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Einkommensungleichheit stagniert langfristig, sinkt aber während der Corona-Pandemie leicht

DIW Wochenbericht 18 / 2021, S. 307-316

Markus M. Grabka

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  • Stundenlöhne und Haushaltseinkommen steigen inflationsbereinigt von 2013 bis 2018 um zehn Prozent
  • Während Lohnungleichheit seit Einführung des Mindestlohns rückläufig ist, stagniert Einkommensungleichheit auf Niveau von 2005
  • Niedrigeinkommensquote stagniert ebenfalls bei rund 16 Prozent; Quote der von essentiellem Mangel Betroffenen hat sich zwischen 2008 und 2019 auf 2,7 Prozent halbiert
  • Einkommensungleichheit in Corona-Pandemie leicht rückläufig; vor allem Selbstständige von Einkommensverlusten betroffen
  • Um Insolvenzen und steigende Arbeitslosigkeit zu verhindern, müssen Hilfen für Selbstständige und UnternehmerInnen effizienter werden

„Schon in der Finanzkrise hat sich gezeigt, dass sich die Einkommensungleichheit in Krisenzeiten reduziert, weil die oberen Einkommen stärker sinken als diejenigen der unteren Einkommensgruppen. In der Corona-Pandemie wirken sich die rückläufigen Einkommen von Selbstständigen besonders auf die Verteilung aus.“ Markus M. Grabka

Sowohl Löhne als auch bedarfsgewichtete Haushaltseinkommen sind im Zeitraum 2013 bis 2018 real um gut zehn Prozent gestiegen. Hiervon profitierten alle Einkommensgruppen. Die Ungleichheit der Löhne ist seit mehreren Jahren rückläufig und liegt wieder auf dem Niveau wie zu Beginn der 2000er Jahre. Parallel dazu ist der Niedriglohnsektor um zwei Prozentpunkte geschrumpft. Anders verhält es sich bei den Haushaltseinkommen, bei denen sich die Ungleichheit seit vielen Jahren kaum verändert hat. Auch die Niedrigeinkommensquote stagniert. Allerdings ist der Anteil der Personen, die von essentiellem Mangel (materieller Deprivation) betroffen sind, auf ein im europäischen Vergleich niedriges Niveau gesunken. Seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie hat die Einkommensungleichheit in Deutschland leicht abgenommen, was vor allem an den rückläufigen Einkommen bei den Selbstständigen liegen dürfte. Die Pandemie birgt aber die Gefahr, dass durch eine steigende Zahl von Insolvenzen und Arbeitslosen die Einkommen in der Breite wieder sinken. Die Politik sollte die Hilfen an Selbstständige und Unternehmen nicht zu früh einstellen und deren Zielgenauigkeit nachjustieren.

Die Einkommensungleichheit ist in Deutschland ein seit Jahren heftig diskutiertes Thema. Hatte sie zwischen den Jahren 2000 und 2005 in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit stark zugenommen, trug die Finanzkrise der Jahre 2008/2009 kurzzeitig zu einer leichten Senkung der Ungleichheit bei, vor allem durch rückläufige Kapitaleinkommen und Einkommen aus Selbstständigkeit. Seitdem ist häufig die Rede davon, dass die Ungleichheit in Deutschland steige, doch Untersuchungen deuten darauf hin, dass sie sich im Zuge der starken konjunkturellen Entwicklung stabilisiert hat.infoVgl. Dietrich Creutzburg (2021): Wahrnehmung vs. Wirklichkeit: Armut im Land sinkt – Angst vor Armut steigt. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.04.2021 (online verfügbar, abgerufen am 16.04.2021. Dies gilt auch für alle anderen Onlinequellen in diesem Bericht, sofern nicht anders vermerkt). Die aktuelle Corona-Pandemie befeuert nun Befürchtungen, dass die Ungleichheit durch die wirtschaftlichen Verwerfungen wieder zunehmen könnte.

