DIW Wochenbericht 50 / 2021, S. 807-815
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„Die hohe Vermögensungleichheit in Deutschland lässt sich schnell und effektiv nur durch Umverteilung reduzieren: indem die besitzlose Hälfte ein Grunderbe zum Vermögensaufbau erhält, das über Steuern auf hohe Vermögen finanziert wird.“ Stefan Bach
In Deutschland sind die Vermögen sehr ungleich verteilt. Um die hohe Ungleichheit langfristig zu reduzieren, könnte die neue Bundesregierung das Wohneigentum, die ergänzende Altersvorsorge und sonstiges Vorsorgesparen stärker fördern. Deutlich schneller und effektiver könnte ein Grunderbe die Vermögensungleichheit senken. In diesem Bericht wird ein Grunderbe von bis zu 20000 Euro simuliert, das an alle Menschen mit Vollendung des 18. Lebensjahrs gezahlt würde. Finanziert werden könnten diese Programme, die ein jährliches Aufkommen von rund 22,6 Milliarden Euro erfordern, durch eine erhöhte Erbschaftsteuer, durch eine Vermögensteuer auf hohe Vermögen und durch effektivere Steuern auf Immobilienvermögen. Das Grunderbe, das vor allem die Vermögen der unteren und mittleren Schichten erhöht, und die gleichzeitige Besteuerung großer Vermögen würden die Vermögensungleichheit in Deutschland deutlich reduzieren. Der Gini-Koeffizient sänke um fünf bis sieben Prozent, wie Simulationsrechnungen zeigen.
Die Nettovermögen der privaten Haushalte sind in Deutschland besonders ungleich verteilt.Die Nettovermögen in konventioneller Abgrenzung bestehen aus Immobilien, Finanzvermögen und Versicherungsguthaben, Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen, abzüglich Schulden. Dabei werden bestimmte Vermögenskomponenten ausgeschlossen, insbesondere das „Sozialvermögen“ in Form von Ansprüchen an die sozialen Sicherungssysteme, also vor allem die quantitativ bedeutsamen Anwartschaften an die Alterssicherungssysteme der Gesetzlichen Rentenversicherung, der Beamtenversorgung oder der betrieblichen Altersversorgung. Berücksichtigt man diese Vermögen durch Kapitalisierung der Versorgungsansprüche, reduziert sich die Vermögensungleichheit in Deutschland massiv – der Gini-Koeffizient sinkt um 24 Prozent, vgl. Timm Bönke et al. (2019): The Joint Distribution of Net Worth and Pension Wealth in Germany. Review of Income and Wealth 65 (4) (online verfügbar, abgerufen am 30. August 2021. Dies gilt für alle Onlinequellen in diesem Bericht). Die untere Hälfte der Bevölkerung hat keine nennenswerten Vermögen, die reichsten zehn Prozent besitzen 67 Prozent des gesamten Privatvermögens, das reichste Prozent der Bevölkerung 35 Prozent des Privatvermögens und die reichsten 0,1 Prozent der Bevölkerung bis zu 20 Prozent (Abbildung 1).Carsten Schröder et al. (2020): MillionärInnen unter dem Mikroskop: Datenlücke bei sehr hohen Vermögen geschlossen – Konzentration höher als bisher ausgewiesen. DIW Wochenbericht Nr. 29 (online verfügbar); Stefan Bach, Andreas Thiemann und Aline Zucco (2019): Looking for the missing rich: tracing the top tail of the wealth distribution. International Tax and Public Finance 26 (online verfügbar). Damit sind die Vermögen in Deutschland im Vergleich zu anderen EU- oder OECD-Ländern mit einer ähnlichen Einkommensverteilung sehr stark konzentriert.OECD (2019): Society at a Glance 2019: OECD Social Indicators, 98f. (online verfügbar). Auffällig sind vor allem die relativ geringen Vermögen der Mittelschicht.Dieser DIW Wochenbericht basiert auf einer Studie, die im Rahmen eines mehrjährigen Projekts im Auftrag des Forum New Economy zur Ungleichheit erstellt wurde. Vgl. Stefan Bach, Markus M. Grabka und Marc C. Adam (2021): Ungleichheit in Deutschland – Politikmaßnahmen zur Trendumkehr. Forum New Economy Working Papers Nr. 05 (online verfügbar).
