DIW Wochenbericht 49 / 2024, S. 781-789
Karsten Neuhoff, Claudia Kemfert, Martin Kittel, Franziska Klaucke, Alexander Roth, Wolf-Peter Schill, Leon Stolle
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„Die Versorgungssicherheitsreserve sichert den Strommarkt gegen Extremereignisse ab und stärkt dabei das Investitionsumfeld für die verschiedenen Speicher.“ Karsten Neuhoff
Mit dem steigenden Anteil der Stromerzeugung aus Wind- und Solarenergie wächst die Bedeutung von Flexibilität auf der Nachfrageseite. Speichertechnologien für Wärme und Zwischenprodukte erlauben es, verstärkt Strom aus Stunden hoher Wind- und Solarproduktion zu nutzen. Zusätzlich dürften auch weiterhin steuerbare Kraftwerkskapazitäten notwendig sein, um sich gegen extreme Wetterlagen, Risiken in globalen Energiemärkten und Unsicherheiten im Transformationsprozess abzusichern. In diesem Kontext sollen Kapazitätsmechanismen die Versorgungssicherheit im Stromsystem gewährleisten. Im Bericht werden verschiedene Typen von Kapazitätsmechanismen vorgestellt. Für zwei dieser Mechanismen, ein zentraler Kapazitätsmarkt und eine Versorgungssicherheitsreserve, werden die Stromsektoreffekte in einer Modellierung untersucht. Die Analyse zeigt: Ein zentraler Kapazitätsmarkt deckelt die Strompreise stark, wodurch Anreize für Investitionen in nachfrageseitige Flexibilitätstechnologien deutlich einschränkt werden. Bei vergleichbaren Gesamtkosten für Stromkunden kann eine Versorgungssicherheitsreserve deutlich größere Flexibilitätspotenziale erschließen, was mit wachsenden Anteilen von Wind- und Solarenergie immer wichtiger wird.
Im Jahr 2023 deckten erneuerbare Energien über die Hälfte der Stromnachfrage und bis 2030 sollen es mindestens 80 Prozent sein.Umweltbundesamt (2024): Indikator: Anteil Erneuerbare am Bruttostromverbrauch (online verfügbar; abgerufen am 6. November 2024. Dies gilt auch für alle anderen Onlinequellen dieses Berichts). Steigende Anteile von Wind- und Solarenergie führen jedoch zu einer immer stärker schwankenden Stromerzeugung,Javier López Prol und Wolf-Peter Schill (2021): The Economics of Variable Renewables and Electricity Storage. Annual Review of Resource Economics 13 (online verfügbar). wodurch Flexibilität auf Erzeugungs- und Nachfrageseite immer wichtiger wird. Diese kann beispielsweise mit flexiblen Kraftwerken, Lastverschiebung in Industrie und Haushalten, Strom- und Wärmespeichertechnologien sowie dem europäischen Stromhandel bereitgestellt werden.Peter Lund et al. (2015): Review of energy system flexibility measures to enable high levels of variable renewable electricity. Renewable and Sustainable Reviews 45 (online verfügbar); Wolf-Peter Schill (2020): Electricity storage and the renewable energy transition. Joule 4 (online verfügbar); Alexander Roth und Wolf-Peter Schill (2023): Geographical balancing of wind power decreases storage needs in a 100 % renewable European power sector. iScience 26 (online verfügbar).
Die Energiepreiskrise im Jahr 2022 und die steigenden Anteile erneuerbarer Energien haben die Debatte um die Versorgungssicherheit im deutschen Strommarkt neu entfacht. Mit der Einführung eines sogenannten Kapazitätsmechanismus soll sichergestellt werden, dass auch in Extremsituationen jederzeit genügend steuerbare elektrische Leistung zur Verfügung steht. Die konkrete Ausgestaltung eines solchen Mechanismus wird aktuell diskutiert. Wie dies mit nachfrageseitigen Flexibilitätstechnologien zusammenwirkt, wurde jedoch bislang nicht ausreichend analysiert.
In diesem Bericht wird zunächst die Notwendigkeit von Kapazitätsmechanismen in Deutschland erläutert und ein Überblick über verschiedene Arten von Kapazitätsmechanismen gegeben, die derzeit diskutiert werden: dezentrale Kapazitätsmärkte, zentrale Kapazitätsmärkte und eine verpflichtende Absicherung auf Terminmärkten. Hinzu kommt der neue Vorschlag einer weiterentwickelten Versorgungssicherheitsreserve.
Die Auswirkungen eines zentralen Kapazitätsmarkts und der weiterentwickelten Versorgungssicherheitsreserve auf den Strommarkt werden in Modellrechnungen untersucht. Dabei wird angenommen, dass nachfrageseitige Flexibilitätstechnologien von beiden Mechanismen nicht erfasst werden. Dezentrale Kapazitätsmechanismen können im Modell nicht gleichwertig abgebildet werden.Dieser Bericht basiert auf einer ausführlichen Studie, die im Rahmen des DIW-internen Projekts „SichER“ von den beiden Abteilungen Energie, Verkehr, Umwelt sowie Klimapolitik erarbeitet wurde: Karsten Neuhoff et al. (2024): Versorgungssicherheit im Stromsektor: Analyse unterschiedlicher Kapazitätsmechanismen und ihrer Interaktionen mit nachfrageseitigen Flexibilitätspotenzialen. DIW Politikberatung kompakt 202 (online verfügbar).
