DIW Wochenbericht 49 / 2023, S. 685-693
Philipp Herpich, Franziska Holz, Konstantin Löffler
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„Wärmepumpen erzeugen Wärme hocheffizient, sowohl dezentral in Gebäuden als auch für die Fernwärme. Dezentrales Heizen mit Wasserstoff hingegen ist äußerst ineffizient und sollte vermieden werden. Berlin muss daher jetzt den Ausbau von Strom- und Fernwärmenetzen beschleunigen, um wie geplant 2045 klimaneutral zu heizen.“ Franziska Holz
Das Land Berlin hat sich verpflichtet, bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen. Die Wärmeerzeugung ist der größte Treiber der Energienachfrage und verursacht fast die Hälfte der CO2-Emissionen in Berlin. Derzeit beruht die Wärmeversorgung überwiegend auf Erdgas, sowohl in der dezentralen Wärme- als auch in der Fernwärmeerzeugung. Berlin steht vor der Herausforderung, die Wärmeversorgung inklusive der Fernwärme zu dekarbonisieren. Bestehende Pläne sehen den Einsatz von Wasserstoff in der Wärmeerzeugung vor, jedoch ist dieser absehbar knapp und die Nutzung ineffizient. Diese Studie untersucht anhand von Modellrechnungen, wie die zukünftige klimafreundliche Wärmeversorgung in Berlin dargestellt werden kann, ohne auf große Mengen Wasserstoff angewiesen zu sein. In der Wärmeerzeugung stehen mit (Groß-)Wärmepumpen effiziente Technologien zur Verfügung, da sie verschiedene Umweltwärmequellen wie Luft, Flusswasser, Abwasser oder Industrieabwärme nutzen. In Kombination mit erneuerbarem Strom können sie emissionsfrei betrieben werden. Zusätzliche Möglichkeiten, den Wasserstoffeinsatz zu beschränken, sind der großflächige Ausbau von Photovoltaik auf Dächern, die Steigerung der Energieeffizienz bei Gebäuden und der Ausbau der Stromverteilnetze, um ausreichend Strom für neue Anwendungen in der E-Mobilität oder Wärmepumpen bereitstellen zu können.
Das Land Berlin hat sich verpflichtet, die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens einzuhalten. Im Einklang mit den bundesdeutschen Verpflichtungen bedeutet dies das Erreichen von Klimaneutralität bis 2045.Das Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz (EWG Bln) sieht die Senkung der CO2-Emissionen bis 2030 um mindestens 70 Prozent im Vergleich zu 1990 vor, bis 2040 um mindestens 90 Prozent und bis spätestens 2045 die Klimaneutralität (Netto-Null-Emissionen) (online verfügbar, abgerufen am 13.11. 2023. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Neben dem Land hat sich der Berliner Gasversorger Gasag das Ziel der Klimaneutralität bis 2040 gesteckt.Gasag (2023): Die Klimaschutz-Roadmap. Meilensteine auf dem Weg ins Grüne (online verfügbar, abgerufen am 21.11.2023). Zudem will Vattenfall, Berlins größter Fernwärmebetreiber, bis 2030 vollständig aus der Kohle aussteigen, sowohl in der Strom- als auch in der Wärmeerzeugung.Vattenfall stellt circa 90 Prozent der Berliner Fernwärme bereit. Siehe Michael Ritzau, Thomas Langrock und Armin Michels (2019): Kohleausstieg und Nachhaltige Fernwärmeversorgung Berlin 2030. BET Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH. Machbarkeitsstudie im Auftrag der Vattenfall Wärme Berlin AG und des Landes Berlin (online verfügbar). Für die Fernwärme legte das Land Berlin eine Zielquote für erneuerbare Energien von 40 Prozent bis 2030 und das Erreichen der Klimaneutralität bis 2040/45 fest. Derzeit beruht die Wärmeversorgung in Berlin noch überwiegend auf fossilen Quellen, insbesondere Erdgas.
In der Energiekrise 2022 wurde das damit verbundene Versorgungs- und Preisrisiko offensichtlich, sowohl für Erdgas- als auch für Fernwärmekunden. Der DIW Wärmemonitor 2022 zeigt für Berlin eine Preissteigerung von 42 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.Sophie Behr, Till Köveker und Merve Küçük (2023): Wärmemonitor 2022: Private Haushalte sparen fünf Prozent Heizenergie und CO2-Emissionen ein. DIW Wochenbericht Nr. 39, 529–539 (online verfügbar, abgerufen am 21.11.2023). Die Dekarbonisierung der Wärmeerzeugung sollte also auch genutzt werden, um Abhängigkeiten und Risiken wie bei der Erdgasversorgung zu verringern.
