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Corona-Pandemie drängt Selbstständige vermehrt zur Geschäftsaufgabe – Frauen stärker betroffen

DIW aktuell ; 69, 5 S.

Alexander S. Kritikos, Daniel Graeber, Johannes Seebauer

2021

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Die COVID-19-Pandemie führte im Jahr 2020 für viele Selbstständige zu einem negativen Einkommensschock. Wie hat sich die Pandemie im weiteren Verlauf auf die Bereitschaft ausgewirkt, in dieser Erwerbsform zu verbleiben? Während im Jahr 2019 noch rund 85 Prozent der im Vorjahr Selbstständigen weiterhin einer selbstständigen Tätigkeit nachgehen, trifft dies zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 nur noch auf rund drei Viertel zu. Zudem erhöht sich der Anteil der vormals Selbstständigen, die ihr Geschäft aufgeben und auch nicht in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wechseln, von neun auf 15 Prozent. In den ersten beiden Monaten des Jahres 2021 stabilisiert sich für Männer die Wahrscheinlichkeit, selbständig zu bleiben, bei Frauen nimmt sie hingegen weiter ab.

 

Der Schock der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020 hat die in Deutschland rund vier Millionen Selbstständigen, von denen etwas mehr als ein Drittel Frauen sind, besonders stark getroffen. Mehr als die Hälfte aller Selbstständigen verzeichnete im Frühjahr 2020 starke Einkommensverluste, darunter selbstständige Frauen häufiger (63 Prozent) als selbstständige Männer (47 Prozent).infoVgl. Alexander S. Kritikos, Daniel Graeber und Johannes Seebauer (2020): Corona-Pandemie wird zur Krise für Selbstständige. DIW aktuell 47 (online verfügbar); Daniel Graeber, Alexander S. Kritikos und Johannes Seebauer (2021): Covid-19: a crisis of the female self-employed, Journal of Population Economics (online verfügbar); sowie Johannes Seebauer, Alexander S. Kritikos und Daniel Graeber (2021): Warum vor allem weibliche Selbstständige Verliererinnen der Covid-19-Krise sind. DIW Wochenbericht 15/2021 (online verfügbar); Diese Studie geht der Frage nach, wie sich die Pandemie in ihrem weiteren Verlauf generell auf den Verbleib in Selbstständigkeit ausgewirkt hat. Dabei werden auch die unterschiedlichen Entwicklungen bei selbstständigen Frauen und Männern in den Blick genommen.

Entsprechende Analysen werden auf Grundlage der Langzeitbefragung des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) am DIW Berlin durchgeführt, die durch die aktuelle SOEP-CoV-Befragung ergänzt wird. Bei Letzterer handelt es sich um eine innovative – in Zusammenarbeit mit der Universität Bielefeld entwickelte - telefonische Zusatzbefragung jeweils einer Person in SOEP-Haushalten.infoDas SOEP ist eine repräsentative jährliche Wiederholungsbefragung privater Haushalte, die seit 1984 durchgeführt wird (vgl. Goebel et al. (2019): The German Socio-Economic Panel (SOEP). Das SOEP enthält eine Vielzahl an Informationen zu den Befragten – auf Individual- und Haushaltsebene. Hierzu zählen neben soziodemografischen Charakteristika (Haushaltszusammensetzung, Wohnort, Alter und Geschlecht der Haushaltsmitglieder, Einkommen etc.) Informationen zum Erwerbsstatus (Arbeitszeit, Branche, Erwerbseinkommen, Anzahl der Beschäftigten im Betrieb, etc.) sowie Fragen zu Gesundheit, Sorgen oder Lebenszufriedenheit. Dabei werden neben Auskünften zur COVID-19-Pandemie weitere Fragen erhoben, zu denen bereits Informationen aus den vorausgegangenen Jahren im SOEP vorliegen. Die an der SOEP-CoV-Studie teilnehmenden Personen wurden in zwei Wellen befragt. Die erste Welle umfasst den Zeitraum von April bis Juli 2020, die zweite Welle den Zeitraum zwischen Januar und Februar 2021. Die Verknüpfung dieser Daten erlaubt eine Längsschnittbetrachtung der befragten Personen bis in das Jahr 2021.infoNähere Information zu SOEP-CoV ist unter www.soep-cov.de zu finden. infoFür die zweite Welle des SOEP-CoV wurden die Hochrechnungsfaktoren mit den inversen Bleibewahrscheinlichkeiten adjustiert. Hierbei wurden Geschlecht, Geburtsjahr, Migrationshintergrund sowie der Bildungsgrad berücksichtigt. Vergleiche hierfür: Siegers, R., Steinhauer, H. W. und Zinn, S. (2020). Gewichtung der SOEP-CoV-Studie 2020. SOEP Survey Papers No. 888.

