Armutsrisiko stagniert, ist aber bei Menschen mit Migrationshintergrund und Erwerbslosen weiterhin hoch

DIW Wochenbericht 42 / 2025, S. 663-671

Markus M. Grabka

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  • Hohe Inflation hat nach aktuellen Zahlen des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zu Kaufkraftverlusten bei Bruttostundenlöhnen und Haushaltsnettoeinkommen geführt
  • Ungleichheit von Löhnen und Niedriglohnquote stark gesunken, was vor allem an positiven Entwicklungen am unteren Ende der Lohnverteilung liegt
  • Bei Haushaltsnettoeinkommen stagnieren seit 2020 Ungleichheit und Armutsrisikoquote, beide sind in der langen Frist aber gestiegen
  • Unter Personen mit Migrationshintergrund, insbesondere Geflüchteten, und Erwerbslosen ist Armutsrisikoquote weiterhin sehr hoch
  • Um Armutsrisiko und Ungleichheit zu senken, sollten Arbeitsmarktintegration in den Fokus genommen und Transfersystem reformiert werden

„Eine verbesserte Arbeitsmarktintegration ist ein zentraler Schlüssel, um einerseits das Armutsrisiko zu bekämpfen und gleichzeitig auch die Einkommensungleichheit zu reduzieren. Außerdem sollte das Transfersystem reformiert werden, da eine Ausweitung der Arbeitszeit im unteren Einkommensbereich häufig nur mit einer geringen Erhöhung des Nettoeinkommens verbunden ist.“ Markus M. Grabka

Die hohe Inflation der vergangenen Jahre hat nach aktuellen Zahlen des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zu Kaufkraftverlusten bei Bruttostundenlöhnen und Haushaltsnettoeinkommen geführt. Die Ungleichheit bei den Löhnen ist weiter gesunken und wieder auf dem Stand des Jahres 2000. Dies liegt vor allem an den positiven Entwicklungen am unteren Ende der Lohnverteilung: Durch die wiederholten Anhebungen des Mindestlohns hat der Anteil der Beschäftigten im Niedriglohnsektor nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes mit 15,9 Prozent im Jahr 2024 einen neuen Tiefstand erreicht. Bei den verfügbaren Einkommen auf Haushaltsebene stagniert seit 2020 die Ungleichheit ebenso wie die Armutsrisikoquote, allerdings ist beides in der langen Frist gestiegen. Unter Personen mit Migrationshintergrund und insbesondere unter Geflüchteten ist die Niedrigeinkommensquote überdurchschnittlich hoch, während sie bei der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund seit mehr als zehn Jahren nahezu unverändert ist. Die Erwerbsbeteiligung hat einen maßgeblichen Einfluss auf das Armutsrisiko. Zur Reduktion der Einkommensungleichheit und des Armutsrisikos sollten sowohl die Arbeitsmarktintegration ausgewählter Zielgruppen in den Fokus genommen als auch das Transfersystem reformiert werden, um Anreize zur Ausweitung der Arbeitszeit zu setzen.

Im Zuge der in den Jahren 2021 bis 2023 stark gestiegenen Inflation ist in Deutschland auch das Thema der hohen Ungleichheiten bei Löhnen und Einkommen wieder stärker in den Fokus gerückt. In diesem Wochenbericht wird die Entwicklung der Löhne und der Haushaltsnettoeinkommen im Zeitraum 1995 bis 2023 präsentiert. Besonders berücksichtigt wird dabei die Entwicklung der Ungleichheit und des Armutsrisikos.infoDas Jahr 1995 wurde als Startjahr gewählt, da zu diesem Zeitpunkt die Transformation der ostdeutschen Wirtschaft nach der Wiedervereinigung nahezu abgeschlossen war. Hierzu werden Einkommensinformationen aus der Haushaltsbefragung des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP)infoDas SOEP ist eine repräsentative jährliche Wiederholungsbefragung privater Haushalte, die seit 1984 in Westdeutschland und seit 1990 auch in Ostdeutschland durchgeführt wird; vgl. Jan Goebel et al. (2019): The German Socio-Economic Panel (SOEP). Journal of Economics and Statistics, 239(29), 345–360 (online verfügbar, abgerufen am 13. August 2025. Dies gilt für alle Onlinequellen in diesem Bericht). Für die vorliegende Publikation wurde die Datenversionen SOEPv40.1 genutzt. herangezogen (Kasten) und durch Informationen des Statistischen Bundesamtes ergänzt.

