Im Februar 1984 klingelten zum ersten Mal Interviewerinnen und Interviewer an den Türen der Befragten des Sozio-oekonomischen Panel. Welche Ereignisse das Leben der Menschen in Deutschland seither geprägt haben und was Forschende dazu auf Basis der SOEP-Daten herausgefunden haben, können Sie in unserer Jahreschronik nachlesen.
Während der Krieg in der Ukraine andauerte, begann in Israel und Gaza eine weitere gewaltsame Auseinandersetzung. Am 7. Oktober 2023 griffen Terroristen der Hamas ein Kibbuz an, töteten 1.300 Israelis und nahmen Hunderte Geiseln. Gleichzeitig wurden Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert. Israel reagierte mit eigenen Raketenangriffen. Der Krieg, der einen tiefen Einschnitt im israelisch-palästinensischen Konflikt markierte, sollte über das Jahresende hinaus andauern.
Die Weltklimakonferenz in Dubai endete mit einem Abschlussdokument, das zur „Abkehr“ von fossilen Brennstoffen aufrief, nicht aber zu einem Ausstieg, wie von vielen Staaten gefordert.
Das Projekt „IAB-BiB/FReDA-BAMF-SOEP“ mit IAB (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung), BAMF-FZ (Forschungszentrum des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge) und dem BiB (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung) zur Situation ukrainischen Geflüchteten in Deutschland brachte ausführliche Ergebnisse zu Erwerbstätigkeit, Bildungsniveau und Bleibeabsichten der Geflüchteten hervor (Pressemitteilung des DIW Berlin). Ein Pressegespräch zum Thema stieß auf großes Interesse. Beachtung fand unter anderem, dass 37 Prozent der Geflüchteten Anfang 2023 angegeben hatten, für immer oder mehrere Jahre in Deutschland bleiben zu wollen. Ungeklärt blieb jedoch noch, ob die Politik langfristige Aufenthaltsperspektiven schaffen würde.
Die Fluchtmigration aus der Ukraine stand auch im Mittelpunkt des neuen DFG-geförderten Projekts „SUARE“ („Längsschnittstudie zu Geflüchteten aus der Ukraine in Deutschland“). Auf Basis der oben genannten Studie sollten in den folgenden drei Jahren die Bedeutung der spezifischen institutionellen, ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen der Fluchtmigration aus der Ukraine nach Deutschland untersucht werden, und zwar in Bezug auf die thematischen Schwerpunkte Gesundheit und Diskriminierung.
Der 24. Februar 2022 markierte einen Wendepunkt in der europäischen Sicherheitspolitik: Russische Streitkräfte griffen die Ukraine an, woraufhin der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj das Kriegsrecht ausrief. Infolge des Krieges flüchteten bis Dezember 2022 über 7,8 Millionen Menschen aus der Ukraine in europäische Staaten, weitere 6,5 Millionen Menschen waren innerhalb der Ukraine auf der Flucht.
Das SOEP begann bereits im April 2022 mit der Arbeit an dem Projekt „Refugees from Ukraine in Germany“, das zusammen mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit, dem Forschungszentrum des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) sowie dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) durchgeführt wurde. Das Projekt („IAB-BiB/FReDA-BAMF-SOEP“) lieferte als erstes repräsentative Daten über die Situation ukrainischer Geflüchteter in Deutschland. Erste Studienergebnisse (Pressemitteilung des DIW Berlin) wurden der Öffentlichkeit im Dezember 2022 im Haus der Bundespressekonferenz (Video FAZ.net) präsentiert. Die Befragung von mehr als 11.000 Ukrainerinnen und Ukrainern zwischen August und Oktober 2022 hatte unter anderem ergeben, dass sich 17% der Ukrainerinnen und Ukrainer bereits in einer Beschäftigung befanden. Die Hälfte besuchte Sprachkurse, und 60 Prozent wohnten in einer eigenen Wohnung.
Infolge des russischen Angriffskriegs entstand eine Energiekrise, während der europäische Länder nach Alternativen zu russischen Gaslieferungen suchten und Notfallpläne diskutierten.
Die Forschung zu Covid-19 und seinen Folgen war auch zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie sehr präsent. Unter anderem lieferten SOEP-Forschende Erkenntnisse zur mentalen Gesundheit von Selbstständigen während der Pandemie. Ein wichtiger Meilenstein des SOEP war die Verlinkung von SOEP-Daten und administrativen Daten der Deutschen Rentenversicherung – eine wichtige und wegweisende Erweiterung des Datenpotenzials des SOEP.
Ende 2022 einigten sich die deutschen Regierungsparteien mit der CDU/CSU auf die Einführung des so genannten „Bürgergelds“ ab Januar 2023. Damit wurde das vorige System („Hartz IV“) nach 18 Jahren abgelöst.
Gleich zu Beginn des Jahres schockierten Bilder aus Washington die Welt: Menschenmassen stürmten das Kapitol in Washington, fünf Menschen kamen ums Leben und viele wurden verletzt. Bei den Angreifern handelte es sich um Anhänger des zuvor abgewählten Präsidenten Donald Trump, der seinem Konkurrenten Joe Biden Wahlbetrug vorwarf. Einige Wochen später wurde Biden als neuer US-Präsident vereidigt; der Vorwurf des Wahlbetrugs blieb unbestätigt. Der russische Oppositionelle Alexej Nawalny wurde derweil in Russland zu einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. In Deutschland sorgte die „Jahrhundertflut“ im Juli 2021 für 180 Todesfälle und massive Schäden. In Teilen von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz fielen innerhalb von 24 Stunden 100 bis 150 Liter Regen pro Quadratmeter. Nach der Bundestagswahl im September bildete sich eine Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP. Nach 16 Jahren verabschiedete sich Angela Merkel als Bundeskanzlerin, Olaf Scholz (SPD) trat ihre Nachfolge an.
Weiterhin beeinflusste die Corona-Pandemie das Leben vieler Menschen in Deutschland. Das SOEP führte die zweiten Wellen seiner Coronastudien durch. Im Fokus der Befragungen standen die Auswirkungen der Pandemie auf das alltägliche Leben und die wirtschaftliche Entwicklung, aber auch die Einstellungen der Menschen – z.B. ihre Bereitschaft, sich mit den neu entwickelten Impfstoffen impfen zu lassen. Ergebnisse des mit dem RKI durchgeführten „Corona-Monitoring“ zeigten, dass sich etwa zwei von hundert Erwachsenen in Deutschland bereits vor November 2020 mit Sars-CoV-2 angesteckt hatten (doppelt so viele wie offiziell registriert). Pressemitteilung des DIW Berlin
Die „IAB-BAMF-SOEP-Befragung Geflüchteter in Deutschland“und die „IAB-SOEP-Migrationsstichprobe“ fanden ein immer größeres Echo in der Forschung. Die Daten zeigten, dass die Integration von Geflüchteten und Migrant*innen in den Jahren zuvor große Fortschritte gemacht hatte. Die Geflüchtetenbefragung wies zudem verbesserte deutsche Sprachkenntnisse und häufigere soziale Kontakte mit Deutschen nach. Sie ergab aber auch, dass insbesondere ältere Geflüchtete und geflüchtete Frauen mit kleinen Kindern es schwerer haben, Beziehungen zu ihren deutschsprachigen Mitmenschen aufzubauen.
Das neuartige Coronavirus „Sars-CoV-2“ breitete sich zunächst in der chinesischen Stadt Wuhan aus und entwickelte sich rasch zu einer Pandemie, die den Alltag vieler Menschen in Deutschland und der Welt jahrelang massiv beeinträchtigen sollte. In Deutschland begann der erste „Lockdown“ Mitte März. Die EU-Außengrenzen und auch die Binnengrenzen in der EU wurden für mehrere Wochen teilweise oder ganz geschlossen. Letztlich setzte die Bundesregierung ein Hilfspaket auf, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie einzudämmen. Im November 2020 verkündete das deutsche Unternehmen BioNtech, der mit Pfizer entwickelte Impfstoff biete zu 95% Schutz gegen Sars-CoV-2.
