Pressemitteilung vom 17. November 2021
DIW-Studie untersucht erstmals zyklische Änderungen bei der Einkommensverteilung in Deutschland – Ungleichheit schwankt temporär parallel zum Konjunkturzyklus: Sie sinkt in Krisenzeiten und nimmt in Aufschwüngen wieder zu – Schwankungen sind vor allem den Gewinnen und Verlusten ganz hoher Einkommen geschuldet – Wirtschaftspolitische Maßnahmen mildern Einbußen geringer Einkommen in Krisenzeiten
In Rezessionen sinkt temporär die Einkommensungleichheit, in Erholungsphasen steigt sie. Dies ist das zentrale Ergebnis einer aktuellen Studie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Zwar hat sich die Einkommensungleichheit in den vergangenen 40 Jahren generell erhöht, doch sind neben diesem langfristigen Trend temporäre Schwankungen zu beobachten, die den Konjunkturzyklen geschuldet sind. Dass die Ungleichheit in Boomphasen steigt, liegt fast ausschließlich an den hohen Anteilsgewinnen der einkommensstärksten zehn Prozent der deutschen Bevölkerung; in Rezessionen verlieren sie allerdings auch stark. Die unteren Einkommensdezile gewinnen in Krisenzeiten hingegen leicht Anteile hinzu, zeigt die Studie, und verlieren in Aufschwungsphasen.
„Wir sehen, dass die in Krisen ergriffenen Maßnahmen helfen, die unteren Einkommen zu stabilisieren.“ Alexander Kriwoluzky
Erstmals empirisch haben die DIW-ÖkonomInnen Geraldine Dany-Knedlik und Alexander Kriwoluzky untersucht, wie sich die Einkommensungleichheit in Deutschland mit den Konjunkturzyklen in den vergangenen 40 Jahren verändert hat. „Diese temporären Änderungen sind vor allem deswegen relevant, weil sie entscheidend für eine wirksame und zielgerichtete Ausgestaltung stabilisierender Wirtschaftspolitik sind, wie sich gerade in der Corona-Krise zeigt“, erläutert Studienautor Kriwoluzky.
© DIW Berlin
Aus diesem Grund war es den AutorInnen auch wichtig, die Entwicklung der Brutto- und der Nettoeinkommen, in denen auch Steuern und Transfers zum Tragen kommen, zu vergleichen. Demnach verändert sich die Bruttoeinkommensungleichheit ebenso prozyklisch: Sie sinkt während Wirtschaftskrisen und steigt während Erholungsphasen, allerdings weniger stark als bei der Nettoeinkommensverteilung. Die AutorInnen haben sich zur Ungleichheitsmessung sowohl die Entwicklung des Gini-Index als das am häufigsten verwendete Ungleichheitsmaß angeschaut als auch, wie sich die Anteile der Einkommensdezile am Nationaleinkommen zyklisch verändern. „Temporär stabilisierende Maßnahmen, die Einkommensverluste in Krisenzeiten abfedern, wie das Kurzarbeitergeld, aber auch dauerhafte Instrumente wie Hartz IV wirken also in Krisenzeiten der Einkommensungleichheit entgegen“, resümiert Studienautorin Dany-Knedlik. Das zeigt sich vor allem beim untersten Einkommensdezil, das in Krisenzeiten bei den Bruttoeinkommen Anteile verliert, aber bei den Nettoeinkommen gewinnt.
„Wir sehen also, dass die in Krisen ergriffenen Maßnahmen helfen, die unteren Einkommen zu stabilisieren. Die soziale Absicherung von Geringverdienenden gegen negative Schocks erhöht unsere Wohlfahrt. Die Evaluierung der wirtschaftspolitischen Maßnahmen in der Corona-Pandemie wird voraussichtlich ähnliche Befunde zutage fördern“, ist Makroökonom Kriwoluzky überzeugt. „Die Prozyklizität in Krisenzeiten ist politisch erwünscht. Die Frage ist, inwieweit man diese steigende Ungleichheit in Boomphasen für die Senkung der Ungleichheit in Krisen in Kauf nehmen muss“, ergänzt Dany-Knedlik.
Themen: Konjunktur , Ungleichheit , Verteilung