Auch im Bundestagswahlkampf 2021 spielte dieses Thema eine Rolle. Zwei der neuen Koalitionsparteien wollten hohe Einkommen und Vermögen künftig höher besteuern. Der dritte Partner, die FDP, lehnte das strikt ab und setzte sich damit durch. Daher enthält der Koalitionsvertrag für die neue Ampel-Koalition keine Steuererhöhungen für Wohlhabende. Geplant sind jedoch Maßnahmen zur Förderung des Wohneigentums, zur Verbesserung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge sowie eine Erhöhung des Sparerpauschbetrags bei der Einkommensteuer.Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), Bündnis 90/Die Grünen und den Freien Demokraten (FDP), 73f., 92, 165 (online verfügbar).
Im Folgenden werden wichtige Treiber der Vermögensungleichheit dargestellt und vor diesem Hintergrund verschiedene Konzepte zur Förderung der Vermögensbildung und zur Vermögensbesteuerung diskutiert. Mit einem Mikrosimulationsmodell werden die langfristigen Wirkungen eines Grunderbes auf die Vermögensungleichheit simuliert, das mit Steuererhöhungen auf hohe Vermögen finanziert wird.
Die Entwicklung der Vermögensungleichheit wird von vielfältigen Einflüssen getrieben, die sich teilweise gegenseitig beeinflussen und langfristig wirken. Als wichtigste Einflussfaktoren für die hohe Vermögenskonzentration in Deutschland können folgende angeführt werden:
Will die Bundesregierung die Chancengleichheit erhöhen und die Eigenvorsorge stärken, sollte sie mehr Menschen helfen, eigenes Vermögen aufzubauen. Dazu sollte sie vor allem die Vermögen der Mittelschicht stärken, indem sie Wohneigentum, ergänzende Altersvorsorge und Finanzvermögen fördert. Für untere Einkommensgruppen sind die beiden letztgenannten Komponenten besonders relevant. Zudem sollten die Hemmnisse bei der Vermögensbildung beseitigt werden, etwa auf den Immobilienmärkten oder im Steuerrecht.
Die Förderung des Wohneigentums ist ein wichtiger Hebel, um die Eigenvorsorge zu stärken und der Vermögensungleichheit längerfristig entgegenzuwirken.Internationale Vergleiche deuten darauf hin, dass Länder mit einer hohen Eigentümerquote auch eine geringere Vermögensungleichheit aufweisen. Vgl. Martin Beznoska, Judith Niehues und Tobias Hentze (2017): Vermögensverteilung – Vorurteilen auf der Spur. Eine vbw-Studie – erstellt vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln e. V., 17f (online verfügbar). WohneigentümerInnen sparen mehr, sind im Alter besser abgesichert und profitieren derzeit vom Boom der Vermögenspreise. Dabei sollten aber hohe fiskalische Kosten und Mitnahmeeffekte vermieden werden – wie bei der Förderung „mit der Gießkanne“ durch die frühere Eigenheimzulage oder zuletzt das Baukindergeld.Diese Programme förderten breite Einkommensgruppen bis zu den Besserverdienenden. Die Förderbeträge waren mit 10000 bis 20000 Euro für Schwellenhaushalte zu niedrig, um ohne nennenswerte Vermögen das erforderliche Eigenkapital für eine Wohnungsfinanzierung deutlich zu stärken, vor allem in Ballungsräumen mit hohen Bodenpreisen. Daher entstanden hohe Mitnahmeeffekte und fragwürdige Lenkungswirkungen zugunsten von Eigenheimen und von ländlichen Räumen. Zum Baukindergeld vgl. Claus Michelsen, Stefan Bach und Michelle Harnisch (2018): Baukindergeld: Einkommensstarke Haushalte profitieren in besonderem Maße. DIW aktuell 14 (online verfügbar). Daher sollte die Politik die Förderung auf die relevanten Schwellenhaushalte konzentrieren, also vor allem auf jüngere Haushalte und Familien mit mittleren Einkommen. Eingesetzt werden könnten insbesondere nachrangige FörderdarlehenClaus Michelsen (2017): Erwerb von Wohneigentum: Eigenkapitalschwelle für immer mehr Haushalte zu hoch. DIW aktuell 2 (online verfügbar); Michael Voigtländer (2019): Mehr Wohneigentum für NRW: Stellungnahme zu der Drucksache 17/5627. IW-Report Nr. 40 (online verfügbar)., Mietkauf-ModellePeter Gründling und Markus M. Grabka (2019): Staatlich geförderter Mietkauf kann einkommensschwachen Familien Weg in die eigenen vier Wände ebnen. DIW Wochenbericht Nr. 29 (online verfügbar). oder eine Sozialkaufprämie als Zuschuss für besondere förderungswürdige Fälle.Reiner Braun und Markus M. Grabka (2021): Die Sozialkaufprämie – ein Vorschlag zur Ergänzung der Immobilienförderung in Deutschland. DIW Wochenbericht Nr. 27 (online verfügbar).