Die vorliegende Studie geht zum einen der Frage nach, wie sich Löhne, Haushaltseinkommen und Ungleichheit in den letzten Jahren entwickelt haben. Dazu werden die bisherigen Untersuchungen des DIW Berlin zur Entwicklung der Stundenlöhne, der Einkommensverteilung der Privathaushalte und zum Niedrigeinkommen in Deutschland von 2000 bis einschließlich 2019 aktualisiert.infoVgl. zuletzt: Markus M. Grabka und Jan Goebel (2020): Realeinkommen steigen, Quote der Niedrigeinkommen sinkt in einzelnen Altersgruppen. DIW Wochenbericht Nr. 18, 315–323 (online verfügbar); Alexandra Fedorets et al. (2020): Lohnungleichheit in Deutschland sinkt. DIW Wochenbericht Nr. 7, 91–97 (online verfügbar). Verwendet werden die Einkommensinformationen (Kasten) des am DIW Berlin angesiedelten Sozio-oekonomischen Panels (SOEP)infoDas SOEP ist eine repräsentative jährliche Wiederholungsbefragung privater Haushalte, die seit 1984 in Westdeutschland und seit 1990 auch in Ostdeutschland durchgeführt wird; vgl. Jan Goebel et al. (2018): The German Socio-Economic Panel (SOEP). Journal of Economics and Statistics, 239(29), 345–360, DOI: https://doi.org/10.1515/jbnst-2018-0022., die in Zusammenarbeit mit Kantar erhoben wurden. Zum anderen werden erste Analysen zur Wirkung der Corona-Pandemie auf die Entwicklung der Haushaltsnettoeinkommen im zweiten Lockdown durchgeführt, die auf den Informationen der Sondererhebung SOEP-CoV im Januar/Februar 2021 beruhen.infoDas vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierte Projekt SOEP-CoV wird als Verbundprojekt zwischen der Universität Bielefeld und dem SOEP am DIW Berlin durchgeführt. Für weitere Informationen vgl. www.soep-cov.de. Zusätzlich wird neben der Armuts- beziehungsweise Niedrigeinkommensquote untersucht, wie sich der Anteil der Bevölkerung entwickelt, die unter essentiellem Mangel (materieller Deprivation) leidet, der es also an bestimmten Gebrauchsgütern mangelt und die aus finanziellen Gründen auf essentiellen Konsum verzichten muss. Dazu werden Angaben herangezogen, die das Statistische Bundesamt im Rahmen des deutschen Teils der Befragung EU Statistics on Income and Living Conditions (EU-SILC) erhebt.

Die Einkommenssituation von Haushalten unterschiedlicher Größe und Zusammensetzung wird – internationalen Standards entsprechend – durch die Umrechnung des gesamten Einkommens eines Haushalts in sogenannte Äquivalenzeinkommen vergleichbar gemacht. Dazu werden die Haushaltseinkommen unter Verwendung einer von der OECD vorgeschlagenen und in Europa allgemein akzeptierten Skala umgerechnet. Jedem Haushaltsmitglied wird das so errechnete Äquivalenzeinkommen zugewiesen, unter der Annahme, dass alle Haushaltsmitglieder in gleicher Weise vom gemeinsamen Einkommen profitieren. Dabei erhält der Haushaltsvorstand ein Bedarfsgewicht von eins; weitere erwachsene Personen haben jeweils ein Gewicht von 0,5 und Kinder bis zu 14 Jahren ein Gewicht von 0,3.infoVgl. Brigitte Buhmann et al. (1998): Equivalence Scales, Well-being, Inequality and Poverty. Review of Income and Wealth 34, 115–142. Unterstellt wird also eine Kostendegression in größeren Haushalten.

Eine besondere Herausforderung stellt in allen Bevölkerungsumfragen die sachgemäße Berücksichtigung fehlender Angaben einzelner Befragungspersonen dar, beispielsweise des Einkommens. In den hier analysierten Daten des SOEP werden fehlende Angaben im Rahmen aufwendiger, quer- und längsschnittbasierter Imputationsverfahren eingefügt.infoJoachim R. Frick und Markus M. Grabka (2005): Item Non-response on Income Questions in Panel Surveys: Incidence, Imputation and the Impact on Inequality and Mobility. Allgemeines Statistisches Archiv, 89(1), 49–61. Dies betrifft auch fehlende Angaben bei vollständiger Verweigerung einzelner Haushaltsmitglieder in ansonsten befragungswilligen Haushalten. In diesen Fällen wird ein mehrstufiges statistisches Verfahren für sechs einzelne Brutto-Einkommenskomponenten (Erwerbseinkommen, Renten sowie Transferleistungen im Falle von Arbeitslosigkeit, Ausbildung/Studium, Mutterschutz/Erziehungsgeld/Elterngeld und private Transfers) angewandt.infoJoachim R. Frick, Markus M. Grabka und Olaf Groh-Samberg (2012): Dealing with incomplete household panel data in inequality research. In: Sociological Methods and Research, 41(1), 89–123. Dabei werden mit jeder neuen Datenerhebung sämtliche fehlenden Werte auch rückwirkend neu imputiert, da neue Informationen aus Befragungen genutzt werden können, um fehlende Angaben in den Vorjahren einzufügen. Dadurch kann es zu kleineren Veränderungen gegenüber früheren Auswertungen kommen.

Um methodisch begründete Effekte in der Zeitreihe der errechneten Indikatoren zu vermeiden, wurde die jeweils erste Erhebungswelle der einzelnen SOEP-Stichproben aus den Berechnungen ausgeschlossen. Untersuchungen zeigen, dass es in den ersten beiden Befragungswellen vermehrt zu Anpassungen im Befragungsverhalten kommt, die nicht auf die unterschiedliche Teilnahmebereitschaft zurückzuführen sind.infoJoachim R. Frick et al. (2006): Using Analysis of Gini (ANOGI) for Detecting Whether Two Subsamples Represent the Same Universe: The German Socio-Economic Panel Study (SOEP) Experience. Sociological Methods Research, 1. Mai, 34 (4), 427–468, doi: 10.1177/0049124105283109.