Der vorliegende Bericht verwendet das Konzept des Bruttostundenlohns. Dieser wird auf Grundlage der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit (liegt keine vereinbarte Arbeitszeit vor, wird die geleistete Arbeitszeit herangezogen) und den Angaben zum Bruttomonatsverdienst inklusive eventueller Überstundenzahlungen des vorangegangenen Monats gebildet. Die wöchentliche Arbeitszeit wird mit dem Faktor 4,33 multipliziert, um die monatliche Arbeitszeit zu erhalten. Es wird nur der Lohn aus einer Haupttätigkeit herangezogen, Nebentätigkeiten bleiben unberücksichtigt.

Zudem wird das Haushaltseinkommen betrachtet. Dafür werden im Befragungsjahr (t) jeweils für das zurückliegende Kalenderjahr (t-1) alle Einkommenskomponenten aufsummiert und mittels einer Simulation die Steuer- und Sozialabgaben errechnet. Da aufgrund der Komplexität des deutschen Steuerrechts nicht alle steuerlichen Regelungen mit Hilfe dieses Modells simuliert werden können, ist von einer Unterschätzung der im SOEP gemessenen Einkommensungleichheit auszugehen. Schließlich werden auch fiktive Einkommensvorteile aus selbstgenutztem Wohneigentum („Imputed Rent“) zugerechnet. Zu diesen zählen Einkommensvorteile aus verbilligt überlassenem Mietwohnraum (sozialer Wohnungsbau, Werkswohnungen, Haushalte ohne Mietzahlung).

Die Haushaltsnettoeinkommen werden bedarfsgewichtet. So wird die Einkommenssituation von Haushalten unterschiedlicher Größe und Zusammensetzung – internationalen Standards entsprechend – durch die Umrechnung des gesamten Einkommens eines Haushalts in sogenannte bedarfsgewichte Einkommen (Äquivalenzeinkommen) vergleichbar gemacht.infoMehr Details zum Äquivalenzeinkommen gibt es im entsprechenden Glossar-Eintrag auf der Website des DIW Berlin (online verfügbar). Dazu werden die Haushaltseinkommen unter Verwendung einer von der OECD vorgeschlagenen und in Europa allgemein akzeptierten Skala umgerechnet: Jedem Haushaltsmitglied wird das so errechnete Äquivalenzeinkommen zugewiesen, unter der Annahme, dass alle Haushaltsmitglieder in gleicher Weise vom gemeinsamen Einkommen profitieren. Dabei erhält der Haushaltsvorstand ein Bedarfsgewicht von eins; weitere Personen haben jeweils ein Gewicht von 0,5 und Kinder bis zu 14 Jahren ein Gewicht von 0,3.

Gegenüber früheren Veröffentlichungen können die hier präsentierten Werte abweichen, zum einen aufgrund einer revidierten Gewichtung wegen neuer Randinformationen aus dem Mikrozensus und zum anderen aufgrund des längsschnittbasierten Imputationsverfahrens: Bei jeder neuen Erhebungswelle werden alle neuen Informationen genutzt, um auch rückwirkend fehlende Einkommen zu ersetzen.

Inflation bremst den Anstieg der realen Stundenlöhne

Ein Einkommen aus abhängiger Beschäftigung stellt für die Mehrheit der Bevölkerung die wichtigste Einkommensquelle dar. Daher werden hier zunächst die vereinbarten Bruttostundenlöhne von abhängig Beschäftigten in HaupttätigkeitinfoNicht berücksichtigt werden hierbei Selbstständige, Auszubildende, Praktikant*innen sowie Wehr- und Zivildienstleistende. betrachtet. Eine Darstellung nach Stunden- statt Monatslöhnen hat den Vorteil, dass Löhne unabhängig von Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung vergleichbar gemacht werden können. Es wird eine Inflationsbereinigung mittels des Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamtes vorgenommen, um Löhne über die Zeit besser vergleichbar zu machen.