Darüber hinaus sollte die neue Bundesregierung alle Regelungen reformieren, die derzeit die Bau- und Kaufnebenkosten treiben oder die Mobilisierung von Bauflächen verhindern – von den Bauvorschriften über die Notar- und Grundbuchgebühren bis zu den Planungs- und Genehmigungsverfahren. Dies betrifft insbesondere auch die Grunderwerbsteuer, bei der ein Freibetrag für den (Erst-)Erwerb von Wohneigentum eingeführt werden könnte.
Neben der Förderung von Wohneigentum sollte auch bei der Altersvorsorge nachjustiert werden. Riester-RenteJohannes Geyer, Markus M. Grabka und Peter Haan (2021): 20 Jahre Riester-Rente – Private Altersvorsorge braucht einen Neustart. DIW Wochenbericht Nr. 40 (online verfügbar). und betriebliche Altersvorsorge sollten vereinfacht sowie die Beitragsgarantie gelockert werden, um renditeträchtigere Anlagen nutzen zu können. Zudem sollten alternative Angebote durch öffentliche oder gemeinwirtschaftlich organisierte Vorsorgefonds gemacht werden, die Standardprodukte mit günstigen Transaktions- und Verwaltungskosten entwickeln.Vgl. Geyer, Grabka und Haan (2021), a.a.O. Ferner könnten die bisher freiwilligen Zusatzsysteme durch eine Versicherungspflicht gestärkt werden, aus denen sich die Versicherten jedoch herausoptieren können („opt-out“).
Arbeitnehmersparzulage und Wohnungsbauprämie könnten stärker integriert werden und sich an den neuen Einkommensgrenzen für die Wohnungsbauprämie orientieren.Konstantin A. Kholodilin und Claus Michelsen (2021): Wohneigentumsförderung in Deutschland – Kleine Prämien mit Wirkung. DIW Wochenbericht Nr. 27 (online verfügbar). Darüber hinaus könnte man die Förderung erhöhen und die Einkommensgrenzen weiter ausweiten, dann aber die Verwendung der Ersparnisse ähnlich wie bei der Wohnungsbauprämie für bestimmte Zwecke binden, neben dem Immobilienerwerb etwa auch für Weiterbildungen, Unternehmensgründungen etc. Dies lässt sich auch mit Konzepten wie einem Lebenschancenkredit beziehungsweise Chancenkonto im Rahmen eines Grunderbes verbinden, auf das in den nächsten Abschnitten näher eingegangen wird.
Bei der Einkommensteuer beziehungsweise bei der Abgeltungsteuer könnte der Sparerfreibetrag erhöht werden, um Kapitalerträge steuerfrei zu stellen, die Haushalte auf angemessene Finanz-Vorsorgevermögen erzielen. Hierzu könnte der steuerfreie Pauschbetrag von derzeit 801 Euro je Person auf 1600 Euro verdoppelt werden.Bis 1999 galt sogar ein Sparerfreibetrag von 6000 DM oder 3 048 Euro pro Person.
Ein Staatsfonds, der in weltweit gestreute Portfolios investiert, könnte ergänzende Erträge erwirtschaften, die der Bevölkerung zugutekommen. Damit könnten zum Beispiel ein Grundeinkommen, die Altersvorsorge oder ein Basisvermögen ko-finanziert werden.Clemens Fuest et al. (2019): Staatsfonds für eine effiziente Altersvorsorge: Welche innovativen Lösungen sind möglich? ifo Schnelldienst 14 (online verfügbar).
Die skizzierten Förderprogramme dürften mit jährlichen Ausgaben von knapp vier Milliarden Euro im Jahr auskommen (Abbildung 2). Durch die moderaten Fördervolumina und die Fokussierung auf die Mittelschicht wirken sie aber nur langfristig und auch lediglich moderat auf die Vermögensverteilung. Sie werden leicht von anderen Entwicklungen überlagert. Sollen schneller Ergebnisse erzielt werden, müssten die Vermögen direkter und spürbarer umverteilt werden.
Bei der Grunderwerbsteuer sollten Steuergestaltungsmöglichkeiten abgeschafft und der (Erst-)Erwerb von Wohneigentum steuerfrei gestellt werden, wie es auch im Koalitionsvertrag geplant ist. Ein Freibetrag für den (Erst-)Erwerb von Wohneigentum in Höhe von 250000 Euro und die Einschränkung von „share deals“Vgl. auch Stefan Bach und Sebastian Eichfelder (2021): Reform der Immobilienbesteuerung: Bodenwerte belasten und Privilegien streichen. DIW Wochenbericht Nr. 27 (online verfügbar). dürften schätzungsweise vier Milliarden Euro jährliche Mindereinnahmen bedeuten. Auch diese Reform dürfte die Vermögensungleichheit allenfalls langfristig und moderat reduzieren, insoweit dies Schwellenhaushalten den Erwerb von Wohneigentum erleichtert.