Das SOEP reagierte schnell auf die neuen Begebenheiten der Pandemie. Zum einen stellte das Befragungsinstitut Kantar zügig auf Telefoninterviews um, so dass die Daten ohne Verzögerungen erhoben werden konnten. Zum anderen wurden spezielle Befragungen zur Pandemie entwickelt. Für das Projekt “SOEP-CoV” (in Kooperation mit der Universität Bielefeld) startete bereits im April 2020 eine Telefonumfrage über die Lebensbedingungen im Lockdown (Pressemitteilung des DIW Berlin). Einige Monate später kam die bundesweite Studie „Leben in Deutschland – Corona-Monitoring“ hinzu, die zusammen mit dem Robert Koch Institut durchgeführt und vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gefördert wurde (Pressemitteilung des DIW Berlin). Beide Studien lieferten wertvolle Informationen darüber, wie Individuen und Haushalte mit der Pandemie umgingen. Ermittelt wurde zum Beispiel, dass das Wohlbefinden von Familien mit Kleinkindern besonders litt und Minijobber zu den größten Verlierern der Rezession gehörten.
Mit dem DFG-Projekt “Wealth Holders at the Top” (WATT) zu Hochvermögenden festigte das SOEP seine Forschungsaktivität in diesem Bereich. Darüber hinaus begann die erste Langzeitstudie zum Thema bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland, als Gemeinschaftsprojekt des SOEP und des Vereins “Mein Grundeinkommen”. Pressemitteilung des DIW Berlin
„Fridays for Future“ wurde in diesem Jahr mehr und mehr zu einer globalen Klimabewegung, die viel mediale Aufmerksamkeit erhielt. Die Initiatorin, die schwedische Schülerin Greta Thunberg, reiste unter anderem zum Weltwirtschaftsforum in Davos. In Hongkong entstand eine Protestbewegung gegen den wachsenden Einfluss Chinas auf die Sonderverwaltungszone. Zwei Ereignisse in Deutschland machten die große Gefahr durch rechte Gewalt deutlich: Zunächst wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke von einem Mann erschossen, der der Neonazi-Szene angehört. Dann versuchte ein Mann am jüdischen Feiertag Jom Kippur, in eine Synagoge in Halle an der Saale einzudringen, um Gläubige zu töten.
Das SOEP führte zwei neue Stichproben unter Populationen ein, die zuvor weniger im Fokus von Befragungen standen: Zum einen startete die Befragung von etwa 2.000 Haushalten Hochvermögender, zum anderen die „LGB-Stichprobe“ unter schwulen, lesbischen und bisexuellen Menschen. SOEP-Forschende führten außerdem verschiedene Evaluationen für den dritten Bericht der Mindestlohnkommission durch.
Die deutsch-türkischen Beziehungen waren nach der Inhaftierung des Journalisten Deniz Yücel sehr angespannt. Erst nach einem Jahr in einem türkischen Gefängnis kam der Korrespondent der Tageszeitung „Die Welt“ wieder frei. Im zweiten Amtsjahr von Donald Trump fand in Singapur ein historisches Treffen statt: Zum ersten Mal traf ein amerikanischer Präsident den nordkoreanischen Machthaber. In Deutschland wurde eine neue Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD gebildet. Angela Merkel blieb Bundeskanzlerin, Vizekanzler und Finanzminister wurde Olaf Scholz.
Das SOEP sorgte mit seiner umfangreichen Forschungsaktivität zur Einkommens- und Vermögensungleichheit erneut für großes öffentliches Interesse. Eine Studie zur Lohnentwicklung (DIW-Wochenbericht 09/2018) ergab zum Beispiel, dass die Ungleichheit im niedrigeren Einkommensbereich trotz Einführung des gesetzlichen Mindestlohns bestehen bleibt. Zwar waren die Stundenlöhne gestiegen, dieser Trend schien aber nicht bei den Bruttomonats- und -jahreslöhnen anzukommen. SOEP-Daten zeigten auch, dass sowohl die Zahl der Menschen mit niedrigerem Einkommen als auch das Armutsrisiko in Deutschland gestiegen waren (DIW-Wochenbericht 21/2018).
Erste Daten aus der „IAB-BAMF-SOEP“-Studie unter Geflüchteten erlaubten wertvolle Einblicke – zum Beispiel in die Lebenszufriedenheit derer, die zwischen 2013 und 2016 nach Deutschland gekommen waren. Danach haben zum Beispiel Familienzusammenführungen einen sehr positiven Einfluss auf die Zufriedenheit (DIW-Wochenbericht 42/2018).
Stellvertretend für alle Befragten empfing der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue eine Familie, die an der SOEP-Befragung teilnimmt. Das Treffen fand im Rahmen einer Veranstaltung statt, die gesellschaftliches Engagement würdigt.
Anfang des Jahres trat US-Präsident Donald Trump sein Amt unter dem Motto „Make America Great again“ an. Tausende demonstrierten – auch hierzulande gingen viele Menschen aus Protest auf die Straße. Im Sommer machte die Ehe für alle Schlagzeilen, die nach einer Abstimmung im Bundestag beschlossen wurde. Auch die Ausschreitung auf dem G20-Gipfel in Hamburg sorgten für hitzige Debatten. Währenddessen führt das Ergebnis der Bundestagswahl im Herbst zu einem Ergebnis, das eine mögliche Regierungsbildung beinahe unmöglich gemacht hätte: CDU/CSU blieben trotz hoher Verlust mit 33 Prozent die stärkste Kraft. Die SPD fuhr ihr bis dahin schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl ein (20,5 Prozent). Und die AfD zog mit 12,6 Prozent erstmalig in den Bundestag ein.
Während die AfD ihren Wahlkampf vor allem mit Kritk an der Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin bestritt, wurden mehrere Ergebnisse der IAB-BAMF-SOEP-Stichprobe Geflüchteter in Deutschland veröffentlicht. Demnach gehen viele Kinder von Geflüchteten in die Kita oder zur Schule. Aber es gibt Nachholbedarf, was die Sprachförderung von Schulkindern angeht (DIW Berlin-Pressemitteilung). Auch die berufliche Situation der Eltern wurde untersucht: 60 Prozent der Geflüchteten, so zeigen die Daten, haben einen Schulabschluss (DIW Berlin-Pressemitteilung).
Ein weiteres zentrales Thema der SOEP-Forschung 2017 war die Lebenssituation von Lesben, Schwulen und Bisexuellen. Die im Sommer veröffentlichte erste repräsentative Studie dazu zeigte unter anderem: Homosexuelle Männer verdienen weniger als heterosexuelle (DIW-Wochenbericht (PDF, 260.02 KB)).
Trotz aller gesellschaftlichen Herausforderungen ging es den Menschen hierzulande 2017 so gut wie nie seit der jährlichen Vermessung der Lebenszufriedenheit im SOEP. Eine Sonderauswertung auf Basis der SOEP-Daten zum Weltglückstag am 20. März belegt, dass die Menschen in West- und Ostdeutschland im Durchschnitt zufriedener sind als zu jedem anderen Zeitpunkt nach der Wiedervereinigung (DIW Berlin-Pressemitteilung).
Die SOEP-Befragten wurden 2017 mit einer besonderen Einladung gewürdigt. Stellvertretend für die mehr als 30.000 Befragte, die seit Jahren oder sogar Jahrzehnten ihre Zeit für die SOEP-Befragung zur Verfügung stellen, waren sie zu Gast bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Schloss Bellevue (DIW Berlin-Pressemitteilung).
