Daher ist dieser Koalitionsvertrag riskant. Wenn ein wirtschaftlicher Kurswechsel mit starkem Wachstum und Wohlstandsgewinn in den kommenden Jahren nicht vollzogen wird, dann dürfte nicht nur die Ungleichheit zunehmen, sondern Menschen mit mittleren und geringen Einkommen werden absolut an Wohlstand und Lebensqualität verlieren. Dies wird nicht nur die soziale Polarisierung verschärfen, sondern auch die Demokratie weiter schwächen – und noch mehr Wähler in die Arme der AfD treiben.
Themen: Öffentliche Finanzen , Ungleichheit , Verteilung