Größere Förderprogramme für einzelne Vermögensarten wie das Wohneigentum oder die Altersvorsorge lösen leicht Mitnahmeeffekte aus und privilegieren einzelne Vermögensanlagen. Zudem stellt sich ein relevanter Effekt auf die Vermögensverteilung erst nach Jahrzehnten ein. Alternativ bieten sich allgemeine Vermögenstransfers an, etwa ein bedingungsloses Grunderbe.Proposal 6 in Anthony B. Atkinson (2015): Inequality: What Can Be Done? Harvard University Press (online verfügbar); vgl. auch Anthony B. Atkinson (2015): Inequality: What Can Be Done? Working Paper 2. International Inequalities Institute, London School of Economics and Political Science (online verfügbar). Dabei erhält jeder Einwohner und jede Einwohnerin mit 18 Jahren ein Startkapital vom Staat. Um einen nennenswerten Effekt auf die Vermögensungleichheit zu erzielen, wird ein Betrag von bis zu 20000 Euro pro Person vorgeschlagen. Bei den derzeitigen Altersgruppen junger Erwachsener von etwa 750000 Personen je Geburtsjahrgang bedeutet das ein Finanzierungsvolumen von 15 Milliarden Euro im Jahr (Abbildung 2).
Ein solches Grunderbe würde die Vermögensungleichheit spürbar reduzieren, die sich über Erbschaften und Schenkungen in der Generationenfolge fortsetzt. Denn derzeit erben die meisten Menschen nichts oder nur wenig. Nur etwa 25 bis 30 Prozent erhalten Beträge über 100000 Euro, zumeist erst in höherem Alter.Kira Baresel et al. (2021): Hälfte aller Erbschaften und Schenkungen geht an die reichsten zehn Prozent aller Begünstigten. DIW Wochenbericht Nr. 5 (online verfügbar); Stefan Bach und Andreas Thiemann (2016): Hohe Erbschaftswelle, niedriges Erbschaftsteueraufkommen. DIW Wochenbericht Nr. 3 (online verfügbar). Nur wenige erhalten bereits in jungen Jahren größere Beträge, und sehr wenige bekommen sehr viel. Das reduziert die Chancengleichheit innerhalb einer Generation beträchtlich.
Insofern bietet es sich an, das Grunderbe über eine höhere Erbschaftsteuer oder anderen Steuern auf hohe Vermögen zu finanzieren (siehe den folgenden Abschnitt). Dies würde meritokratischen Vorstellungen der Leistungs-, Verteilungs- und Steuergerechtigkeit besonders entsprechen. Ferner ließe sich mit der Aufkommensverwendung für das Grunderbe auch der starke Widerstand gegen Erhöhungen der Erbschaftsteuer verringern, die auch in der gehobenen Mittelschicht und in der unteren Oberschicht recht unbeliebt ist, obgleich dort nur wenige davon betroffen sind.
Das Grunderbe wäre insoweit bedingungslos, als es nicht an eine Bedürftigkeit im Sinne von eigenem Vermögen oder Einkommen gebunden ist. In seiner Verwendung wird die Politik es aber sinnvollerweise an bestimmte Zwecke binden: Ausbildungsfinanzierung, Erwerb von Wohneigentum, Selbstständigkeit und Unternehmensgründungen, Weiterbildung oder für Einkommenseinbußen bei Arbeitslosigkeit oder Krankheit. Gefördert werden könnte auch die Betreuung von Kindern, Alten oder Behinderten. Solche Konzepte wurden entwickelt als LebenschancenkreditSteffen Mau (2015): Der Lebenschancenkredit: Ein Modell der Ziehungsrechte für Bildung, Zeitsouveränität und die Absicherung sozialer Risiken. WISO direkt (online verfügbar). oder als Chancenkonto beziehungsweise persönliches Erwerbstätigenkonto.Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2017): Weißbuch Arbeiten 4.0: 181f. (online verfügbar). Nicht ausgeschöpfte Beträge könnten verzinst und im höheren Alter für die Altersversorgung oder zur freien Verfügung gestellt werden.
