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Die Lohnlücke ist ein Armutszeugnis für Deutschland

Blog Marcel Fratzscher vom 3. Februar 2023

Frauen verdienen immer noch deutlich weniger als Männer. Geht es so weiter, werden sich die Stundenlöhne erst in 50 Jahre angleichen. Die Politik muss endlich handeln.

Deutschland hat einen der größten Gender-Pay-Gaps in Europa. In kaum einem anderen westlichen Land ist der Unterschied beim Stundenlohn zwischen Männern und Frauen so groß. Das ist ein Armutszeugnis für Deutschland, denn er ist das Resultat von Diskriminierung und ungewöhnlich hohen Hürden für Frauen im Arbeitsmarkt. Der Gender-Pay-Gap hat katastrophale Konsequenzen nicht nur für viele Frauen und deren Kinder, sondern auch für Wirtschaft und Gesellschaft. Es ist höchste Zeit, das Problem ernst zu nehmen und anzugehen.

Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes betrug im Jahr 2022 der durchschnittliche Stundenlohn von Männern in Deutschland 24,36 Euro, der von Frauen lediglich 20,05 Euro. Das ist ein Unterschied von knapp 18 Prozent. Bei der ersten Erhebung 2016 betrug er noch 23 Prozent. Zwar wird der Gender-Pay-Gap kleiner, aber bei dieser Geschwindigkeit wird es noch mehr als 50 Jahre dauern, bis Männer und Frauen den gleichen Stundenlohn erhalten.

Zahlreiche wissenschaftliche Studien zeigen, dass knapp zwei Drittel des bestehenden Unterschieds durch drei Faktoren erklärt werden können: erstens, dass ungewöhnlich viele Frauen in Deutschland in Teilzeit arbeiten. Zweitens, dass Frauen recht selten in Führungspositionen sind. So zeigte das DIW Managerinnen-Barometer kürzlich, dass der Anteil von Frauen in Vorständen von großen Unternehmen noch immer nur 16 Prozent beträgt. Und drittens arbeiten Frauen sehr viel häufiger in Berufen, in denen schlechtere Löhne gezahlt werden – beispielsweise in der Pflege-, in der Gesundheits- und Bildungsbranche.

Dieser Text erschien am 03. Februar 2023 bei Zeit Online in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Frauen rutschen in Teilzeit

Kritiker behaupten, diese drei Eigenschaften seien vor allem die "freie Wahl" von Frauen und daher auch kein Problem. Aber: Entscheiden Frauen wirklich freiwillig, beruflich weniger Verantwortung zu übernehmen, in schlechter bezahlten Berufen und im internationalen Vergleich mit deutlich weniger Arbeitsstunden zu arbeiten?

Jegliche Evidenz beantwortet diese Frage mit einem klaren Nein. Viele Frauen in Deutschland geben an, gerne mehr Stunden arbeiten zu wollen, dass ihnen jedoch dazu viele Hürden in den Weg gestellt werden. Die Betreuung von Kindern und das Bildungssystem sind in Deutschland so gestaltet, dass Eltern zeitlich vergleichsweise viel in Anspruch genommen werden. Das Steuersystem, vor allem durch das Ehegattensplitting oder durch Minijobs, macht es häufig wenig attraktiv für Frauen, nach der Familiengründung überhaupt oder deutlich mehr Stunden zu arbeiten. Zudem lässt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in vielen Unternehmen viel zu wünschen übrig.

Frauen wollen auch nicht deutlich seltener Führungsverantwortung übernehmen als Männer, es wird ihnen nur schwerer gemacht als in vergleichbaren Ländern, vor allem in Skandinavien. Dies hat sich zwar mit den verpflichtenden Quoten für Vorstände und Aufsichtsräte bei großen, mitbestimmungspflichtigen Unternehmen verbessert, trotzdem sind die Karrierechancen für Frauen in Deutschland noch immer deutlich schlechter als für Männer.

