Direkt zum Inhalt

Geschlechterquoten im europäischen Vergleich: Harte Sanktionen bei Nichteinhaltung sind am wirkungsvollsten

DIW Wochenbericht 38 / 2019, S. 691-698

Paula Arndt, Katharina Wrohlich

get_appDownload (PDF  0.57 MB)

get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF  4.08 MB)

  • Studie vergleicht Frauenanteile in höchsten Kontroll- beziehungsweise Entscheidungsgremien großer Unternehmen in ausgewählten europäischen Ländern
  • Länder, die eine Geschlechterquote mit harten Sanktionen eingeführt haben, konnten Frauenanteil in Spitzengremien am stärksten steigern
  • Moderate Sanktionen wie der „leere Stuhl“ in Deutschland haben deutlich geringere Wirkung
  • Freiwillige Selbstverpflichtungen oder sanktionslose Geschlechterquoten bringen wenig
  • Erkenntnisse sollten bei möglicher Einführung von Quotenregelungen für andere Bereiche wie Politik, Wissenschaft und Medien berücksichtigt werden

„Jenseits der Spitzengremien in der Privatwirtschaft gibt es Bereiche, etwa Politik, Wissenschaft und Medien, für die viele Länder auf Freiwilligkeit setzen, wenn es um einen höheren Frauenanteil geht. Unsere Analyse zeigt, dass man von solchen freiwilligen Empfehlungen nicht besonders viel erwarten sollte.“ Katharina Wrohlich

Noch immer sind Frauen in Spitzengremien der Privatwirtschaft deutlich unterrepräsentiert. Um dem entgegenzuwirken, haben in den vergangenen Jahren mehrere europäische Länder gesetzliche Geschlechterquoten eingeführt. Andere bauen – zumindest bisher – auf bloße Empfehlungen zu Gender Diversity in den nationalen Leitlinien zur Unternehmensführung. Wie ein deskriptiver Vergleich der Entwicklung des Frauenanteils in den höchsten Kontroll- beziehungsweise Entscheidungsgremien der größten börsennotierten Unternehmen in europäischen Ländern zeigt, sind gesetzlich verbindliche Geschlechterquoten das deutlich wirksamere Mittel. Das gilt umso mehr, wenn den Unternehmen bei Nichteinhaltung der gesetzlichen Geschlechterquote harte Sanktionen wie Strafzahlungen oder sogar die Auflösung des Unternehmens drohen. Dies legt nahe, dass von freiwilligen Selbstverpflichtungen oder gesetzlichen Regelungen ohne harte Sanktionen keine bedeutenden Steigerungen des Frauenanteils in Spitzenpositionen zu erwarten sind. Dies sollte auch mit Blick auf andere Bereiche, für die derzeit Quoten diskutiert werden, etwa Politik, Wissenschaft oder Medien, beachtet werden.

Frauen sind in Spitzengremien der Wirtschaft nach wie vor stark unterrepräsentiert – in Deutschland, in Europa und auch weltweit. In den Aufsichtsräten der 200 umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland lag der Frauenanteil zuletzt bei knapp 27 Prozent, in den Vorständen sogar nur bei neun Prozent.infoVgl. Elke Holst und Katharina Wrohlich (2019): Frauenanteile in Aufsichtsräten großer Unternehmen in Deutschland auf gutem Weg – Vorstände bleiben Männerdomänen. DIW Wochenbericht Nr. 3, 19–34 (online verfügbar; abgerufen am 4. September 2019. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Auch in anderen Bereichen wie Politik, Wissenschaft und Medien sind Frauen nach wie vor seltener vertreten als Männer. So beträgt beispielsweise der Frauenanteil unter den Abgeordneten im Deutschen Bundestag aktuell 31,2 Prozent;infoVgl. Deutscher Bundestag (2019): Abgeordnete: Frauen und Männer (online verfügbar). Für eine ausführliche Darstellung des Frauenanteils im Deutschen Bundestag, den Landtagen und auf kommunaler Ebene im Lauf der Zeit siehe Daniela Arregui Coka, Ronny Freier und Johanna Mollerstrom (2017): Genderparität in der deutschen Politik: Weitere Bemühungen nötig. DIW Wochenbericht Nr. 37, 763–771 (online verfügbar). an den größten deutschen Hochschulen liegt der Anteil der Professorinnen bei 23 Prozent.infoVgl. Stefan Schmidt (2018): Gender-Debatte an Hochschulen: An diesen Unis arbeiten die meisten Professorinnen. Pressemitteilung der WBS Gruppe (online verfügbar).