Um die Förderprogramme und vor allem das höhere Grunderbe zu finanzieren, könnten Steuern auf hohe Vermögen und Einkommen moderat erhöht werden. Mit Rücksicht auf mögliche negative wirtschaftliche Wirkungen sollten dabei vor allem die Erbschaftsteuer und die Immobilienbesteuerung im Vordergrund stehen.
Trotz mehrfacher Reformen in den letzten Jahrzehnten hat die Erbschaftsteuer weiterhin erhebliche Defizite. Unternehmensnachfolgen werden weitgehend steuerfrei gestellt, um Unternehmen nicht zu gefährden. Dabei werden auch sehr hohe Übertragungen begünstigt, selbst wenn sie an Personen gehen, die sich nicht aktiv im Unternehmen engagieren und als Anteilseigner keine besonderen unternehmerischen Risiken tragen, etwa auch Minderjährige und Kinder.Stefan Bach (2015): Erbschaftsteuer: Firmenprivilegien begrenzen, Steuerbelastungen strecken. DIW Wochenbericht Nr. 7 (online verfügbar); Stefan Bach und Thomas Mertz (2016): Vor der Erbschaftsteuerreform: Nutzung der Firmenprivilegien hat Minderjährige zu Multimillionären gemacht. DIW Wochenbericht Nr. 36 (online verfügbar). Ferner gibt es Gestaltungsmöglichkeiten bei Übertragungen an Stiftungen oder durch die mehrfache Nutzung persönlicher Freibeträge.
Eine Mindestbesteuerung von hohen Unternehmensübertragungen und der Abbau von Steuervergünstigungen könnten das Aufkommen der Erbschaftsteuer längerfristig verdoppeln. Dabei sollte die Zehn-Jahresfrist bei der Gewährung der persönlichen Freibeträge deutlich verlängert oder ganz abgeschafft werden, so dass die Freibeträge nur einmal im Leben in Anspruch genommen werden können. Um auch hohe Unternehmenseinkommen mittelbar progressiv zu belasten, könnte eine Vermögensteuer für Hochvermögende eingeführt werden, zum Beispiel ab Vermögen von 20 Millionen Euro. Bei den Immobilienvermögen könnten die Bodenwerte durch die Grundsteuer sowie die Veräußerungsgewinne durch die Einkommensteuer stärker besteuert werden.Bach und Eichfelder (2021), a.a.O.
Insgesamt könnten diese Steuerreformen ein jährliches Mehraufkommen von bis zu 22,5 Milliarden Euro im Jahr oder 0,6 Prozent des für 2022 geschätzten Bruttoinlandsprodukts (BIP) erzielen (Abbildung 3). Damit können die Programme zur Vermögensförderung einschließlich der Grunderwerbsteuer-Entlastungen sowie insbesondere das Grunderbe finanziert werden.
Die langfristigen Wirkungen von Steuern auf hohe Vermögen auf die Vermögensverteilung im Querschnitt lassen sich mit einer einmaligen Vermögensabgabe aufzeigen (Abbildung 4). Die Idee dabei ist: Über 30 Jahre – also in etwa über einen Generationenabstand – wirkt eine laufende Vermögensteuer mit einem jährlichen Steuersatz von einem Prozent ähnlich wie eine Erbschaftsteuer mit einem Steuersatz von 30 Prozent, die alle 30 Jahre erhoben wird, oder eine einmalige Vermögensabgabe in Höhe von 30 Prozent, die in gleichmäßigen Teilzahlungen über 30 Jahre abgezahlt wird. Eine Vermögensabgabe, wie sie im Folgenden berechnet wird, beschreibt also die langfristigen Wirkungen von einer höheren Erbschaftsteuer oder einer Vermögensteuer. Dies wird hier vereinfacht simuliert unter Vernachlässigung von weiteren wirtschaftlichen Wirkungen, insbesondere Ausweichreaktionen. Zusätzlich wird die langfristige Wirkung des Grunderbes auf die Vermögensverteilung untersucht.