Im Jahr 2016 geschah vieles, womit wenige gerechnet hatten: Im Juni wurde der Brexit beschlossen. Bei einem Referendum stimmten 51,89 Prozent der Wählerinnen und Wähler für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. In den USA wurde im September Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA gewählt. Und in Deutschland feierte die AfD Erfolge. Mit Hilfe der Kritik an der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung zog die Partei 2016 in fünf Landesparlamente ein und holte dabei überall mehr als zehn Prozent der Wählerstimmen. In Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern waren es sogar mehr als 20 Prozent, und die AfD wurde dort zweitstärkste Partei (n-tv).
Wer sind die Wählerinnen und Wähler der Alternative für Deutschland (AfD)? Ein DIW-Wochenbericht auf Basis der SOEP-Daten, den der SOEP-Forscher Martin Kroh gemeinsam mit Karolina Fetz vom Berliner Institut für Empirische Integrations- und Migrationsforschung der Humboldt-Universität erstellt hat, zeigt: Die Partei zog zum Zeitpunkt der Studie vor allem Männer, Bürger*innen in den neuen Bundesländern, Personen mit geringer und mittlerer Bildung, Arbeiter*innen und Arbeitslose sowie junge Menschen unter 30 Jahren an. Darüber hinaus bindet die AfD immer mehr frühere Nichtwähler*innen und Wähler*innen rechtsextremer Parteien an sich sowie Menschen, die sich als politisch rechts oder sehr rechts verorten (DIW Berlin-Pressemitteilung).
Für die Forschenden des SOEP und ihre Kolleg*innen war die steigende Zahl der Schutzsuchenden im Vorjahr Anlass gewesen, die IAB-BAMF-SOEP-Stichprobe Geflüchteter in Deutschland ins Leben zu rufen, für die jährlich etwa 2.000 Geflüchtete befragt werden. So wollen sie Antworten auf folgende Fragen finden: Wie gut sind die nach Deutschland geflohenen Menschen ausgebildet? Wie schnell können sie in den Arbeitsmarkt integriert werden? Und: welche Einstellung gegenüber den Neuankömmlingen haben die Deutschen?
Anfang Januar stürmten islamistische Terroristen die Redaktion des Satire-Magazins Charlie Hebdo in Paris und erschossen elf Menschen. Im Irak und in Syrien verbreitete die Terrorgruppe Islamischer Staat kontinuierlich Angst und Schrecken. Vor allem die Angst vor gewaltsamen Konflikten oder Krieg, aber auch vor politischer Verfolgung und der Wunsch nach einem besseren Leben führten im Jahr 2015 so viele Menschen nach Europa wie nie zuvor. Die Folge war auch in Deutschland eine Belastung der Verwaltungs- und Infrastruktureinrichtungen, die als „Flüchtlingskrise“ bekannt wurde. „Wir schaffen das“, lautete die Reaktion von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die die zeitweise Aussetzung des strengen EU-Grenzregimes mittrug. Die Meinungen im Land dazu gingen weit auseinander und führten im September zu einer Verschärfung des deutschen Asylrechts.
Die Frage, wie die Integration von Migrant*innen gelingen kann, wurde breit diskutiert. Und manch einer sorgt sich auch wegen der Zuwanderung. Dabei ist der Grad der Besorgnis umso höher, je verbitterter die Menschen sind, wie eine Studie auf Basis der SOEP-Daten 2015 erstmals belegte. Das Phänomen zieht sich demnach durch alle gesellschaftlichen Schichten und trifft gleichermaßen auf Frauen wie auf Männer zu, auf Erwerbstätige wie auf Arbeitslose, auf Menschen mit niedrigem und mit hohem Schulabschluss und auf Menschen in den alten und neuen Bundesländern (DIW Berlin-Pressemitteilung).
Bei einem Bürgerdialog im Juni sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel mit 60 zufällig ausgewählten SOEP-Befragten nur am Rande über die Zuwanderung. Das eigentliche Thema des Bürgerdialogs war „Gut Leben in Deutschland“. Dabei ging es auch darum, wo die Menschen in Deutschland Verbesserungsbedarf sehen. Aus den gewonnenen Erkenntnissen wurde ein Indikatoren-System entwickelt, das über den Stand und die Entwicklung der Lebensqualität in Deutschland informiert.
Wegen Steuerhinterziehung wurde FC Bayern München-Präsident Uli Hoeneß im März des Jahres zu 3,5 Jahren Haft verurteilt – und konnte die im Sommer in Brasilien stattfindende Fußballweltmeisterschaft nur aus seiner Zelle verfolgen. Den deutschen Fußballern gelang dort Unglaubliches: Deutschland wurde Weltmeister. Einen weiteren großen Anlass zum Jubeln bot den Menschen in Deutschland der 9. November. Allein in Berlin feierten mehr als eine Million Menschen den Mauerfall vor 25 Jahren. Hauptattraktion war eine Lichtinstallation, die den Verlauf der Mauer nachzeichnete.
Wissenschaftler*innen des DIW Berlin zogen aus diesem Anlass eine Bilanz der deutschen Wiedervereinigung. Nach ihrer Einschätzung war diese nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich ein Erfolg. „Nachdem die großen Hoffnungen auf rasch blühende Landschaften zunächst stark getrübt wurden, sind die Menschen in den neuen Bundesländern heutzutage so zufrieden wie noch nie“, resümierte zum Beispiel SOEP-Direktor Jürgen Schupp (DIW Berlin-Pressemitteilung).
Anfang des Jahres startete US-Präsident Barack Obama in seine zweite Amtszeit, im Februar trat zum ersten Mal seit 1294 mit Benedikt XVI. ein Papst aus eigener Entscheidung zurück. Und im Herbst wurde Kanzlerin Merkel zum dritten Mal Bundeskanzlerin. Wodurch sich ihre und die Anhängerschaft anderer Parteien auszeichnet, zeigt ein DIW-Wochenbericht auf Basis der SOEP-Daten, der kurz vor der Wahl erschien: Demnach sind CDU/CSU, FDP und Grüne vor allem die Parteien der Wohlhabenden und Besserverdienenden.
Das SOEP feierte im September seinen 30. Geburtstag mit einem Colloquium zur Glücksforschung: „Wie wirkt sich Armut auf unsere Lebenszufriedenheit aus? Wirkt Zufriedenheit ansteckend? Und: Wie verläuft die Glückskurve des Lebens?“ waren die Themen, die SOEP-Forscher*innen aus aller Welt diskutierten (DIW Berlin-Pressemitteilung)
Außerdem wurde 2013 die IAB-SOEP-Migrationsstudie ins Leben gerufen, für die jedes Jahr rund 5.000 Migrant*innen befragt werden. Diese Studie zeigt unter anderem: Je besser Menschen aus anderen Herkunftsländern in der Bundesrepublik Fuß fassen, desto mehr profitieren sie auch wirtschaftlich von der Einwanderung (DIW Wochenbericht).
Anfang des Jahres starben 32 Menschen, nachdem das italienische Kreuzfahrtschiff Costa Concordia vor der Insel Giglio havarierte. Die Finanzkrise trieb im Laufe des Jahres Menschen in mehreren europäischen Ländern auf die Straße, die gegen die Krisenpolitik der eigenen Regierungen protestierten. Der deutsche Bundespräsident Christian Wulff sah sich gezwungen, von seinem Amt zurückzutreten. Neuer Bundespräsident wurde Joachim Gauck, der Ende März als elfter Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland vereidigt wurde.