In diesem Wochenbericht werden Ergebnisse aus einem vom Climate Change Center Berlin Brandenburg geförderten Forschungsprojekt zur modellgestützten Analyse der zukünftigen Wärmeversorgung in Berlin berichtet und eingeordnet.Projekt „Open Heat BE“ (online verfügbar). Diese Forschung findet vor dem Hintergrund der politischen und öffentlichen Debatten über das Gebäudeenergiegesetz (GEG), die kommunale WärmeplanungDas Wärmeplanungsgesetz verpflichtet Kommunen mit mehr als 100000 Einwohner*innen bis 2026 einen Wärmeplan vorzulegen. Aus diesem soll hervorgehen, wie viel Wärme die Kommune in Zukunft verbraucht und wie sie die Wärme erneuerbar bereitstellen wird. und den Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft in Deutschland statt.
Die Wärmeversorgung für Gebäude im Land Berlin ist zweigeteilt.Diese Studie betrachtet nicht die sogenannte Prozesswärme für industrielle Prozesse. Sie hat in Berlin aufgrund der wirtschaftlichen Struktur mit wenig erzeugendem Gewerbe nur einen geringen Anteil an der Wärmenachfrage (circa acht Prozent) siehe Elisa Dunkelberg et al. (2021): Entwicklung einer Wärmestrategie für das Land Berlin. Studie im Auftrag des Landes Berlin, vertreten durch die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (online verfügbar). Zum einen gibt es einen hohen Anteil an Fernwärme, an die rund 43 Prozent der Wohnungen in Berlin angeschlossen sind. Zum anderen werden dezentral in der sogenannten objektbezogenen Wärmeversorgung Raumwärme und Warmwasser direkt vor Ort erzeugt.
Erdgas ist derzeit der wichtigste Energieträger für die Wärmeerzeugung in Berlin mit einem Anteil von 61 Prozent. Erdgas wird direkt für 44 Prozent der Endenergienutzung im Gebäudebereich verfeuert. Indirekt wird das Erdgas außerdem in der Fernwärmeerzeugung genutzt, wo es einen Anteil von 53 Prozent hat, das heißt für weitere 17 Prozent der Endenergienutzung steht (Abbildung 1).
Keine Daten liegen über die genaue Herkunft des in Berlin verbrauchten Erdgases vor. Es kann davon ausgegangen werden, dass bis Anfang 2022 eine genauso hohe – oder aufgrund der Lage in Ostdeutschland sogar höhere – Abhängigkeit von russischem Erdgas vorlag wie in den anderen Teilen Deutschlands, das zu rund 55 Prozent Erdgas aus Russland importierte.Franziska Holz et al. (2022): Energieversorgung in Deutschland auch ohne Erdgas aus Russland gesichert. DIW aktuell 83 (online verfügbar, abgerufen am 21.11.2023). Berlin ist ins deutsche Pipelinenetz integriert und ist für seine Versorgung vollständig auf Lieferungen aus dem Pipelinenetz angewiesen, da es seit einigen Jahren nicht mehr über einen Untertagespeicher auf Landesgebiet verfügt.
Berlin muss die Nutzung des fossilen Energieträgers Erdgas in den nächsten Jahren zurückfahren, um Treibhausgasneutralität bis 2045 gemäß der selbst gesteckten Klimaziele erreichen zu können. Die Berliner Energieversorger müssen daher die kommunale Wärmeplanung konkretisieren und bis spätestens 2026 den Fahrplan für die Zukunft der Erdgaspipelineinfrastruktur sowie der aktuellen Endverbrauchsgeräte aufstellen.Isabell Braunger (2023): Communal heat planning: Overcoming the path-dependency of natural gas in residential heating? Environmental Innovation and Societal Transitions 48, 100768 (online verfügbar).
Die konkreten Entwicklungen hin zur klimafreundlichen Wärmeversorgung Berlins unterliegen einer Reihe von Unsicherheiten. Das liegt zum einen an den Unsicherheiten über die zukünftigen Verfügbarkeiten und Kosten klimafreundlicher Technologien, denen das Energiesystem in Deutschland und Europa unterworfen ist.Franziska Holz et al. (2022): Zukunft des europäischen Energiesystems: Die Zeichen stehen auf Strom. DIW Wochenbericht Nr. 6, 75–82 (online verfügbar). Zum anderen liegt das an mangelndem Wissen über die Potenziale der erneuerbaren Energien vor Ort.
