Pressemitteilung vom 26. Juli 2023
Bundesregierung vernachlässigt Aufnahmefähigkeit der lokalen Arbeitsmärkte bei der Verteilung von Geflüchteten – Königsteiner Schlüssel und Verteilung nach den Bevölkerungsanteilen ist ungeeignet, um die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten zu fördern – Mit den Aufenthaltsjahren in Deutschland steigt die Erwerbstätigkeit von Geflüchteten, aber nicht die Chance einer Beschäftigung im ursprünglichen Beruf – Von durchdachter Verteilung nach der Arbeitsmarktlage profitieren Geflüchtete und Unternehmen
Die Verteilung von Geflüchteten nach den Bevölkerungsanteilen der Bundesländer und deren Steueraufkommen erschwert den Geflüchteten die Stellensuche. Diese Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel vernachlässigt die Aufnahmefähigkeit der lokalen Arbeitsmärkte in den Kreisen und kreisfreien Städten. Geflüchtete haben jedoch größere Chancen, auch hierzulande in ihrem Beruf zu arbeiten, wenn eine geringe Arbeitslosigkeit an dem ihnen staatlich zugewiesenen Wohnort herrscht, ergibt eine Studie von Wissenschaftlern des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und der Universität Bielefeld. Die Forscher haben für die zwischen 2013 und 2016 nach Deutschland Geflüchteten untersucht, ob Geflüchtete in Deutschland ihrem im Herkunftsland zuletzt ausgeübten Beruf nachgehen. „Werden Geflüchtete nur nach den Bevölkerungsanteilen der Bundesländer laut Königsteiner Schlüssel verteilt, berücksichtigt der Staat nicht ausreichend die Aufnahmefähigkeit der regionalen Arbeitsmärkte“, sagt Studienautor Jan Goebel aus dem Direktorium der Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) im DIW Berlin. „Diese Verteilungsmethode in Kombination mit der Wohnsitzauflage fördert nicht die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt.“
© DIW Berlin
Erstmalig haben die Forscher die Chancen von Geflüchteten in Deutschland untersucht, in ihrem Beruf zu arbeiten. Überraschend haben sie festgestellt, dass im Gegensatz zur steigenden allgemeinen Beschäftigtenquote die Quote von Geflüchteten, die in ihrem vorherigen Beruf arbeiten, leicht rückläufig ist. 2017 gelang es noch 14 Prozent der erwerbstätigen Geflüchteten, ihren vorherigen Beruf wieder aufzunehmen, im Jahr 2019 war der Anteil auf elf Prozent gesunken. „Über die Jahre steigt zwar die Erwerbstätigkeit von Geflüchteten deutlich, aber nicht die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch in ihrem vorherigen Beruf arbeiten“, sagt Marvin Bürmann, Co-Autor der Studie und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bielefeld. Dabei haben Geflüchtete mit eher technischen und handwerklichen Berufen bessere Chancen, in Deutschland ihren vorherigen Beruf wiederzuerlangen. „Die Vorteile einer solchen Beschäftigung liegen auf der Hand, denn im Vergleich zu einer fachfremden Beschäftigung dürften Geflüchtete bereits erworbene berufliche Handlungskompetenzen in diesen Berufen deutlich besser einbringen können“, sagt Bürmann. „Davon können auch Arbeitgeber profitieren, sodass berufliche Übereinstimmungen nicht nur aus Perspektive der Geflüchteten, sondern auch aus gesamtwirtschaftlicher und -gesellschaftlicher Perspektive erstrebenswert sind.“ Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass Geflüchtete mit Erfahrung in Berufen mit vielen offenen Stellen bessere Beschäftigungschancen haben.
„Werden Geflüchtete nur nach den Bevölkerungsanteilen der Bundesländer verteilt, berücksichtigt der Staat nicht ausreichend die Aufnahmefähigkeit der regionalen Arbeitsmärkte.“ Jan Goebel
Die Studienautoren empfehlen, eine andere Verteilungsgrundlage als den Königsteiner Schlüssel zu nutzen und Geflüchtete gezielt nach den Arbeitsmarktbedingungen in Landkreisen und kreisfreien Städten zu verteilen. Denn schon eine um einen Prozentpunkt niedrigere regionale Arbeitslosigkeit erhöht um sechs Prozent die Wahrscheinlichkeit, dass Geflüchtete in ihrem vorherigen Beruf arbeiten können, ergibt die Analyse von Zahlen des SOEP und der Bundesagentur für Arbeit. „Von einer durchdachten Verteilung der Geflüchteten nach lokalen Arbeitsmarktbedingungen profitieren die Menschen, die hier Fuß fassen wollen, die ortsansässigen Arbeitgeber und letztlich auch die Kreise und kreisfreien Städte“, sagt Bürmann.
Themen: Arbeit und Beschäftigung , Migration