Foto: Rvongher: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Collision_of_Costa_Concordia_11.jpg
Das SOEP veranstaltete Ende Juni seine 10. SOEP-Nutzerkonferenz in Berlin, auf der mehr als 80 SOEP-basierte Forschungsergebnisse von Wissenschaftler*innen aus der ganzen Welt präsentiert wurden. Zentrales Thema der Konferenz war die Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen: „Egal ob es um den Zugang zu Arbeit, Bildung und Vermögen geht oder um die persönliche Zufriedenheit – die Chancen in unserer Gesellschaft sind zunehmend ungleich verteilt“, sagte SOEP-Leiter Jürgen Schupp (Homepage der Konferenz).
SOEP Team
Foto: Stephan Röhl
Dass auch die Chancen auf ein langes Leben ungleich verteilt sind, zeigt der im September veröffentlichte Wochenbericht einer Forschergruppe um den Stellvertretenden SOEP-Leiter, Martin Kroh. Demnach leben Männer aus ärmeren Haushalten und mit unsicherem Einkommen fünf Jahre kürzer als Besserverdiener. Bei Frauen beträgt die Differenz immerhin dreieinhalb Jahre (DIW Berlin-Pressemitteilung), (Zeit-Artikel).
Ende des Jahres gab die Leibniz-Gemeinschaft das positive Ergebnis der Evaluation des DIW Berlin bekannt. Die „forschungsbasierte Infrastruktureinrichtung SOEP“ wurde mit der Note „exzellent“ bewertet.
Im Dezember waren Vertreter des SOEP gemeinsam mit einer Mitarbeiterin von TNS Infratest Sozialforschung zu Gast im Schloss Bellevue, wo Bundespräsident Joachim Gauck das Engagement der Teilnehmer*innen der SOEP-Studie würdigte (DIW Berlin-Pressemitteilung).
Von links: Joachim Gauck, Prof. Dr. Jürgen Schupp, Christina Lendt, Dr. Ingrid Tucci
Foto: Stephan Röhl
In rasendem Tempo verjagten arabische Revolutionäre im Frühling 2011 ihre totalitären Regierungschefs: Im Januar musste Tunesiens Ben Ali gehen, wenige Wochen darauf Husni Mubarak in Ägypten, und im August stürzte Libyens Tyrann Gaddafi (Spiegel-Artikel). Das Tohoku-Erdbeben und der folgende Tsunami führten im März im japanischen Kernkraftwerk Fukushima zu einer folgenschweren Unfallserie in mehreren Reaktorblöcken. Zwei Anschläge in Norwegen, bei denen 80 Menschen umgebracht wurden, überschatteten den Sommer. Drei Ereignisse, die Menschen weltweit berührten und erschütterten.
Foto: Digital Globe: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Fukushima_I_by_Digital_Globe_B.jpg
Doch auch ganz persönliche Lebensereignisse prägen das Leben der Menschen. Inwiefern sie das tun, dem gehen seit etwa 2006 SOEP-Forscher zunehmend aus psychologischer Perspektive nach. So zeigt etwa die 2011 im Journal of Personality and Social Psychology veröffentlichte Studie der Psychologin Jule Specht von der Freien Universität Berlin, dass sich einschneidende Erlebnisse deutlich auf die Persönlichkeit auswirken (Specht, J., Egloff, B., & Schmukle, S. C. “Stability and change of personality across the life course: The impact of age and major life events on mean-level and rank-order stability of the Big Five.“ Journal of Personality and Social Psychology, Vol 101(4), October 2011, pp. 862-882). Junge Erwachsene werden zum Beispiel gewissenhafter, wenn sie ihre erste Arbeitsstelle antreten. Wenn Menschen in Rente gehen, lässt diese Gewissenhaftigkeit wieder nach. Nach der Heirat sinkt bei den meisten Menschen die Offenheit für Erfahrungen. Kommt es allerdings zu einer Trennung, werden zumindest die Männer wieder offener (Pressemitteilung des DIW Berlin).
Ein wichtiges Ereignis für die Wissenschaftler*innen des SOEP war die personelle Neustrukturierung zu Beginn des Jahres: Der SOEP-Leiter Gert G. Wagner wurde am 11. Februar vom Kuratorium des DIW Berlin für knapp zwei Jahre zum Vorsitzenden des Vorstands berufen. Die Interimsleitung des SOEP übernahmen für diese Zeit seine bisherigen Stellvertreter Joachim R. Frick und Jürgen Schupp (DIW-Nachricht vom 11.02.2011).
Der Kuratoriumsvorsitzende des DIW Berlin stellt den gerade frisch berufenen Vorstand der Öffentlichkeit vor. Foto: Christine Kurka |
Jürgen Schupp und Gert G. Wagner Foto: Stephan Röhl |
Zu den traurigsten Ereignissen in der SOEP-Geschichte zählte der 16.12.2011. An diesem Tag verstarb Joachim Frick im Alter von 49 Jahren nach einer Krebserkrankung. Die Mitarbeiter*innen des SOEP verloren in ihm einen warmherzigen und verlässlichen Freund, einen geschätzten, engagierten und hochproduktiven Kollegen und einen international vernetzten Pionier der komparativen Panelanalyse (DIW-Nachricht vom 19.12.2011).
Im Februar riskierte Margot Käßmann, die damals erste weibliche Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, alkoholisiert eine kurze Fahrt nach Hause und überfuhr dabei eine rote Ampel. Sie verlor deshalb nicht nur ihren Führerschein, sondern trat auch von ihrem Amt zurück. Als im April der Vulkan Eyjafjallajökull in Island ausbrach und eine riesige Aschewolke in die Luft schleuderte, vermied man jedes Risiko und verhängte ein Flugverbot. Im Dezember stürzte Samuel Koch beim Versuch in der Sendung „Wetten dass…?“ über ein fahrendes Auto zu springen so schwer, dass er seither gelähmt ist. Sein Unfall führte zu einer breiten Diskussion darüber, wie viel Risiko eingegangen werden darf, um Einschaltquoten zu erhöhen.
Foto: Árni Friðriksson: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Eyjafjallajokull-April-17.JPG
Die Risikoneigung der Menschen in Deutschland wird im SOEP seit 2004 erhoben: Auf einer Skala von Null (= gar nicht risikobereit) bis Zehn (= sehr risikobereit) schätzen die Befragten den Grad ihrer Risikobereitschaft selbst ein. Unter anderem zeigen die SOEP-Daten: Männer wagen mehr als Frauen. Große Menschen sind risikofreudiger als kleine. Wer Eltern mit Abitur hat, geht eher Risiken ein als andere. Und: Wer mehr wagt, ist in seinem Leben zufriedener. Das sind die zentralen Ergebnisse einer 2011 im „Journal of the European Economic Association“ veröffentlichten Studie, die eine Forschergruppe um die beiden SOEP-Leiter Gert G. Wagner und Jürgen Schupp zusammen mit experimentellen Ökonomen erstellt haben (Pressemitteilung des DIW Berlin).
Copyright: DIW Berlin
Dass Bundestagsabgeordnete risikofreudiger sind als die Bürger in Deutschland, zeigt eine weitere SOEP-Studie zum Thema, die 2013 veröffentlicht wurde (Pressemitteilung des DIW Berlin). Insgesamt sind bisher etwa 30 Studien auf Basis der im SOEP erhobenen Risikoeinstellungen erschienen.
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Im Juni 2010 nahmen das SOEP und TNS Infratest erstmals an der langen Nacht der Wissenschaften in Berlin teil und präsentierten den Besuchern unter anderen den Greifkrafttest: Dabei messen die Interviewerinnen und Interviewer der SOEP-Befragung die Greifkraft der Hände, um verlässliche Aussagen über den tatsächlichen Gesundheitszustand der Befragten zu treffen (Bericht über die ‚Lange Nacht‘ im SOEP).
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Die Apokalyptiker hatten sich getäuscht: Zur Jahrtausendwende ging die Welt nicht unter, selbst die von Fachleuten befürchteten weltweiten Computerzusammenbrüche blieben aus (Spiegel-Artikel und Cartoon). Im Juni eröffnete Bundespräsident Johannes Rau in Hannover mit der EXPO 2000 die erste Weltausstellung auf deutschem Boden, unter dem Motto „Mensch, Natur und Technik – Eine neue Welt entsteht“.