Nicht erst seit der Energiewende wird diskutiert, ob in liberalisierten Strommärkten Kapazitätsmechanismen für steuerbare Kraftwerksleistung erforderlich sind.In Deutschland wurde der Strommarkt mit der Neufassung des Energiewirtschaftsgesetzes von 1998 liberalisiert. Vorher gab es Gebietsmonopole mit integrierten Versorgern. Diese hatten aufgrund einer kostenbasierten Regulierung einen Anreiz, hohe Kraftwerksleistungen vorzuhalten. Dieser Anreiz entfiel nach der Liberalisierung. Es ist fraglich, ob ein reiner Energy-Only-Markt, in dem ausschließlich Strommengen (Megawattstunden) gehandelt werden, ausreichend Kraftwerksleistung (Megawatt) bereitstellt, um auch seltene Spitzenlasten abzudecken. Sehr hohe Großhandelspreise wären nötig, um die Investitionskosten von Kraftwerken zu decken, die durchschnittlich in nur wenigen Stunden im Jahr laufen.Paul Joskow und Jean Tirole (2007): Reliability and Competitive Electricity Markets. The RAND Journal of Economics 38 (1), 60–84 (online verfügbar). Dabei ist die Herausforderung, dass diese Kraftwerke möglicherweise für viele Jahre nicht zum Einsatz kommen, um dann in einem Jahr für einige Stunden benötigt zu werden.
Insbesondere nach der Energiekrise 2022 erscheint es jedoch unwahrscheinlich, dass die Politik sehr hohe Großhandelspreise zulassen würde. Wenn potenzielle Kraftwerksinvestoren jedoch erwarten, dass Spitzenpreise durch regulatorische Markteingriffe gedeckelt werden, beeinträchtigt das die Refinanzierbarkeit von Investitionen und somit werden weniger Kraftwerke gebaut (sogenanntes Missing-Money-Problem) und letztlich die Versorgungssicherheit gefährdet. Kapazitätsmechanismen, die die Betreiber von steuerbarer Leistung für vorgehaltene Kapazitäten entlohnen, können hier Abhilfe schaffen.
Zuletzt wurden Kapazitätsmechanismen verstärkt im Kontext der Energiewende diskutiert, also der Transformation des Stromsystems hin zu fluktuierenden erneuerbaren Energien. Um die Klimaziele zu erreichen, werden die erneuerbaren Energien schnell ausgebaut. Gleichzeitig werden durch die sogenannte Sektorenkopplung neue Verbraucher wie Elektroautos, Wärmepumpen und Elektrolyseure in das Stromsystem integriert. Daher wird ein Strommarktdesign gesucht, dass sowohl Versorgungssicherheit verspricht, als auch Anreize für flexible Nachfrage setzt.
Der aktuelle deutsche Strommarkt wird auch als Energy-Only-Markt 2.0 bezeichnet,Diese Bezeichnung wurde im sogenannten Weißbuch eingeführt. BMWi (2015): Ein Strommarkt für die Energiewende. Ergebnispapier des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (Weißbuch) (online verfügbar). in dem vor allem Energie gehandelt wird und es keine strukturierten Zahlungen für Erzeugungsleistung oder andere steuerbare Kapazitäten gibt.Von Zahlungen im Bereich des Regelenergiemarkts werden hier abgesehen, da dieser primär die sehr kurzfristige Netzstabilität im Fokus hat. Allerdings wird der Strommarkt bereits von verschiedenen Reserven abgesichert (Kasten 1).
In der Kapazitätsreserve soll seit 2020 außerhalb des Strommarkts eine Kraftwerkskapazität von zwei Gigawatt vorgehalten werden. Diese Leistung wird per Auktion beschafft, wobei die Auktionen bisher immer deutlich unterzeichnet waren.Aktuell sind es rund 1,2 Gigawatt. Informationen zu den Auktionen gibt es auf der Website Netztransparenz, generelle Informationen zur Kapazitätsreserve auf der Website der Bundesnetzagentur. In der Kapazitätsreserve befinden sich überwiegend Gaskraftwerke, von denen einige bereits in den frühen 1970er Jahren erbaut wurden.Vergleiche die Kraftwerksliste (Stand 15.04.2024) auf der Website der Bundesnetzagentur. Bisher wurde diese Reserve noch nie aktiviert.