Reale Stundenlöhne steigen weiter

Da die Erwerbseinkommen den Großteil der verfügbaren Haushaltseinkommen ausmachen, wird zunächst die Entwicklung der vereinbarten realeninfoInflationsbereinigt, mit dem Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamtes in Preisen des Jahres 2015 umgerechnet. Bruttostundenlöhne abhängig Beschäftigter in Haupttätigkeit betrachtet.infoNicht berücksichtigt werden hierbei Selbstständige, Auszubildende, Praktikantinnen und Praktikanten sowie Wehr- und Zivildienstleistende. Der durchschnittliche reale Bruttostundenlohn hat sich über den Zeitraum von 2000 bis 2013 schwach entwickelt. Von etwa 17,85 Euro im Jahr 2000 ging er auf 16,90 Euro im Jahr 2013 zurück (Abbildung 1). Dies lag zum einen daran, dass der Anteil der Teilzeitbeschäftigten stieg, vor allem bei den Frauen, die üblicherweise geringere Stundenlöhne erhalten. Zum anderen wirkte sich auch die allgemeine Lohnzurückhaltung bei Tarifverhandlungen negativ aus. Ab 2013 setzte jedoch eine Trendumkehr ein. Seitdem sind die durchschnittlichen Bruttostundenlöhne bis 2019 um gut zehn Prozent gestiegen. Gemessen am MedianinfoDer Medianlohn ist der Lohn, bei dem es genauso viele Menschen mit höheren wie mit niedrigeren Löhnen gibt. Würde man die Bevölkerung nach der Höhe ihrer Löhne sortieren und dann zwei gleich große Gruppen bilden, würde die Person, die genau in der Mitte dieser Verteilung steht, den Medianlohn beziehen. Der Median ist robuster gegenüber Ausreißern einer Stichprobe als der Durchschnitt. verlief die Entwicklung ähnlich, wenngleich auf niedrigerem Niveau. Dies bedeutet, dass Beschäftigte im unteren und mittleren Segment der Lohnverteilung in vergleichbarem Ausmaß von den Reallohnsteigerungen profitieren konnten wie Beschäftigte im oberen Segment der Lohnverteilung. Ursächlich hierfür dürfte der allgemeine wirtschaftliche Aufschwung vor der Corona-Pandemie und die Einführung des Mindestlohns im Jahr 2015 gewesen sein.infoAuch die Lohnforderungen der Gewerkschaften haben sich zuletzt stärker am Produktivitätsfortschritt orientiert.

Positiv ist die jüngste Entwicklung im Niedriglohnsektor, zu dem man Beschäftige zählt, deren Bruttostundenlohn weniger als zwei Drittel des Medianlohns beträgt (Abbildung 2). Dabei lassen sich drei Phasen unterteilen. Zwischen 2000 und 2007 wuchs der Anteil der Beschäftigten im Niedriglohnsektor von rund 19 auf knapp 24 Prozent deutlich. Diese Entwicklung dürfte unter anderem auch den Arbeitsmarktreformen der damaligen Bundesregierung und hierbei insbesondere Hartz I bis III geschuldet sein. Danach stagnierte der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten bis etwa 2012. Anschließend ging ihr Anteil sukzessive bis auf 20,7 Prozent im Jahr 2019 zurück. Laut SOEP zählten damit aber weiterhin gut 7,4 Millionen abhängig Beschäftigte in Haupttätigkeit zum Niedriglohnsektor.

Ungleichheit der Stundenlöhne wieder auf dem Niveau zu Beginn der 2000er Jahre

Um die Verteilung der vereinbarten Bruttostundenlöhne bewerten zu können, wird das Verhältnis der unteren zu den oberen Stundenlöhnen untersucht. Dies geschieht mittels des 90:10-Perzentilverhältnisses, also des Verhältnisses der Person mit dem geringsten Verdienst aus dem 90. PerzentilinfoBei Perzentilen werden die Beschäftigten nach der Höhe der Löhne sortiert und in 100 gleich große Gruppen eingeteilt. zur Person mit dem höchsten Verdienst aus dem 10. Perzentil. Damit beschreibt das Verhältnis, wieviel mehr der obere Rand der Lohnverteilung als der untere Rand verdient.

Im Zeitraum 2000 bis 2006 stieg die Ungleichheit deutlich: Verdiente die Person am 90. Perzentil im Jahr 2000 noch 3,3 mal so viel wie die am 10. Perzentil, war es 2006 fast viermal so viel; danach stagnierte die Ungleichheit auf diesem hohen Niveau bis 2014, um dann wieder auf das Niveau zu Beginn der 2000er Jahre zu sinken (Abbildung 3). Im Jahr 2019 verdienten abhängig Beschäftigte am 90. Perzentil der Lohnverteilung etwa 3,5-mal so viel wie Beschäftigte am 10. Perzentil.