 
Zur Größe der Vorstände in den von der Geschlechterquote für den Aufsichtsrat unterliegenden Unternehmen siehe Kirsch und Wrohlich (2021), a.a.O.

Vor Beginn der Pandemie: Beschäftigungsverhältnisse relativ stabil

Diese Analyse beleuchtet, wie sich für Selbstständige die Wahrscheinlichkeit verändert hat, im Zuge der COVID-19-Pandemie in dieser Erwerbsform zu verbleiben. Dies gibt Aufschluss darüber, ob in Folge des pandemiebedingten Schocks mehr Selbstständige aus dieser Erwerbsform ausscheiden und in ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis oder in die Nicht-Erwerbstätigkeit wechseln als vor der Pandemie. Im SOEP machen erwerbstätige Befragte Angaben zu ihrer beruflichen Stellung. Sie werden gebeten, anzugeben, ob sie der Gruppe der Selbstständigen, Angestellten, ArbeiterInnen, BeamtInnen oder Auszubildenden und PraktikantInnen angehören. Geringfügig BeschäftigteinfoFür eine Analyse des Verbleibs der geringfügig Beschäftigten zum Beginn der COVID-19 Pandemie siehe: Markus Grabka, Carsten Braband, Konstantin Göbler (2020): Beschäftigte in Minijobs sind VerliererInnen der coronabedingten Rezession. DIW Wochenbericht Nr.45/2020 (online verfügbar)., Auszubildende und PraktikantInnen werden in vorliegender Analyse ebenso wenig berücksichtigt wie BeamtInnen, bei Letzteren sind keine Fluktuationen zu erwarten.infoGeringfügig Beschäftigte werden zusammen mit der Gruppe der Nicht-Erwerbstätigen als „inaktiv“ klassifiziert. Das heißt, die Untersuchung konzentriert sich auf Selbstständige sowie sozialversicherungspflichtig abhängig Beschäftigte.

Abbildung 1: Übergangswahrscheinlichkeit der 2018 selbstständig Beschäftigten nach Erwerbsform

Lesebeispiel: Von den selbstständigen Frauen aus dem Jahr 2018 sind auch im Jahr 2019 noch 82,8 Prozent in Selbstständigkeit, 4,6 Prozent in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gewechselt und weitere 12,6 Prozent inaktiv. Quelle: SOEP
© DIW Berlin

Aus den zugrundeliegenden Daten für 2019 bis 2021 geht hervor, in welchem Erwerbstatus beziehungsweise in welcher Erwerbsform Selbstständige im Jahr vor und im Jahr der jeweiligen Befragung anteilig sind. Im Zeitraum vor der Pandemie sind die Beschäftigungsverhältnisse recht stabil (Abbildung 1). So sind im Jahr 2019 rund 85 Prozent der Selbstständigen aus dem Vorjahr nach wie vor selbstständig.infoDa die Werte für 2017/2018 nahezu identisch sind, bleiben die Schlussfolgerungen unberührt von der Wahl des Referenzjahres. Rund sechs Prozent wechseln in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, etwa neun Prozent der im Jahr 2018 Selbstständigen geben ihre Unternehmung auf, ohne in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu wechseln.infoDie möglichen Gründe hierfür sind zahlreich und können neben der Geschäftsaufgabe aus wirtschaftlichen Gründen auch eine Geschäftsübergabe, den Verkauf oder der Eintritt in den Ruhestand umfassen. Eine genaue Aufschlüsselung ist für diese Untersuchung nicht relevant (und mit den Daten des SOEP nicht möglich). Ebenso möglich ist der Übergang in eine geringfügige Beschäftigun

 

Zahl der Selbstständigen sinkt mit fortschreitender Pandemie

Mit Beginn der COVID-19-Pandemie ändert sich das Bild deutlich (Abbildung 2). Der Anteil der im Jahr 2019 Selbstständigen, die auch in den ersten Monaten der Pandemie 2020 noch einer selbstständigen Tätigkeit nachgehen, sinkt im Vergleich zu den Vorjahren um knapp elf Prozentpunkte auf rund 74 Prozent. Rund elf Prozent wechseln in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und etwa 15 Prozent in die InaktivitätinfoInaktivität beschreibt, dass die Befragten nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt oder selbstständig sind. Das heißt, die Personen sind arbeitssuchend oder aus dem Erwerbsleben ausgeschieden (beispw. Rente) oder sind geringfügig beschäftigt.. Damit begibt sich – im Vergleich zum Vorjahr - ein nahezu doppelt so hoher Anteil der vormals Selbständigen in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Der Anteil derjenigen, die ihre Unternehmung aufgeben, ohne eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen, erhöht sich um etwa 70 Prozent.info[14,9 – 8,8]*100/8,8