Die durchschnittlichen inflationsbereinigten (realen) Bruttostundenlöhne sind im gesamten Beobachtungszeitraum zwischen 1995 und 2023 um 13 Prozent auf rund 20,80 Euro gestiegen (Abbildung 1).infoBetrachtet man die homogenere Beschäftigungsgruppe der Vollzeitbeschäftigten, so liegt ein ähnlicher Trend vor. Der reale Zuwachs fällt über den gesamten Beobachtungszeitraum mit knapp 22 Prozent aber stärker aus als bei allen Beschäftigten. Dabei lassen sich drei Phasen unterscheiden. Während die Löhne von 1995 bis 2012 unter dem Strich stagnierten, legten sie zwischen 2013 und 2021 kontinuierlich zu. Mit der hohen Inflation ab Mitte 2021 nahmen die realen Stundenlöhne im Schnitt wieder ab. Aber schon im zweiten Quartal 2022 setzte eine Trendumkehr ein: Seitdem verzeichnet der ReallohnindexinfoVgl. Reallohnindex des Statistischen Bundesamtes (online verfügbar). des Statistischen Bundesamtes neun Quartale hintereinander positive Zuwächse. Ungeachtet dieser positiven Entwicklung hat der Reallohnindex aber noch nicht wieder seinen Höchststand aus dem Jahr 2019 erreicht. Bei der Betrachtung der Lohnhöhe ist zu beachten, dass sich der Arbeitsmarkt über den gesamten Zeitraum strukturell verändert hat. Hier ist insbesondere eine zunehmende Frauenerwerbstätigkeit zu nennen, die mit einer Zunahme von Teilzeitbeschäftigten einherging.

Tiefstand beim Anteil der Beschäftigten im Niedriglohnsektor

Da die Entwicklung gemessen am Mittelwert keine Aussagen über die Entwicklung an unterschiedlichen Stellen der Verteilung zulässt, steht im Folgenden besonders der Niedriglohnsektor im Fokus. Von einem Niedriglohn spricht man, wenn Beschäftigte weniger als zwei Drittel des mittleren Lohns verdienen.infoDer mittlere Wert, auch Median genannt, teilt die Beschäftigten in zwei gleich große Gruppen. Die erste Gruppe besteht aus den Beschäftigten mit geringeren Löhnen, die anderen Gruppe aus Beschäftigten mit höheren Löhnen. Die Niedriglohnschwelle lag auf Basis der SOEP-Daten im Jahr 2023 bei rund 14,24 Euro brutto pro Stunde.

Der Anteil der Beschäftigten im Niedriglohnsektor nimmt seit 1995 einen umgekehrt U-förmigen Verlauf an (Abbildung 2). Mitte der 1990er Jahre arbeiteten nur 16 Prozent aller abhängig Beschäftigten im Niedriglohnsektor. Ende der 1990er Jahre war es erklärtes politisches Ziel, den Niedriglohnsektor auszubauen, um der damals wachsenden (Langzeit-)Arbeitslosigkeit zu begegnen. Der Niedriglohnsektor sollte den Einstieg in den Arbeitsmarkt vereinfachen und so zum Abbau der Arbeitslosigkeit beitragen. Nach verschiedenen Arbeitsmarktreformen wuchs der Niedriglohnsektor bis etwa 2007 stark und erreichte einen Höchstwert von 23,5 Prozent. Nach der Einführung des allgemeinen Mindestlohns im Jahr 2015 (inklusive wiederholter Anhebungen) ist der Niedriglohnsektor aber wieder deutlich geschrumpft. Nach Angaben des SOEP verringerte sich die Quote auf 19 Prozent im Jahr 2023. Die Angaben des Statistischen Bundesamtes reichen ein Jahr weiter. Demnach setzte sich der Trend fort und erreichte 2024 einen Tiefstand von 15,9 Prozent. In absoluten Zahlen ausgedrückt befanden sich damit im Jahr 2024 noch rund 6,3 Millionen Beschäftigte im Niedriglohnsektor.infoStatistisches Bundesamt (2025): Mindestlohn: Beschäftigungsverhältnisse mit Niedriglohn in Deutschland. Stand 6. Februar 2025 (online verfügbar).