Auch die realen Haushaltseinkommen entwickeln sich seit 2014 positiv

Die Frage ist, wie sich die steigenden Löhne auf das reale bedarfsgewichteteinfoVgl. auch den Begriff „Äquivalenzeinkommen“ im DIW Glossar (online verfügbar). Haushaltseinkommen ausgewirkt haben (Kasten). Im Unterschied zu den individuellen Stundenlöhnen werden hier die jährlichen Einkommen aller Haushaltsmitglieder bedarfsgewichtet berücksichtigt, wie zum Beispiel Kapitaleinkommen, Renten und staatliche Transfers. In diese Betrachtung wird anders als bei der Lohnanalyse, die nur die Löhne der abhängig Beschäftigten analysiert, die gesamte Wohnbevölkerung einbezogen.infoGemäß den Konventionen des Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2013: Lebenslagen in Deutschland) und den Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (z.B. das Jahresgutachten 2016/2017: Zeit für Reformen) wird bei Verwendung von Jahreseinkommen jeweils das Einkommensjahr ausgewiesen. Die Jahreseinkommen werden im SOEP retrospektiv für das vorangegangene Kalenderjahr erhoben, aber mit der Bevölkerungsstruktur des Erhebungszeitpunkts gewichtet. Die hier präsentierten Daten für 2018 sind also in der Befragungswelle 2019 erhoben worden. Es wird zwischen den HaushaltsmarkteinkommeninfoDie Markteinkommen entsprechen der Summe von Kapital- und Erwerbseinkommen einschließlich privater Transfers, privater Renten und dem Mietwert selbstgenutzten Wohneigentums vor Abzug von Steuern und monetärer Sozialleistungen. (vor Steuern und Sozialabgaben) und den verfügbaren Haushaltseinkommen (nach Steuern und Sozialabgaben) unterschieden. Wurden keine Markteinkommen erzielt, gehen diese mit einem Wert von Null in die Analysen ein.

Zwischen 2000 bis 2014 stiegen die durchschnittlichen realen Haushaltsmarkteinkommen um rund drei Prozent (Abbildung 4). Die verfügbaren Haushaltseinkommen nahmen im gleichen Zeitraum um rund 4,5 Prozent zu. Zwischen 2014 und 2019 wuchsen beide Einkommensarten deutlich stärker: um knapp zwölf Prozent bei den Markt- und rund neun Prozent bei den verfügbaren Haushaltseinkommen. Der wirtschaftliche Aufschwung nach dem Einbruch durch die Finanzmarktkrise 2008/2009 kam also zeitverzögert auch bei den Privathaushalten an. Dieser Anstieg speiste sich dabei aus mehreren Quellen. Zu nennen sind hierbei vor allem ein deutlicher Rückgang der Arbeitslosigkeit, steigende Reallöhne und – daran gekoppelt – real steigende Alterseinkommen.

Alle Einkommensdezile profitieren vom Anstieg der Realeinkommen

Da die durchschnittliche Einkommensentwicklung noch nichts über die Verteilung der Einkommen aussagt, werden im Folgenden die verschiedenen Einkommensdezile betrachtet, um der Frage nachzugehen, ob die Einkommensschere auseinandergeht. Dazu wird die Bevölkerung nach der Höhe der verfügbaren Haushaltseinkommen sortiert und in zehn gleich große Gruppen eingeteilt. Das unterste (oberste) Dezil gibt die Einkommenssituation der ärmsten (reichsten) zehn Prozent der Bevölkerung an.infoZu beachten ist, dass die Personen über die Zeit hinweg aufgrund von Einkommensmobilität ihre Einkommensposition verändern können und nicht immer demselben Dezil zuzuordnen sind.

Vergleicht man die durchschnittlichen Einkommen in den Dezilen ab 2000 (Abbildung 5), zeigt sich, dass die realen verfügbaren Haushaltseinkommen bis 2013 insgesamt nur schwach stiegen. Lediglich im obersten Dezil nahmen die Realeinkommen bis 2007 überdurchschnittlich zu, um anschließend etwas schwächer zu wachsen. Mit Ausnahme des ersten Dezils stiegen die verfügbaren Einkommen ab 2014 wieder real in allen Einkommensgruppen.infoAuch die Ungleichheit der Haushaltsmarkteinkommen bleibt weitestgehend stabil. Die insgesamt positive Entwicklung der Realeinkommen über die Bevölkerung hinweg vernachlässigt aber, dass die Wohlfahrtsentwicklung für Mieter- beziehungsweise Eigentümerhaushalte unterschiedlich ausfällt. So sind in der langen Frist die Wohnkosten für Eigentümerhaushalte bedingt durch das sinkende Zinsniveau für Hypothekenkredite entweder gleichgeblieben oder sogar gesunken. Mieterhaushalte insbesondere in städtischen Regionen haben nach Berücksichtigung der Wohnkosten nicht zwingend mehr Einkommen für privaten Konsum neben dem Wohnen zur Verfügung. Die Zuwächse lagen dabei zwischen sechs und zehn Prozent über die Dezile hinweg. Am aktuellen Rand waren die Einkommen im obersten Dezil real rund 24 Prozent höher als noch im Jahr 2000.