Beide Faktoren führen zu Unklarheit über die zukünftige Rolle von Wasserstoff. So gibt Vattenfall in seinem Dekarbonisierungsfahrplan für die Fernwärme an, dass Wasserstoff aus erneuerbaren Energien (oft auch als grüner Wasserstoff bezeichnetFür eine Erläuterung der Farbenlehre für Wasserstoff siehe Martin Kittel et al. (2023): Nationale Wasserstoffstrategie konsequent und mit klarem Fokus umsetzen. DIW Wochenbericht Nr. 41, 561–571 (online verfügbar).) ab spätestens 2040 in allen Heizkraftwerken des Unternehmens verwendet wird.Vattenfall (2023): Dekarbonisierungsfahrplan für die Wärmenetze der Vattenfall Wärme Berlin AG (online verfügbar). Wasserstoff würde dann laut Vattenfall einen Anteil von 20 bis 40 Prozent an der gesamten Wärmeerzeugung in Berlin haben. Auch die Gasag sieht in ihrem zukünftigen Geschäftsmodell eine wesentliche Rolle für Wasserstoff vor und plant die Umstellung ihres Gaspipelinenetzes auf Wasserstoff.Siehe Klimaschutz-Roadmap der Gasag (online verfügbar).
Gleichzeitig wird die Elektrifizierung vieler Anwendungen – neben Wärmepumpen beispielsweise auch Elektrofahrzeuge – die Stromnachfrage erhöhen und den Ausbau des Stromverteilnetzes in der Stadt notwendig machen.Siehe auch Alexander Roth et al. (2022): Wärmepumpen statt Erdgasheizungen: Umstieg durch Ausbau der Solarenergie unterstützen. DIW Wochenbericht, 22/2022 (online verfügbar). Dafür muss mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt werden, was auf dem Gebiet Berlins nur begrenzt möglich ist.
Unsicherheit bezüglich der zukünftig verfügbaren Wärmepotenziale besteht für verschiedene Energie- und Wärmequellen, zum Beispiel für Geothermie und Biomasse, aber auch für Abwärme und Abfall. Die potenziellen Kapazitäten für große saisonale Wärmespeicher wie Erdbeckenspeicher sind ebenfalls noch unsicher und müssen weiter erforscht werden.
Für die modellgestützte Untersuchung der zukünftigen Wärmeversorgung bedeuten diese Unsicherheiten, dass mit Hilfe von Szenarien die Bedeutung einzelner Faktoren abgeschätzt werden muss. Diese Studie betrachtet daher zwei Szenarien: ein Szenario „Niedrige Erneuerbare-Energien-Potenziale“ und ein Szenario „Hohe Erneuerbare-Energien-Potenziale“ (Tabelle 1). Beiden Szenarien liegen die gleichen Vorgaben bei den Klimazielen zu Grunde. Sie berücksichtigen beide einen Kohleausstieg bis 2030, Klimaneutralität bis 2045 (95 Prozent Reduktion der CO2-Emissionen und 100 Prozent Reduktion bis 2050) und einen Anstieg der CO2-Preise. Zudem entwickelt sich in beiden Szenarien die Wärmenachfrage identisch. Der Wärmebedarf (aus Fernwärme sowie aus der dezentralen Erzeugung) ist vorgegeben. Der (zukünftige) Wärmebedarf wird auf 60 Prozent des heutigen Wärmebedarfs geschätzt. Die Annahme liegt damit innerhalb des Rahmens, den die Szenarien der Wärmestrategie für Berlin aufspannen.Dunkelberg et al. (2021), a.a.O. Die in der Wärmestrategie entworfenen Szenarien gehen von einem Wärmebedarf zwischen 75 und 50 Prozent des heutigen Niveaus aus. Um auf 50 Prozent des Wärmebedarfs zu kommen, bedarf es mittelfristig einer Sanierungsrate von 3,5 Prozent pro Jahr, was angesichts der aktuell niedrigen Raten bei Gebäuden (unter einem Prozent im Jahr) schwer zu realisieren scheint. Daher wird im weiteren Verlauf eine vorsichtigere Reduktionsentwicklung der Wärme auf 60 Prozent angenommen.Annahmen wie die Preise für (importierten) Wasserstoff wurden aus dem EU Horizon 2020 Projekt open ENTRANCE übernommen, in dem mit GENeSYS-MOD mehrere 1,5 Grad Celsius- und 2°C-Szenarien für Europa modelliert wurden. Siehe Konstantin Löffler et al. (2022): Quantitative Scenarios for Low Carbon Futures of the European Energy System on Country, Region and Local Level. Open ENTRANCE Deliverable 3.2 (online verfügbar).