In die Netzreserve werden Kraftwerke aufgenommen, die sich im Strommarkt nicht mehr finanzieren können, deren Erzeugungsleistung aber weiterhin zur Vermeidung von Engpässen im Übertragungsnetz notwendig ist.Weitere Informationen hierzu bietet die Website der Bundesnetzagentur. Diese sogenannten Redispatch-Maßnahmen dienen der Stabilisierung des Netzes und sind erforderlich, wenn innerdeutsche Netzengpässe auftreten, die im Großhandelsmarkt strukturell nicht berücksichtigt werden. Das Volumen der Netzreserve beträgt rund sieben Gigawatt.
Die Sicherheitsbereitschaft bestand ab 2016 aus Braunkohlekraftwerksblöcken mit einer Gesamtleistung von 2,7 Gigawatt, die stufenweise für jeweils vier Jahre nach ihrem regulären Betrieb in eine Reserve überführt wurden. Während des Höhepunkts der Strompreiskrise im Jahr 2022Martin Kittel, Alexander Roth und Wolf-Peter Schill (2022): Strommarkt erklärt: Preisbildung, Preiskrise und die „Strompreisbremse“: Ein Beitrag zur aktuellen Debatte über Eingriffe in den Strommarkt. DIW Politikberatung kompakt 184 (online verfügbar). wurden fünf dieser Braunkohleblöcke reaktiviert, als durch den Ausfall einer großen Anzahl französischer Kernkraftwerke Stromknappheit drohte.Bundesregierung (2023): Reserve für Stromproduktion nutzen (online verfügbar, abgerufen am 4. Oktober 2024). Mit der endgültigen Stilllegung dieser Kraftwerksblöcke Ende März 2024 endete auch die Sicherheitsbereitschaft.
Im September 2024 legte die Bundesregierung ein Kraftwerkssicherheitsgesetz zur Konsultation vor.Meldung des BMWK vom 11. September 2024: Konsultationsverfahren eröffnet: Kraftwerksicherheitsgesetz (online verfügbar). Es sah vor, insgesamt 13 Gigawatt steuerbare Kraftwerksleistung mit getrennten Tranchen für wasserstofffähige Gaskraftwerke auszuschreiben. Ergänzend wurde ein umfassender Kapazitätsmechanismus vorgeschlagen, der ab 2028 einsatzbereit sein soll. Dazu legte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz im Juli 2024 ein Optionenpapier zum Strommarktdesign vor.BMWK (2024): Strommarktdesign der Zukunft. Optionen für ein sicheres, bezahlbares und nachhaltiges Stromsystem (online verfügbar).
In der Europäischen Union und weiteren Ländern gibt es bereits Erfahrungen mit verschiedenen Arten von Kapazitätsmechanismen. Dazu gehören zentrale und dezentrale Kapazitätsmärkte, Kapazitätsreserven sowie die verpflichtende Absicherung von Marktteilnehmern auf Terminmärkten (Tabelle).ACER (2023): Security of EU electricity supply (online verfügbar); European Commission – DG Competition (2024): Barriers for demand response participation in electricity markets and State aid support (online verfügbar).
Dezentraler Kapazitätsmarkt | Zentraler Kapazitätsmarkt | Versorgungssicherheitsreserve | Verpflichtende Terminmärkte | |
---|---|---|---|---|
Zugelassene Teilnehmer | Gesicherte Leistung innerhalb des Strommarkts | Gesicherte Leistung innerhalb des Strommarkts | Kraftwerke außerhalb des Strommarkts | Gesicherte Leistung innerhalb des Strommarkts |
Kapazitätsplanung | Wird dezentral von Marktteilnehmern bestimmt | Gesamtkapazität im System wird zentral vom Regulierer festgelegt | Regulierer legt Größe der Reserve fest | Ungeklärt; vermutlich nur ex-post überprüfbar |
Beschaffung | Bilaterale Verträge | Zentrale Auktionen | Zentrale Auktionen | Bilaterale Verträge |
Erlöse der geförderten Kapazität | Erlöse für Kapazitätszertifikate zusätzlich zu Strommarkterlösen | Kapazitätszahlungen zusätzlich zu Strommarkterlösen | Zahlung für Vorhaltung und Abruf für Kraftwerke in Reserve | Erlöse aus Terminmarkt (ggf. höher als Strommarkterlöse) |
Steuerungsgrößen für Politik | Pönalen, Sicherheitsleistungen, Auslösungspreis, De-Rating Faktor je Technologie | Volumen, Pönalen, Vorlaufzeiten, Vertragslaufzeiten, Absicherungen, De-Rating Faktor je Technologie | Volumen, Auslösepreis | Ungeklärt; vermutlich Definition von standardisierten Terminprodukten |
Erforderliche Vorlaufzeit | Eher hoch | Mittel bis hoch | Gering, Aufbau auf bestehendes System | Ungeklärt |
Räumliche Differenzierung | Komplex umsetzbar | Möglich | Möglich | Komplex/ungeklärt |
Einsatz in | Frankreich | Irland, Belgien, Italien, Polen | Deutschland, Finnland, Schweden1 | – |
1 Auslösekriterien variieren zwischen den Ländern.
Quellen: Eigene Zusammenstellung.