Anders verlief die Entwicklung im untersten Dezil: Bei den ärmsten zehn Prozent setzte ein Zuwachs nach den aktuellen Berechnungen erst ab dem Jahr 2015 ein, dem Jahr der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns.infoVom Mindestlohn haben aber auch Haushalte aus höheren Dezilen profitiert. Vgl. Alexandra Fedorets et al. (2020), a.a.O. Das unterste Dezil ist damit knapp wieder auf dem Niveau von 2000 angelangt.

Gerade in der Phase zwischen 2010 und 2015 waren im untersten Dezil reale Einkommensverluste zu beobachten. Dabei ist zu beachten, dass zwischen 2010 und 2017 die ausländische Bevölkerung um knapp 3,9 Millionen auf 10,6 Millionen Menschen zunahm.infoStatistisches Bundesamt (2020): Ausländische Bevölkerung 2005, 2010 und 2014 bis 2018 nach Bundesländern (online verfügbar). Nicht zuletzt aufgrund von Sprachbarrieren und administrativen Hürden (Arbeitserlaubnis, Anerkennung von Zeugnissen) brauchte es Zeit, bis diese Zuwanderinnen und Zuwanderer auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassten. Entsprechend niedrig fielen deren Einkommen kurz nach der Einwanderung aus.infoVgl. Markus M. Grabka und Jan Goebel (2018): Einkommensverteilung in Deutschland: Realeinkommen sind seit 1991 gestiegen, aber mehr Menschen beziehen Niedrigeinkommen. DIW Wochenbericht Nr. 21, 449–459 (online verfügbar). Die Integration scheint aber sukzessive zu gelingen, wodurch auch im untersten Dezil die Einkommen real seit 2015 zunahmen.infoVgl. Herbert Brücker, Yuliya Kosyakova und Eric Schuß (2020): Fünf Jahre seit der Fluchtmigration 2015. Integration in Arbeitsmarkt und Bildungssystem macht weitere Fortschritte. IAB Kurzbericht Nr. 4/2020.

Ungleichheit der verfügbaren Haushaltseinkommen seit 2005 unverändert

Um die Einkommensungleichheit zu quantifizieren, wird als Standardmaß der Gini-Koeffizient verwendet.infoVgl. auch den Begriff Gini-Koeffizient im DIW Glossar (online verfügbar). Je höher der Wert zwischen 0 und 1 ausfällt, desto höher ist die gemessene Ungleichheit. Für das verfügbare Haushaltseinkommen zeigte sich zunächst ein Anstieg der Ungleichheit von knapp 0,26 im Jahr 2000 auf knapp 0,29 im Jahr 2005, die im weiteren Verlauf stagnierte (Abbildung 6). Damit bestätigt der Gini-Koeffizient den Befund des vorherigen Abschnitts. Im Jahr 2018 lag der Gini-Koeffizient weiterhin bei rund 0,29. Im internationalen Vergleich befand sich Deutschland damit unterhalb des OECD-Durchschnitts, der mit 0,31 angegeben wird.infoVgl. OECD Income Distribution Database (online verfügbar). Auch die Ungleichheit der Haushaltsmarkteinkommen bleibt weitestgehend stabil.

Die abnehmende Ungleichheit der Löhne spiegelte sich damit nicht bei den Haushaltseinkommen wider. Das deutet daraufhin, dass andere Einkommenskomponenten, wie Kapitalerträge und Alterseinkommen, der Entwicklung der Löhne entgegenliefen.

Anteil der BezieherInnen von Niedrigeinkommen seit 2015 weitgehend unverändert

Um zu bestimmen, wie verbreitet das Armutsrisiko in Deutschland ist, wird häufig die relative Armutsrisikoquote oder, wie hier im Folgenden präziser bezeichnet, die Niedrigeinkommensquote herangezogen. Dazu wird der Anteil von Personen, deren bedarfsgewichtetes Haushaltsnettoeinkommen weniger als 60 Prozent des Medianhaushaltsnettoeinkommens beträgt, bestimmt.

Auf Basis der SOEP-Stichprobe lag die Niedrigeinkommensschwelle im Jahr 2018 für einen Einpersonenhaushalt bei nominal 1216 Euro netto pro Monat.infoIm Vergleich zur Sozialberichterstattung des Statistischen Bundesamts auf Basis des Mikrozensus (siehe www.amtliche-sozialberichterstattung.de) wird hier ein höherer Schwellenwert ausgewiesen, da wie international üblich auch der Mietwert selbstgenutzten Wohneigentums zur Einkommensmessung bei der Einkommensberechnung berücksichtigt wird. Vgl. zu weiteren methodischen Unterschieden zur amtlichen Sozialberichterstattung Markus M. Grabka, Jan Goebel und Jürgen Schupp (2012): Höhepunkt der Einkommensungleichheit in Deutschland überschritten? Wochenbericht des DIW, Nr. 43, 3–15 (online verfügbar). Zu Beginn des Jahrhunderts befanden sich noch elf bis zwölf Prozent der Bevölkerung in Deutschland unterhalb der für die jeweiligen Haushalte geltenden Schwellen (Abbildung 7). Bis zum Jahr 2015 stieg dieser Wert auf rund 16,5 Prozent und stagniert seither auf diesem Niveau. Amtliche Daten des Mikrozensus oder des Surveys EU Statistics on Income and Living Conditions (EU-SILC) des Statistischen Bundesamtes beschreiben einen vergleichbaren Trend.infoDas SOEP stellt auch einen alternativen Indikator zur Messung der Niedrigeinkommensquote zur Verfügung. Hierbei handelt es sich um das im Befragungsmonat erhobene aktuelle Haushaltsnettoeinkommen. Dieses Einkommenskonzept ist mit dem des Mikrozensus nahezu identisch. Dabei werden unterjährig selten bezogene Einkommenskomponenten wie Urlaubsgeld eher unterschätzt und der Mietwert selbst genutzten Wohneigentums nicht wie Jahreseinkommen im SOEP berücksichtigt.