In den vergangenen Jahren hat die Aufmerksamkeit für dieses Thema stark zugenommen. Beispiele dafür sind die Berichterstattungen zum „Thomas-Kreislauf“ oder zur „Hans-Bremse“.infoEine Studie der AllBright-Stiftung konnte zeigen, dass es im Jahr 2017 in den Vorständen der DAX-Unternehmen mehr Personen, die Thomas oder Michael heißen (49), gab als Frauen (46), vgl. AllBright (2017): Ein ewiger Thomas-Kreislauf? Wie deutsche Börsenunternehmen ihre Vorstände rekrutieren (online verfügbar). In ähnlicher Weise dokumentierte die Wochenzeitschrift Die Zeit im Jahr 2018, dass es seit 1949 mehr beamtete Staatssekretäre mit dem Vornamen Hans gab als Frauen, vgl. Kai Biermann, Astrid Geisler, Karsten Polke-Majewski und Sascha Venohr (2018): Die Hans-Bremse. Zeit Online vom 8. Oktober 2018 (online verfügbar). Durch diese öffentliche Debatte steigt seit einigen Jahren der Druck auf die Politik, den Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern in Führungspositionen entgegen zu wirken. Viele Länder in Europa haben gesetzlich verbindliche Geschlechterquoten für Spitzengremien in der Wirtschaft eingeführt. Deutschland hat dazu im Jahr 2015 das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (FüPoG) verabschiedet.infoEine ausführliche Beschreibung der Entstehungsgeschichte des FüPoG findet sich in Norma Burow, Alexandra Fedorets und Anna Gibert (2018): Frauenanteil in Aufsichtsräten steigt, weitere Instrumente für die Gleichstellung gefragt. DIW Wochenbericht Nr. 9, 150–155 (online verfügbar). Auch für andere Bereiche werden ähnliche Quoten gefordert, beispielsweise für Führungspositionen in deutschen Medien,infoVgl. Pro Quote (2018): Wir legen die Latte höher: 50 Prozent! (online verfügbar). in der WissenschaftinfoVgl. Deutscher Bundestag (2012): Frauen in Wissenschaft und Forschung – Mehr Verbindlichkeit für Geschlechtergerechtigkeit. Drucksache 17/9978 vom 13. Juni 2012 (online verfügbar). oder in der Medizin.infoVgl. Pro Quote Medizin: Was wir wollen – Offener Brief „Pro Quote in der Medizin“ (online verfügbar). Auch für die Politik werden Geschlechterquoten seit längerem diskutiert. Als erster deutscher Landtag hat Brandenburg im Januar 2019 das sogenannte Paritätsgesetz verabschiedet. Dieses sieht vor, dass alle Parteien, die an der Landtagswahl 2024 teilnehmen wollen, ihre Kandidatenlisten abwechselnd mit Männern und Frauen besetzen müssen.infoVgl. Tagesspiegel (2019): Brandenburg beschließt Gesetz für mehr Frauen im Landtag. Tagesspiegel Online vom 31. Januar 2019 (online verfügbar). Auch in Thüringen wurde im Juli 2019 ein solches Gesetz für den Landtag beschlossen.infoVgl. Spiegel Online (2019): Thüringer Landtag beschließt Paritätsgesetz. Spiegel Online vom 5. Juli 2019 (online verfügbar). In einigen europäischen Ländern (darunter Belgien, Frankreich, Portugal, Spanien und Slowenien) gelten Gesetze zu Geschlechterquoten für Kandidatenlisten auch auf nationaler Ebene.infoVgl. Deutscher Bundestag (2018): Geschlechterparität in nationalen Parlamenten der EU-Staaten. Wissenschaftliche Dienste, Ausarbeitung WD 1 -3000 -016/18 (online verfügbar).