In einem zentralen Kapazitätsmarkt ermittelt der Regulierer den Bedarf an steuerbarer Kapazität und schreibt dieses Volumen in Auktionen mit mehrjähriger Vorlaufzeit aus. Akteure mit dem niedrigsten Angebotspreis erhalten Kapazitätszahlungen und vermarkten ihren Strom parallel am Großhandelsmarkt. Prinzipiell können sowohl existierende als auch neu zu errichtende Kapazitäten in einen Kapazitätsmarkt integriert werden. Durch langfristige Verträge bietet ein zentraler Kapazitätsmarkt hohe Investitionssicherheit.
Eine große Herausforderung dabei ist, dass ein Kapazitätsmarkt durch die erforderliche Produktdefinition bestimmte Technologieoptionen ausschließen kann. Anlagen müssen bestimmte Qualifikationsanforderungen erfüllen. Das kann insbesondere kleinteilige und dezentrale Nachfrageflexibilität, die meist mit Wärme- oder Produktspeichern einhergeht, sowie Stromspeicher benachteiligen. Für beide Optionen stellt sich beispielsweise die Frage, ob und wie stark ein sogenanntes De-Rating ihrer Leistung vorgenommen werden soll, um ihrer durch die Energiespeicherkapazität begrenzten Einsatzdauer Rechnung zu tragen.Beim De-Rating im Kapazitätsmarkt wird die maximale Leistung einer Kapazität aufgrund von Einschränkungen wie einer begrenzten Einsatzdauer oder Verfügbarkeit bewertet. Dies bedeutet, dass die tatsächliche Leistung einer Kapazität, etwa eines Speichers, unter Stressbedingungen bewertet und entsprechend herabgestuft wird, um die tatsächliche Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit zu reflektieren. Consentec GmbH (2024): Ausarbeitung eines Kapazitätsmechanismus für den deutschen Strommarkt (online verfügbar); Christoph Fraunholz, Dogan Keles und Wolf Fichtner (2021): On the role of electricity storage in capacity renumeration mechanisms. Energy Policy 149 (online verfügbar). Darüber hinaus werden Regulierungsbehörden den Versorgungssicherheitsbeitrag von nachfrageseitiger Flexibilität voraussichtlich nur auf Basis bereits vergangener positiver Erfahrungen anrechnen. Da viele dieser Technologien bisher noch kaum am Markt etabliert sind, besteht daher das Risiko, dass sie in einem Kapazitätsmarkt langfristig benachteiligt werden.
Internationale Erfahrungen zeigen, dass Kapazitätszahlungen an steuerbare Leistung allein noch keine Versorgungssicherheit schaffen.So hat sich zum Beispiel gezeigt, dass während des Polarwirbels 2014, einer extremen Kältewelle in Nordamerika, viele Kraftwerke, die zuvor Kapazitätszahlungen bezogen hatten, unzureichend gewartet waren oder nicht genügend Brennstoffe vorgehalten oder diese nicht vertraglich abgesichert hatten. Vergleiche dazu Informationen auf der Website der US-amerikanischen Energy Information Administration. Um zu erreichen, dass alle Kapazitäten in den Spitzenlaststunden auch tatsächlich in Betrieb sind, können Kraftwerke mit einer Strafzahlung für Nichtproduktion belegt werden (sogenannte Pönale).Paolo Mastropietro et al. (2016): Reliability options: Regulatory recommendations for the next generation of capacity remuneration mechanisms. Energy Policy 185 (online verfügbar). Ist diese zu niedrig gewählt, wirkt sie nicht. Ist sie zu hoch, führt sie zu übermäßigen finanziellen Risiken für Marktteilnehmer beim Ausfall ihrer Anlage. Alternativ zu einer Strafzahlung können Stromerzeuger zur Rückzahlung der Differenz von Marktpreis und einem definierten Auslösepreises verpflichtet werden.Peter Cramton, Axel Ockenfels und Steven Stoft (2013): Capacity market fundamentals. Economics of Energy & Environmental Policy 2 (online verfügbar); Pradyumna Bhagwat und Leonardo Meeus (2019): Reliability options: can they deliver on their promises? The Electricity Journal 35 (online verfügbar).
Beim dezentralen Kapazitätsmarkt müssen Stromversorger im Nachhinein mit sogenannten Kapazitätszertifikaten nachweisen, dass sie jederzeit genügend steuerbare Leistung vorgehalten haben, um ihre Spitzenlasten zu decken. Kraftwerksbetreiber und andere Anbieter von steuerbarer Leistung können hierzu ihre Kapazität zertifizieren lassen und dann an Stromversorger verkaufen. Diese können durch die Reduktion von Spitzenlasten bei ihren Kund*innen den Bedarf an Kapazitätszertifikaten verringern. So entstehen Anreize zur Flexibilisierung der Nachfrage.
Obwohl dezentrale Kapazitätsmärkte als technologie- und innovationsoffener gelten als zentrale, benötigen sie dennoch auch eine klare Definition der steuerbaren Leistung. Eine solche könnte den Aufbau neuer flexibler Optionen hemmen. Damit einher geht ein Kontrollaufwand, da die Einhaltung der Anforderungen an Kapazitätszertifikate sowohl bei der Vergabe als auch laufend bei der Kapazitätsvorhaltung überprüft werden.