Niedriglohnquote in Ost und West nähert sich weiter an

Das Lohnniveau in Ostdeutschland war und ist auch aktuell niedriger als in Westdeutschland. Daher kann davon ausgegangen werden, dass die Veränderung des Niedriglohnsektors sich vor allem in Ostdeutschland bemerkbar gemacht hat. Lange Zeit war der Niedriglohnsektor in Ostdeutschland deutlich größer als im Westteil des Landes (Abbildung 3). In der Spitze erhielt im Jahr 2007 mehr als ein Drittel aller abhängig Beschäftigten in Ostdeutschland eine Entlohnung unterhalb der Niedriglohnschwelle. Seitdem nahm hier die Niedriglohnquote bis 2023 nahezu kontinuierlich auf einen Wert von knapp 23 Prozent ab.

Der Trend in Westdeutschland fällt etwa anders aus: Lange Jahre stagnierte die Niedriglohnquote bei etwa 20 Prozent und ging erst ab 2022 auf nunmehr rund 18 Prozent zurück. Mit ursächlich hierfür dürfte die außerplanmäßig starke Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro im Jahr 2022 gewesen sein. Die Differenz in der Niedriglohnquote zwischen den beiden Landesteilen ist damit von in der Spitze bis zu 20 Prozentpunkten auf zuletzt weniger als fünf Prozentpunkte gesunken.

Differenziert nach Wirtschaftszweigen zeigt sich, dass die höchste Niedriglohnquote zuletzt mit etwas mehr als 50 Prozent im Gastgewerbe vorlag.infoAngaben des Statistischen Bundesamtes auf Grundlage der Verdiensterhebung (online verfügbar). Etwa 40 Prozent der Beschäftigten in der Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei erhielten Löhne unter der Niedriglohnschwelle. Auch im Bereich Kunst, Unterhaltung und Erholung lag die Niedriglohnquote bei mehr als einem Drittel. Im Gegensatz dazu fiel die Niedriglohnquote im Bereich Öffentliche Verwaltung, Verteidigung und Sozialversicherung mit 1,4 Prozent am geringsten aus. Auch in den Wirtschaftszweigen Erziehung und Unterricht, Information und Kommunikation erhielten nur rund sieben Prozent der Beschäftigten Niedriglöhne.

Ungleichheit der Stundenlöhne wieder auf dem Niveau zum Ende der 1990er Jahre

Der Niedriglohnsektor beschreibt das Ausmaß der Beschäftigung mit geringen Löhnen. Von Interesse ist aber auch, wie sich die Lohnverteilung an ihren beiden Enden und damit die Ungleichheit über die Zeit hinweg verändert haben. Hierzu wird das 90:10-Perzentilverhältnis herangezogen. Dieses beschreibt das Verhältnis der Person mit dem geringsten Verdienst aus dem 90. PerzentilinfoBei Perzentilen werden die Beschäftigten nach der Höhe der Löhne sortiert und in 100 gleichgroße Gruppen eingeteilt. zu der Person mit dem höchsten Verdienst aus dem 10. Perzentil. Mitte der 1990er Jahre nahm dieses Ungleichheitsmaß einen Wert von etwa 3,2 an (Abbildung 4). Dies bedeutet, dass Beschäftigte am oberen Rand einen mehr als drei Mal höheren Stundenlohn erhielten als Beschäftigte am unteren Ende der Verteilung. Seit 1997 nahm die Ungleichheit der Löhne deutlich zu und erreichte im Jahr 2011 mit einem Wert von vier einen Höchststand. Seitdem hat eine Trendumkehr eingesetzt: Im Jahr 2023 wurde ein Wert von 3,3 erreicht, was einer Lohnungleichheit wie zum Ende der 1990er Jahre entspricht.infoAuch das Statistische Bundesamt berichtet auf Grundlage der Verdiensterhebung für den Zeitraum 2014 bis 2024 über eine rückläufige Lohnungleichheit. Vgl. Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 6. Februar 2025: 1,3 Millionen weniger Niedriglohnjobs von 2014 bis 2024 (online verfügbar).