Zehn europäische Länder haben gesetzliche Geschlechterquoten eingeführt

In den zurückliegenden 16 Jahren haben zehn europäische Länder eine gesetzliche Geschlechterquote für die höchsten Kontroll- und/oder EntscheidungsgremieninfoNicht alle europäischen Länder haben ein dualistisches System, bei dem wie in Deutschland (sowie Österreich) Exekutiv- und Kontrollgremium (Vorstand und Aufsichtsrat) getrennt sind. In einigen Ländern existiert ein monistisches System mit einem höchsten Entscheidungsgremium (Executive Committee), beispielsweise in Belgien und Spanien. In einer dritten Gruppe von Ländern sind beide Systeme möglich, sodass sich Firmen entweder für ein dualistisches oder ein monistisches System entscheiden können. Zu dieser Gruppe gehören beispielsweise Schweden, Frankreich und Italien. In Belgien und Spanien gilt die Geschlechterquote für das gesamte Executive Committee. Bei den Ländern mit Wahlrecht greift die Quote bei den Unternehmen, die sich für ein monistisches System entscheiden, entweder bei den nichtexekutiven Mitgliedern des obersten Entscheidungsgremiums (Frankreich) oder es richtet sich an das gesamte oberste Entscheidungsgremium (Italien). Vgl. hierzu auch Elke Holst, Anne Busch und Lea Kröger (2012): Führungskräfte-Monitor 2012. DIW Politikberatung kompakt Nr. 65, 87 (online verfügbar). bestimmter privatwirtschaftlicher Unternehmen eingeführt (Kasten und Abbildung 1). Vorreiter war Norwegen, das bereits im Jahr 2003 als weltweit erstes Land eine verbindliche Geschlechterquote für alle börsennotierten Unternehmen und Unternehmen im Staatsbesitz festgelegt hat. Im Jahr 2007 führte Spanien als erstes Land der Europäischen Union eine verbindliche Quote für große börsennotierte Unternehmen ein. Danach folgten Island, Belgien, Frankreich, Italien und die Niederlande. In Deutschland wurde das entsprechende Gesetz im Jahr 2015 beschlossen. Unternehmen, die börsennotiert und paritätisch mitbestimmt sind, müssen seit 2016 alle frei werdenden Sitze im Aufsichtsrat solange an Frauen vergeben, bis eine Quote von 30 Prozent erreicht ist.infoDas Gesetz sieht eine Geschlechterquote (keine Frauenquote) von 30 Prozent vor. Das bedeutet, dass beide Geschlechter einen Anteil von mindestens 30 Prozent in den Aufsichtsräten der betroffenen Unternehmen haben müssen. Sollte der Männeranteil in einem Aufsichtsrat unter 30 Prozent sinken, wäre das ebenso rechtswidrig. Vgl. dazu auch den Beitrag „Geschlechterquote“ im Glossar des DIW Berlin (online verfügbar). Ein sehr ähnliches Gesetz wurde ein Jahr später in Österreich und zuletzt in Portugal beschlossen.

In Europa gibt es große Unterschiede in den gleichstellungspolitischen Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Unternehmen. Einige Länder haben gesetzlich vorgeschriebene und damit verbindliche Geschlechterquoten für die höchsten Kontroll- und/oder Entscheidungsgremien bestimmter Unternehmen festgelegt. Vorreiter in dieser Gruppe war Norwegen, wo bereits 2003 eine Quote von 40 Prozent für Aufsichtsräte staatlicher und börsennotierter Unternehmen beschlossen und für den Fall der Nichterfüllung harte Sanktionen festgelegt wurden. Mittlerweile haben sich neun weitere Länder für Quotenregelungen entschieden, unter anderem gilt eine solche seit dem Jahr 2016 in Deutschland (Tabelle).