Auch für das SOEP brachte das Jahr 2000 gute Nachrichten: Die Zahl der befragten Haushalte wurde um etwa 6.000 erweitert, also fast verdoppelt. So konnten die SOEP-Forscher*innen im folgenden Jahr, also 2001, die Angaben von etwa 13.000 Haushalten für ihre Auswertungen nutzen. Möglich wurde dieser Aufwuchs durch die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte so genannte Innovations-Stichprobe F. Diese wurde gezogen, um auf Basis einer großen Fallzahl bessere Analysen kleiner Teilgruppen der Bevölkerung zu ermöglichen.
Im Juli fand die 4. Internationale SOEP-Konferenz im Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) statt. Erstmals wurden hier die Preise für die besten Publikationen auf Basis des SOEP verliehen (Best Publication Prize). Gewinner des Ersten Preises für die Beste Publikation waren David M. Blau und Regina T. Riphahn, die untersucht hatten, wie Ehepaare ihren Renteneintritt koordinieren. Ergebnis: Ehemänner bleiben länger erwerbstätig, wenn ihre Partnerinnen noch arbeiten, und Ehefrauen hören eher auf zu arbeiten, wenn der Partner bereits im Ruhestand ist. (David M. Blau, University of North Carolina und Regina T. Riphahn, Ludwig-Maximilians-Universität München: "Labor force transitions of older married couples in Germany" (Download: IZA DP No. 5, 1999 erschienen in Labour Economics).
Müllbeseitigung, Sicherheitsfimen, Pflegedienste: Für mehr als drei Millionen Arbeitnehmer*innen aus insgesamt sechs Branchen im Niedriglohnsektor hat die Änderung des Entsendegesetzes die gesetzliche Grundlage für die Einführung von Mindestlöhnen geschaffen. Im Februar 2009 hatte der Bundesrat entsprechende Regeln des Bundestags auf den Weg gebracht (Spiegel-Artikel).
Bis heute gibt es in Deutschland keinen flächendeckenden Mindestlohn, aber zahlreiche Modellrechnungen über dessen Auswirkungen. Mit einer Simulationsstudie auf Basis der SOEP-Daten errechnete zum Beispiel der DIW-Ökonom Kai-Uwe Müller 2009, wie groß mögliche Beschäftigungsverluste aufgrund eines allgemeinen Mindestlohns ausfallen könnten. Ergebnis: Ein flächendeckender Mindestlohn von 7,50 Euro hätte eher moderate Arbeitsplatzverluste zur Folge; rund 290.000 Arbeitsplätze würden verloren gehen (Wochenbericht 26/2009).
Im Herbst würdigte der Wissenschaftsrat das SOEP als eine der wichtigsten Forschungsinfrastrukturen im Bereich der Sozial-, Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaften. Die positive Empfehlung war das Ergebnis der zweiten Evaluation des Sozio-oekonomischen Panels (Pressemitteilung). Professor Peter Strohschneider, damals Vorsitzender des Wissenschaftsrates: „Die Daten des SOEP ermöglichen eine beeindruckende Bandbreite empirischer Forschung und tragen damit auf herausragende Weise zu einem besseren Verständnis des Lebens der Menschen in unserer Gesellschaft über den gesamten Lebensverlauf hinweg bei“ (mehr Informationen).
Mit breiter Mehrheit verabschiedete der Deutsche Bundestag im Mai 1999 das neue Staatsbürgerschaftsrecht. Seit der Gesetzesreform erhalten in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern bei der Geburt die doppelte Staatsbürgerschaft. Sie müssen sich dennoch bis zum 23. Lebensjahr entweder für den deutschen Pass oder die Staatsangehörigkeit von Vater oder Mutter entscheiden (Spiegel-Artikel).
Wer darf Deutsche oder Deutscher werden und wer nicht? Wie sich die Einstellung der Deutschen zu Zuwanderung und Einbürgerung seit 1999 entwickelt hat, zeigt eine 2009 im DIW-Wochenbericht veröffentlichte Studie, die die SOEP-Migrationsexpertin Ingrid Tucci zusammen mit Claudia Diehl von der Universität Göttingen erstellt hat. Demnach waren 1999 mehr als ein Drittel aller Bundesbürger*innen ohne Migrationshintergrund sehr besorgt wegen des Themas Zuwanderung. Zehn Jahre später lag der Anteil nur noch bei einem Viertel (Interview mit Ingrid Tucci).
Die Studie zeigte auch: Immer mehr Bundesbürger*innen ohne Migrationshintergrund („Deutsche“) sind der Meinung, dass vor allem das Verhalten für die Einbürgerung ausschlaggebend sein sollte. Hingegen halten weniger Deutsche die „ethnisch deutsche Abstammung“ für das entscheidende Kriterium (DIW-Wochenbericht „Fremdenfeindlichkeit und Einstellungen zur Einbürgerung“).
Für ihre Studie hatten die Forscherinnen SOEP-Daten und Daten der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) ausgewertet.
Etwa 40.000 Menschen in bis zu 200 deutschen Städten gingen im Februar 1998 auf die Straße, um gegen die hohe Arbeitslosigkeit zu demonstrieren. Anlass war die Veröffentlichung der Arbeitsmarktzahlen im Januar des Jahres: Demnach lag die Arbeitslosenquote bei 12,6 Prozent.
Was bedeutet Arbeitslosigkeit für den Einzelnen? In einer 1998 veröffentlichten SOEP-Studie konnten die Ökonomen Liliane Winkelmann und Rainer Winkelmann zeigen, dass ein Jobverlust unglücklich macht und dass sich diese Unzufriedenheit bei weitem nicht durch den Verlust des Einkommens erklären lässt. Die Studie zählt zu den am häufigsten zitierten SOEP-Studien.
Winkelmann, Liliana und Rainer Winkelmann (1998): Why are the unemployed so unhappy? Evidence from panel data. Economica, 65 (257): 1-15.
Um Arbeitslosen eine Alternative zur bezahlten Arbeit zu ermöglichen, propagierte unter anderem der Soziologe Ulrich Beck als führendes Mitglied der von den Ministerpräsidenten Bayerns und Sachsens initiierten Kommission für Zukunftsfragen die ehrenamtliche Bürgerarbeit (Spiegel-Artikel). Eine im DIW-Wochenbericht veröffentlichte SOEP-Studie zeigte jedoch: Unter den Freiwilligen in Deutschland fanden sich vor allem Männer und Frauen, die sich zusätzlich zu ihrer Berufstätigkeit ehrenamtlich engagierten. Menschen ohne Job arbeiteten vergleichsweise selten ehrenamtlich. Das Fazit der Autoren: Bürgerarbeit ist kein sinnvoller Weg zur Reduzierung von Arbeitslosigkeit. Denn warum sollte der Staat das Ehrenamt denjenigen andienen, die es nicht wollen? Und warum sollte öffentlicher Bedarf an Infrastrukturleistungen und sozialen Diensten durch „Bürgerarbeit“ gedeckt werden? (Schwarze, Johannes; Gert G. Wagner; Marcel Erlinghagen und Karin Rinne (1998): Bürgerarbeit – Kein sinnvoller Weg zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit. Wochenbericht des DIW Berlin, 65 (4): 82-85.
Es war ein Jahrhundertereignis, als der Komet Hale-Bopp wie ein strahlendes Schweif-Ei durch den Osterhimmel zog. Menschen auf der ganzen Welt bewegte auch der Tod von Prinzessin Diana, die im August bei einem Autounfall ums Leben kam. In Deutschland sorgte unter anderem die Debatte um die Sozialversicherungspflicht für 610-Mark-Jobs für erhitzte Gemüter.