Beschäftigte im untersten Dezil erhalten seltener Sonderzahlungen

Neben dem regulären monatlichen Lohn erhalten manche Beschäftigte weitere Lohnbestandteile, die je nach Position in der Lohnverteilung unterschiedlich relevant sein können. Im SOEP werden sechs verschiedene Sonderzahlungen abgefragt. Dies sind ein 13. oder 14. Monatsgehalt, Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Prämien (wie Inflationsausgleichsprämien) oder Boni und sonstige Sonderzahlungen. 41 Prozent aller Beschäftigten erhielten im Jahr 2022 mindestens eine Sonderzahlung, wobei das Weihnachtsgeld von gut einem Fünftel der Befragten am häufigsten genannt wurde. Ein 14. Monatsgehalt erhielt dagegen nur knapp ein Prozent der Beschäftigten. Bei denjenigen mit Sonderzahlungen lagen diese im Jahr 2022 im Durchschnitt bei 4380 Euro (am Median 2270 Euro). Im Verhältnis zum Jahreslohn machten Sonderzahlungen bei dieser Gruppe von Beschäftigten damit einen Anteil von etwa sieben Prozent aus. Gegenüber 1995 hat sich dieser Anteil nicht nennenswert verändert.

Allerdings variierte die Häufigkeit von Sonderzahlungen über die Verteilung der Jahreslöhne hinweg. Mit der Lohnhöhe nahm auch die Häufigkeit von Sonderzahlungen zu (Abbildung 5). Während im untersten Dezil im Jahr 2022 nur elf Prozent der Beschäftigten Sonderzahlungen erhielten, stieg dieser Wert auf 39 Prozent im fünften Dezil bis hin zu 50 Prozent im obersten Dezil.

Im Vergleich zum Jahr 1995 wurden über die gesamte Lohnverteilung hinweg Sonderzahlungen seltener gewährt. In der unteren Hälfte der Lohnverteilung hat die Zahlung von Sonderzahlungen um etwa zehn Prozentpunkte abgenommen, während im zehnten Dezil der Rückgang mit 22 Prozentpunkten deutlich stärker ausfiel.infoDifferenziert nach Arbeitsumfang zeigt sich, dass im Jahr 2022 Vollzeitbeschäftigte 24 Prozentpunkte weniger Sonderzahlungen als im Jahr 1995 erhielten; bei Teilzeitbeschäftigten betrug der Rückgang 17 Prozentpunkte, bei geringfügig oder unregelmäßig Beschäftigten 13 Prozentpunkte. Dies wirkte sich dämpfend auf die Ungleichheit der Löhne aus und bekräftigte das Bild einer rückläufigen Lohnungleichheit der Stundenlöhne.

Inflation bremst auch den Anstieg der realen Haushaltsnettoeinkommen

Neben Löhnen beziehen die privaten Haushalte weitere Einkommen wie staatliche Transfers, Kapitaleinkommen oder Alterseinkommen. Addiert man alle EinkommensarteninfoInklusive fiktiver Einkommensvorteile aus selbstgenutztem Wohneigentum und verbilligt überlassenem Wohnraum. auf, so erhält man nach Abzug von direkten Steuern und Sozialabgaben das Haushaltsnettoeinkommen. Um Skaleneffekte des gemeinsamen Wirtschaftens zu berücksichtigen, wird eine Bedarfsgewichtung vorgenommen. Ferner findet zwecks Vergleichbarkeit der Kaufkraft über die Zeit eine Inflationsbereinigung statt (Kasten).infoVgl. den Glossar-Eintrag zum Äquivalenzeinkommen auf der Website des DIW Berlin (online verfügbar). Da bei jeder neuen Erhebung auch die Daten der Vorjahre revidiert und gegebenenfalls um bis dahin fehlende Daten ergänzt werden, kann es zu Abweichungen von vorherigen Wochenberichten zur Einkommensverteilung kommen.infoMarkus M. Grabka (2025): Einkommensverteilung: Anzeichen für Trendbruch beim Armutsrisiko – Alleinerziehende seltener von Armut bedroht. DIW Wochenbericht Nr. 8, 103–113 (online verfügbar, abgerufen am 10. Oktober 2025). In der Bedarfsgewichtung werden auch Kinder und nicht erwerbstätige Haushaltsmitglieder berücksichtigt, so dass sich die folgenden Analysen nun auf die gesamte Bevölkerung beziehen.