Die dritte Begründung, Frauen arbeiteten freiwillig in Berufen mit generell schlechterer Bezahlung, ist schlichtweg ein Schlag ins Gesicht vieler Frauen. Frauen wählen keine schlechtere Bezahlung, sondern sie erhalten sie. So hat eine Studie des DIW Berlins bereits 2020 gezeigt, dass systemrelevante Berufe beispielsweise in der Gesundheitsbranche, in der Pflege, in der Grundversorgung oder in der Bildung besonders häufig von Frauen ausgeübt werden, aber gleichzeitig auch durchschnittlich deutlich weniger Bezahlung und weniger Wertschätzung erhalten. Es sind genau diese systemrelevanten Beschäftigten, die Deutschland während der Corona-Pandemie am Laufen gehalten haben. Gleichzeitig müssen sie sich nun anhören, sie hätten doch freiwillig diese Berufe gewählt und das sei auch gut so.

Selbst wenn man die Berechnung des Gender-Pay-Gaps um diese drei Erklärungen anpasst, bleibt noch immer ein sogenannter bereinigter Gender-Pay-Gap von sieben Prozent, der zu einem erheblichen Teil auf andere Diskriminierungen beruht. Selbst diese sieben Prozent bedeuten nicht wenig Geld: Bei einem mittleren Einkommen von 3.500 Euro im Monat für einen Mann bedeutet dies, dass eine Frau 245 Euro im Monat weniger erhält. Würden Sie freiwillig auf so viel Geld jeden Monat verzichten? Die 18 Prozent des gesamten Gender-Pay-Gaps bedeuten sogar eine Differenz von 630 Euro im Monat.

Von Altersarmut bedroht

Die schlechtere Bezahlung trägt entscheidend zu zahlreichen Benachteiligungen von Frauen in Deutschland bei. Eine Eliminierung des Gender-Pay-Gaps würde das Armutsrisiko in Deutschland, vor allem für alleinerziehende Mütter und ihre Kinder, die in unserem Land ungewöhnlich stark von Armut betroffen sind, deutlich reduzieren. Es würde die Stellung der Frau in der Partnerschaft stärken. Und es würde auch die Altersarmut bei Frauen deutlich verringern.

Die Erwerbstätigkeit von Frauen ist heute das größte ungehobene wirtschaftliche Potenzial. Eine bessere Bezahlung und damit einhergehend eine höhere Beschäftigung von Frauen könnte helfe, die Fachkräftelücken zu schließen. Der Fachkräftemangel ist enorm und wird weiter zunehmen. Unternehmen stehen vor riesigen Herausforderungen und brauchen diverse und innovative Teams. Eine stärkere Beschäftigung von Frauen würde Unternehmen produktiver machen. Und es würde dem Staat helfen, Sozialausgaben einzusparen und generell leistungsfähiger zu werden.

Politik und Wirtschaft können und müssen handeln. Die Lösungen liegen auf der Hand. Der Gender-Pay-Gap in Deutschland ließe sich halbieren, so wie in manchen nordischen Ländern, wenn Hürden und Diskriminierung für Frauen abgebaut würden. Eine Abschaffung des Ehegattensplittings und von Minijobs, eine leistungsfähige Betreuungsinfrastruktur für Kinder, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine höhere Wertschätzung vor allem von systemrelevanten Berufen sind Maßnahmen, bei denen Deutschland international schlecht abschneidet und die die Chancen und Bezahlung von Frauen deutlich verbessern würden.

Aber auch die Gesellschaft muss sich öffnen. Gerade unter jüngeren Menschen wünscht sich eine Mehrheit der Männer gleiche Chancen für ihre Partnerinnen im Arbeitsleben und will selbst mehr Verantwortung für Familie und Kinder. Der Wandel der Werte ist also angelegt, aber viele junge Familien können diese Veränderung nicht umsetzen, auch weil Unternehmen nicht die Voraussetzungen dafür schaffen. Es ist an Politik, Unternehmen und Gesellschaft, die unzähligen Hürden für Frauen auf dem Arbeitsmarkt aus dem Weg zu räumen und für eine faire Bezahlung zu sorgen. Das würde nicht nur enormes Potenzial mobilisieren und die Sozialsysteme zukunftsfester machen, sondern auch mehr Freiheit und Chancengleichheit schaffen.

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