Tabelle: Gesetzliche Geschlechterquoten und Empfehlungen für Gender Diversity in Corporate-Governance-Kodizes in Europa

Land Gesetz beschlossen Zu erreichender Anteil Frist Gremien Gilt für folgende Unternehmen Kontroll- und Leitungssystem Sanktionen
Norwegen 2003 40 Prozent 2006 für neugegründete AGs 2008 für AGs Verwaltungsrat Börsennotiert monistisch Zwangsauflösung; Register lehnt Registrierung des Vorstands ab
Belgien 2011 33 Prozent 2017 (größe börsennotierte), 2019 (börsennotierte KMU) Verwaltungsrat Börsennotiert monistisch Leerer Stuhl; Nach einem Jahr Aussetzung der Zahlung von Sitzungsgeldern und Leistungen
Frankreich 2011 20 Prozent/40 Prozent 2014/2017 Nichtexekutive Manager min. 500 MitarbeiterInnen und mehr als 50 Mio. Euro Umsatz in den letzten drei Jahren gemischt Nichtigkeit von Ernennungen und Aussetzung der Zahlung von Sitzungsgeldern
Italien 2011 20 Prozent/30 Prozent 2012/2015 Aufsichtsrat und Vorstand/Verwaltungsrat Börsennotiert gemischt 100000 bis 1 Mio. Euro Strafe beim Verwaltungsrat, 20000 bis 200000 Euro in Prüfungsausschüssen
Deutschland 2015 30 Prozent 2016 Aufsichtsrat Börsennotiert und voll mitbestimmt dualistisch Leerer Stuhl
Österreich 2017 30 Prozent 2018 Aufsichtsrat Börsennotiert und mehr als 1000 MitarbeiterInnen dualistisch Leerer Stuhl
Portugal 2017 20 Prozent/33 Prozent 2018/2020 Aufsichtsrat/Verwaltungsrat Börsennotiert gemischt Mandat gilt als vorübergehend
Spanien 2007 40 Prozent 2015 Verwaltungsrat 4, 11 Mio. Euro Aktiva, 22,8 Mio. Euro Jahresumsatz oder mehr als 250 MitarbeiterInnen monistisch Keine Sanktionen
Island 2010 40 Prozent 2013 Aufsichtsrat Börsennotiert oder GmbH mit mehr als 50 MitarbeiterInnen dualistisch Keine Sanktionen
Niederlande 2013 20 Prozent/30 Prozent 2020/2023 Aufsichtsrat und Vorstand/Verwaltungsrat mehr als 250 MitarbeiterInnen, mehr als 20 Mio. Euro Vermögen oder mehr als 40 Mio. Euro Nettoumsatz gemischt Keine Sanktionen
Mit Empfehlung Corporate Governance Code 1. Initiative Aktuelle Version Gilt für folgende Unternehmen Sanktionen
Schweden The Swedish Corporate Governance Code 2005 2010 Börsennotiert comply or explain
Finnland Finnish Corporate Governance Code 2008 2015 Börsennotiert comply or explain
Luxemburg The X Principles of Corporate Governance of the Luxembourg Stock Exchange 2009 2017 Börsennotiert comply or explain
Slovenien Slovene Corporate Governance Code 2009 2016 (Update 2018) Börsennotiert comply or explain
Dänemark Recommendations on Corporate Governance 2010 2014 Börsennotiert comply or explain
Großbritannien UK Corporate Governance Code 2010 2016 Börsennotiert comply or explain
Griechenland Hellenic Corporate Governance Code 2013 2013 Börsennotiert comply or explain
Türkei Principles of Corporate Governance 2014 2014 Börsennotiert und Unternehmen mit beschränkter Haftung comply-or-explain
Polen Code of Best Practice for WSE Listed Companies 2015 2015 Börsennotiert comply or explain
Rumänien Bucharest Stock Exchange Corporate Governance Code, A corporate governance rule for all BSE-listed companies 2015 2015 Börsennotiert comply-or-explain
Irland The UK Corporate Governance Corporate Code (2012) Irish Corporate Governance Annex (2010) 2012, 2010 2010, 2012 Börsennotiert comply-or-explain
Ohne Quote/Empfehlung
Bulgarien
Tschechische Republik
Estland
Kroatien
Zypern
Litauen
Malta
Slovakei
Lettland

