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Die unsoziale Rezession

Blog Marcel Fratzscher vom 30. Mai 2023

Die Wirtschaft ist in die Rezession gerutscht. Das trifft vor allem Menschen mit geringem Einkommen hart. Gerade für sie ist auf Jahre keine Erholung absehbar.

Dieser Text erschien am 26. Mai 2023 bei Zeit Online in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Die Aufregung über die für das Winterhalbjahr bekannt gegebene Rezession ist groß. Doch sie ist fehlgeleitet. Denn die Zahlen sind zum einen nicht überraschend und zum anderen deutlich weniger schlimm als noch vor sechs Monaten befürchtet. Das Problem dieser Rezession ist ein anderes: Sie ist höchst unsozial, weil sie vor allem Menschen mit geringen Einkommen stark trifft und die Gesellschaft weiter spaltet. Doch das findet im öffentlichen Diskurs kaum Beachtung.

Es ist eine milde, technische Rezession

Die Bedeutung der Rezession, durch die vom Statistischen Bundesamt von 0,0 auf minus 0,3 Prozent revidierte Wachstumszahl des Bruttoinlandsprodukts für das erste Quartal 2023, ist viel geringer, als dies in der Öffentlichkeit erscheint. Solche statistischen Revisionen sind nicht unüblich und es kann gut sein, dass die Zahlen in ein oder zwei Jahren erneut revidiert werden, sodass sie sich möglicherweise ins Positive drehen. Tatsächlich handelt es sich eher um eine technische Rezession – und sie fällt im Vergleich zur Vergangenheit recht mild aus.

Zudem gibt es zwei positive Aspekte, die man beachten muss: Zum einen gingen die meisten Prognosen im Sommer 2022 noch von einer tiefen Rezession von zwischen minus vier Prozent und minus sechs Prozent aus als Resultat des Lieferstopps von Gas aus Russland. Im Vergleich dazu ist die leichte Rezession im Winterhalbjahr ein großer Erfolg, der vor allem auf die massiven Wirtschaftshilfen der Bundesregierung und die Gewährleistung der Energiesicherheit zurückzuführen ist. Zum anderen konnte außerdem ein Anstieg der Arbeitslosigkeit bisher verhindert werden.

Betroffen sind Menschen mit geringen Einkommen

Dennoch ist auch eine milde Rezession nichts Gutes – der negative Aspekt ist, dass vor allem Menschen mit geringen und mittleren Einkommen massive Einbußen in ihrem Lebensstandard erfahren müssen. Die Inflation betrug 2022 im Durchschnitt knapp sieben Prozent und für viele Menschen mit geringen Einkommen nicht selten das Doppelte davon, weil sie einen viel höheren Anteil ihres monatlichen Einkommens für die Dinge ausgeben mussten, die besonders teuer geworden sind wie Energie und Lebensmittel. Die Löhne und Renten konnten hingegen kaum Schritt halten – sie sind im Durchschnitt wenig mehr als vier Prozent gestiegen. Somit mussten vor allem Menschen mit geringen Einkommen starke Einbußen in ihrer Kaufkraft erfahren, zumal 40 Prozent der Menschen in Deutschland praktisch keine Ersparnisse haben, auf die sie zurückgreifen können, um die höheren Lebenshaltungskosten zu finanzieren. Die Folgen sind verheerend: Die Tafeln berichten von mittlerweile zwei Millionen regelmäßigen Besucher*innen. Immer mehr Menschen müssen sich verschulden. Und dies spiegelt sich auch in den Konjunkturzahlen wider, denn es ist vor allem der ungewöhnlich schwache private Konsum, der die Rezession erklärt.

Den Lebensstandard des Vorkrisenniveaus werden viele lange nicht mehr erreichen

Das noch größere Problem ist jedoch ein anderes: Die nächsten zwölf Monate dürften für viele Menschen, vor allem solche mit wenig Einkommen und ohne Rücklagen, nochmals härter werden. Denn die Inflation wird wohl mit voraussichtlich sechs Prozent in diesem Jahr wiederum deutlich über dem Anstieg der Löhne und Renten liegen. Somit werden viele Menschen den Gürtel nochmals enger schnallen müssen. Dies bedeutet konkret: weniger Geld für Lebensmittel, für Ausflüge mit den Kindern, für Kleidung und für größere Anschaffungen wie eine neue Waschmaschine oder ein Sofa.

Ein schwaches Wachstum bleibt erstmal absehbar

Hinzu kommen die gestiegenen Zinsen, die nicht nur Konsumentenkredite, sondern auch Kredite für Unternehmen deutlich teurer machen. Dies schwächt die Investitionen der Unternehmen, was sich wiederum negativ auf die Löhne der Beschäftigten und deren Kaufkraft auswirkt. Auch der Ausblick für die Jahre 2024 und 2025 ist alles andere als rosig, da wir uns auf absehbare Zeit mit einem schwachen Wachstum werden abfinden müssen. Und eine Eskalation des Kriegs in der Ukraine, Konflikte mit China oder Probleme im Bankensektor könnten die Wirtschaft erneut in eine Rezession treiben.

All dies bedeutet, dass viele Menschen wohl noch fünf Jahre oder mehr werden warten müssen, bis die Kaufkraft ihrer Löhne und damit ihr Lebensstandard wieder auf Vorkrisenniveau zurückgekehrt sein wird. Diese Krise zerstört viel Wohlstand und sie trifft vor allem die verletzlichsten Menschen, Menschen mit geringen Einkommen und mit wenig Vorsorge, besonders hart.

Soziale Ausgewogenheit und Unterstützung sollte jetzt die Planungen bestimmen

Daher sollte die Bundesregierung in ihrer Budgetplanungen für den Bundeshaushalt 2024 ihr Augenmerk viel stärker als bisher auf soziale Ausgewogenheit und Unterstützung von Menschen mit geringen Einkommen richten. Sie darf nicht wieder den Fehler von 2022 wiederholen und viel Geld per Gießkanne ausschütten und beispielsweise 15 Milliarden Euro pro Jahr durch den Ausgleich der kalten Progression primär an Personen mit Spitzenverdienst verteilen. Direkte Transferzahlungen an Menschen mit geringen Einkommen sind das beste Instrument, um schnell und effektiv zu helfen. Daneben sind Erhöhungen des Mindestlohns und der Rentenzahlungen wichtige Elemente, um zielgenau und vor allem dauerhaft Menschen gegen Inflation und Stagnation zu schützen.

Zudem sollte die Bundesregierung stärkere Anreize für Investitionen von Unternehmen setzen, sodass diese nicht nur gut durch die Krise kommen, sondern im globalen Wettbewerb bestehen und die wirtschaftliche, ökologische und digitale Transformation erfolgreich bewerkstelligen können. Außerdem benötigen wir auch eine kluge, expansive Finanzpolitik, die auf sozialen Ausgleich und die Herausforderungen der Wirtschaft in der Transformation ausgerichtet ist und die durch stärkere öffentliche Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Innovation auch eine schnellere wirtschaftliche Erholung möglich macht.

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