Wärmequellen für Großwärmepumpen | Ausbau von Wärmespeichern | Ausbau der Stromverteilnetze | Potentiale von PV-Dachanlagen | |
---|---|---|---|---|
Szenario Niedrige EE-Potenziale |
500 MW | Kein Neubau | 7000 MW Obergrenze | 3800 MW |
Szenario Hohe EE-Potenziale |
1000 MW | Unbeschränkt | Unbeschränkt | 7000 MW |
Es wird das Energiesystemmodell GENeSYS-MOD in einer Variante speziell für Berlin verwendet (Kasten). Berlin wird als Insel betrachtet, erhält aber die Preise und Energieimportmengen aus Modellierungen mit GENeSYS-MOD für Deutschland und Europa und ist damit konsistent mit dem umliegenden Energiesystem.Eine ausführliche Beschreibung der Modellannahmen findet sich in Philipp Herpich et al. (2023): 100 percent renewable heat supply in Berlin by 2045 – A model-based approach. Beitrag zur IEWT Konferenz Wien (online verfügbar).
Zur Bewertung der Entwicklung der Berliner Energie- und Wärmeversorgung wurde das quelloffene Energiesystemmodell „Global Energy System Model“ (GENeSYS-MOD) genutzt und weiterentwickelt.Die Grundstruktur des Modells GENeSYS-MOD ist beschrieben in Konstantin Löffler et al. (2017): Designing a Model for the Global Energy System—GENeSYS-MOD: An Application of the Open-Source Energy Modeling System (OSeMOSYS). Energies 10(10), 1468 (online verfuegbar) sowie in Thorsten Burandt, Konstantin Löffler und Karlo Hainsch (2018): GENeSYS-MOD v2.0 – Enhancing the Global Energy System Model: Model Improvements, Framework Changes, and European Data Set. DIW Data Documentation 94 (online verfügbar). Das Modell ist open source verfügbar (online verfübar). GENeSYS-MOD zeichnet sich durch ein besonders hohes Niveau an Transparenz aus: Sämtliche Programmcodes und Inputdaten werden in einem nutzerfreundlichen Format zur Verfügung gestellt, um so Nachvollziehbarkeit und kritischen Diskurs der Ergebnisse zu ermöglichen. Mathematisch ist das Modell ein lineares Optimierungsprogramm, das unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Rahmenbedingungen ein kostenminimales Energiesystem ermittelt.
Hierbei kann ein beliebiger Detailgrad gewählt werden, zum Beispiel ein Unternehmen, eine Stadt, ein Bundesland, ein Kontinent oder die globale Ebene. Die diskontierten Gesamtkosten setzen sich aus Kapital- und Betriebskosten zusammen; ein Endwert der Anlagen kann ebenfalls definiert werden. Das Modell bildet das gesamte Energiesystem ab, inklusive Strom-, Verkehrs- und Wärmesektor. Außenhandel, das heißt Im- und Exporte von Energie, werden ebenfalls berücksichtigt. Das Modell ermittelt den Kapazitätsbedarf und kann – je nach Anwendung – zeitlich skaliert werden. Emissions- und Klimaziele, zum Beispiel ein CO2-Budget oder Ausbauziele für erneuerbare Energien, können exogen vorgegeben werden.
Im Modell werden unterschiedliche Erzeugungstechnologien unterschieden, die konventionelle und erneuerbare Energien umfassen (Abbildung). Sowohl Strom- als auch Gas- und Wärmenetze sind berücksichtigt, darüber hinaus wird die Sektorkopplung zwischen Strom, Wärme, Industrie und Verkehr vollständig abgebildet. GENeSYS-MOD berücksichtigt auch Speichertechnologien, Power-to-X, Wasserstoff und andere. Die Energienachfrage in den verschiedenen Sektoren wird exogen vorgegeben.
Für die Modellversion zur Betrachtung der Berliner Wärmeversorgung wurde das GENeSYS-MOD um diverse Technologien im Bereich der zentralen und dezentralen Fernwärmeversorgung erweitert. Unter anderem wurden verschiedene Typen von Großwärmepumpen und deren mögliche Einbindungen in das Berliner Fernwärmenetz sowie saisonale Wärmespeicher mit in die Analyse aufgenommen.
Zentrale Annahme des Szenarios „Niedrige Erneuerbare- Energien-Potenzial“ ist, dass weniger Potenziale an Wärmequellen mit Wärmepumpen nutzbar sind; zur Verfügung stehen zum Beispiel geringeres Geothermie-, Abwasserwärme- und Flusswasserwärmepotenzial. Auch die Möglichkeit, neue saisonale Speicher zu errichten, wird beschränkt. Beim Ausbau der Stromverteilnetze wird lediglich das bisherige Ausbautempo von rund 50 Megawatt (MW) pro Jahr weitergeführt.