Quellen: Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD); Cathrine Seierstad, Patricia Gabaldon und Mensi-Klarbach (2017): Gender Diversity in the Boardroom; Deloitte; eigene Recherche auf Basis der nationalen Corporate Governance Codes der untersuchten Länder.

Eine zweite Gruppe von Ländern hat zwar keine gesetzlich vorgeschriebene Geschlechterquote für Aufsichts- oder Entscheidungsgremien von Unternehmen, aber Empfehlungen zu Gender Diversity im jeweiligen Corporate Governance Code (CGC) formuliert. Diese Kodizes sind von der Regierung herausgegebene freiwillige länderspezifische Anleitungen und geben Empfehlungen zu aktuellen nationalen und internationalen Standards für eine gute und verantwortungsvolle Unternehmensführung. Insgesamt nahmen 21 europäische Länder einen Satz in ihren CGC auf, in dem die Gleichstellung der Geschlechter als Ziel angegeben wird. Zehn davon sind Länder mit einer gesetzlichen Geschlechterquote, elf haben nur diese Empfehlung und keine weiteren gesetzlichen Vorschriften. In diese Gruppe gehören beispielsweise Schweden, Finnland und Dänemark, aber auch Großbritannien, Irland, Griechenland und Polen.

In der dritten Gruppe von Ländern gibt es weder eine gesetzlich vorgeschriebene Geschlechterquote noch einen geschlechterspezifischen Vermerk im CGC. In dieser Gruppe finden sich neben Malta und Zypern vor allem ost- und südosteuropäische Länder.

Die gesetzlichen Bestimmungen in den genannten Ländern unterscheiden sich mitunter stark, insbesondere in Bezug auf die Sanktionen im Fall der Nichteinhaltung der Quote. In Spanien, den Niederlanden und Island sind überhaupt keine Sanktionen vorgesehen. Island führte die Geschlechterquote 2010 mitten in der Finanzkrise ein, die das Land sehr stark getroffen hatte. Auch hier wurden keine Sanktionen vorgesehen, jedoch führten die Umstrukturierungen des privatwirtschaftlichen Sektors als Folge der Finanzkrise zu großen Veränderungen der Unternehmenskultur.infoVgl. dazu Audur A. Arnardottir und Throstur O. Sigurjonsson (2017): Gender Diversity on Boards in Iceland: Pathway to Gender Quota Law Following a Financial Crisis. In: Cathrine Seierstad, Patricia Gabaldon und Heike Mensi-Klarbach (Hrsg.): Gender Diversity in the Boardroom, Vol. 1, 75–101.

In den drei Ländern, die erst in jüngster Zeit (seit 2015) entsprechende Quotenregelungen festgelegt haben – Deutschland, Österreich und Portugal –, wurde die gesetzliche Quote mit moderaten Sanktionen versehen. In Deutschland und Österreich ist als Sanktion der sogenannte „leere Stuhl“ vorgesehen.infoÖsterreichischer Nationalrat (2017): Gleichstellungsgesetz von Frauen und Männern im Aufsichtsrat, GFMA-G, 104, Bundesgesetz; sowie BMFSFJ (2014): Förderung von Frauen in Führungspositionen: Kabinett beschließt Gesetzentwurf zur Quote, Pressemitteilung vom 11. Dezember 2014 (online verfügbar). Ein Aufsichtsratsposten bleibt dabei so lange unbesetzt, bis das Ergebnis einer Wahl der vorgeschriebenen Quote entspricht. In Portugal führt ein Verstoß gegen das Gesetz zu einer Abmahnung und das falsch vergebene Mandat gilt als vorläufig.infoVgl. L&E Global (2017): Portugal: Gender quotas for director and supervisory bodies (online verfügbar).