Anteil der Personen mit erheblicher materieller Deprivation hat sich seit 2008 halbiert

Ob die Niedrigeinkommensquote geeignet ist, die Armut in einem Land zu beschreiben, wird kontrovers diskutiert. Aus diesem Grund wird hier ergänzend das in der europäischen Sozialberichterstattung genutzte Konzept der erheblichen materiellen Deprivation herangezogen.infoVgl. die Website von Eurostat zur materiellen Deprivation und Lebensbedingungen (2021). Es dient der Identifikation individueller Mangelsituationen, bei denen relevante Grundbedürfnisse oder weitergehende Aspekte der Teilhabe nicht gedeckt sind.infoMaterielle Deprivation beschreibt den Mangel an bestimmten Gebrauchsgütern und den unfreiwilligen Verzicht auf ausgewählten Konsum aus finanziellen Gründen. Die neun Bereiche sind neben den drei aufgezählten: unerwartete Ausgaben tätigen können, einen einwöchigen Urlaub an einem anderen Ort, ein Auto, eine Waschmaschine, einen Farbfernseher oder ein Telefon besitzen. Materielle Deprivation wird gemessen anhand von neun Gütern oder Aktivitäten. Hierzu zählen verschiedene finanzielle Probleme wie: Miete, Hypotheken oder Rechnungen für Versorgungsleistungen rechtzeitig zu bezahlen; die Wohnung angemessen zu heizen; jeden zweiten Tag Fleisch, Fisch oder eine gleichwertige vegetarische Mahlzeit zu finanzieren. Können vier von neun Bereichen aus finanziellen Gründen nicht gedeckt werden, spricht man von erheblicher materieller Deprivation.infoProblematisch bei der Verwendung dieses Indikators ist, dass er auf normativen Setzungen der Auswahl und Gewichtung der betrachteten Güter und Dienstleistungen beruht.

Der Anteil der Personen, die hiervon betroffen waren, lag zunächst deutlich niedriger als bei den NiedrigeinkommensbezieherInnen. Zudem verlief der Trend im Beobachtungszeitraum von 2008 bis 2019 anders als bei der Niedrigeinkommensquote. Während 2008 der Anteil der Personen mit erheblicher materieller Deprivation bei 5,5 Prozent lag, halbierte sich dieser bis zum Jahr 2019 auf 2,7 Prozent. Im europäischen Vergleich nahm Deutschland damit einen sehr guten Platz ein und wies ein ähnlich geringes Niveau an erheblicher materieller Deprivation auf wie beispielsweise Dänemark (2,6 Prozent) oder Finnland und die Niederlande (jeweils 2,4 Prozent).infoVgl. die Website von Eurostat zur materiellen Deprivation. Die entsprechende Quote des Letztplatzierten, Bulgarien, lag bei 19,9 Prozent.

Differenziert man den Anteil der Personen mit erheblicher materieller Deprivation nach Haushaltstyp, so zeigt sich, dass Alleinerziehende die höchsten Werte aufwiesen, gefolgt von Alleinlebenden. Einen der niedrigsten Werte verzeichneten Paare mit zwei Kindern (Abbildung 8). Während für die letztgenannte Gruppe die Quote nahezu unverändert bei niedrigen zwei bis drei Prozent stagnierte, ist diese für Alleinlebende um knapp vier Prozentpunkte auf 6,9 Prozent bis 2019 gesunken, für Alleinerziehende sogar um etwa 13 Prozentpunkte auf 6,6 Prozent. Da sowohl das Elterngeld, der Kinderzuschlag als auch das Bildungs- und Teilhabepaket, von denen alle Alleinerziehenden prinzipiell profitiert haben könnten, bereits vor dem Beobachtungszeitraum eingeführt wurden, ist davon auszugehen, dass neben dem Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen auch die verbesserte Arbeitsmarktlage dazu beigetragen hat, dass die materielle Deprivation bei Alleinerziehenden zurückgegangen ist.

