18. März 2025 – Die Finalisierung der Banken- und Kapitalmarktunion steht schon lange auf der Agenda diverser Bundesregierungen. Sie wurde aber immer wieder verzögert. Der überraschende Vorstoß der italienischen Bank Unicredit, die deutsche Commerzbank zu übernehmen, machte Ende letzten Jahres deutlich, wie wichtig es ist, die Bankenunion voranzutreiben. Eine solche Bankenunion würde nicht nur dazu beitragen, ein widerstandsfähigeres Finanzsystem zu schaffen, um für die nächste Krise gewappnet zu sein. Durch mehr Wettbewerb der europäischen Banken würde sie auch die Finanzierungskosten für Unternehmen reduzieren. Berechnungen zeigen, dass jede Zinssenkung um zehn Basispunkte die Investitionen in Deutschland um fünf Prozent steigern würde. Die neue Bundesregierung könnte also mit einem Ende ihrer Blockadehaltung zur Bankenunion auch die heimische Wirtschaft ankurbeln.
Im Herbst vergangenen Jahres hat ein überraschender Übernahmeversuch der deutschen Commerzbank seitens der italienischen Großbank UniCredit die Diskussion um die europäische Bankenunion neu entfacht. UniCredit hatte ihren Anteil an der Commerzbank auf etwa 28 Prozent aufgestockt und wollte Hauptanteilseigner der Commerzbank werden. Mit der geplanten Übernahme ging ein Aufschrei durch die deutsche Politik und die zuständigen Behörden. Die Bundesregierung äußerte Bedenken hinsichtlich einer Übernahme, da sie negative Auswirkungen auf die nationale Finanzsouveränität und den Mittelstand befürchtete. Auch der Aufsichtsratschef der Commerzbank, Jens Weidmann, sprach sich in einem kürzlich erschienenen Interview mit dem Handelsblatt gegen eine solche Übernahme aus.Andreas Kröner und Michael Maisch (2025): „Viele Kunden wären gezwungen, sich neu zu orientieren“. Interview mit Commerzbank-Aufsichtsratschef Jens Weidmann. Handelsblatt vom 14. Januar (online verfügbar, abgerufen am 25. Februar 2025. Dies gilt für alle Onlinequellen in diesem Bericht, sofern nicht anders angegeben).
Dabei gibt es in der Europäischen Währungsunion eigentlich keine Beschränkungen für den Markteinstieg seitens Banken aus anderen Mitgliedsländern; es herrscht freier Kapitalverkehr. Jedoch liegen auch mehr als 20 Jahre nach der Einführung des Euro grenzüberschreitende Kreditvergaben, Filialgründungen und die Konsolidierung eines europäischen Bankensektors in weiter Ferne. De facto existieren zahlreiche Hindernisse, wofür die jüngste Einmischung der deutschen Politik in die Unicredit-Commerzbank-Übernahme ein großartiges Beispiel ist. Statt sich in den deutschen Bankensektor zu einzumischen, sollte die neue Bundesregierung vielmehr darum bemüht sein, auf EU-Ebene die Banken- und Kapitalmarktunion endlich zu finalisieren.
Seit der Einführung des Euro betrifft die Finanzmarktintegration eher den Interbankenmarkt, in dem sich europäische Banken untereinander Geld leihen und nationale Grenzen keine Rolle mehr spielen. Allerdings kommt es sehr selten vor, dass eine Bank Kredite an ausländische Firmen vergibt, also dass zum Beispiel eine deutsche Bank einem spanischen Unternehmen einen Kredit gewährt.Pia Hüttl und Matthias Kaldorf (2024): Sicherheitenliste der EZB fördert Kreditvergabe, aber Finanzintegration bleibt begrenzt, DIW Wochenbericht Nr. 44, 679-683 (online verfügbar, abgerufen am 17. Februar 2025); Carlo Altavilla, Refet S. Gürkaynak und Rogier Quaedvlieg (2024): Macro and micro of external finance premium and monetary policy transmission. Journal of Monetary Economics, 147 (Supplement) (online verfügbar). Das wäre eine direkte, grenzüberschreitende Integration der Finanzmärkte. Die Kreditvergabe im Interbankenmarkt hat sich während der europäischen Schuldenkrise ab 2010 als eine sehr fragile Finanzierungsquelle erwiesen.Iryna Stewen et al. (2019): Banking integration in the EMU: Let’s get real! VoxEU. Centre for Economic Policy Research (online verfügbar). Aus Unsicherheit über den weiteren Verlauf der Krise wollten sich damals Banken untereinander kein Geld mehr leihen, was sich negativ auf die Kreditvergabe an die Realwirtschaft auswirkte. Viele Unternehmen im Euroraum, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU), sind stark auf Bankkredite angewiesen. Diese Abhängigkeit wurde problematisch, als lokale Banken in der Finanzkrise Schwierigkeiten bekamen, weiter Kredite zu vergeben. Eine Studie zeigt, dass diese Abhängigkeit zu einem niedrigen Wirtschaftswachstum in den Ländern beitrug, die am stärksten von der Krise betroffen waren, insbesondere Griechenland, Spanien, Portugal und Italien.Vgl. Stewen et al. (2019), a.a.O. Des Weiteren zeigt die Studie, dass die fehlende Bankenintegration dazu beitrug, dass Rückgänge der nationalen Produktion in hohem Maße auf den privaten Konsum durchschlugen.