In Norwegen, Frankreich, Italien und Belgien wurden hingegen mit der gesetzlichen Quote auch rigide Sanktionen eingeführt, falls sie nicht eingehalten wird. Den betroffenen Unternehmen droht dann mindestens eine Geldstrafe. In Norwegen wird die Registrierung eines betroffenen Gremiums verweigert, wenn die gesetzliche Quote nicht erfüllt ist.infoAagoth Storvik und Mari Teigen (2010): Women on board. The Norwegian Experience. International Policy Analysis. Nach wiederholter Abmahnung droht dem Unternehmen sogar eine Zwangsauflösung. Auch in Frankreich wird eine Ernennung für nichtig erklärt, wenn die gesetzliche Quote nicht erfüllt ist. Darüber hinaus wird zusätzlich die Zahlung von Sitzungsgeldern ausgesetzt, bis die Quote erfüllt ist.infoBredin Prat und Hengeler Müller (2016): Board-Level Gender Quotas in the UK, France and Germany. Ähnliche Sanktionen sind auch in Belgien vorgesehen: Wird die Quote bei der Wahl neuer Mitglieder nicht erfüllt, dann gilt die Ernennung als nichtig. Börsennotierte Unternehmen müssen außerdem finanzielle Einbußen erwarten, da Sitzungsgelder für das betroffene Gremium gestrichen werden.infoAbigail Levrau (2017): Belgium: Male/Female United in the Boardroom. In: Cathrine Seierstad, Patricia Gabaldon und Heike Mensi-Klarbach (Hrsg.): Gender Diversity in the Boardroom, Vol. 1, 155–175. In Italien gibt es eine Aufsichtsbehörde, die die Einhaltung der gesetzlichen Quote überwacht. Im Falle von Verstößen können Sanktionen von bis zu einer Million Euro verhängt werden.infoAlessandra Rigolini und Morten Huse (2017): Women on Board in Italy: The Pressure of Public Policies. In: Cathrine Seierstad, Patricia Gabaldon und Heike Mensi-Klarbach (Hrsg.): Gender Diversity in the Boardroom, Vol. 1, 125–154.

Weitere elf europäische Länder haben zwar keine gesetzliche Geschlechterquote, aber freiwillige Empfehlungen zu Gender Diversity in Führungspositionen im Rahmen der Corporate Governance Codes (CGC, Kasten). Diese Kodizes werden von nationalen Kommissionen herausgegeben und nennen Empfehlungen zu aktuellen nationalen und internationalen Standards guter und nachhaltiger Unternehmensführung. Die Selbstverpflichtung der Unternehmen soll durch das Comply-or-Explain-Prinzip sichergestellt werden, das die Unternehmen auffordert, alle CGC-Inhalte zu erfüllen und andernfalls Gründe für das Verfehlen der Richtlinien im Jahresbericht offenzulegen. Die Unternehmen können selbst entscheiden, ob sie den nationalen CGCs folgen möchten oder nicht. Proklamiert ein Unternehmen die Einhaltung des CGC, dann tritt das Comply-or-Explain-Prinzip in Kraft.infoVgl. Patricia Gabaldon, Heike Mensi-Klarbach, and Cathrine Seierstad (2017): Gender Diversity in the Boardroom: The Multiple Versions of Quota Laws in Europe. In Gender Diversity in the Boardroom Volume 1. The Use of Different Quota Regulations, Hrsg. Cathrine Seierstad, Patricia Gabaldon und Heike Mensi-Klarbach, 233–254. Cham: Springer International Publishing.