Übergangswahrscheinlichkeit der 2019 selbstständig Beschäftigten nach Erwerbsform

Quelle: SOEP
© DIW Berlin

Vergleicht man nun die ersten beiden Wellen der SOEP-CoV-Studie, lassen sich Veränderungen zwischen dem Frühjahr 2020 und den ersten beiden Monaten im Jahr 2021 beobachten. Dieser Zeitraum entspricht nahezu dem ersten Jahr der COVID-19-Pandemie. Von den Selbstständigen aus dem Jahr 2020 sind knapp 76 Prozent auch 2021 noch selbstständig (Abbildung 3). Etwa sechs Prozent wechseln in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und rund 18 Prozent in die Inaktivität. Folglich wurde der im Jahr 2020 bereits geringere Bestand an Selbstständigen weiter reduziert.infoHierbei gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass der Bestand des Jahres 2020 nicht identisch mit dem des Jahres 2019 abzüglich der Austritte aus Selbständigkeit ist, da es jedes Jahr auch Neugründungen gibt, also Selbständige, die im Vorjahr abhängig beschäftigt oder nicht-erwerbstätig waren.

Vgl. dazu zum Beispiel Lori Beaman et al. (2009): Powerful Women: Does Exposure reduce bias? Quarterly Journal of Economics 124/ 4, 1497–1540; und Maria de Paola, Vincenzo Scoppa und Rosetta Lombardo (2010): Can gender quotas break down negative stereotypes? Evidence from changes in electoral rules. Journal of Public Economics 94, 344–353.

Übergangswahrscheinlichkeit der 2020 selbstständig Beschäftigten nach Erwerbsform

Quelle: SOEP
© DIW Berlin

Eine weitergehende Unterscheidung nach Geschlechtern verdeutlicht die in früheren Analysen aufgedeckten Geschlechterunterschiede: Selbstständige Frauen sind zwischen 2020 und 2021 mit höherer Wahrscheinlichkeit nicht mehr selbstständig als selbstständige Männer. Während sich für selbstständige Männer die Wahrscheinlichkeit stabilisiert, an ihrem beruflichen Status festzuhalten, sinkt diese für selbstständige Frauen weiterhin deutlich. Rund 80 Prozent der zu Beginn der Pandemie selbstständigen Männer gehen dieser Erwerbsform auch noch Anfang 2021 nach. Bei Frauen trifft dies nur auf etwa 68 Prozent zu. Zudem nehmen 23 Prozent der 2020 vormals selbstständigen Frauen nicht mehr am Arbeitsmarkt teil, bei Männern sind dies nur etwa 15 Prozent.

 

Fazit: Selbstständige Frauen sind Hauptleidtragende der Pandemie

Die COVID-19-Pandemie entfaltet auch weiterhin negative Auswirkungen auf Selbstständige. Nach erheblichen Einkommensverlusten zu Beginn der Krise im Frühjahr 2020 sinkt seitdem unter den Selbstständigen die Möglichkeit oder die Bereitschaft, an dieser Erwerbsform festzuhalten. Im Vergleich zum Krisenvorjahr 2019, als rund 15 Prozent aller Selbstständigen aus dieser Erwerbsform ausschieden, erhöht sich im Frühjahr 2020 der Anteil derer, die die Selbstständigkeit hinter sich lassen, auf mehr als 25 Prozent. Dabei steigt vor allem auch der Anteil der vormals Selbstständigen deutlich, die ihr Geschäft aufgeben und in der Folge auch keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen. In den ersten beiden Monaten des Jahres 2021 stabilisiert sich indes für Männer die Wahrscheinlichkeit, selbstständig zu bleiben. Bei Frauen häufen sich dagegen weiterhin die Geschäftsaufgaben. Dies erklärt sich wahrscheinlich dadurch, dass selbstständige Frauen in den ersten Monaten der Pandemie branchenbedingt häufiger Einkommensverluste erlitten als selbstständige Männer. Damit entwickelt sich die COVID-19-Pandemie mehr und mehr zu einer Krise für selbstständige Frauen, die etwas mehr als ein Drittel aller Selbstständigen ausmachen. Dies wirkt sich letztlich nicht nur auf die betroffenen Selbstständigen selbst aus, sondern ebenso auf deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sowie auf diejenigen Wirtschaftszweige, die besonders von Selbstständigen abhängen wie das Gastgewerbe, der Handel oder auch das Beherbergungsgewerbe. Etwas allgemeiner stellt sich die Frage, inwieweit es sich eine Volkswirtschaft leisten kann, auf ein derart wichtiges Arbeitskräftepotential zu verzichten.

Johannes Seebauer

Doktorand in der Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel

Daniel Graeber

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel


Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/243212

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