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20.000 Euro für mehr Eigenverantwortung

Blog Marcel Fratzscher vom 23. Mai 2022

Dieser Beitrag erschien bei Zeit Online.

Junge Menschen entwickeln sich beruflich besser, wenn sie mutige Entscheidungen treffen können. Mit 20.000 Euro Grunderbe würde der Staat ihnen dazu Freiheit verschaffen.

Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, macht gerade mit einem Vorschlag von sich reden: dem sogenannten Grunderbe. 20.000 Euro für jede und jeden zum 18. Geburtstag. Ein solches Grunderbe könnte dazu beitragen, "die Startchancen ins Berufsleben etwas gerechter zu gestalten". So sieht es Schneider. Bei vielen jungen Menschen stößt er mit dieser Initiative auf Begeisterung, die Mehrheit der Politikerinnen und Politiker hingegen zeigt ihm die kalte Schulter.

Dabei könnte ein Grunderbe vielen jungen Menschen neue Chancen und Freiheiten eröffnen, mehr Generationengerechtigkeit schaffen und sich letztlich selbst in finanziellen Gewinnen für den Staat niederschlagen. Denn ein Staat, der in die Fähigkeiten und Potenziale seiner jungen Bürgerinnen und Bürger investiert, trifft die beste Entscheidung, die er treffen kann.

Ein Grund- oder Lebenschancenerbe, wie ich es vor einigen Jahren genannt habe und weiterhin unterstütze, würde die Chancengleichheit verbessern. Es würde manchem jungen Menschen, der keine große finanzielle Unterstützung von den Eltern erhalten kann, dazu bewegen, doch zu studieren oder einen Ausbildungsweg einzuschlagen, der nicht unmittelbar ein vielversprechendes Einkommen abwirft. Es schafft Freiheit, Risiken einzugehen, beispielsweise sich selbstständig zu machen.

Dieser Text erschien am 20. Mai 2022 bei Zeit Online in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Kreativität lässt sich nicht verordnen

Eine Gesellschaft kann nur florieren, wenn sie möglichst vielen ihrer Bürgerinnen und Bürger solche Freiheiten ermöglicht. Innovation und Kreativität können nicht geplant oder staatlich verordnet werden, sondern erfordern den Mut, unkonventionelle Wege zu gehen. Mit einem Grunderbe von 20.000 Euro ließen sich sicherlich nicht alle Wünsche realisieren, aber es könnte zahlreichen Menschen neue Optionen bei der Gestaltung ihrer Lebenswege eröffnen.

Nicht wenige in Politik und Medien monieren, gäbe es ein solches Grunderbe, würden zu viele junge Menschen das Geld verschwenden. Dabei wäre ein Grunderbe ein wichtiger Baustein für den Umbau der Sozialsysteme Deutschlands. Weg von einem passiven und reagierenden System, das lediglich dann hilft, wenn ein Schadensfall entstanden ist, Menschen etwa arbeitslos oder krank geworden sind. Anstelle dessen muss das Sozialsystem proaktiver werden und Menschen fördern, bevor überhaupt ein Schaden entstehen kann.

Die Idee des Grunderbes ist, dass nicht der Staat entscheidet, wer wann welche Leistung erhält, sondern dass jeder einzelne Mensch entscheidet und Verantwortung für das eigene Leben übernehmen kann. Das Grunderbe bedeutet Freiheit und Chancen. Wer kann das in einer liberalen Demokratie ablehnen?

Ein häufiger und vergangene Woche von Mitgliedern der FDP und der Linken geäußerter Einwand gegen das Grunderbe ist, es sei eine Umverteilung nach dem Gießkannenprinzip. Genau das Gegenteil ist der Fall: Das Grunderbe ist eine sehr gezielte Umverteilung von alten zu jungen Menschen. Die älteren Generationen hinterlassen den jungen Menschen eine Welt, die von Klimakatastrophen und geopolitischen Konflikten geprägt ist. Die junge Generation ist von der Pandemie mit am härtesten betroffen, von der psychischen Gesundheit bis hin zu den Bildungschancen. Wer will da etwas mehr Generationengerechtigkeit widersprechen?

Eine Studie des DIW Berlin aus dem vergangenen Jahr zeigt zudem, dass ein Grunderbe die soziale Ungleichheit zumindest kurzfristig reduziert, denn es verteilt Vermögen von alt zu jung und von reich zu arm um. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung merkt zu Recht an, dass Eigentum zu bilden für einen Großteil der Bevölkerung nicht mehr möglich sei, insbesondere bei explodierenden Mieten und Immobilienpreisen sowie einem großen Niedriglohnbereich.

40 Prozent haben so gut wie kein Vermögen

Neben Deutschland gibt es kaum ein westliches Land, in dem so viele Menschen so wenig Vermögen und Eigentum haben. Fast 40 Prozent der Menschen in unserem Land haben so gut wie kein Vermögen – dazu zählen Ersparnisse, Aktien, Immobilien und Konsumgüter wie ein Auto. Das sind die 40 Prozent der Bevölkerung, die bei Krankheit oder im Alter ausschließlich auf staatliche Leistungen und Fürsorge angewiesen sind. Dies bedeutet weniger Eigenverantwortung und Freiheit. Letztlich belastet es auch den Staat und die Gemeinschaft, wenn Menschen nicht die Möglichkeit haben, für sich selbst zu sorgen.

Gleichzeitig ist mehr als die Hälfte aller privaten Vermögen in Deutschland nicht mit den eigenen Händen erarbeitet, sondern durch Erbe oder Schenkung erlangt. Zwar gibt es eine Erbschaftsteuer, diese ist jedoch löchriger als ein Schweizer Käse. Von den knapp 400 Milliarden Euro, die jedes Jahr in Deutschland verschenkt oder vererbt werden, erhält der Staat nur knapp acht Milliarden Euro an Erbschaftsteuer. Das sind gerade einmal zwei Prozent. Der Grund ist, dass vor allem Übertragungen von Unternehmen häufig komplett von der Erbschaftsteuer ausgenommen sind. Wenn der Staat jedoch eine effektive Erbschaftsteuer von zehn Prozent auferlegen würde, ließen sich knapp 32 Milliarden Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen generieren. Davon könnte er leicht die 15 Milliarden Euro für das Grunderbe finanzieren.

Es ist Zeit für eine grundlegende Reform der deutschen Sozialsysteme, die proaktiver Menschen fördern und Chancen eröffnen sollten. Von einem Grunderbe würden nicht nur junge Menschen profitieren, sondern es würde zu mehr Generationengerechtigkeit und Chancengleichheit beitragen und damit helfen, wichtige gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen. Es ist höchste Zeit, dass wir in Deutschland die Scheu vor Reformen bei unseren Sozialsystemen ablegen.

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