Steigerung des Frauenanteils in Ländern mit gesetzlicher Geschlechterquote am höchsten

Die Europäische Kommission stellt über das European Institute for Gender Equality (EIGE) im Rahmen der Datenbank „Women and Men in Decision Making“ seit 2003 Daten über den Frauenanteil in verschiedenen Sektoren in europäischen Ländern zur Verfügung. infoVgl. European Institute for Gender Equality: Gender Statistics Database (online verfügbar). Die Analyse in diesem Wochenbericht berücksichtigt den Frauenanteil in den höchsten Kontroll- beziehungsweise Entscheidungsgremien der größten börsennotierten Unternehmen europäischer Länder für den Zeitraum von 2003 bis 2019.infoSiehe Fußnote 12. Die Länder wurden in drei Gruppen unterteilt: jene, die jemals eine verbindliche Geschlechterquote eingeführt haben, jene mit Empfehlungen zu Gender Diversity im Corporate Governance Code und schließlich jene ohne gesetzliche Bestimmungen beziehungsweise Empfehlungen. Dabei zeigt sich, dass zu Beginn des Beobachtungszeitraums die Länder, die in den Jahren ab 2003 eine Geschlechterquote eingeführt haben, noch deutlich unter den Ländern ohne Quote lagen (Abbildung auf Seite 691). 16 Jahre später ist das Bild umgekehrt: In Ländern, die in diesem Zeitraum eine Geschlechterquote gesetzlich verankert haben, liegt der Frauenanteil in den Gremien im Durchschnitt um 15 Prozentpunkte höher als in Ländern ohne Quote. Der Unterschied zu Ländern mit Empfehlungen zu Gender Diversity beträgt neun Prozentpunkte. Im gesamten Zeitraum haben die Länder mit gesetzlicher Quote den Frauenanteil in den Aufsichtsräten der größten börsennotierten Unternehmen knapp verfünffacht, während der Anteil in den Ländern ohne gesetzliche Quote nur von elf auf 17 Prozent gestiegen ist. Diese deskriptive Darstellung legt nahe, dass gesetzliche Quoten deutlich wirksamer sind als unverbindliche Empfehlungen, auf die sich Unternehmen freiwillig verpflichten können.

Auch die Ausgestaltung der gesetzlichen Quotenregelung beeinflusst deren Wirksamkeit. Von allen Ländern, die gesetzliche Quotenregelungen eingeführt haben, gibt es die härtesten Sanktionen in Norwegen, Italien, Belgien und Frankreich. Ein deskriptiver Vergleich dieser Gruppe mit Ländern, die moderate oder gar keine Sanktionen verhängen, zeigt, dass die Länder mit harten Sanktionen den Frauenanteil am stärksten steigern konnten (Abbildung 2). Vergleicht man die Länder, die Quoten mit moderaten Sanktionen haben, mit den Ländern, die Quoten ohne Sanktionen haben, verlief der Anstieg des Frauenanteils in den höchsten Kontroll- beziehungsweise Entscheidungsgremien der größten börsennotierten Unternehmen sehr ähnlich: Zu Beginn des Beobachtungszeitraums lagen beide in etwa gleichauf. Von 2007 bis 2017 lag der Frauenanteil in der Gruppe der Länder ohne Sanktionen sogar höher als in Ländern mit moderaten Sanktionen. Erst seit 2018 konnte letztere Gruppe zu den Ländern mit sanktionslosen Quoten aufschließen. Bei diesem Vergleich ist jedoch zu beachten, dass in der Gruppe der Länder mit moderaten Sanktionen (Deutschland, Österreich und Portugal) die Quote erst in den Jahren ab 2015 eingeführt wurde, während in Spanien und den Niederlanden die Quote im Jahr 2007 beziehungsweise 2013 beschlossen wurde.