Im Unterschied dazu, wird für das Szenario „Hohe Erneuerbare-Energien-Potenziale“ angenommen, dass erneuerbare Wärmepotenziale in größerem Maße mit Wärmepumpen genutzt werden können. Große saisonale Wärmespeicher werden in diesem Szenario nicht beschränkt. Sie müssten auf Grund ihrer Größe wahrscheinlich außerhalb Berlins errichtet werden, beziehungsweise Flächen für die kommunale Wärmeplanung vorgehalten werden. Sie ermöglichen die Nutzung von jahreszeitlich schwankenden Wärmepotenzialen wie aus großen zentralen Solarthermieanlagen. Zudem werden im Szenario „Hohe Erneuerbare-Energien-Potenziale“ keine Beschränkungen beim Ausbau des Stromverteilnetzes angenommen. Gleichzeitig werden höhere Potenziale bei Photovoltaik-Dachanlagen angesetzt, die lokal verwendeten Strom für E-Mobilität und Wärmepumpen bereitstellen.Photovoltaik-Dach-Potenziale basierend auf Joseph Bergner, Bernhard Siegel und Volker Quaschning (2019): Das Berliner Solarpotenzial (online verfügbar).
Wasserstoff ist vielseitig einsetzbar und wäre eine Möglichkeit für die Dekarbonisierung des Verkehrs- oder Wärmesektors. Allerdings existieren meist besser geeignete Alternativen. Heizen mit Wasserstoff ist aufgrund der Umwandlungsverluste deutlich ineffizienter als das Heizen mit einer Wärmepumpe, die außer Strom auch Umweltwärme nutzt (Abbildung 2). Daher muss der Einsatz von Wasserstoff in der Gebäudewärme kritisch bewertet werden.Jan Rosenow (2022): Is heating homes with hydrogen all but a pipe dream? An evidence review. Joule 6 (10), 2219–223 (online verfügbar). Das knappe Angebot an erneuerbarem Wasserstoff sollte in Zukunft an den Stellen eingesetzt werden, wo es keine sinnvollen Alternativen gibt, zum Beispiel im Flug- und Schiffsverkehr oder der Stahlerzeugung.
Außerdem gilt: Wasserstoff ist nicht gleich Wasserstoff. Erneuerbarer Wasserstoff aus (Überschuss-) Strom aus erneuerbaren Quellen wie Wind und Solar muss von Wasserstoff aus fossilen Energieträgern wie Erdgas, Atomstrom oder Kohle (mit oder ohne Abscheidung von CO2) unterschieden werden. Im Sinne der Energiewende kann in Zukunft kein Wasserstoff mehr aus Erdgas, Kohle oder Atomstrom gewonnen werden, da selbst mit CO2-Abscheidung und unterirdischer Speicherung (CCS) nur 90 Prozent der Prozessemissionen vermieden werden.Patrick Brandl et al. (2021): Beyond 90 percent capture: Possible, but at what cost? International Journal of Greenhouse Gas Control 105, 103239 (online verfügbar). Die Produktion von erneuerbarem Wasserstoff ist in Zukunft allerdings beschränkt, da aufgrund von fehlenden Flächen in Deutschland und Europa nicht unbegrenzt erneuerbare Energien ausgebaut werden können, um den zusätzlichen Strombedarf für die Wasserstoffproduktion zu decken.Sachverständigenrat für Umweltfragen (2021): Wasserstoff im Klimaschutz: Klasse statt Masse (online verfügbar).
Da die einheimische Produktion von Wasserstoff den deutschen Bedarf nicht wird decken können, gehen Studien zur Klimaneutralität in Deutschland von größeren Mengen an importiertem Wasserstoff aus.Ariadne Projekt (2022): Vergleich der „Big 5“-Klimaneutralitätsszenarien (online verfügbar). Hier bestehen Unsicherheiten, da der globale Wasserstoffmarkt nicht etabliert und der Transport mit dem Schiff aufgrund eines unvorteilhaften Volumen-Energie-Verhältnisses schwierig ist. Der Import von Wasserstoff erzeugt zudem neue Abhängigkeiten, die mit Blick auf die Erfahrungen der Gasabhängigkeit in Zukunft vermieden werden sollten.
Für das Szenario „Niedrige Erneuerbare Energien-Potenziale“ geht diese Studie von derselben Ausbaurate der Stromverteilnetze in Berlin von 50 MW pro Jahr aus, wie sie in den vergangenen zehn Jahren beobachtet wurde. 2022 liegt die Übertragungskapazität auf Mittel-/Niederspannungseben des Verteilnetzes bei 5,6 Gigawatt (GW) oder 5600 MW.Berlin Open Data (2023): Netzstrukturdaten (online verfügbar). Bei linearer Fortschreibung des Ausbautempos liegt die Obergrenze für den Stromtransport 2050 bei circa sieben GW.Das ist abzüglich der Solarstromerzeugung und dezentraler Stromspeicher die Obergrenze für den Verbrauch an Strom in jeder modellierten Stunde.
