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Industriepolitik der Bundesregierung würde deutsche Exportunternehmen gefährden

Medienbeitrag vom 6. März 2019

Bundeswirtschaftsminister Altmaier hat mit seiner „Nationalen Industriestrategie 2030“ viel Widerspruch geerntet. Die damit ausgelöste Debatte ist aber willkommen und längst überfällig. Denn in einer immer globalisierteren und gleichzeitig durch immer weniger Multilateralismus geprägten Welt stellen sich viele wichtige Fragen. Aber statt mehr Protektionismus und staatlicher Eingriffe, sind mehr Wettbewerb, Innovation und eine Stärkung des europäischen Binnenmarkts die richtigen Antworten.

Eine kritische Bestandsaufnahme zeigt, dass Deutschland und Europa in wichtigen Zukunftsbereichen abgehängt sind. In vielen neuen Technologiebereichen geben US-amerikanische und zunehmend asiatische Unternehmen den Takt an. Die Produkte und Geschäftsmodelle vieler Zukunftstechnologien, insbesondere in Plattformmärkten, bedeuten, dass nur große Unternehmen mit globaler Reichweite erfolgreich sein können und zudem Märkte mit nur wenigen Wettbewerbern entstehen. Europa braucht Champions in diesen Märkten, damit Produktivität und Wertschöpfungsketten mit guten Jobs auch in Europa entstehen können. Strittig ist, wie diese Champions entstehen sollen.

Die vielleicht noch wichtigere Frage lautet: Welche Industriepolitik müssen Europa und Deutschland betreiben, um im Systemwettbewerb mit China und den USA bestehen zu können? Denn vor allem China spielt nach anderen Regeln, die wir Europäerinnen und Europäer als unfair empfinden mögen. Eigentumsrechte, Datenschutz, ethische Grundsätze, Produktionsstandards und Konsumentenschutz haben dort einen viel geringeren Stellenwert als bei uns. Auch in den USA gelten andere Regeln und Standards, wie die TTIP-Verhandlungen und die Aufregung um Chlorhühnchen gezeigt haben. Die wettbewerbspolitischen Regeln wurden dort in den vergangenen Jahren weniger konsequent durchgesetzt als in Europa, was teilweise in einer höheren Marktkonzentration resultiert, siehe Google oder Facebook.

Wie kann Europa diesen Systemwettbewerb erfolgreich bestehen? Die kurze Antwort ist: nicht mit mehr Protektionismus und auch nicht, indem Europa die eigenen Stärken und Grundsätze aufgibt und sich den anderen anpasst. So will die Industriestrategie der Bundesregierung bestehende, große Unternehmen beschützen, den Wettbewerb beschneiden, Wertschöpfungsketten nationalisieren und einen fixen Industrieanteil an der Wertschöpfung festlegen. Die Politik soll in Zukunft ein Veto bei Unternehmensfusionen haben.

All dies würde sich im besten Falle als ineffektiv herausstellen, könnte sogar kontraproduktiv sein. Denn es würde unser Wirtschaftsmodell grundlegend verändern und die großen Erfolge deutscher Exportunternehmen gefährden. Gerade das deutsche Modell basiert stark auf hoch wettbewerbsfähigen, innovativen mittelständischen Unternehmen, die über die Jahrzehnte Dutzende von „hidden champions“ hervorgebracht haben und von einer solchen Industriestrategie bedroht wären.

Wie sieht eine erfolgreiche Industriestrategie der Zukunft aus? Fünf Elemente sind entscheidend. Erstens muss ein wirklich pan-europäischer Markt geschaffen werden, der denen der USA und China in Größe und Leistungsfähigkeit in nichts nachsteht. Dies erfordert dringend eine Vollendung des europäischen Binnenmarktes für Dienstleistungen sowie des digitalen Binnenmarktes. Es ist richtig, dass amerikanische und chinesische Unternehmen sehr stark von großen nationalen Märkten profitieren. Gerade deshalb kann die richtige Antwort nicht eine nationale, rein deutsche Industriestrategie sein, sondern eine Vereinheitlichung von Standards und Regeln in der EU, sodass ein Berliner Start-Up eben nicht nur den (kleinen) deutschen Markt, sondern einen großen europäischen Markt hat, um sich zu etablieren.