Foto: Philipp Salzgeber, 1997; http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Comet-Hale-Bopp-29-03-1997.jpeg | Foto: Georges Biard, 1987; http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Princess_Diana_Cannes.jpg |
Die Mini-Jobs waren 1997 in der amtlichen Statistik noch kaum erfasst. Das SOEP lieferte der Öffentlichkeit aktuelle Daten zu diesem arbeitsmarkt- und sozialpolitisch kontrovers diskutierten Thema. In einem DIW-Wochenbericht wagten Jürgen Schupp, Johannes Schwarze und Gert G. Wagner die mutige Prognose, dass die Zahl der Beschäftigten in Deutschland um 2 Millionen unterschätzt sei. (Erwerbsstatistik unterschätzt Beschäftigung um 2 Millionen Personen. Jürgen Schupp, Johannes Schwarze, Gert G. Wagner, Wochenbericht des DIW Berlin, 34/1997, S. 689-696). Wenig später korrigierte die amtliche Statistik ihre offizielle Beschäftigtenzahl entsprechend.
In einem weiteren DIW-Wochenbericht veröffentlichten Volker Meinhardt, Jürgen Schupp, Johannes Schwarze und Gert G. Wagner eine Studie zum Thema „Einführung der Sozialversicherungspflicht für 610-Mark-Jobs und Abschaffung der Pauschalbesteuerung“ (DIW-Wochenbericht). Das Ergebnis: Die Einführung von Sozialbeiträgen auf 610-Mark-Jobs wäre nur dann sinnvoll, wenn gleichzeitig die von Arbeitgebern gezahlte Pauschalsteuer abgeschafft würde. So könnte die den Arbeitgebern entstehenden zusätzlichen Kosten ausgeglichen werden, erklärten die SOEP-Forscher.
1996 erblickte das Bergschaf „Dolly“ als erstes geklontes Säugetier das Licht der Welt. Deutschland wurde zum dritten Mal Fußball-Europameister – geführt vom früheren DDR-Nationalspieler Matthias Sammer.
Dank der Aufhebung des Sonntagbackverbots konnten die Menschen in Deutschland erstmals auch am Sonntag frische Brötchen kaufen.
Foto: Tim Vickers: Dolly the Sheep at the National Museum of Scotland, Edinburgh. http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dollyscotland_%28crop%29.jpg
Das SOEP stellte 1996 seinen Datennutzer*innen erstmals regionale Indikatoren zur Verfügung. Heute ist es möglich, dem SOEP regionale Indikatoren auf der Ebene der Bundesländer, der Raumordnungsregionen, der Kreise und der Postleitzahlen zuzuspielen. Durch die Verknüpfung von SOEP-Daten mit Daten des Umweltbundesamts fand z.B. die Bildungsökonomin Katharina Spieß heraus, dass eine verstärkte Kohlenmonoxid-Belastung sowie erhöhte Ozon-Werte Kindern bereits im Mutterleib schaden können (Focus-Artikel mit Bezug zur Studie von Spieß). Die Ökonomen Conrad Burchardi und Tarek Hassan stellten fest, dass nach der Wende die Wirtschaftskraft in Regionen gestiegen ist, in denen vor der Wende besonders viele Westdeutsche mit Ost-Kontakten gelebt hatten.
Im Jahr 1996 erschien auch Band 7 der SOEP-Buchreihe „Sozio-ökonomische Daten und Analysen für die Bundesrepublik Deutschland“, ein Reader zum Thema „Lebenslagen im Wandel: Sozialberichterstattung im Längsschnitt“. Er wurde von Wolfgang Zapf, einem der beiden Gründerväter des SOEP und Begründer der deutschen Sozialindikatorenforschung, sowie Jürgen Schupp und Roland Habich herausgegeben. In 17 Beiträgen verbanden die Forscher stärker als bisher üblich Dauerbeobachtungen und theoriegeleitete Analysen und machten die SOEP-Daten weiteren deutschsprachigen Forschenden bekannt.
Zapf, Wolfgang; Schupp, Jürgen und Habich, Roland (1996): Lebenslagen im Wandel: Sozialberichterstattung im Längsschnitt, Frankfurt/M. - New York: Campus.
1995 gab es mehr als drei Millionen Internet-Rechner weltweit. Die Zahl der kommerziellen Nutzer*innen lag seit dem Vorjahr über der der wissenschaftlichen Nutzer*innen. In einem Workshop am CERN in der Schweiz, der Geburtsstätte des WWW, erlernten 250 Journalist*innen aus ganz Europa eine innovative Recherchetechnik: das „Surfen im Netz“. In den USA eröffnete Ebay das bis heute weltweit größte Internetauktionshaus. Hierzulande gründeten die Brüder Michael und Matthias Greve unter der Adresse http://web.de das erste deutsche Internet-Verzeichnis. Bereits zum Start waren 2.500 Internetseiten gelistet, die nach Stichwörtern, Namen oder Rubriken durchsucht werden konnten.
Das SOEP stellte seit Anfang des Jahres auch den Newsletter für seine Datennutzer*innen aus aller Welt online. Im Newsletter 27 vom Januar 1995 wurde ausführlich der Umgang mit der neuartigen Informations- und Interaktionsplattform des SOEP erläutert: „Auf der DIW-Homepage im WWW existiert ein so genannter Link zum SOEP“, heißt es darin. „Dort werden diverse allgemeine Informationen zum Projekt, Publikationsübersichten und die Liste der DatennutzerInnen sowie die aktuelle Ausgabe der SOEP-Newsletter bereitgehalten. Außerdem werden Nutzer*innen direkt zu den relevanten E-Mail-Adressen in der Projektgruppe ‚geführt‘.“ Als Ansprechpartner für eventuelle Fragen oder Anregungen zu dieser SOEP-Neuentwicklung stellte sich der damalige Survey- und Informationsmanager Jürgen Schupp zur Verfügung, damals erreichbar unter der E-Mail-Adresse: DIW238PS@DB0DIW11.DIW-BERLIN.DE.
Der SOEPnewsletter informiert seit 1985 viermal jährlich Wissenschaftler*innen, die mit SOEP-Daten arbeiten – u.a. über Veranstaltungen, neue Veröffentlichungen von SOEP-ForscherInnen, Weiterbildungen sowie Neuerungen bei der Datenweitergabe.
Aktuelle Informationen zum SOEP-Newsletter finden sich hier.
Computer standen noch nicht auf jedem Schreibtisch, wie es sich die Microsoft-Gründer Bill Gates und Paul Allen erträumt hatten, aber es wurden immer mehr. Die technischen Grundlagen, sie untereinander zu vernetzen, waren gelegt, das World Wide Web erfunden, die ersten Browser und Suchmaschinen entwickelt. 1994 startete „Spiegel online“, der japanische Premierminister und das britische Unterhaus gingen online und auch das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) präsentierte sich erstmals im World Wide Web.
1994 war auch das Jahr, in dem das SOEP erstmals durch den Wissenschaftsrat evaluiert wurde. Dabei ging es um die weitere Förderung des SOEP, nachdem die Finanzierung im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 3 ausgelaufen war. In ihrer Stellungnahme betonten die Gutachter, dass sich das SOEP zu einem zentralen Instrument sozial- und wirtschaftswissenschaftlicher Forschung im In- und Ausland entwickelt hätte. Die SOEP-Daten seien hervorragendes empirisches Material zur Durchführung von Längsschnittuntersuchungen und zur Beantwortung wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Fragen. Zu den Empfehlungen des Wissenschaftsrats zählte: Die SOEP-Gruppe sollte weiter gefördert und als selbständige Abteilung innerhalb des DIW institutionell abgesichert werden. Darüber hinaus sollte das Panel künftig gemeinsam durch Bund und Länder als Service-Einrichtung der Blauen Liste gefördert werden. Aus den Einrichtungen der Blauen Liste ging drei Jahre später die Leibniz-Gemeinschaft (WGL) hervor, zu der das SOEP bis heute gehört.
