Anita – die erste Rechenmaschine

Eine Rechenmaschine im Wert eines Volkswagens und Frauen, die aus der Volkswirtschaftslehre „weggeheiratet“ werden? Beides gab es einmal. Karin Müller-Krumholz hat von 1965 bis 2000 in der Konjunkturabteilung am DIW Berlin gearbeitet. In einer Online-Lecture der Universität Hamburg hat Müller-Krumholz 2018 ihre Geschichte erzählt.

Nach dem Abitur entschied sich Müller-Krumholz erst für ein Jura-Studium. Als sie aber eine Vorlesung in Volkswirtschaftslehre besuchen musste, war sie so fasziniert, dass sie kurzerhand den Studiengang wechselte. Und in der VWL sagte ihr einfach das Rechnen und die Statistik am meisten zu, erzählt sie 2018. Ihr Studium der Volkswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Statistik schloss sie 1965 an der Freien Universität Berlin ab. Als sie das Diplom in der Tasche hatte, schrieb sie nicht eine Bewerbung. Sie bekam eine Anfrage des DIW und begann, dort zu arbeiten. „Das war ein Glücksfall, denn das DIW ist ja quasi die Mutter aller Forschungsinstitute, sagt die Ökonomin.

Anita – die erste Rechenmaschine

Müller-Krumholz erinnerte sich daran, dass die Berechnungen im DIW damals mit einem Rechenschieber gemacht worden sind. „Und ich war die erste, die eine Rechenmaschine bekam“, erinnerte sie sich. Diese Maschine hatte sogar einen Namen, Anita hieß sie. „Diese Rechenmaschine war so groß wie ein Kühlschrank“, erzählt die Ökonomin. Anita kostete damals so viel Geld wie ein VW gekostet hätte. „Alle waren beeindruckt, wie gut ich nun ausgerüstet war“, sagt sie. Bei der Bearbeitung von Statistiken und langen Reihen, war diese Rechenmaschine eine enorme Erleichterung. Aber: Es war immer noch nur eine Rechenmaschine, kein Computer. Erst, als die EDV-Abteilung am Institut gegründet wurde, veränderte sich die Arbeit der Statistikerin. „Auf einmal konnten in der EDV Listen erstellt werden.“ Natürlich entwickelte sich die Computertechnik immer weiter. Und so war es auch möglich, letztendlich vierteljährliche Konjunkturprognosen zu erstellen.

So oder so ähnlich muss sie ausgesehen haben, die Rechenmaschine Anita.
© MaltaGC, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Frauen in der Volkswirtschaftslehre

Dass Karin Müller-Krumholz in einer ganz anderen Zeit studiert und angefangen, zu forschen hat, zeigt nicht nur Rechenmaschine Anita. Auch die Verteilung von Frauen und Männern war damals auffällig. Zu Beginn des Studiengangs waren noch ein Drittel der Studierenden Frauen, erinnert sich die Ökonomin. „Das hat nicht lange gehalten, viele wurden weggeheiratet oder wechselten das Studium“, sagt Müller-Krumholz. Am Ende seien sie noch vielleicht zehn Prozent Frauen im Studiengang gewesen. Diskriminierung habe sie als Frau aber im Job nicht erlebt. „Bei den Wirtschaftsforschungsinstituten herrschte Gleichachtung“, beschreibt sie 2018. „Ich habe niemals eine Abwertung in dieser Hinsicht gespürt.“

Ärger um Berechnung der Neuverschuldung zur Euro-Einführung

Müller-Krumholz blieb dem Institut bis 2000 erhalten. Sie erinnert sich an einige Analysen in ihrer Karriere, die für Aufsehen sorgten – zum Beispiel, als sie berechnete, dass Deutschland 1997 die Defizitkriterien zur Euro-Einführung nicht erfüllen würde. Während die offiziellen deutschen Zahlen angaben, dass Deutschlands Neuverschuldung die magischen drei Prozent nicht überschreiten würde, hatten die DIW-Berechnungen, an denen Müller-Krumholz beteiligt war, etwas anderes gezeigt. Die deutsche Neuverschuldung lag sehr wohl über drei Prozent. „Damit habe ich eine Lawine losgetreten“, erinnert sich die Ökonomin.

Karin Müller-Krumholz im Gespräch.
© 2018, Uni Hamburg. Weiternutzung zulässig als Creative Commons Lizenz.

Forschung sollte unabhängig sein

„Meine Grundidee war immer, dass die Forschung unabhängig ist“, sagt Müller-Krumholz. Sie habe veröffentlicht, was sie errechnet hatte. Dass es solch ein Politikum sei, damit hatte sie nicht gerechnet. Aus der Politik sei damals der Vorwurf einer „gezielten Sauerei“ laut geworden. Dabei hatte sich das DIW Berlin immer für die Euro-Einführung ausgesprochen. Tatsächlich wurden dem DIW Berlin als Folge Gelder gekürzt. „Zum Glück hatte ich einen Präsidenten, der hinter mir stand und mir glaubte“, so die Ökonomin.

Einen Wunsch für die Zukunft hat die Statistikerin auch: „Ich verstehe nicht, dass Ökonomie in der Schule kein Thema ist“, sagt sie. Das sei falsch. Denn es betreffe so viele Menschen.

Hinweis: Der Artikel beruht auf dem Aussagen von Karin Müller-Krumholz aus dem Video der Universität Hamburg. Die Ökonomin teilt darin ihre Erinnerungen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Autorin: Lena Högemann

Konjunkturforschung heute

Geraldine Dany-Knedlik
Geraldine Dany-Knedlik

Leitung Prognose und Konjunkturpolitik in der Abteilung Makroökonomie

100 JAHRE DIW BERLIN IN FÜNF EPOCHEN

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