Die Lehre aus der Erfahrung mit dem Mindestlohn ist, die notwendige Transformation nicht zu blockieren, sondern zu unterstützen und aktiv einzufordern. Und hier liegt ein grundlegender Fehler vieler Gewerkschaften heute: Sie wollen alte Strukturen zementieren und legen ihre Priorität auf Beschäftigungsgarantien. Diese Strategie mag kurzfristig mehr Stabilität gewährleisten, aber langfristig ist sie aus zwei Gründen eher kontraproduktiv. Erstens führt ein Verbleib von Beschäftigten in Unternehmen, die an Wettbewerbsfähigkeit und Marktmacht verloren haben, gesamtwirtschaftlich zu weniger Produktivität und damit zu geringeren Löhnen und Einkommen.

Der zweite Grund ist die steigende Gefahr von großen Arbeitsplatzverlusten in der Zukunft. Die Wahl für Volkswagen heute ist nicht zwischen einem Abbau der Beschäftigung um 15 Prozent oder der Beibehaltung des Status quo. Sondern die Wahl ist zwischen einem Abbau von 15 Prozent der Beschäftigung heute oder einem Abbau von vielleicht 30 oder 40 Prozent Beschäftigung in fünf Jahren. Oder schlimmer noch: Viele Industrieunternehmen werden in den kommenden zehn Jahren pleitegehen und aus dem Markt verschwinden, wenn sie zu lange am Status quo festhalten und sich dadurch im Markt nicht mehr behaupten können.