Dämpfender Effekt der Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Einkommensverteilung

Zuletzt soll der Frage nachgegangen werden, wie sich die Corona-Pandemie auf die Haushaltsnettoeinkommen der privaten Haushalte aktuell auswirkt. Hierzu wird das Konzept der monatlichen Haushaltsnettoeinkommen statt der Jahreseinkommen herangezogen, um die Situation zum Zeitpunkt Januar/Februar 2021 wiedergeben zu können.infoDatengrundlage bilden die Informationen der Sondererhebung SOEP-CoV, die zu Beginn dieses Jahres bei ausgewählten Haushalten der SOEP-Erhebung durchgeführt wurde. Die Höhe des aktuellen Haushaltsnettoeinkommens wird anhand von drei Kennziffern beschrieben, dem 10., 50., und 90. Perzentil, die jeweils die Einkommenshöhe im unteren, mittleren und oberen Bereich der Verteilung beschreiben. Die Angaben sind nominal, da noch kein Verbraucherpreisindex für das Jahr 2021 vorliegt.

Demnach sind die monatlichen Haushaltsnettoeinkommen an allen drei Punkten der Verteilung zwischen 2010 bis 2019 nahezu kontinuierlich gestiegen. Zu Beginn des Jahres 2021 zeigt sich ein weiterer leichter Anstieg im unteren und mittleren Bereich der Verteilung, während die Einkommen am 90. Perzentil leicht rückläufig sind. Gemessen am Gini-Koeffizienten und dem 90:10-Perzentilverhältnis geht die Einkommensungleichheit zu Beginn des Jahres 2021 leicht zurück (Abbildung 9).

Um den Gründen für diesen Befund auf die Spur zu kommen, wird im Folgenden die Einkommenssituation von verschiedenen Haushaltstypen näher analysiert. Hierbei wird die berufliche Stellung des Haushaltsvorstands aus dem Jahr 2019 fixiert und die Höhe des Einkommens der Jahre 2019 und 2021 verglichen. Es werden sechs Gruppen der beruflichen Stellung unterschieden: Nicht-Erwerbstätige, Personen im Ruhestand (in Rente oder in Pension), ArbeiterInnen und Personen in Ausbildung, Selbstständige, Angestellte und Beamte. Dabei ist zu beachten, dass sich die berufliche Stellung bis 2021 geändert haben kann, also Erwerbstätige erwerbslos geworden sein können oder auch anders herum. Diese veränderte Erwerbssituation sollte sich aber in der Höhe der Einkommen spiegeln.

Wie erwartet wiesen im Jahr 2019 Selbstständige und Beamte mit mehr als 2.800 Euro die höchsten bedarfsgewichteten Haushaltsnettoeinkommen auf, gefolgt von den Angestellten mit 2.240 Euro und den RuheständlerInnen mit rund 1.800 Euro. Am unteren Ende finden sich die ArbeiterInnen mit 1.700 Euro und die Erwerbslosen mit rund 1.380 Euro (Tabelle).

Tabelle: Monatliches Haushaltsnettoeinkommen 2019 und 2021 nach beruflicher Stellung des Haushaltsvorstands

Durchschnitt und Differenz in Euro, Veränderung in Prozent

2019 2021 Differenz relative Veränderung
Selbstständige 2859 2402 −457 −16
Beamte 2837 2992 155 5
Angestellte 2244 2357 113 5
Im Ruhestand 1794 1815 21 1
Arbeiter, Personen in Ausbildung 1695 1693 −2 0
Nicht erwerbstätig 1379 1368 −11 −1

Anmerkungen: Privathaushalte, Einkommensangaben nominal, bedarfsgewichtet mit der modifizierten OECD-Äquivalenzskala, Angaben des Haushaltsvorstands zur beruflichen Stellung im Jahr 2019 fixiert.

Quellen: SOEPv36 und SOEP-Cov 2021; eigene Berechnungen (vorläufige Gewichtung und Imputation).

Im Vergleich zu 2019 zeigen sich für das Jahr 2021 zum Teil deutliche Veränderungen. Während die Einkommen der Erwerbslosen, RuheständlerInnen und ArbeiterInnen im Durchschnitt stagnieren, nehmen die Einkommen bei den Beamten und Angestellten um fünf Prozent zu.infoZu beachten ist, dass sich hinter der durchschnittlichen Entwicklung je Gruppe erhebliche individuelle Variationen verbergen können. Die allgemeinen Tarifsteigerungen dürften maßgeblich zu dieser Verbesserung beigetragen haben. Anders verhält es sich bei den Selbstständigen. Ihre Einkommen sinken bedarfsgewichtet im Durchschnitt um 460 Euro oder 16 Prozent, da Umsätze und auch Gewinne infolge der Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie in bestimmten Wirtschaftsbereichen zum Teil deutlich zurückgehen.infoDavon sind selbstständige Frauen besonders betroffen, vgl. Johannes Seebauer, Alexander S. Kritikos und Daniel Graeber (2021): Warum vor allem weibliche Selbstständige Verliererinnen der Covid-19-Krise sind. DIW Wochenbericht Nr. 15, 261-269 (online verfügbar); Alexander S. Kritikos, Daniel Graeber und Johannes Seebauer (2020): Corona-Pandemie wird zur Krise für Selbständige. DIW aktuell Nr. 47 (online verfügbar).

