Direkt zum Inhalt

Programm für Deutschlands Transformation

Blog Marcel Fratzscher vom 15. August 2023

Die deutsche Wirtschaft schwächelt, und die Rufe von Unternehmen nach einem Konjunkturprogramm werden lauter. Die einen fordern Steuersenkungen, andere verlangen Subventionen und reduzierte Energiekosten. Das wäre jedoch der falsche Weg, denn Deutschland hat kein konjunkturelles, sondern ein strukturelles Problem. Aus diesem Grund würde ein weiteres Konjunkturprogramm der Bundesregierung ins Leere laufen. Wesentlich sinnvoller wäre ein langfristig angelegtes Transformationsprogramm mit einer Investitionsoffensive, einer breit angelegten Entbürokratisierung und einer Stärkung der Sozialsysteme.

Dieser Gastbeitrag erschien am 11. August 2023 in Die Welt.

Die konjunkturelle Lage in Deutschland bereitet vielen Sorge, kaum eine Volkswirtschaft entwickelt sich so schlecht. Das liegt auch daran, dass die schwache Weltwirtschaft offene Volkswirtschaften, wie die deutsche, besonders hart trifft. Die hohe Inflation gepaart mit schwacher Lohnentwicklung dürfte die Konsumnachfrage vieler Menschen mit mittleren und geringen Einkommen über Jahre hinaus bremsen. Dazu kommen China und die USA, die mit aggressiven Programmen darauf abzielen, Investitionen und Innovation aus Europa und Deutschland in ihre Volkswirtschaften zu verlagern. Eine Deindustrialisierung - der Verlust von Produktion und Arbeitsplätzen in bis dato hochinnovativen und wettbewerbsfähigen deutschen Industrieunternehmen - ist somit ein reales Risiko. Die Ursache für diese Bedrohung liegt jedoch nicht in vermeintlich hohen Energiepreisen und kommt ebenso wenig überraschend.

Sehr offensichtlich wurde in Deutschland in den vergangenen 15 Jahren die ökologische, wirtschaftliche und digitale Transformation verschlafen. Dass deutsche Unternehmen im globalen Wettbewerb um neue Technologien und Marktanteile ins Hintertreffen geraten sind, liegt nicht in wirtschaftlichen Schocks wie dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine begründet, sondern in den über Jahre zu geringen öffentlichen und privaten Investitionen in neue Technologien, Produkte und Prozesse. Aus diesem Grund ist die heutige wirtschaftliche Schwäche Deutschlands eine Krise mit Ansage. Ein kurzfristig angelegtes Konjunkturprogramm, welches noch mehr Subventionen an Unternehmen gibt, die Steuern senkt oder den Strompreis für die Industrie künstlich niedrig hält, wäre nicht geeignet, um die Probleme an der Wurzel zu packen. Vielmehr sollte die Bundesregierung auf ein langfristig angelegtes Transformationsprogramm mit drei Elementen setzen.

Das erste Element eines solchen Transformationsprogramms sollte eine breite Investitionsoffensive sein. Diese sollte sich als Ziel setzen, in den kommenden fünf Jahren das in den vergangenen 20 Jahren entstandene Defizit bei der öffentlichen Infrastruktur zu beheben. Dies erfordert massive öffentliche Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, vor allem in eine Verkehrswende und Verlagerung auf die Schiene, in eine digitale Infrastruktur, die momentan noch völlig unzureichend ist, und in den sozialen Wohnungsbau. Die Investitionsoffensive muss auch Innovationen stärken. Nicht nur die privaten Unternehmen geben zu wenig für Forschung und Entwicklung aus, auch der Staat muss diesen Prozess viel stärker mit eigenen Investitionen unterstützen.

Deutlich mehr muss der Staat auch in Bildung investieren. Ziel muss es sein, den im internationalen Vergleich wachsenden Rückstand in der Qualität des Bildungssystems in den kommenden zehn Jahren aufzuholen. Das zweite Element des Transformationsprogramms sollte eine breit angelegte Initiative zur Entbürokratisierung sein. Eine solche sollte schnellere und verlässlichere Genehmigungsverfahren ermöglichen. Ein wichtiger Schritt zur Erreichung dieses Ziels ist die umfassende Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung.

Das dritte Element sollten grundlegende Reformen der Sozialsysteme sein, um die soziale Akzeptanz für die wirtschaftliche, ökologische und digitale Transformation zu stärken.  Denn der massive Widerstand in der Bevölkerung - welcher von manchen politischen Parteien befeuert wird - ist vielleicht die größte, auch wirtschaftliche Hürde. Soziale Akzeptanz erfordert vor allem, die Chancen und Teilhabe von Menschen mit wenig Einkommen viel stärker in den Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen und zu unterstützen.

Die gerade beschlossene, viel zu geringe Steigerung des Mindestlohns ist ein Beispiel für eine verpasste Chance, ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber fast zehn Millionen Beschäftigten in Deutschland zu setzen und diese gleichzeitig gegen die hohe Inflation abzusichern. Deutschlands wirtschaftliche Probleme heute sind struktureller und nicht konjunktureller Natur. Ein Konjunkturprogramm, das der mächtigen Unternehmenslobby lediglich weitere Milliarden schenkt, wäre kontraproduktiv. Die Bundesregierung sollte vielmehr ihre engstirnige Fokussierung auf die Schuldenbremse aufgeben und ein breit angelegtes Transformationsprogramm mit den Schwerpunkten Investitionen, Entbürokratisierung und Stärkung der Sozialsysteme auflegen. Nur so können Wohlstand und die hohe Wettbewerbsfähigkeit hierzulande langfristig gesichert werden.

keyboard_arrow_up