Da Stromkund*innen ihre Anbieter wechseln, können Versorgungsunternehmen ihren Strombedarf langfristig nicht sicher vorhersagen. Deswegen müssen Energieversorger in dezentralen Kapazitätsmärkten erst rückblickend nachweisen, dass ihre Spitzennachfrage abgesichert war. Damit entsteht möglicherweise keine langfristige Nachfrage nach steuerbarer Leistung und Kapazitätszertifikate werden tendenziell für kürzere Zeiträume als Energieprodukte liquide gehandelt (in Deutschland drei Jahre). Diese Wirkung wird durch die Festsetzung einer Strafzahlungen für Nichterfüllung nur indirekt beeinflusst und kann damit auch nur sehr ungenau gesteuert werden.
Zusätzlich entstehen Investitionsrisiken, da die Regeln jederzeit angepasst werden können.Prinzipiell können auch bei einem zentralen Kapazitätsmarkt oder einer Versorgungssicherheitsreserve die Regeln verändert werden. Das hat aber weniger oder keine Auswirkungen auf Investitionsentscheidungen, wenn bei Kapazitätszuschlägen langfristige Verträge vergeben werden. Sie können etwa das Angebot im Kapazitätsmarkt durch Anpassung des nominellen Kapazitätsbeitrags eines Kraftwerkstyps erhöhen. Daher ist unklar, wie hoch die Anreize für Investitionen in langlebige Erzeugungs- oder Speicheranlagen in einem dezentralen Kapazitätsmarkt sind. Weitere Herausforderungen sind die Absicherung der Nachfrageseite gegen hohe Stromkosten für Verbraucher und die regionale Steuerung von Kapazitäten bei Netzengpässen.
Mit Ausnahme von Frankreich gibt es aktuell kaum dezentrale Kapazitätsmärkte. Dort dominiert allerdings das staatliche Unternehmen Électricité de France den Markt, das faktisch gegen regulatorische Unsicherheiten abgesichert ist.
Stromversorger betreiben bereits heute Risikomanagement, um ihren Strombezug abzusichern. Dieses freiwillige Risikomanagement allein garantiert nicht genügend Kapazitäten für die Versorgungssicherheit. Deswegen wird ein Kapazitätsmechanismus diskutiert, bei dem Versorger ihren Strombezug im Voraus verpflichtend absichern müssen.Connect Energy Economics (2024): Die Ordnung der Transformation – Versorgungssicherheit im Strommarkt (online verfügbar); Veronika Grimm und Axel Ockenfels (2024): Wie der Strommarkt noch zu retten ist. FAZ vom 9. Oktober (online verfügbar). Diese Pflicht müsste die bisherige Absicherung deutlich übertreffen, um Investitionen in steuerbare Leistungen zu fördern.
Deutlich erhöhte Absicherungsvolumen liegen jedoch nicht im Eigeninteresse der Stromversorger, da dabei die Preise für die Absicherungsprodukte steigen und die Knappheit sowie der spätere Wert der Absicherung sinken. Deswegen müsste man eine Absicherungspflicht streng kontrollieren. Allerdings ist der langfristige Strombedarf eines Versorgers schwer vorherzusagen, da Kund*innen wechseln können. Zudem wird die Gesamtwirkung der Absicherungen, die ein Versorger getroffen hat, mit zunehmender Anzahl und Komplexität bilateraler Verträge immer schwerer nachvollziehbar.
Für eine effektive Kontrolle müssten standardisierte Absicherungsprodukte definiert und andere Vertragsstrukturen verboten werden. Ähnlich dem dezentralen Kapazitätsmarkt müsste man eine Bezugsgröße für die abzusichernde Strommenge eines Versorgers festlegen, was die bereits dort aufgeführten Probleme aufwirft. Dies könnte die konkrete Umsetzung einer Absicherungspflicht auf einen nachträglichen Nachweis beschränken. Wie beim dezentralen Kapazitätsmarkt diskutiert, ist es somit unklar, ob ausreichende Investition zu erwarten sind.
Eine weiterentwickelte Versorgungssicherheitsreserve könnte eine Alternative zu den bisher in Deutschland diskutierten Kapazitätsmechanismen sein. Sie baut auf der bestehenden Kapazitätsreserve auf (Kasten 1). In ihr werden Kraftwerke vorgehalten, die nur dann Strom produzieren, wenn der Strompreis auf einen festgelegten, moderat hohen Wert steigt. Dann wird der Strom dieser Kraftwerke zum Auslösepreis am Markt angeboten. Ein Regulierer bestimmt die erforderliche Größe der Reserve und beschafft die Kapazitäten in Auktionen. Die Kosten für Investitionen und Instandhaltung tragen alle Stromkund*innen wie bei den anderen Kapazitätsmechanismen.