Mit einem Mikrosimulationsmodell werden verschiedene Szenarien einer Vermögensabgabe für das Jahr 2017 simuliert.Die Simulationsrechnungen zu Vermögensabgabe und Grunderbe basieren auf einer integrierten Datengrundlage für die gesamte Vermögensverteilung der privaten Haushalte in Deutschland für das Jahr 2017, vgl. Stefan Bach (2020): Vermögensabgabe DIE LINKE: Aufkommen und Verteilungswirkungen. DIW Berlin: Politikberatung kompakt 157, 42ff (online verfügbar). Verwendet wird die dritte Welle der Haushaltserhebung „Household Finance and Consumption Survey“ (HFCS) der Euro-Zentralbanken aus dem Jahr 2017, den die Deutsche Bundesbank für Deutschland erhebt. Ferner werden die 300 reichsten Deutschen nach der Liste des Manager Magazins für das Jahr 2017 in den Modelldatensatz integriert. Unter der Annahme der Pareto-Verteilung wird für den obersten Vermögensbereich das Vermögen und die Vermögensverteilung der Haushalte mit hohen Nettovermögen (ab drei Millionen Euro) geschätzt. Mit einem Mikrosimulationsmodell werden die Aufkommens- und Verteilungswirkungen der Vermögensabgabe sowie des Grunderbes berechnet. Dabei werden persönliche Freibeträge von ein oder zwei Millionen Euro vorgesehen. Zusätzlich werden Szenarien mit Freibeträgen für Betriebsvermögen und Beteiligungen an Kapitalgesellschaften von zwei oder fünf Millionen Euro untersucht, die kleine und mittelständische Unternehmen schonen sollen.
Für die Abgabebelastung wird ein progressiver Stufentarif verwendet (Abbildung 5): Abgabepflichtige Vermögen jenseits der Freibeträge werden mit einem Abgabesatz von 15 Prozent bis zu einem abgabepflichtigen Vermögen von 15 Millionen Euro belastet, die übersteigenden Vermögen werden mit 22,5 Prozent bis 30 Millionen Euro Vermögen belastet, die übersteigenden Vermögen mit 30 Prozent. Dies gilt dann analog auch für den Tarif einer Erbschaftsteuer, die alle 30 Jahre erhoben wird.Dies entspricht in etwa dem Erbschaftsteuertarif in Steuerklasse I (online verfügbar). Die analogen Grenzsteuersätze einer laufenden Vermögensteuer sind dann 0,5, 0,75 und 1,0 Prozent, entsprechend der Höhe des steuerpflichtigen Vermögens.
Je nach Szenario ergibt die Vermögensabgabe ein gesamtes Aufkommen von 384 Milliarden Euro (beim persönlichen Freibetrag von zwei Millionen Euro und einem Freibetrag für Unternehmensvermögen von fünf Millionen Euro) bis 615 Milliarden Euro (beim persönlichen Freibetrag von einer Million Euro und keinem Freibetrag für Unternehmensvermögen) (Tabelle 1). Dies entspricht einem jährlichen Aufkommen von 13 bis 20 Milliarden Euro (Abbildung 4).
Persönlicher Freibetrag eine Million Euro | Persönlicher Freibetrag zwei Millionen Euro | |||||
---|---|---|---|---|---|---|
Freibetrag für Betriebsvermögen und Beteiligungen an Kapitalgesellschaften | ||||||
ohne | 2 Mio. Euro | 5 Mio. Euro | ohne | 2 Mio. Euro | 5 Mio. Euro | |
Abgabepflichtige | ||||||
In Tausend | 1564 | 1448 | 1332 | 423 | 366 | 293 |
In Prozent der Bevölkerung | 2,3 | 2,1 | 2,0 | 0,6 | 0,5 | 0,4 |
Abgabeaufkommen, in Milliarden Euro | ||||||
insgesamt | 615 | 511 | 475 | 498 | 419 | 384 |
jährlich | 20 | 17 | 16 | 17 | 14 | 13 |
Verteilung des Abgabeaufkommens nach Perzentilen des Nettovermögens in Prozent | ||||||
Erstes bis 99. Perzentil | 3,7 | 2,4 | 2,5 | 0,0 | 0,0 | 0,0 |
99,1. bis 99,9. Perzentil | 28,4 | 20,9 | 21,8 | 18,7 | 9,5 | 9,6 |
Top-0,1-Prozent | 67,9 | 76,7 | 75,6 | 81,3 | 90,5 | 90,4 |
Veränderung der Vermögensverteilungsmaße in Prozent | ||||||
Gini-Koeffizient | −1,6 | −1,3 | −1,2 | −1,3 | −1,1 | −1,0 |
GE(2)1 | −44,4 | −45,3 | −45,4 | −45,4 | −46,0 | −46,2 |
Relation der Durchschnittsvermögen von Top-1-Prozent zur unteren Hälfte der Bevölkerung | ||||||
Referenz im Status quo: 466 | 394 | 406 | 410 | 406 | 415 | 420 |
Erhebungskosten in Prozent des Abgabeaufkommens insgesamt | ||||||
3,2 | 3,5 | 3,7 | 2,3 | 2,4 | 2,5 |
1 Das GE(2)-Maß berücksichtigt vor allem die Änderungen im obersten Bereich der Verteilung.
Quelle: Simulationsrechnungen auf Grundlage des Household Finance and Consumption Surveys (HFCS) 2017, einschließlich der geschätzten Fälle mit sehr hohen Vermögen.