Eine direkte, grenzüberschreitende Finanzintegration wäre deshalb der Integration über den Interbankenmarkt, wie sie bis jetzt im Euroraum stattfindet, vorzuziehen. Derzeit sind Unternehmen mit Hauptsitz im Euroraum weiterhin – abhängig von ihrem Heimatland – mit unterschiedlichen Refinanzierungskosten konfrontiert (Abbildung).
© DIW Berlin
Wenn Unternehmen jedoch weniger abhängig von inländischen Banken sind und ihnen der Zugang zu diversen Finanzierungsmöglichkeiten offensteht, könnten sie zum Beispiel Zugang zu Kapital von Banken aus verschiedenen Mitgliedstaaten erhalten. Dies würde einerseits den Wettbewerb im Bankensektor im Euroraum fördern und somit die Finanzierungskosten für Unternehmen im gesamten Euroraum verringern. Andererseits würde diese Art von Integration dazu beitragen, ein widerstandsfähigeres Finanzsystem zu schaffen, in dem der Zugang zu Finanzierung weniger von der Gesundheit des lokalen, also heimischen Bankensektors abhängt.
Die Bankenunion könnte diese Art von direkter, grenzüberschreitender Finanzintegration vorantreiben. Die Idee zu einer Bankenunion wurde aus der europäischen Schuldenkrise heraus geboren und umfasst im Original drei Bausteine. Erstens den einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM – Single Supervisory Mechanism), die die Bankenaufsicht statt auf nationaler auf europäischer Ebene verankert und somit eine unabhängigere Aufsicht garantiert. Zweitens, den einheitlichen Abwicklungsmechanismus (ESM), dem die Einheitliche Abwicklungsbehörde (SRB) untersteht, die eine Abwicklung europäischer Banken ermöglichen sollte. Dabei fehlt jedoch noch ein gemeinsamer Abwicklungsfonds, der die Bankenabwicklung ohne größere Summen der Steuerzahler*innen ermöglichen sollte. Auch hakt es am dritten Baustein, einer gemeinsamen Einlagensicherung sowie bei der Harmonisierung der nationalen Insolvenzregelungen.
Eine vollständige Bankenunion würde das systemische Risiko verringern, Barrieren für den grenzüberschreitenden Kapitalfluss abbauen und Anreize für grenzüberschreitendes Bankgeschäft schaffen. Dabei würden auch Unternehmen vom erhöhten Wettbewerb profitieren und bessere Finanzierungsbedingungen vorfinden.Mario Draghi (2024): The future of European competitiveness – A competitiveness strategy for Europe. European Commission (online verfügbar). Es kann davon ausgegangen werden, dass sich in einer vollständig integrierten Bankenunion die Zinssätze für Kredite und Ersparnisse weiter angleichen, da nationale Überschüsse oder Defizite an Relevanz verlieren. Stattdessen könnten finanzielle Mittel gezielter dort eingesetzt werden, wo sie den größten Bedarf decken.