Im Gegensatz zu anderen Kapazitätsmechanismen nehmen die steuerbaren Kraftwerke in der Reserve nicht am normalen Großhandelsmarkt für Strom teil. Somit wirken sie sich in Zeiten, in denen der Großhandelspreis unterhalb des Auslösepreises liegt, nicht direkt auf die Preisbildung im Strommarkt aus. Die Versorgungssicherheitsreserve hat den Vorteil, dass sie schnell umgesetzt werden kann und einen geringen administrativen Aufwand erfordert. Insbesondere kann auf bereits existierende Prozesse zur Beschaffung und Management von Reservekapazitäten zurückgegriffen werden.
Ein wichtiger Faktor bei der Umsetzung der Versorgungssicherheitsreserve ist der Auslösepreis. Er sollte niedrig genug sein, um soziale und wirtschaftliche Verwerfungen zu vermeiden. Auch sollten die Ineffizienzen geringgehalten werden, die sich ergeben, wenn Kraftwerke in der Reserve nicht zum Einsatz kommen, während der Marktpreis oberhalb ihrer variablen Kosten liegt. Zugleich sollte der Auslösepreis hoch genug liegen, um im Strommarkt ausreichende Anreize für Investitionen in alle Erzeugungs- und Flexibilitätstechnologien zu schaffen.
Um eine Balance zwischen regulatorischer Glaubwürdigkeit und ausreichenden Anreizen für Investitionen im Strommarkt zu schaffen, erscheint ein Auslösepreis von etwa 500 Euro pro Megawattstunden plausibel.Beim Auslösepreis von 500 Euro pro Megawattstunde handelt es sich um eine erste Abschätzung.
Die Versorgungssicherheitsreserve erfordert eine ähnliche Produktdefinition wie ein zentraler Kapazitätsmarkt hinsichtlich Ausschreibungsfrequenz, Vorlaufzeit, Produktdefinition, Pönalen oder De-Ratingfaktoren.ACER (2023): Demand response and other distributed energy resources: what barriers are holding them back (online verfügbar). Daher ist es unwahrscheinlich, dass Anlagen wie kleinteilige nachfrageseitige Flexibilitätsoptionen und Speicher in der Reserve erfasst werden. Dies ist jedoch auch gar nicht erforderlich beziehungsweise gar nicht erwünscht, da diese Technologien stattdessen im Strommarkt aktiv sein können. Ihnen kommt zugute, dass die Strommarktpreise in einem von einer Versorgungssicherheitsreserve abgesicherten Strommarkt deutlich stärker schwanken und zeitweise auf den Auslösepreis steigen, was entsprechende Investitionen ermöglicht.
Das quelloffene Stromsektormodell DIETER des DIW Berlin veranschaulicht die Unterschiede zwischen einem zentralem Kapazitätsmarkt und der Versorgungssicherheitsreserve (Kasten 2). Dezentrale Mechanismen können mit dem hier verwendeten Modell nicht sinnvoll abgebildet werden. Somit kann auch das von der Monopolkommission sowie dem Bundeswirtschaftsministerium vorgeschlagene Hybdridmodell eines kombinierten zentralen und dezentralen Kapazitätsmarkts hier nicht quantitativ untersucht werden.Monopolkommission (2023): Energie 2023: Mit Wettbewerb aus der Energiekrise. 9. Sektorgutachten (online verfügbar). Es werden daher zwei Szenarien des deutschen Stromsektors im Jahr 2030 verglichen: ein zentraler Kapazitätsmarkt mit 105 Gigawatt gesicherter Kraftwerksleistung sowie eine Versorgungssicherheitsreserve, die bei 500 Euro pro Megawattstunde aktiviert wird.Bei anderen Analysen mit dem Modell DIETER wird oft der europäische Stromverbund modelliert. Beispielsweise wurde kürzlich der Effekt des europäischen Stromaustauschs auf dem Speicherbedarf untersucht. Roth und Schill (2023), a.a.O.
Das „Dispatch and Investment Evaluation Tool with Endogenous Renewables“ (DIETER) ist ein quelloffenes Stromsektormodell, das die Gesamtkosten des Stromsektors sowie für Flexibilitäts- und Sektorenkopplungstechnologien minimiert. Es modelliert alle Stunden eines Jahres, um die Fluktuationen erneuerbarer Energien realistisch abzubilden. Die Ergebnisse umfassen Stromsektorkosten, optimale Kapazitäten verschiedener Technologien und deren stündlichen Einsatz. DIETER wird seit über zehn Jahren am DIW Berlin entwickelt und wurde bereits in zahlreichen wissenschaftlichen Studien genutzt.
Die Modellergebnisse können als Resultat eines vollkommenen Markts mit perfektem Wettbewerb interpretierbar werden. Haupteingangsdaten umfassen Zeitreihen zur Nachfrage und Verfügbarkeit erneuerbarer Energien sowie technische und Kostenparameter für verschiedene Stromerzeugungs- und Speichertechnologien.