Der Gini-Koeffizient der Vermögensverteilung wird durch die Vermögensabgabe allerdings nur um 1,0 bis 1,6 Prozent reduziert.Der Gini-Koeffizient der Vermögensverteilung privater Haushalte liegt in Deutschland bei etwa 0,8. Der Gini-Koeffizient ist ein statistisches Standardmaß zur Messung der Ungleichheit einer Verteilung. Er wird auf einer Skala von 0 (keine Ungleichheit) bis 1 (größtmögliche Ungleichheit) gemessen. Weitere Informationen im Glossar unter www.diw.de. Denn am gesamten Privatvermögen von über zwölf Billionen Euro macht selbst ein so hohes Aufkommen gerade einmal bis zu fünf Prozent des Vermögensbestandes aus. Zudem ist der Gini-Koeffizient auf die Mitte der Verteilung bezogen und reagiert nicht stark auf Veränderungen am oberen Rand, wo die Vermögensabgabe erhoben wird. Das stark „top-sensitive“ GE(2)-Maß, das die Veränderungen im Top-Bereich der Vermögensverteilung stark berücksichtigt,Die generalisierten Entropiemaße (GE) mit Gewichten >1 betonen Änderungen im oberen Bereich der Verteilung stärker („top-sensitive“), vgl. Frank A. Cowell (1980): Generalized entropy and the measurement of distributional change. European Economic Review 13 (1), 147–159 (online verfügbar). Insbesondere das GE(2)-Maß, das der Hälfte des quadrierten Variationskoeffizienten der Verteilung entspricht, reagiert sehr sensibel auf Änderungen im obersten Bereich der Verteilung. geht dagegen fast um die Hälfte zurück. Stärker reagiert auch die Relation der Durchschnittsvermögen zwischen dem Top-1-Prozent und der unteren Hälfte der Bevölkerung, die im Status quo bei 466 liegt.Die untere Hälfte der Bevölkerung hat ein Durchschnittsvermögen von 12245 Euro, das oberste Prozent 5,7 Millionen Euro. Das heißt, das reichste Prozent der Bevölkerung hat das 466-fache des Pro-Kopf-Vermögens der ärmeren Hälfte. Diese Relation sinkt auf 394 bis 420.
Die langfristige Wirkung des Grunderbes wird simuliert, indem das Aufkommen der Vermögensabgabe einheitlich je Person an die Bevölkerung im Alter von 18 bis 47 Jahren ausgezahlt wird, das sind 2017 knapp 30 Millionen Personen. Es wird also so getan, als ob das Grunderbe bereits seit 30 Jahren gezahlt wird und die Begünstigten das Geld für die Vermögensbildung verwendet und nicht verbraucht haben. Aus dem gesamten Aufkommen der Vermögensabgabe ergibt sich ein Grunderbe von 13000 Euro pro begünstigte Person beim niedrigsten Abgabeaufkommen bis zu einem Grunderbe von 21000 Euro beim höchsten Abgabeaufkommen (Tabelle 2).
Persönlicher Freibetrag eine Million Euro | Persönlicher Freibetrag zwei Millionen Euro | |||||
---|---|---|---|---|---|---|
Freibetrag für Betriebsvermögen und Beteiligungen an Kapitalgesellschaften | ||||||
ohne | 2 Mio. Euro | 5 Mio. Euro | ohne | 2 Mio. Euro | 5 Mio. Euro | |
Grunderbe je Person, Euro | 20917 | 17380 | 16169 | 16936 | 14262 | 13065 |
Veränderung der Nettovermögen in Prozent | ||||||
Erstes bis 50. Perzentil | 93,7 | 77,9 | 72,5 | 75,9 | 63,9 | 58,6 |
50. bis 90. Perzentil | 4,7 | 3,9 | 3,6 | 3,8 | 3,2 | 2,9 |
90. bis 99. Perzentil | 0,2 | 0,3 | 0,3 | 0,6 | 0,5 | 0,5 |
99,1. bis 99,9. Perzentil | −9,2 | −5,6 | −5,5 | −4,9 | −2,1 | −1,9 |
Top-0,1-Prozent | −21,4 | −20,1 | −18,4 | −20,7 | −19,4 | −17,8 |
Veränderung der Vermögensverteilungsmaße in Prozent | ||||||
Gini-Koeffizient | −7,2 | −6,0 | −5,6 | −5,9 | −5,0 | −4,6 |
GE(2)2 | −50,2 | −50,0 | −49,9 | −50,1 | −49,9 | −49,7 |
Relation der Durchschnittsvermögen von Top-1-Prozent zur unteren Hälfte der Bevölkerung | ||||||