Die Verteilnetzbeschränkung wirkt sich vor allem auf die dezentrale Wärmeerzeugung aus (Abbildung 3). Während im unbeschränkten Fall (Szenario „Hohe EE-Potenziale“) die Gebäudewärmeversorgung fast ausschließlich durch Wärmepumpen und Fernwärme sichergestellt ist, müssten bei beschränktem Netzausbau erhebliche Mengen an Wasserstoff in der dezentralen Wärmeversorgung verwendet werden, um die Klimaziele einzuhalten. Das liegt daran, dass nicht ausreichend Strom transportiert werden kann, um eine große Anzahl Wärmepumpen und E-Autos zu betreiben. Da es unwahrscheinlich ist, dass erneuerbarer Wasserstoff in Zukunft in ausreichendem Maße für die dezentrale Gebäudewärme zur Verfügung steht, besteht die Gefahr, dass bei schleppendem Verteilnetzausbau fossiles Erdgas die Versorgungslücke schließt und zu weiteren CO2-Emissionen führt. Flexible Wärmepumpen, dezentrale Stromspeicher, bi-direktionales Laden und intelligente Laststeuerung bestimmter Nachfrager kann das Stromverteilnetz zusätzlich entlasten und den Ausbau minimieren. Strompreissignale können beispielsweise helfen, den Betrieb von Wärmepumpen zu flexibilisiseren und so an die Lastspitzen der Stromversorgung anzupassen.
Die Fernwärmenachfrage steigt in Zukunft (Abbildung 4), da mehr Gebäude in bestehenden Fernwärmegebieten (Verdichtung) und in neuen Fernwärmegebieten (Erweiterung) angeschlossen werden. Durch die Sanierung sinkt allerdings die Nachfrage der einzelnen Gebäude, so dass insgesamt die Fernwärmenachfrage bis 2050 wieder etwa auf dem Niveau von 2022 liegen wird. In Zukunft müssen in der Fernwärme Technologien zum Einsatz kommen, die bisher noch nicht verwendet werden. Sie sind derzeit in der Entwicklung und werden teilweise auch schon in Berlin erprobt. Vor allem Großwärmepumpen werden für die Fernwärmeerzeugung wichtig, aber auch andere Technologien kommen in Frage (Tabelle 2). Wärmepumpen bieten den Vorteil, dass sie verschiedene Umweltwärmequellen wie Flusswasser, Abwasser, Abwärme aus Rechenzentren oder geothermische Quellen nutzen können. Wenn die Stromerzeugung erneuerbar ist, ist ihr Betrieb emissionsfrei.
Technologie | Vorteile | Nachteile und Hindernisse |
---|---|---|
Großwärmepumpen | ||
Geothermie (oberflächennah und tief) | Ganzjährige Wärmeversorgung mit hohen Ausgangstemperaturen |
– Hohe Investitionskosten – Risiko bei Bohrungen keine ausreichend gute Wärmequelle zu finden – Potenzielle Konflikte mit Grundwasserschutzzonen, daher nicht überall in Berlin einsetzbar |
Flusswasser-Wärmepumpen | Vergleichsweise einfach zu installieren |
– Nur in warmen Monaten verfügbar, da Spree und Kanäle im Winter zu kühl sind – unklarer Wasserhaushalt der Spree nach Ende der Braunkohleförderung in der Lausitz |
Abwärme von Rechenzentren |
– Hohe und konstante Abwärme – relativ einfach zu installierende Wärmepumpen – Derzeit Planung einer Vielzahl neuer Rechenzentren |
Koordination mit den Betreibern der Rechenzentren notwendig |
Solarthermie |
– Im Sommer hohe Vorlauftemperaturen – Sehr geringe Betriebskosten |
– Angewiesen auf große Flächen (außerhalb Berlins), die ans Fernwärmenetz angebunden werden müssen – Bedarf von Speicherung, um Wärme aus dem Sommer in der Heizperiode nutzen zu können |
Abwasserwärme |
– Konstante Temperaturen über das Jahr – Gute räumliche Verteilung in der Stadt, daher nah an den bestehenden Fernwärmenetzen |
Knotenpunkte, die ausreichend große Wärmeentnahme ermöglichen, müssen noch identifiziert werden |
Andere Technologien | ||