In dieser Analyse liegt der Fokus auf dem deutschen Stromsektor ohne Stromaustausch mit Nachbarländern und ohne Modellierung des Stromnetzes innerhalb Deutschlands. Das Wetterjahr 2010 dient zur Optimierung des Kraftwerksparks. Diese Kapazitäten werden dann in weiteren Wetterjahren (2009 bis 2014) getestet.
Die Kapazitäten für Windkraft, Photovoltaik, Wasserkraft und Bioenergie werden exogen gesetzt, während Kapazitäten für Gaskraftwerke, Speicher und Flexibilitätsoptionen endogen bestimmt werden. Technologien wie Elektromobilität und dezentrale Wärmepumpen sind Teil der preisunelastischen Nachfrage, während Wärmenetze mit Großwärmepumpen explizit modelliert sind.
Der Modellcode und alle Inputdaten sind quelloffen verfügbar.GitLab (online verfügbar).
In der Modellierung ergibt sich eine Größe der Kapazitätsreserve von gut 31 Gigawatt. Sie kommt nur wenige Stunden im Jahr zum Einsatz (Abbildung 1). Je nach Wetterjahr läuft sie zehn bis 45 Stunden und nur sehr selten ist sie dabei mehr als zur Hälfte ausgelastet. In weniger als fünf Stunden über alle Wetterjahre hinweg ist sie zu mehr als 60 Prozent ausgelastet.
Die richtige Dimensionierung stellt sowohl bei der Versorgungssicherheitsreserve als auch bei einem zentralen Kapazitätsmarkt eine große Herausforderung dar. Die Reserve hat jedoch den Vorteil, dass Anpassungen ihrer Größe die Preisbildung im Strommarkt nicht beeinflussen. Das kann den Markt vor regulatorischen Unsicherheiten schützen und die Investitionsbedingungen verbessern.
Sowohl ein zentraler Kapazitätsmarkt als auch eine Versorgungssicherheitsreserve sichern die Stromnachfrage in allen modellierten Wetterjahren. Dabei wurde angenommen, dass sowohl im Kapazitätsmarkt als auch in der Reserve kostengünstige Gasturbinen (OCGT) neu gebaut werden, wobei in der Praxis auch bestehende Anlagen in die Reserve einfließen könnten. Im Strommarkt kann in verschiedene Flexibilitätstechnologien investiert werden (Kasten 3).
Nachfrageseitige Flexibilität ermöglicht die Verlagerung des Energieverbrauchs aus Zeiten mit geringer erneuerbarer Stromerzeugung in Zeiten mit hoher Erzeugung. Das reduziert Stromkosten der jeweiligen Verbraucher*innen sowie Umwelt- und Kostenrisiken entsprechender Brennstoffe, mit denen andernfalls der Strombedarf in Zeiten geringer Wind- und Solarproduktion gedeckt würde.Hessam Golmohamadi (2022): Demand-side management in industrial sectors: A review of heavy industries. Review and Sustainable Energy Reviews 156 (online verfügbar). Auch der Ausbaubedarf der Netzinfrastruktur kann so reduziert werden.Jin-Ho Kim und Anastasia Shcherbakova (2011): Common failures of demand response. Energy 36 (online verfügbar). Das Modell berücksichtigt drei Kategorien nachfrageseitiger Flexibilität: in der energieintensiven Industrie, der Prozesswärme und im Bereich der Fernwärme. Die Nutzung dieser Flexibilitäten erfordert Investitionen in Produkt- oder Wärmespeicher und verursacht variable Abrufkosten. Alle Inputdaten stehen in einem öffentlichen Repositorium zur Verfügung.GitLab (online verfügbar).
Die Versorgungssicherheitsreserve greift nur bei hohen Strompreisen, während die durch einen Kapazitätsmarkt geförderten Kraftwerke stets verfügbar sind. Dies spiegelt sich in unterschiedlichen Strommarktpreisen wider (Abbildung 2). Meistens zeigen sich keine großen Unterschiede zwischen den verschiedenen Politikoptionen, doch an drei bis sieben Tagen im Jahr unterscheiden sich die Preise stark. Im Kapazitätsmarkt begrenzen die variablen Kosten der Gaskraftwerke (rund 130 Euro pro Megawattstunde) den Großhandelspreis, was Investitionen in Flexibilitätstechnologien unattraktiv macht, da diese höhere Preisspitzen zur Refinanzierung benötigen. Dem liegt die oben erwähnte Annahme zugrunde, dass nachfrageseitige Flexibilitätstechnologien nicht am Kapazitätsmarkt teilnehmen können und dementsprechend auch keine Kapazitätszahlungen erhalten.
Im Gegensatz dazu steigen bei der Versorgungssicherheitsreserve die Preise in manchen Stunden auf bis zu 500 Euro pro Megawattstunde, was Investitionen in Flexibilitätsoptionen ermöglicht. Die Reduktion der Großhandelspreise durch den zentralen Kapazitätsmarkt wird durch die Kosten für Kapazitätszahlungen, die auf Stromkund*innen umgelegt werden, wieder ausgeglichen.