Das reale bedarfsgewichtete Haushaltsnettoeinkommen ist seit 1995 bis zum Jahr 2021 im Schnitt um 34 Prozent gestiegen (Abbildung 6). Die Inflation im Jahr 2021/22 führte im Beobachtungszeitraum zum stärksten Rückgang der Realeinkommen. Im Ergebnis lagen die Haushaltsnettoeinkommen im Jahr 2022 aber immer noch 28 Prozent höher als 1995.

Ungleichheit der Markteinkommen stagniert

Das Ausmaß an Einkommensungleichheit lässt sich auch mit zusammenfassenden Ungleichheitsmaßen beschreiben. Ein internationaler Standardindikator ist der Gini-Koeffizient.infoVgl. den Glossar-Eintrag zum Gini-Koeffizienten auf der Website des DIW Berlin (online verfügbar). Dieser nimmt den Wert Null bei vollkommener Gleichverteilung an und einen Wert von Eins bei vollständiger Ungleichverteilung. Zunächst wird die Ungleichheit der Haushaltsmarkteinkommen betrachtet. Dies sind die Bruttoeinkommen, die die Haushalte vor staatlicher Umverteilung erzielen. Diese setzen sich neben dem Erwerbseinkommen aus den Kapitalerträgen, privaten erhaltenen Transfers und privaten Renten zusammen. Der Gini-Koeffizient der Markteinkommen in Deutschland lag 1995 bei knapp 0,46 und stieg bis zum Jahr 2002 auf rund 0,5 (Abbildung 7). Daran schließt eine 20-jährige Phase an, in der dieses Ungleichheitsmaß faktisch unverändert blieb.

Nach staatlicher Umverteilung, also gemessen an den Haushaltsnettoeinkommen, fällt der Gini-Koeffizient deutlich kleiner aus. Im Jahr 2022 lag dieser Wert bei rund 0,31, was im internationalen Vergleich dem Durchschnitt der OECD-Länder entspricht.infoVgl. OECD: Income distribution database. Letzte Aktualisierung vom 16. Juni 2025 (online verfügbar). In der langen Frist ist die Ungleichheit etwas gestiegen. Dies lag vor allem an vier Jahren, in denen der Gini-Koeffizient um mehr als 2,5 Prozent zugenommen hat. Dies waren die Jahre 2000, 2002, 2005 und 2019. In allen anderen Jahren waren die Veränderungen kleiner oder sogar negativ. Die Ungleichheit der Haushaltsnettoeinkommen hat vor allem zur Zeit der rot-grünen Bundesregierung 1998 bis 2005 zugenommen, als es unter anderem zu einer politisch motivierten Ausweitung des Niedriglohnsektors zwecks Senkung der hohen Arbeitslosigkeit sowie zu einer Absenkung des Spitzensteuersatzes kam. Beide Aspekte wirkten sich direkt auf die Einkommensverteilung aus.

Niedrigeinkommensquote stagniert seit vier Jahren

Im Folgenden soll ein Fokus auf den unteren Bereich der Einkommensverteilung gelegt werden. Die Niedrigeinkommensquote oder auch Armutsrisikoquote beschreibt den Anteil der Personen, die über weniger als 60 Prozent des Medians der Haushaltsnettoeinkommen verfügen.infoDie Armutsrisikoquote ist wiederholt kritisiert worden. Als eindimensionales Maß, das sich rein an der Höhe des Einkommens orientiert, lässt es das private Vermögen vollständig außer Acht. Zudem haben Änderungen des allgemeinen Wohlfahrtsniveaus keinen Einfluss auf die Höhe der Quote. Auf Grundlage der SOEP-Daten lag die Niedrigeinkommensschwelle im Einkommensjahr 2022 für einen Einpersonenhaushalt bei nominal 1419 Euro.