Zum zweiten brauchen wir eine europäische Kapitalmarktunion, in der Unternehmen Risiken diversifizieren können und Zugang zu günstiger Finanzierung haben. Hierzu gehört eine Vereinheitlichung von steuerlichen Rahmenbedingungen und eine Aufhebung der Schlechterstellung von Eigenkapital gegenüber Fremdkapital. Innovation ist mit enormen finanziellen und unternehmerischen Risiken verbunden. Zukunftsunternehmen werden nur dann in Europa entstehen, wenn sich dieses Risiko auch lohnt.

Anstelle seinen eigenen Markt abzuschotten, muss Europa drittens die USA und China dazu bringen, gemeinsame Regeln zu entwickeln und anzuwenden. Die EU gewährt chinesischen und US-amerikanischen Unternehmen leichter Zugang zum EU-Binnenmarkt, als es diese beiden Länder mit europäischen Unternehmen tun. Die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat dies oft genug bemängelt, diese Woche hat der französische Präsident Emmanuel Macron diesen Missstand aufgegriffen.

Vestager fordert richtigerweise, dass die EU konsequenter als bisher auf Symmetrie pocht und Zugang zu ihrem Markt nur dann gewährt, wenn man sich auf gemeinsame Spielregeln einig wird. Nur so kann die EU langfristig ihr Wirtschaftsmodell schützen und global erfolgreich bleiben. Die EU muss ihre Handelspolitik, öffentliche Ausschreibungen, Direktinvestitionen und Regulierung dafür konsequenter nutzen.

Grundlagenforschung muss gestärkt werden

Ein viertes Element sind öffentliche Investitionen in Forschung und Entwicklung, insbesondere in der Grundlageforschung. Hier hat es sich als durchaus erfolgreich erwiesen, vor allem auf private Innovationen zu setzen. Gleichzeitig müssen deutlich mehr öffentliche Investitionen in Innovation fließen, und zwar so, dass sie nicht zu Mitnahmeeffekten führen, sondern einen möglichst breiten Impuls für große und kleine Unternehmen in ganz Europa setzen.

Eine kluge öffentliche Innovationspolitik fördert die Grundlagenforschung erheblich stärker als bisher, indem sie exzellente Institutionen an Universitäten und außeruniversitären Einrichtungen hervorbringt, so wie dies in den USA und zunehmend in China der Fall ist. Zudem kann der Staat die Stärkung von regionalen Technologieclustern fördern, wo öffentliche und private Einrichtungen voneinander profitieren. Das ist beispielsweise im Mikroelektronik-Cluster „Silicon Saxony“ gelungen.

Das fünfte, vielleicht problematischste Element ist, wie der Staat mit sogenannten Schlüsselindustrien umgehen soll. Sektoren als systemisch relevant für die Zukunft zu identifizieren und zu fördern, ist eine gefährliche Strategie. Während sie in wenigen Fällen - Stichwort Airbus — aufgehen kann, weiß der Staat eben häufig nicht, welche Sektoren und Unternehmen erfolgreich sein werden. Die Gewinner stehen meist am Ende eines Marktprozesses fest, ohne dass man dies hätte voraussagen können.

Der Staat kann aber durchaus eine gewisse Technologie durch wettbewerbsorientierte Mechanismen fördern. Eine „öffentliche Beschaffung von Innovationen“ – etwa bei der vor-kommerziellen Auftragsvergabe für innovative Projekte in gesellschaftlichen relevanten Bereichen (z.B. grüne Technologien oder im Gesundheitswesen) – könnte hierbei ein zielführendes Instrument sein.

Das europäische Modell ist ein Zukunftsmodell

Die Diskussion um eine europäische Industriestrategie ist wichtig und zeitgemäß. Denn Europa wird in wichtigen Zukunftstechnologien immer stärker abgehängt. Das europäische Modell, das hohen Wert auf Wettbewerb, Dezentralisierung und private Innovation legt, ist nicht nur die Grundlage unseres wirtschaftlichen Wohlstands, es ist auch ein Zukunftsmodell.

Deshalb darf die europäische Antwort auf den Systemwettbewerb mit China und den USA nicht eine Abkehr von diesem Modell und eine Wendung hin zu Protektionismus sein. Mehr Multilateralismus durch eine Verhandlung auf Augenhöhe mit China und den USA, eine stärkere Integration und Vollendung des Binnenmarkts in Europa, eine konsequent durchgesetzte Wettbewerbspolitik und eine kluge Innovationspolitik sind die richtigen Antwort in einer immer globaleren, technologiegetriebenen Welt.

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