Referenz im Status quo: 466 | 204 | 228 | 238 | 231 | 253 | 265 |
1 Verwendung des Abgabeaufkommens für ein Grunderbe als Pro-Kopf-Transfer an alle Personen im Alter von 18 bis 47 Jahren
2 Das GE(2)-Maß berücksichtigt vor allem die Änderungen im obersten Bereich der Verteilung.
Quelle: Simulationsrechnungen auf Grundlage des Household Finance and Consumption Surveys (HFCS) 2017, einschließlich der geschätzten Fälle mit sehr hohen Vermögen.
Das Grunderbe begünstigt die jüngeren Generationen, die zumeist ein niedriges Vermögen haben und nicht von der Vermögensabgabe betroffen sind. Entsprechend spürbar sind die Wirkungen auf die Vermögensverteilung. In der unteren Hälfte der Bevölkerung steigen die Vermögen je nach Aufkommen der Vermögensabgabe um durchschnittlich 59 bis 94 Prozent, die Vermögen der Top-0,1-Prozent sinken dagegen durch die Vermögensabgabe um durchschnittlich 18 bis 21 Prozent (Abbildung 6). Die Relation der Durchschnittsvermögen zwischen dem Top-1-Prozent und der unteren Hälfte der Bevölkerung sinkt von 466 auf 204 bis 265.
Einschließlich des Grunderbes geht der Gini-Koeffizient um fünf bis sieben Prozent zurück. Das stark „top-sensitive“ GE(2)-Maß sinkt dagegen nur wenig stärker als bei der reinen Vermögensabgabe, da das Grunderbe im obersten Vermögensbereich nur eine sehr geringe Rolle spielt.
Bei diesen Simulationen werden vereinfachende Annahmen getroffen, die in der Realität von anderen Entwicklungen überlagert werden. So werden die besteuerten Wohlhabenden und Reichen die Steuerbelastungen zumeist aus ihren Vermögenserträgen bestreiten oder durch ihre hohen Sparquoten ausgleichen. Geringverdienende und Mittelschicht-Haushalte könnten durch das Grunderbe eigene Sparanstrengungen zurückfahren, dies ließe sich aber durch die Verwendungsauflagen vermindern. Hinzu kommen Steuervermeidung und weitere wirtschaftliche Wirkungen der Vermögensteuern, die deren Aufkommen reduzieren. Insgesamt dürften die tatsächlichen Wirkungen auf die Vermögensverteilung geringer ausfallen. Weitere Elemente der hier vorgeschlagenen Reformen der Erbschaftsteuer und vor allem der Immobilienbesteuerung treffen nicht nur Hochvermögende. Diese dürften daher nur geringe Wirkungen auf die Vermögensverteilung haben.
Die Vermögen sind in Deutschland besonders ungleich verteilt. Insbesondere die Mittelschicht verfügt über relativ geringe Nettovermögen. Eine breitere Vermögensbildung würde die (Alters-)Vorsorge stärken und das Armutsrisiko reduzieren, vor allem im Alter. Dies entlastet langfristig auch die öffentlichen Finanzen. Die neue Bundesregierung sollte dazu Wohneigentum, ergänzende Altersvorsorge und Finanzvermögen effektiver fördern. Ferner sollte sie Hürden für die Vermögensbildung abbauen, etwa auf den Immobilienmärkten oder im Steuerrecht. Allerdings würden diese Förderprogramme und Steuerreformen die hohe Vermögenskonzentration in Deutschland nur langfristig und nur moderat verringern.
Deutlich wirksamer wäre dagegen ein Grunderbe an alle im Alter von 18 Jahren, etwa in Höhe von rund 20000 Euro. Zusammen mit den übrigen Förderprogrammen und der Reform der Grunderwerbsteuer kostet dies pro Jahr rund 22,5 Milliarden Euro. Finanziert werden könnten diese Programme einschließlich der Entlastung bei der Grunderwerbsteuer über eine höhere Erbschaftsteuer oder andere Steuern auf hohe Vermögen. Insbesondere das Grunderbe und die Vermögensbesteuerung würden die Vermögensungleichheit in Deutschland deutlich reduzieren.
Themen: Verteilung, Ungleichheit, Steuern
JEL-Classification: H53;H24;D31
Keywords: Wealth formation, capital endowment (minimum inheritance), wealth taxation, wealth distribution
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-50-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/248542