Kernfusion für Energiewende irrelevant – Dennoch neue Dynamik in Forschung erkennbar

Pressemitteilung vom 26. März 2025

DIW-Studie beleuchtet Forschung zu Kernfusion – Konkreter Pfad zur energetischen Nutzung von Kernfusion nicht erkennbar – Internationales Pilotprojekt ITER um Jahrzehnte verzögert – Privat kofinanzierte Unternehmen bringen mit hohen Investitionen Dynamik in Forschung

Eine kommerzielle Nutzung von Kernfusion zur Energieerzeugung ist derzeit nicht absehbar. Trotz einzelner technologischer Fortschritte bleiben fundamentale Herausforderungen ungelöst. Gleichzeitig ist jedoch eine neue Dynamik in der Forschung erkennbar, insbesondere durch verstärktes privates Engagement, so die zentralen Ergebnisse einer Analyse der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). „Aus energiewirtschaftlicher Perspektive ist die Kernfusion heute von einer kommerziellen Nutzung genauso weit entfernt wie in den 1950er Jahren, als die Entwicklung für zivile Zwecke anlief“, so Studienautor Christian von Hirschhausen. „Für die Energiewende ist sie damit irrelevant.“

© DIW Berlin

Kernfusion: Jahrzehnte voller Erwartungen, aber keine Marktreife

Seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts gilt die Kernfusion als vielversprechende Energiequelle der Zukunft. Zahlreiche Prognosen sagten eine Marktreife innerhalb weniger Jahrzehnte voraus – eine Erwartung, die allerdings bis heute nicht erfüllt wurde. Ein zentrales Beispiel dafür ist das internationale Pilotprojekt ITER, ein Versuchs-Kernfusionsreaktor zur Grundlagenforschung in Frankreich, an dem 33 Länder beteiligt sind und dessen Zeitplan sich seit den 1980er Jahren kontinuierlich verzögert. Ursprünglich war ein Demonstrationsreaktor für die 2020er Jahre geplant, inzwischen wird die Inbetriebnahme nicht vor der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts erwartet. Auch die Kostensteigerungen sind immens. Wurde zunächst mit rund fünf Milliarden Euro kalkuliert, ist jetzt teilweise von mehr als 50 Milliarden Euro die Rede. 

Analyse zeigt anhaltende Unsicherheiten

Die DIW-Studie analysiert umfangreiche wissenschaftliche Prognosen zur wirtschaftlichen Nutzung der Kernfusion. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die geschätzte Zeit bis zur kommerziellen energetischen Nutzung konstant zwischen 20 und 40 Jahren liegt – unabhängig vom Zeitpunkt der jeweiligen Vorhersage. "Man könnte auch von einer 'Fusionskonstante' sprechen: Die Zeit bis zur Marktreife verschiebt sich kontinuierlich in die Zukunft“, erklärt Studienautor Alexander Wimmers.

Private Kofinanzierungen treiben Innovationen voran

Andererseits hat sich in der Forschung zur Kernfusion seit einigen Jahren eine neue Dynamik entwickelt, getragen von privat kofinanzierten Unternehmen und der Zusammenarbeit privater Akteure mit öffentlichen Pilotprojekten. So flossen in den vergangenen zehn Jahren zweistellige Milliardenbeträge in etwa 80 private kleine und mittelgroße Unternehmen der Branche. Diese Unternehmen setzen auf innovative Ansätze, beispielsweise leistungsfähigere Magnetspulen und Lasertechnologien. Allerdings steht auch hier die energetische Nutzung der Kernfusion nicht im Mittelpunkt. Die Entwicklung könnte der Studie zufolge die Akteurslandschaft verändern sowie bestehende Forschungsstrukturen infrage stellen.

Forschungsförderung neu ausrichten

Vor diesem Hintergrund sprechen sich die Studienautor*innen dafür aus, die öffentliche Forschungsförderung anzupassen und Forschungskapazitäten, die bisher eher in der Grundlagenforschung lagen, in die angewandte Forschung zu verschieben. „Kernfusion bleibt ein langfristiges Forschungsprojekt ohne Perspektiven für die kommerzielle Energienutzung“, resümiert Studienautorin Claudia Kemfert. „Anstatt weiter unrealistische Hoffnungen auf eine baldige Marktreife der Kernfusion zu setzen und Milliarden in hypothetische Fusionskraftwerke zu investieren, sollte der Fokus auf anwendungsorientierte Forschung gelenkt werden.“

Links

O-Ton von Christian von Hirschhausen
In der Kernfusion geht es heute stärker um angewandte Forschung als um energetische Nutzung - Interview mit Christian von Hirschhausen
Claudia Kemfert

Abteilungsleiterin in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt

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