Die Niedrigeinkommensquote ist in der langen Frist gestiegen. Während 1995 nur elf Prozent der Bevölkerung unter diese Schwelle fielen, lag der entsprechende Anteil im Jahr 2019 bei 17,5 Prozent (Abbildung 8). Seitdem stagniert er und bestätigt damit den im letzten Verteilungsbericht beschriebenen Trendbruch des Armutsrisikos in Deutschland.infoGrabka (2025), a.a.O. Alternative Datenquellen wie der Mikrozensus oder der deutsche Teil des Surveys European Union Statistics on Income and Living Conditions (EU-SILC) weisen zunächst ebenfalls einen steigenden Trend auf, eine Stagnation ist beim Mikrozensus aber erst ab 2021 zu erkennen. Bei EU-SILC setzte nach 2018 eine erratische Entwicklung ein.infoSowohl der Mikrozensus als auch der deutsche Teil von EU-SILC sind über die Zeit hinweg nur eingeschränkt vergleichbar, da es verschiedene methodische Brüche gab, vgl. Statistisches Bundesamt (2021): Hinweise zu methodischen Effekten in den Zeitreihen des Mikrozensus (online verfügbar).

Niedrigeinkommen stark von Migration beeinflusst

Eine der Ursachen für den langfristigen Anstieg der Niedrigeinkommensquote liegt in demografischen Veränderungen, insbesondere durch Migration. Zwischen 2010 und 2024 hat sich die Zahl der ausländischen Bevölkerung auf nun 14 Millionen Personen mehr als verdoppelt.infoVgl. auf der Website des Statistischen Bundesamtes (2024): Ausländische Bevölkerung nach Bundesländern und Jahren (online verfügbar). Da Migrant*innen nach Ankunft in Deutschland unter anderem mit Sprachproblemen oder der Anerkennung von Berufsabschlüssen zu kämpfen haben, liegen deren Erwerbsquoten unter denen der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Entsprechend fällt deren Niedrigeinkommensquote überdurchschnittlich hoch aus.infoZudem ist der Anteil der Migrant*innen mit Bezug von Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung überdurchschnittlich hoch, hierunter auch die Gruppe der Ukrainer*innen, vgl. Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 28. März 2025: 4,1 Prozent mehr Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Ende 2024 (online verfügbar). Dies gilt insbesondere für Geflüchtete (Abbildung 9). Deren Niedrigeinkommensquote lag in der Spitze bei knapp 70 Prozent und ist zuletzt leicht auf rund 64 Prozent gesunken. Hier dürfte sich die zunehmende Arbeitsmarktintegration positiv ausgewirkt haben.infoVgl. Herbert Brücker et al. (2024): Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten. Verbesserte institutionelle Rahmenbedingungen fördern die Erwerbstätigkeit. IAB-Kurzbericht Nr. 10 (online verfügbar). Personen mit direktem Migrationshintergrund, die aber keine Geflüchteten sind (unter anderem EU-Binnenmigrant*innen), haben eine deutlich geringere Niedrigeinkommensquote. Hier lag der Wert im Jahr 2022 bei rund 26 Prozent und ist im Vergleich zu 1995 um mehr als acht Prozentpunkte gestiegen. Personen mit indirektem Migrationshintergrund – mindestens ein Elternteil ist nach Deutschland zugewandert – haben eine nahezu vergleichbare Niedrigeinkommensquote. Unter der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund fiel die Quote am niedrigsten aus. Am aktuellen Rand lag der Wert bei knapp 13 Prozent. Seit mehr als zehn Jahren hat sich diese Quote kaum geändert.