Wird der Blick genauer auf die Entwicklung des Frauenanteils in einzelnen Ländern mit verbindlicher Geschlechterquote gerichtet, sticht in der Gruppe der Länder ohne Sanktionen Island heraus (Abbildung 3). In den drei Jahren nach Einführung der Quote stieg der Frauenanteil dort von 16 auf 48 Prozent und hat sich damit verdreifacht. So einen starken Anstieg gab es in keinem anderen Land, auch nicht in den Ländern mit rigiden Sanktionen. Dies ist vermutlich durch die spezielle Situation Islands zu erklären: Das Land wurde 2008 sehr stark von der weltweiten Finanzkrise getroffen. Die isländische Währung fiel zeitweise um mehr als 50 Prozent, in den Jahren 2008 und 2010 gab es Inflationsraten von über 30 Prozent. Infolge dieser dramatischen Entwicklungen kam es zu einem großen Vertrauensbruch in die Führungsebenen in der Privatwirtschaft und insbesondere im Finanzsektor. Dies führte zu einer starken Umwälzung des Führungspersonals und auch zu einem Wandel der Unternehmenskultur. Diese Faktoren erklären vermutlich zu einem großen Teil die besonders starke Steigerung des Frauenanteils in Island in den Jahren nach 2010.infoVgl. dazu Arnardottir und Sigurjonsson (2017), a.a.O. In den beiden anderen Ländern, die eine Geschlechterquote ohne Sanktionen umgesetzt haben (Spanien und die Niederlande), verlief der Anstieg des Frauenanteils in Spitzengremien nach Einführung der Quote deutlich weniger dynamisch. In den vier Ländern, deren gesetzliche Bestimmungen harte Sanktionen im Fall der Nichteinhaltung der Geschlechterquote vorsehen (Frankreich, Italien, Belgien und Norwegen, Abbildung 4), ist der Frauenanteil in den entsprechenden Gremien nach Einführung der Quote deutlich gestiegen. In den Ländern mit moderaten Sanktionen, zu denen auch Deutschland zählt, ist das nur abgeschwächt der Fall (Abbildung 5).

Fazit: Von freiwilligen Selbstverpflichtungen und sanktionslosen Quoten sollte nicht viel erwartet werden

Gesetzliche Geschlechterquoten sind wirksamer als bloße Empfehlungen zur freiwilligen Erhöhung des Frauenanteils. Das legt der deskriptive Vergleich in diesem Wochenbericht nahe, für den die Entwicklung des Frauenanteils in den höchsten Kontroll- beziehungsweise Entscheidungsgremien der größten börsennotierten Unternehmen in europäischen Ländern untersucht wurde. Die Länder, die seit 2003 verbindliche Geschlechterquoten für den privatwirtschaftlichen Sektor eingeführt haben, konnten einen deutlich höheren Anstieg des Frauenanteils verzeichnen als die Länder mit unverbindlichen Empfehlungen. Letztere konnten sich zudem nur etwas mehr verbessern als Länder, die nicht einmal solche Empfehlungen aussprechen.

Zudem deutet die vergleichende Analyse darauf hin, dass Quoten, die mit harten Sanktionen bei Nichteinhaltung verbunden sind, wirksamer sind als Quoten ohne oder mit nur moderaten Sanktionen. In den Ländern, die die Geschlechterquote mit harten Sanktionen wie finanziellen Strafen oder sogar einer Unternehmensauflösung verbinden, stieg der Frauenanteil in den Spitzengremien der größten börsennotierten Unternehmen deutlich stärker als in Ländern mit moderaten Sanktionen (beispielsweise der „leere Stuhl“ in Deutschland) oder ohne Sanktionen.

Neben dem privatwirtschaftlichen Sektor werden Geschlechterquoten zunehmend auch für andere Bereiche wie Politik, Wissenschaft oder Medien diskutiert. Die vorliegenden Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Erwartungen an freiwillige Selbstverpflichtungen auch für Sektoren jenseits der Privatwirtschaft nicht zu hoch sein sollten. Verbindliche Geschlechterquoten mit Sanktionen im Fall der Nichteinhaltung scheinen das wirksamste Mittel zu sein, damit Männer und Frauen künftig gleichmäßiger in entsprechenden Gremien vertreten sind.

Katharina Wrohlich

Leiterin in der Forschungsgruppe Gender Economics



JEL-Classification: J16;J78;J21
Keywords: gender quota, boards, Europe
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2019-38-1

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/204881

keyboard_arrow_up