Power-to-Heat | Flexibel einsetzbar | Nicht so effizient wie Wärmepumpen, die ebenfalls mit Strom betrieben werden |
Biomasse |
– Gesicherte (regelbare) Leistung – Spitzenlastfähig |
– Mögliche Nutzungskonflikte mit der Nahrungsmittelerzeugung und Holzwirtschaft – Nicht CO2-neutral, da Maschinen und Dünger genutzt werden müssen |
Abfallverbrennung |
– Kontinuierliche Wärmeversorgung – Siedlungsabfall fällt ohnehin an |
– Erzeugt netto Emissionen, da u.a. Kunststoff (hergestellt aus fossilem Erdöl) verbrannt wird – Zukünftiges Potenzial unklar, da Mengen von Siedlungsabfall deutlich abnehmen sollen |
Industrielle Abwärme | Nutzung von unvermeidbarer Abwärme |
– Identifizierung nicht vermeidbarer Abwärme notwendig – Wärmeerzeugung abhängig von den Unternehmensentscheidungen (Prozesse, Standortwechsel, Insolvenz) |
CO2-Abscheidung bei erdgasbefeuerten Heizkraftwerken (CCS) | Weiterbetrieb der fossilen Anlagen möglich |
– Nicht emissionsfrei, da keine hundertprozentige Abscheidung der Emissionen möglich – Unerprobte Technologie – hohe Betriebskosten – CO2-Speicherung in Berlin unwahrscheinlich |
In beiden Szenarien ist der Kohleausstieg in der Fernwärme bis 2030 gemäß den Vorgaben aus dem Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz realisiert. Die Wärme wird dann überwiegend aus Großwärmepumpen bereitgestellt (Abbildung 4). In beiden Szenarien kommen alle in Berlin verfügbaren Varianten der Wärmepumpen (zum Beispiel Abwasser-/Geothermiewärmepumpen) zum Einsatz (Abbildung 5). Wärmepumpen in Kombination mit Geothermie stellen dabei den Großteil der Wärmeversorgung, da die Geothermie über das Jahr konstant hohe Vorlauftemperaturen liefert, die einen effizienten Betrieb der Wärmepumpen ermöglichen. Der Wärmebeitrag aus Gas-Kraftwärmekopplungsanlagen (KWKs, gekoppelte Erzeugung von Strom und Wärme) und reinen Gaskesseln geht zurück, was zu einer Reduktion des Gasverbrauchs führt. Die industrielle Abwärme spielt in Berlin über den gesamten Zeitraum nur eine untergeordnete Rolle, da auch der Anteil der Wärmenachfrage der Industrie mit etwa acht Prozent an der gesamten Wärmenachfrage vergleichsweise gering ist. Aktuell lässt Berlin eine Erhebung durchführen, um die Menge der unvermeidbaren industriellen Abwärme besser abschätzen zu können.
Die Biomassenutzung nimmt über den betrachteten Zeitraum hinweg zu. Bei der Biomasse steht allerdings noch eine Prüfung der vorhandenen nachhaltig nutzbaren Potenziale aus. Zusätzlich zu den Potenzialen innerhalb der Landesgrenzen sollte untersucht werden, wieviel Biomasse in der Umgebung Berlins, insbesondere in Brandenburg, zur Verfügung stehen könnte.
Die Wärmeerzeugung aus der Müllverbrennung geht in beiden Szenarien zurück, weil die Menge an thermisch verwertetem Siedlungsabfall sinkt. Aktuell zählt die Müllverbrennung als erneuerbare Wärmeerzeugung, da die Wärme durch die Verbrennung ohnehin entsteht. Sie ist allerdings weder erneuerbar noch emissionsfrei. Das Land Berlin beschloss 2021 eine sogenannte Zero-Waste-Strategie, die bis 2030 zu einer 20-prozentigen Reduktion der Siedlungsabfälle führen soll.Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz (2022): Berliner Zero Waste Strategie 2030. Kreislaufwirtschaft und Zirkuläres Wirtschaften für mehr Klima- und Ressourcenschutz (online verfügbar). Dies muss in der zukünftigen Wärmeplanung berücksichtigt werden. Dass Vattenfall im Dekarbonisierungsfahrplan für das Fernwärmenetz sogar von steigenden Wärmemengen aus der Müllverbrennung ausgeht, erscheint nicht konsistent mit der Zero-Waste-Strategie.Vattenfall (2023), a.a.O.