Auch Arbeitsmarktbeteiligung entscheidend

Die Arbeitsmarktintegration spielt eine bedeutende Rolle, um Armut zu bekämpfen. Daher lohnt ein Blick auf die Niedrigeinkommensquote in Abhängigkeit von der Zahl der Erwerbstätigen im Haushalt (Abbildung 10).infoDa Erwerbstätigkeit im höheren Lebensalter keine Rolle spielt, werden nur Haushalte betrachtet, in denen mindestens eine Person im erwerbsfähigen Alter lebt. Hier zeigt sich das Bild, dass die ohnehin hohe Niedrigeinkommensquote bei Erwerbslosigkeit am stärksten über die Zeit gestiegen ist: von 36 Prozent Mitte der 1990er Jahre auf mehr als 70 Prozent am aktuellen Rand.infoDies war unter anderem der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und der Einführung des Arbeitslosengelds II geschuldet. War zumindest eine Person im Haushalt erwerbstätig – unabhängig von der geleisteten Arbeitszeit –, lag die Niedrigeinkommensquote mit zuletzt 26 Prozent deutlich niedriger (nach 14,5 Prozent im Jahr 1995). Hierunter befinden sich auch Haushalte von Alleinerziehenden, die häufig eine Teilzeitbeschäftigung ausüben und mit deren Einkommen auch der Lebensunterhalt von Kindern finanziert werden muss. Gingen mindestens zwei Personen arbeiten, war die Niedrigeinkommensquote mit fünf bis sechs Prozent am geringsten und hat sich über die vergangenen 25 Jahre kaum verändert.infoDie Erwerbsfähigkeit hängt dabei auch maßgeblich vom Gesundheitszustand ab. Liegt ein schlechter Gesundheitszustand vor, kann häufig keine Erwerbstätigkeit ausgeübt werden und somit fällt auch die Niedrigeinkommensquote mit rund 33 Prozent überdurchschnittlich hoch aus. Hat eine Person dagegen einen guten oder sehr guten Gesundheitszustand, beträgt die Quote knapp 15 Prozent. Zudem kann Armut auch krank machen, womit eine wechselseitige Beziehung vorliegt, vgl. Markus M. Grabka (2024): Gesundheitliche Ungleichheit: Mehr als „Arme müssen früher sterben“?! In: Weil Du arm bist, musst Du früher sterben? Studie zur gesundheitlichen Ungleichheit in Deutschland und was jetzt zu tun ist. Die LINKE, Fraktionsvorsitzendenkonferenz Brandenburg (online verfügbar).

Fazit: Arbeitsmarktintegration verbessern

Sowohl die Bruttolöhne als auch die Haushaltsnettoeinkommen haben inflationsbereinigt in der langen Frist deutlich zugelegt. Die seit dem Sommer 2021 stark gestiegene Inflation hat diesen langjährigen Anstieg gebremst. Jedoch zeigen sich andere positive Entwicklungen. So ist die Niedriglohnquote wieder auf den Stand des Jahres 2000 gesunken. Die verschiedenen Arbeitsmarktreformen scheinen Wirkung zu zeigen – insbesondere in Ostdeutschland. Parallel dazu hat auch die Ungleichheit der Stundenlöhne deutlich abgenommen, was vor allem der Einführung des allgemeinen Mindestlohns und dessen wiederholten Erhöhungen zu verdanken ist.

Anders verhält es sich mit der Ungleichheit der Haushaltsnettoeinkommen, die in der langen Frist zugenommen hat. Am unteren Rand der Verteilung der Nettoeinkommen zeigt sich ein zunehmendes Armutsrisiko. Dies ist unter anderem das Ergebnis hoher Migrationszahlen. Personen mit direktem Migrationshintergrund haben häufig Probleme, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Ebenso zeigt sich, dass Haushalte ohne oder mit geringer Erwerbsbeteiligung ein hohes Armutsrisiko aufweisen.

Eine verbesserte Arbeitsmarktintegration ist daher ein zentraler Schlüssel, um einerseits das Armutsrisiko zu bekämpfen und gleichzeitig auch die Einkommensungleichheit zu reduzieren. Zielgruppen sind neben Migrant*innen unter anderem auch Alleinerziehende, Personen ohne Bildungsabschluss und Familien mit drei und mehr Kindern. Des Weiteren sollte das Transfersystem reformiert werden, da eine Ausweitung der Arbeitszeit im unteren Einkommensbereich häufig nur mit einer geringen Erhöhung des Nettoeinkommens verbunden ist. Der Grund ist, dass unterschiedliche Transfers wie Grundsicherung, Kinderzuschlag und Wohngeld unzureichend aufeinander abgestimmt sind und sogenannte Transferentzugsraten zum Teil deutlich über 50 Prozent liegen.infoDie Transferentzugsrate gibt an, um wieviel Transferleistungen gekürzt werden, wenn das eigene Einkommen zunimmt. Vgl. auch Andreas Peichl et al. (2023): Zur Reform der Transferentzugsraten und Verbesserung der Erwerbsanreize – Kurzversion. Forschungsbericht 629 K. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (online verfügbar).

Markus M. Grabka

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel



JEL-Classification: D31;I31;I32;J31
Keywords: Wages, working poor, household Income, poverty, SOEP
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2025-42-1

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