Pilotprojekt Grundeinkommen: Feldstudie entkräftet Mythos von der sozialen Hängematte

Pressemitteilung vom 9. April 2025

Dreijährige Feldstudie untersucht Wirkung von bedingungslosen Geldzahlungen – Geldempfänger*innen sparten viel und veränderten Arbeitsmarktverhalten kaum – Mentale Gesundheit und Lebenszufriedenheit verbesserten sich signifikant – Bedingungsloses Grundeinkommen kann als Reformoption nun evidenzbasiert debattiert werden

Wer bedingungslos regelmäßige Geldzahlungen erhält, zieht sich nicht aus dem Arbeitsmarkt zurück, ist aber mental deutlich gesünder. Das ist das Hauptergebnis des Pilotprojekts Grundeinkommen, für das mehr als 120 Menschen drei Jahre lang bedingungslose Geldzahlungen in Höhe von 1200 Euro monatlich erhielten. Initiiert wurde dieses Projekt vom Verein Mein Grundeinkommen, der die Geldzahlungen aus Spendengeldern finanzierte. Die wissenschaftlich unabhängige Konzeption und Auswertung des Pilotprojektes erfolgte im Rahmen eines Kooperationsvertrages des Vereins mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und der Wirtschaftsuniversität Wien. Im Fokus der Forschenden stand vor allem die Frage, wie sich regelmäßige und nicht an Bedingungen geknüpfte Geldzahlungen auf Arbeitsmarktbeteiligung, Konsumverhalten und das allgemeine Wohlbefinden der Teilnehmenden auswirken.

© DIW Berlin

Die Ergebnisse des dreijährigen Experiments, das im Juni 2021 in Deutschland startete, zeigen, dass die Geldempfänger*innen ihr Arbeitsmarktverhalten kaum änderten. Weder zogen sie sich aus dem Arbeitsmarkt zurück – auch nicht kurzzeitig –, noch reduzierten sie ihre Arbeitsstunden signifikant. „Die Resultate widerlegen gängige Mythen über das bedingungslose Grundeinkommen, insbesondere die Vorstellung, dass es zu einem Rückzug aus dem Arbeitsmarkt kommt“, fasst Studienautor Jürgen Schupp, Wissenschaftler im Geschäftsbereich Sozio-oekonomisches Panel des DIW Berlin, zusammen. „Unsere Studie zeigt das Gegenteil – die Teilnehmer blieben aktiv im Arbeitsmarkt und nutzten die Zahlungen in einer Weise, die auf Verantwortung und Fürsorge hinweist.“

„Die Ergebnise unterstreichen, dass bedingungslose Geldzahlungen nicht nur der persönlichen Konsumsteigerung dienen“ Sandra Bohmann

Details zum Pilotprojekt Grundeinkommen

Für das Pilotprojekt Grundeinkommen, das vom gemeinnützig anerkannten Verein „Mein Grundeinkommen e.V.“ ins Leben gerufen wurde, erhielten 122 Menschen in Deutschland drei Jahre lang (von Juni 2021 bis Mai 2024) 1200 Euro monatlich. Die Studienergebnisse basieren auf den Angaben von 107 Geldempfänger*innen sowie 1580 Personen einer Vergleichsgruppe (zu Studienbeginn alle alleinlebend, 21 bis 40 Jahre alt mit einem Nettoeinkommen zwischen 1100 und 2600 Euro). Beide Gruppen wurden regelmäßig zu der Geldverwendung, ihrem Arbeitsmarktverhalten und ihrem Wohlbefinden befragt. Die Konzeption der quantitativen Begleitforschung und sämtliche Datenanalysen wurden von den Autor*innen des Berichts der beteiligten Institute, DIW Berlin, der Wirtschaftsuniversität Wien, der Frankfurt School of Finance and Management und der Universität Oxford, eigenverantwortlich und unabhängig vom Verein Mein Grundeinkommen e.V. durchgeführt.

Über ein Drittel der erhaltenen Geldzahlungen wurde von den Teilnehmenden gespart. Sie legten insgesamt mehr als doppelt so viel auf die hohe Kante wie die Vergleichsgruppe von 1580 Personen. Darüber hinaus gaben die Geldempfänger*innen sieben Prozent der Zahlungen zur Unterstützung von Familie und Freundeskreis aus oder spendeten sie für wohltätige Zwecke. „Es ist bemerkenswert, dass die Teilnehmer so viel sparten und gleichzeitig auch anderen in ihrem sozialen Umfeld halfen. Dies unterstreicht, dass bedingungslose Geldzahlungen nicht nur der persönlichen Konsumsteigerung dienen“, erklärt Studienautorin Sandra Bohmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Staat im DIW Berlin.

Höhere Lebenszufriedenheit und bessere mentale Gesundheit

Ein zentrales Ergebnis der Studie ist die signifikante Verbesserung des subjektiven Wohlbefindens der Geldempfänger*innen. Ihre allgemeine Lebenszufriedenheit stieg um 42 Prozent einer Standardabweichung. „Bemerkenswert ist außerdem, dass dieser Effekt über den gesamten Studienverlauf sehr stabil blieb und es nicht zu Gewöhnungseffekten kam“, sagt Studienautorin Susann Fiedler, Professorin für Business and Psychology an der Wirtschaftsuniversität Wien. Auch die mentale Gesundheit verbesserte sich um 30 Prozent einer Standardabweichung. „Dieser Anstieg bei der Lebenszufriedenheit und der mentalen Gesundheit ist insbesondere in Zeiten, wo die Krankschreibungen wegen psychischer Krankheiten zunehmen, sehr erfreulich“, ergänzt Fiedler.

Polarisierte Debatte kann versachlicht werden

Da die Studie das gängige Stereotyp entkräftet, dass Menschen mit dem bedingungslosen Grundeinkommen in eine „soziale Hängematte“ abgleiten, trägt diese Feldstudie zur Versachlichung der sehr polarisiert geführten Debatte bei. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig Geldauszahlungen in Krisenzeiten werden können und wie sie die Resilienz einer Gesellschaft stärken. „Ein staatlicher Direktauszahlungsmechanismus könnte in Zeiten wirtschaftlicher Umwälzungen den Bürger*innen helfen, mit mehr Selbstvertrauen und Zuversicht in die Zukunft zu blicken“, so DIW-Studienautorin Bohmann.

 „Da aufgrund des demografischen Wandels in den nächsten Jahren Deutschlands Sozialsysteme umgebaut werden müssen, sollte eine evidenzbasierte und ergebnisoffene Debatte alle Reformoptionen in den Blick nehmen – auch wenn das bedingungslose Grundeinkommen aktuell nicht auf der Agenda der politischen Parteien steht“, ergänzt Schupp.

Links

O-Ton von Sandra Bohmann
Mehr als ein Drittel der monatlichen Geldzahlungen wurde gespart - Interview mit Sandra Bohmann
Sandra Bohmann

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Staat

Jürgen Schupp

Wissenschaftler in der Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel

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