Um zu berechnen, welche Effekte dies genau hätte, wird deshalb die Umsetzung der Bankenunion als permanente, positive Zinssenkung im Euroraum interpretiert. Die günstigeren Finanzierungsbedingungen würden insbesondere die Investitionstätigkeit unterstützen. Mithilfe eines empirischen Zeitreihenmodell lassen sich kausale Effekte schätzen, die Zinsänderungen auf Investitionen haben.In dem vektorautoregressiven (VAR) Zeitreihenmodell werden die Effekte der Zinsänderungen geschätzt, indem in einem 30-minütigen Zeitfenster um die geldpolitischen Entscheidungen der EZB die Veränderungen der Finanzmarkt-Erwartungen über kurzfristige Zinsen analysiert werden, vgl. Marek Jarocinski und Peter Karadi (2020): Deconstructing Monetary Policy Surprises—The Role of Information Shocks. American Economic Journal: Macroeconomics, 12 (2). Für die Schätzung werden sowohl Monats- als auch Quartalsdaten von Januar 2002 bis Dezember 2019 in einem gemischten Frequenzen-VAR-Modell verwendet. In diesem Fall liegt der Fokus dabei auf dem Effekt der permanenten Zinssenkung mittelfristiger, weitgehend risikoloser Zinsen (mit zweijähriger Laufzeit) auf deutsche Bruttoanlageinvestitionen (preisbereinigt) über einen Zweijahreszeitraum. Die Effekte dieser Zinssenkung lassen sich aus dem geschätzte Zeitreihenmodell ableiten: Für jede zehn Basispunkte, die der mittelfristige Zins permanent fällt, steigen deutsche Investitionen um rund fünf Prozent über zwei Jahre hinweg.Eine Studie zeigt, unter welchen (milden) Bedingungen die transitorischen Zinseffekte des geschätzten VAR-Modells sich in permanente Veränderungen der Politikregeln (wie die vollständige Integration der Finanzmärkte) übertragen lassen, vgl. Alisdair McKay und Christian K. Wolf (2023): What Can Time-Series Regressions Tell Us About Policy Counterfactuals? Econometrica 91 (5).
Eine Vervollständigung der Bankenunion ist in den letzten Jahren durch Trägheit und Kurzsichtigkeit von der Liste der politischen Prioritäten einiger EU-Mitgliedstaaten gerutscht. Dabei ist die Rolle der vorangegangenen deutschen Regierungen nicht zu übersehen. Verschiedene Bundesregierungen haben in den vergangenen Jahren kontinuierlich Taktiken verfolgt, um eine Finalisierung der Bankenunion zu verzögern, zunächst unter dem Vorwand von „Altlasten“ und später unter dem Vorwand der „Risikoreduzierung“.Nicolas Véron (2024): Europe’s banking union at ten: unfinished yet transformative, Bruegel, Brüssel, Kapitel 3 und 5 (online verfügbar).
Um die Bankenunion zu finalisieren, sollte an drei Punkten angesetzt werden. Erstens sollte eine Überarbeitung des öffentlichen Sicherheitsnetzes für den Bankensektor stattfinden und in Richtung einer gemeinsamen europäischen Einlagensicherung weiterentwickelt werden. Diese sollte vollständig integriert werden, was bedeutet, dass alle Entscheidungen zur Bankenkrisenbewältigung und -abwicklung in einer einzigen europäischen Behörde zentralisiert würden. Das wäre eine ähnliche Institution wie die Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) in den Vereinigten Staaten. Zweitens müsste der Anteil der von Banken gehaltenen Staatsanleihen reduziert werden, indem schrittweise Kapitalanforderungen für diese Staatsanleihen, besonders wenn sie das eigene Land betreffen, anfallen. Nur damit wäre es möglich, das Risiko auszuschalten, dass nationale Regierungen das geteilte Sicherheitsnetz auf europäischer Ebene zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen. Dies könnten sie zum Beispiel tun, indem sie Druck auf Banken ausüben, ihre eigenen Schulden zu kaufen. Als finalen Baustein sollte ein harmonisiertes europäisches Insolvenzrecht eingeführt werden, an dem sich Banken und Unternehmen orientieren können. Dies würde grenzüberschreitende Kreditvergabe und Abwicklung erleichtern und transparente Regeln schaffen.
Eine Finalisierung der Bankenunion würde nicht nur nationale Diskussionen wie die zur Commerzbank-UniCredit-Übernahme obsolet machen, sie würdeinsbesondere zu mehr Risikoteilung und zu mehr Wettbewerb führen. Während sich die Risikoteilung in einer zukünftigen Krise auszahlen dürfte, würde sich der verstärkte Wettbewerb schon jetzt positiv auf die Finanzierungsbedingungen von Unternehmen im Euroraum, auch in Deutschland, auswirken. Zudem würde die deutsche Wirtschaft davon profitieren, wie die vorliegende Berechnung zeigt. Ein Anstieg der Investitionen könnte die deutsche Wirtschaft aus der Stagnation hieven.
Themen: Wettbewerb und Regulierung, Konjunktur, Finanzmärkte, Europa