Die niedrigeren Erneuerbare Energien-Wärmepotenziale führen zu einem geringeren Anteil an Wärmepumpen an der Fernwärmeerzeugung im „Niedrige Erneuerbare-Energien-Potenziale“-Szenario. Einen deutlich größeren Anteil übernimmt in diesem Szenario die direkte Wärmeerzeugung aus Strom. Diese ist ineffizienter als Wärmepumpen. Allerdings steht im Szenario „Niedrige Erneuerbare-Energien-Potenziale“ eine höhere Strommenge für die Fernwärme zur Verfügung, weil die dezentralen Wärmepumpen und die E-Mobilität wegen des schleppenden Netzausbaus nicht ausreichend mit Strom versorgt werden können. Der schleppende Verteilnetzausbau wirkt sich damit nicht nur auf die dezentrale Wärmeerzeugung aus, sondern führt zu Wechselwirkungen mit der Fernwärme.
Im Szenario „Hohe Erneuerbare-Energien-Potenziale“ gibt es die wenigsten Restriktionen und die effizienteste Allokation der Energieträger. Der verfügbare Strom wird priorisiert in der dezentralen Gebäudewärme mit Wärmepumpen und der Elektromobilität verwendet. So können insgesamt mehr als 60 Prozent Wasserstoff gegenüber dem Szenario „Niedrige Erneuerbare-Energien-Potenziale“ eingespart werden. Eine Beschleunigung des Stromverteilnetzausbaus kann somit zu einer Verringerung der Abhängigkeit von Wasserstoff beitragen. Da der Einsatz von Wasserstoff in der Gebäudewärme aufgrund der Knappheit und hohen Ineffizienzen als äußerst unwahrscheinlich gilt, wird durch ein Ausbau der Stromverteilnetze in erster Linie der zukünftige Verbrauch von Erdgas gesenkt und ist somit ein wichtiger Beitrag für die Einhaltung der Klimaziele. Zusätzliche Entlastung für die Verteilnetze können in Zukunft intelligent und variabel gesteuerte Verbrauchsmengen wie flexible Wärmepumpen oder Stromspeicher liefern.
Die Energiekrise 2022 hat die Abhängigkeit Deutschlands von fossilen Energien, insbesondere Erdgas, deutlich gemacht. Erneuerbare Energien in Kombination mit Wärmepumpen können diese Abhängigkeit abbauen – auch in der Fernwärme. Aktuelle Planungen zielen allerdings darauf ab, Erdgas durch Wasserstoff zu ersetzen. Dies würde neue Abhängigkeiten schaffen, da Wasserstoff nicht in ausreichendem Maße in Deutschland erneuerbar erzeugt werden kann. Zudem ist die thermische Nutzung von Wasserstoff aus energetischer Sicht nicht sinnvoll, da es zu hohen Umwandlungsverlusten kommt.
Wärmepumpen sollten sowohl in der dezentralen als auch in der zentralen Wärmeversorgung zum Einsatz kommen. Allerdings existieren in Berlin wie andernorts noch Unsicherheiten bezüglich der Wärmepotenziale für die Fernwärme. Hier herrscht insbesondere bei der Geothermie sowie für saisonale Wärmespeicher noch Forschungsbedarf zum Potenzial beider Energiequellen und Techniken. Konflikte mit Grundwasserschutzzonen könnten das Potenzial einschränken, daher sind weitere Untersuchungen der Grundwasserspeicher unter Berlin notwendig.
Die Modellergebnisse zeigen, dass bei schleppendem Stromverteilnetzausbau neue elektrische Anwendungen wie dezentrale Wärmepumpen und Elektroautos nicht ausreichend mit Strom versorgt werden können. Dann würde die Versorgungslücke weiterhin mit fossilen Energien befüllt oder in den theoretischen Planungen mit Wasserstoff, der jedoch nicht ausreichend verfügbar sein wird. Die Stromverteilnetze müssen daher insbesondere in Gebieten, die keine Fernwärme bekommen, deutlich ausgebaut werden. Ziel sollte eine integrierte Netzplanung sein, die Fernwärme-, Strom- und Gasverteilnetze zusammen plant, damit diese sich gut ergänzen können. Zusätzlich entlastet der Photovoltaik-Ausbau auf den Dächern die Verteilnetze, weil der Strom dezentral erzeugt und verbraucht werden kann, ohne transportiert werden zu müssen.
Ermöglicht werden kann die Transformation des Wärmesektors nur, wenn das Handwerk substanzielle Unterstützung erfährt, die Fachkräfte mit den notwendigen Fähigkeiten und dem notwendigen Wissen ausstatten zu können. Nun müssen die richtigen Weichen gestellt werden, auch um bis spätestens 2026 eine Wärmeplanung für Berlin zu haben, die die Stadt auf dem Weg zur Klimaneutralität effektiv unterstützt.
JEL-Classification: L97;Q42;Q48;L94
Keywords: heat supply, gas, energy system modeling, de-carbonization
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-49-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/281000