Ein zentraler Kapazitätsmarkt schränkt die Entwicklung von Flexibilität bei Nachfrage und Speicherung ein (Abbildung 3). Das liegt einerseits daran, dass diese Flexibilitäten nicht am Kapazitätsmarkt teilnehmen können. Andererseits mindert die geringe Schwankung der Großhandelspreise die Erlösmöglichkeiten für Flexibilität im Strommarkt.
Eine Versorgungssicherheitsreserve hingegen soll nachfrageseitige Flexibilitätsoptionen gar nicht aufnehmen. Stattdessen stärkt sie den Strommarkt und damit die Anreize für Erschließung und Nutzung von Flexibilität über stärker schwankende Strommarktpreise mit Preisspitzen von 500 Euro pro Megawattstunde. Die Modellierung zeigt, dass hier fast viermal so viel in Speicher für flexible Nachfrage in der energieintensiven Industrie investiert wird wie bei einem zentralen Kapazitätsmarkt. Auch bei der flexiblen Prozesswärme verdoppelt sich das Investitionsvolumen, und bei Fernwärmespeichern steigen die Investitionen auf mehr als das Fünffache. Dies ermöglicht es, stromintensive Nachfrage in Industrie und Wärme zeitlich stärker zu verschieben.
Die Versorgungssicherheitsreserve und der zentrale Kapazitätsmarkt führen in den Berechnungen zu vergleichbaren gesamten Stromkosten (Abbildung 4). Im Kapazitätsmarkt sind die Umlagekosten höher, da alle Kraftwerke Zahlungen erhalten, um ihre Fixkosten zu decken. Bei der Reserve werden nur die dort vorgehaltenen und eingesetzten Kraftwerke bezahlt. Hingegen sind die durchschnittlichen Marktpreise bei der Reserve höher, da sie – gewollt – erst bei höheren Marktpreisen zum Einsatz kommt.
Da Preisbestandteile wie Netzentgelte nicht einbezogen sind und das absolute Preisniveau von Annahmen wie den Brennstoffpreisen abhängt, sind die Preise nicht als Prognose für 2030 zu verstehen.
Um die Versorgung in Zeiten geopolitischer Unwägbarkeiten, beschleunigter Energiewende und Wetterunsicherheiten zu sichern, ist ein Kapazitätsmechanismus notwendig. Es sollte sichergesellt werden, dass dieser nicht diverse Speichertechnologien und Nachfrageflexibilitäten diskriminiert. Die derzeit diskutierten Kapazitätsmechanismen werfen in dieser Hinsicht Fragen auf.
Dezentrale Mechanismen geben zwar theoretisch Anreize zur Aktivierung von Nachfrageflexibilität und Speicher; doch werfen praktische Argumente sowie die Umsetzung in Frankreich die Frage auf, ob sie ausreichende Investitionsrahmenbedingungen für steuerbare Leistung und insbesondere Nachfrageflexibilität schaffen. Ein zentraler Kapazitätsmarkt wäre dagegen einfacher umzusetzen, droht jedoch Flexibilitätstechnologien zu hemmen.
Eine Alternative ist die Weiterentwicklung der bestehenden Reserven zu einer Versorgungssicherheitsreserve mit definiertem Auslösepreis. Modellrechnungen, bei denen angenommen wurde, dass nachfrageseitige Flexibilitätsoptionen nicht im Kapazitätsmechanismus erfasst sind, sondern sich ausschließlich im Großhandelsmarkt refinanzieren, zeigen, dass eine Versorgungssicherheitsreserve im Vergleich zu einem zentralen Kapazitätsmarkt die Nachfrageflexibilität deutlich stärker erschließen kann. Die Reserve bietet weitere Vorteile: Sie lässt sich schnell umsetzen, da es bereits viel Erfahrung mit Ausschreibung und Betrieb bestehender Reserven in Deutschland gibt. Sie erscheint auch deutlich anpassungsfähiger als ein zentraler Kapazitätsmarkt.
Die Untersuchung legt nahe, dass eine Versorgungssicherheitsreserve die bessere Alternative zu einem zentralen Kapazitätsmarkt sein dürfte. Zum einen garantiert sie die Stromproduktion auch bei geringer Erzeugung aus erneuerbaren Energien. Zum anderen werden starke Anstiege der Großhandelspreise vermieden, ohne die Anreize zum Ausbau der Nachfrageflexibilität im Strommarkt zu stark zu begrenzen. Dadurch entsteht ein Marktumfeld, das Flexibilitätstechnologien fördert.
Die konkrete Ausgestaltung und die Wirkung einer Versorgungssicherheitsreserve sollten weiter untersucht werden. Dazu gehören detailliertere Analysen zur Parametrierung und zu einer europäischen Koordination.Karsten Neuhoff et al. (2016): A coordinated strategic reserve to safeguard the European energy transition. Utilities Policy 41 (online verfügbar).
Themen: Klimapolitik, Energiewirtschaft
JEL-Classification: Q41;Q42;Q48
Keywords: capacity mechanisms, capacity markets, capacity reserve, security of supply, market design
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2024-49-3