Begutachtung der Serviceeinrichtung des SOEP durch den Wissenschaftsrat
Informationen zur Leibniz-Gemeinschaft
1993 brachte eine Reihe von Neuerungen für das Leben im mittlerweile vereinten Deutschland: Die 5-stelligen Postleitzahlen wurden eingeführt. Ein kleiner ehemaliger DDR-Betrieb produzierte mit Hilfe von Greenpeace den ersten FCKW-freien Kühlschrank der Welt.
Und Heide Simonis wurde zur Ministerpräsidentin von Schleswig Holstein gewählt – sie war damit die erste Frau, die als Ministerpräsidentin an der Spitze eines Bundeslandes stand.
Das Sozio-oekonomische Panel feierte 1993 seine 10. Befragungswelle und veranstaltete aus diesem Anlass die erste internationale SOEP User Conference. Am 7. und 8. Juni präsentierten im alten Gebäude der „Akademie der Wissenschaften“ am Gendarmenmarkt in Berlin 30 Wissenschaftler*innen aus der ganzen Welt ihre Forschungsergebnisse auf der Grundlage von SOEP-Daten. Viele dieser Studien waren international vergleichend angelegt und basierten auf dem neu geschaffenen Cross-National Equivalent File (CNEF), das seinerzeit von Prof. Richard Burkhauser initiiert wurde. Zu den Vortragenden der ersten Konferenz gehörte auch der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Alan Krueger von der Princeton University, der zusammen mit Jörn-Steffen Pischke mit den SOEP-Daten über die ost- und westdeutschen Arbeitsmärkte vor und nach der Wiedervereinigung geforscht hat. Später zählte Krueger zu den Beratern der US-Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama. Außerdem präsentierte der heutige Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) Christoph M. Schmidt eine SOEP-basierte Analyse zur Rückwanderung von Migranten in Deutschland.
Seit ihrer Premiere findet die SOEP-Nutzerkonferenz alle zwei Jahre statt. Viele Konferenzbände sind daraus entstanden, die damals in den Fachzeitschriften DIW-Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung und im Journal of Applied Social Sciences veröffentlicht wurden (in Deutschland besser bekannt unter seinem Traditionstitel „Schmollers Jahrbuch“).
Am 1. Januar 1992 um Mitternacht gingen die neu gegründeten öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten in den neuen Bundesländern auf Sendung. Die Zeit des DDR-Fernsehens war damit vorbei. Die neuen Sender übernahmen einen Teil der Mitarbeiter*innen des Deutschen Fernsehfunks (DFF), einige bekannte Sendungen und Gesichter. Zum Beispiel gehört das legendäre DFF-Fernsehballett, das einzige Fernsehballett Europas, heute zum MDR, der in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sendet.
Obwohl offiziell nicht erlaubt, schalteten schon zu DDR-Zeiten viele Ostdeutsche lieber die West-Programme ein als die heimischen Sender. Für 15 Prozent der DDR-Bürger*innen, die im Nordosten um Greifswald und im Südosten der DDR im ehemaligen Bezirk Dresden lebten, war das jedoch aus geografischen und topologischen Gründen nicht möglich. Wie haben Ost- und Westfernsehen die persönlichen Einstellungen der Ostdeutschen geprägt?
Um das herauszufinden analysierte die SOEP-Forscherin Tanja Hennighausen vom ZEW und der Universität Mannheim DDR-Umfragedaten aus den späten 1980er Jahren sowie SOEP-Daten der 1990er Jahre. Ihre Studie zeigt, dass Ostdeutsche mit Zugang zu Westfernsehen eher die Einschätzung vertreten, dass Anstrengung anstelle von Glück entscheidend für den Erfolg im Leben ist. Dieser Effekt zeigt sich auch noch zehn Jahre nach der Wiedervereinigung. Der in der Studie vermutete Grund: Westliche Seifenopern und Filme prägen und bestätigen häufiger das Bild, dass Anstrengung und Erfolg zusammenhängen und beeinflussen auf diese Weise die Einstellung der Zuschauer*innen.
Tanja Hennighausen: Exposure to Television and Individual Beliefs: Evidence from a Natural Experiment, SOEPpaper 535.
1991 begann im ehemaligen Jugoslawien eine Serie von Kriegen. Im Juni erklärten Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit, im November Mazedonien. Unter der Führung von Veljko Kadijević und Blagoje Adžić versuchte die Jugoslawische Volksarmee die Unabhängigkeitsbestrebungen in Slowenien und Kroatien militärisch niederzuwerfen – ohne Erfolg. 1992 weitete sich der Krieg auf Bosnien und Herzegowina aus. Der Flüchtlingsstrom aus Jugoslawien war in vielen Ländern Europas und vor allem auch in Deutschland kaum zu bewältigen: 14.744 Menschen stellten bundesweit allein im Oktober 1991 einen Asylantrag, im gesamten Vorjahr waren es nur gut 22.000 gewesen. Spiegel-Artikel zu Flüchtlingen aus Jugoslawien
Foto: Mikhail Evstafiev: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/61/Evstafiev-bosnia-travnik-girl-doll-refugee.jpg
Die Zahl der Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien machte sich damals auch in der Entwicklung des (Ex-)Jugoslawien-Samples des SOEP bemerkbar. So wuchs erstmals die Nettofallzahl der SOEP-Ausländer-Stichprobe im Vergleich zum Vorjahr.
SOEP 1991 – Methodenbericht zum Befragungsjahr 1991 (Welle 8 – West) des Sozio-oekonomischen Panels
Seit Beginn der Studie werden für das SOEP in der sog. Stichprobe B Haushalte befragt, deren Vorstand aus der Türkei, Italien, Spanien, Griechenland oder dem ehemaligen Jugoslawien stammt. Heute ist das SOEP die größte Wiederholungsbefragung von Ausländern in der Bundesrepublik Deutschland. SOEP-Forschende haben unter anderem gezeigt, dass Zugewanderte in Deutschland aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen häufig räumlich isoliert leben. Sie haben herausgefunden, dass Migrant*innen relativ schnell eine Bindung an deutsche Parteien entwickeln. Und sie haben belegt, dass das deutsche Bildungssystem die Potenziale der Kinder von Menschen mit Migrationserfahrung eher bremst als fördert.
Heute leben in Deutschland mehr als 15 Millionen Menschen, die selbst oder deren Eltern zugewandert sind; seit einigen Jahren hat die Zahl der Neuzuwanderer wieder deutlich zugenommen. Um ein noch genaueres Bild vom Leben dieser Menschen in Deutschland zu gewinnen, startet das SOEP 2013 in Kooperation mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg ein IAB-SOEP-Zuwanderungssample. Deutschlandweit sollen insgesamt 2.500 Haushalte als für diese Bevölkerungsgruppe repräsentative Stichprobe befragt werden.
Gerade 327 Tage lagen zwischen dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990: Die Ostdeutschen befreiten sich vom SED-Regime und wählten nach den ersten und letzten freien Wahlen zur DDR-Volkskammer Lothar de Maizière zu ihrem Ministerpräsidenten. Bundeskanzler Kohl nutzte die Gunst der Stunde. Mit den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs handelten Bonns Diplomaten und Vertreter der neuen DDR-Regierung den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik aus. Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR trat am 1. Juli 1990 in Kraft.