Die geringere Ungleichheit der Haushaltseinkommen zu Beginn des Jahres 2021 kann wohl dadurch erklärt werden, dass vor allem Selbstständige, die eher in der oberen Hälfte der Einkommensverteilung zu finden sind, an Einkommen einbüßen. Die Einkommen bei Personen aus der unteren Hälfte der Verteilung bleiben im Durchschnitt stabil.infoDas Ergebnis einer rückläufigen Ungleichheit der Haushaltsnettoeinkommen ist kein Einzelbefund, sondern findet sich auch bezogen auf andere Länder in anderen Studien so z.B. Andrew E. Clark, Conchita D'Ambrosio und Anthony Lepinteur (2020): The Fall in Income Inequality during COVID-19 in Five European Countries. Working Paper 565. ECINEQ, Society for the Study of Economic Inequality. Für einen Ländervergleich der Entwicklung der Einkommensungleichheit vgl. Stefanie Stantcheva (2021): Inequalities in the Times of a Pandemic. Harvard (online verfügbar, abgerufen am 19. April 2021). Zu beachten ist auch, dass die Zahl der KurzarbeiterInnen zu Beginn des Jahres 2021 deutlich unter dem Niveau im ersten Halbjahr 2020 lag.

Die umfangreichen Wirtschaftshilfen der Bundesregierung tragen somit dazu bei, dass bislang durch das Kurzarbeitergeld oder die Hilfen an Selbstständige und UnternehmerInnen viele Jobs erhalten werden können und viele Menschen in Deutschland bislang nur relativ geringe Verluste beim Haushaltsnettoeinkommen hinnehmen müssen.

Fazit: Hilfen für Selbstständige und Unternehmen stärken, um mögliche Insolvenzen zu verhindern

Löhne und Einkommen der Privathaushalte in Deutschland haben sich im Zeitraum 2013 bis 2018 positiv entwickelt, sie stiegen über die Breite der Einkommensverteilung hinweg. Als erfreulich ist zu werten, dass die Ungleichheit der Löhne – als quantitativ wichtigste Einkommenskomponente der Haushalte – seit mehreren Jahren rückläufig ist und wieder auf dem Niveau wie zu Beginn der 2000er Jahre liegt. Die Ungleichheit der Haushaltsnettoeinkommen stagniert dagegen seit rund 15 Jahren. Dasselbe gilt seit einigen Jahren auch für die Niedrigeinkommensquote. Jedoch hat sich aufgrund höherer Realeinkommen der Anteil der Personen, die von erheblicher materieller Deprivation betroffen sind, zwischen 2008 und 2019 halbiert.

Die aktuelle Entwicklung während der Corona-Pandemie zeigt, dass – wie auch schon in der Finanzmarktkrise – innerhalb einer Krisensituation die Einkommensungleichheit eher zurückgeht. Die staatlichen Unterstützungsprogramme tragen wesentlich dazu bei, dass bislang die Einkommen im Durchschnitt für große Teile der Bevölkerung weitgehend stabil bleiben. Bei Selbstständigen sind hingegen im Mittel Verluste der Haushaltsnettoeinkommen zu beobachten, da die gewährten Wirtschaftshilfen lediglich Fixkosten, aber keine Einkommensverluste ersetzen.

Doch dies ist nur ein kurzfristiger Befund. Zieht sich die Pandemie noch weit in das Jahr hinein und verschärfen sich die Eindämmungsmaßnahmen noch einmal, könnte dies mit steigenden Insolvenzzahlen und zunehmender Arbeitslosigkeit einhergehen und auch die Einkommenssituation in der Breite verschlechtern. Die Bundesregierung sollte daher nicht zu früh die Unterstützung durch Kurzarbeitergeld und Soforthilfen zurückziehen und möglichst zielgenau Selbstständige und mittelständische Unternehmen finanziell unterstützen, um Insolvenzen und Geschäftsaufgaben zu verhindern. Dies scheint das effektivste Mittel zu sein, um einer steigenden Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken.

Da die staatlichen Hilfen für Selbstständige in der Regel keine Finanzierung des Lebensunterhalts vorsehen,infoCaroline Stiel et al. (2021): Soforthilfe für Selbstständige wirkt vor allem positiv, wenn sie rasch gewährt wird. DIW aktuell 60 (online verfügbar). schrumpfen deren Rücklagen weiter. Damit wächst die Gefahr, dass die unternehmerische Tätigkeit aufgegeben wird und betroffenen ArbeitnehmerInnen die Arbeitslosigkeit droht. Daher sollte die Bundesregierung auch darüber nachdenken, den von der Pandemie betroffenen Selbstständigen eine partielle Deckung der Lebenshaltungskosten zu gewähren.

Auch die Zielgenauigkeit der öffentlichen Unterstützungsprogramme sollte überprüft werden, zum Beispiel ob es notwendig ist, Unternehmen mit erheblichen Gewinnen und Dividendenausschüttungen mittels Kurzarbeitergeld auch künftig zu Lasten der öffentlichen Hand zu helfen.

Markus M. Grabka

Senior Researcher in der Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel



JEL-Classification: D31;I31;I32
Keywords: Income inequality, poverty, SOEP
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-18-1

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/234443

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