Spiegel-Artikel zur deutschen Wiedervereinigung
Auch die Forschenden des SOEP wussten ihre Chance zu ergreifen. Das Vorhaben, die Langzeitstudie um eine Stichprobe von Übersiedler*innen aus der DDR aufzustocken, stellten sie zunächst zurück. Denn die gesamtdeutsche Entwicklung schritt derart rasch voran, dass diese Stichprobe schnell veraltet wäre. Stattdessen trieben sie die Idee eines DDR-Panels mit hohem Tempo voran. Ihr Ziel war eine erste Basismessung von Einkommen noch in der „alten“ Währung der DDR. Bereits Anfang April hatte die SOEP-Gruppe zusammen mit Mitarbeiter*innen des Instituts für Soziologie und Sozialpolitik der Akademie der Wissenschaften der DDR einen ersten integrierten Fragebogen entwickelt, mit dem sie 50 Haushalte in Ost-Berlin befragten.
SOEP 1990 – Bericht über eine Vorerhebung für die "Basiserhebung 1990" des Sozio-ökonomischen Panels in der DDR (Pretestbericht)
Im Juni 1990 führten dann die Interviewer*innen von TNS Infratest die erste Erhebung in Ostdeutschland durch. Sie befragten 2.179 Haushalte, in denen 4.453 persönlich befragte Erwachsene und 1.591 Kinder lebten.
Auszug aus der Befragtenbroschüre 1990
„Von der Wende waren wir wirklich überrascht, aber wir reagierten schnell“, sagt der damalige SOEP-Leiter Gert G. Wagner im Kurzfilm zu 30 Jahren SOEP. „Die Menschen in der DDR waren froh, dass sie befragt wurden. Wir hatten nie mehr eine derartige Begeisterung und derart hohe Ausschöpfungsquoten, wie wir sie in der ‚Noch-DDR‘ hatten“.
Interviewausschnitt auf Youtube
Ist seit der Wiedervereinigung zusammengewachsen, was zusammengehört? 2010 zogen der SOEP-Forscher Peter Krause und Ilona Ostner, Soziologin an der Georg-August-Universität Göttingen, die bis dahin umfassendste sozialwissenschaftliche Bilanz der deutschen Einheit. Demnach haben sich nach der Vereinigung die Lebensbedingungen in Ost und West schnell aneinander angenähert. Beispielsweise ist in beiden Teilen Deutschlands der Anteil der Alleinerziehenden-Haushalte gestiegen und es gibt mehr kinderlose Paar- oder Single-Haushalte. Die Lebenszufriedenheit in Ostdeutschland ging in den 90er Jahren deutlich nach oben, aber es blieb immer noch eine deutliche Lücke zum Westniveau. „Unterschiede zwischen Ost und West gibt es bis heute noch in vielen Bereichen“, sagte Peter Krause im Jahr 2010. „Sie hängen inzwischen allerdings weit mehr von den konkreten Lebensumständen vor Ort ab, als davon, auf welcher Seite der früheren innerdeutschen Grenze die Befragten oder deren Eltern leben oder gelebt haben.“ Die Erkenntnisse der Forschenden wurden in einem Sammelband und zum Teil auch im DIW-Wochenbericht veröffentlicht.
Sammelband: Krause, Peter und Ilona Ostner (2010). Leben in Ost- und Westdeutschland: Eine sozialwissenschaftliche Bilanz der deutschen Einheit 1990-2010. Frankfurt a. M./New York: Campus.
Pressemitteilung zum Wochenbericht: 20 Jahre Wiedervereinigung: Wie weit Ost- und Westdeutschland zusammengerückt sind
9. November 1989 – der Tag, an dem völlig überraschend die Mauer fiel. Jubelnd und glücklich lagen sich die Menschen aus Ost- und West-Berlin in den Armen. Mauerspechte machten sich daran, das Symbol der deutschen Teilung zu zerstören. Die Öffnung der Grenzen zwischen den beiden deutschen Staaten löste eine Massenwanderung aus, allein in den ersten beiden Jahren nach dem Mauerfall verließen jeweils 400.000 Menschen die DDR (Tagesschau vom 10. November 1989 DDR öffnet Grenze am 9. November 1989)
Gert G. Wagner hatte wenige Monate zuvor am 1. Juli 1989, die Leitung des Sozio-oekonomischen Panel übernommen, nachdem SOEP-Gründer Hans-Jürgen Krupp das DIW Berlin verlassen hatte und in Hamburg Finanzsenator geworden war. Das SOEP und sein neuer Leiter standen nun vor einzigartigen Herausforderungen: Schon allein wegen des Übersiedlerstroms aus der DDR waren die vor dem Mauerfall erhobenen Daten des SOEP bald nicht mehr repräsentativ für alle Menschen, die in Westdeutschland lebten. Wie konnte diese Zuwanderungsbewegung möglichst schnell im SOEP erfasst werden? Und: Wie konnten und sollten die SOEP-Forscher die historische Chance nutzen, den gesellschaftlichen Transformationsprozess in der DDR abzubilden? An einen gesamtdeutschen Survey dachte im Jahr 1989 noch kaum jemand – genau so wenig wie an eine Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten (Literatur dazu: Wagner, Gert G. (2008), Die Längsschnittstudie Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) – Die Jahre von der Wende zur Jahrtausendwende. Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung, 77 (3), 43-62.
Bei den XV. Olympischen Spielen in Calgary gewann der Eiskunstlauf-Star Katarina Witt zwei Goldmedaillen für die DDR. Mit 37 Goldmedaillen und 102 Medaillen insgesamt wurde die DDR die zweitbeste Nation. Die Athlet*innen der Bundesrepublik brachten insgesamt 40 Medaillen nach Hause, Westdeutschland landete so insgesamt auf dem fünften Platz. Die sportlichen Erfolge Katarina Witts und der anderen ostdeutschen Athlet*innen waren bezeichnend für die wichtige Rolle, die Sport in der DDR spielte – sowohl der Leistungs- als auch der Breitensport.
Über die Bedeutung von Sport in Westdeutschland geben die SOEP-Daten Auskunft. Sie zeigen: Seit der Bildungsexpansion in den 70er Jahren nahmen Gesundheitsbewusstsein und sportliche Aktivitäten immer weiter zu. Damit stieg auch die Zufriedenheit der Menschen in Deutschland. Das zeigt unter anderen auch eine Studie der SOEP-Forscher Bruce Headey und Peter Krause, die unter dem Titel „A Health and Wealth Model of Change in Life Satisfaction: Analysing Links between Objective Conditions and Subjective Satisfaction“ 1988 veröffentlicht wurde. Mittlerweile findet man zum Thema Sport fast 50 Einträge in unserem Archiv von Publikationen auf der Basis von SOEP-Daten (SOEPlit). Einen sehr prominent veröffentlichten schrieb Michael Lechner im Jahr 2009: Long-run labour market and health effects of individual sports activities. Journal of Health Economics 28:839-854.
1988 war auch das Jahr, in dem der damalige Finanzminister Gerhard Stoltenberg die zweite Stufe seiner insgesamt dreistufigen Einkommenssteuerreform auf den Weg brachte. Sie galt als die größte Steuerreform des Jahrhunderts, die zum Ziel hatte, sowohl die Lohn- und die Einkommenssteuer als auch die Belastungen für Familien mit Kindern zu senken. Es war eine der umstrittensten Reformen, der sich arme wie sehr wohlhabende Menschen widersetzten (vgl. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13527160.html). Was würde diese Reform zur Umverteilung der Vermögen bringen? Die SOEP-Daten boten eine herausragende empirische Basis, um diese Frage zu beantworten. Die Forscher Ulrich van Essen, Helmut Kaiser und P. Bernd Spahn simulierten die Effekte aller drei Stufen der Reform. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung zeigten, dass die Steuerreform zu einer ungleicheren Einkommensverteilung führen würde, und zwar zu einer Umverteilung zugunsten der ohnehin schon Vermögenden. Die Studie, die 1988 unter dem Titel „Verteilungswirkungen der Einkommensteuerreformen 1986 - 1990“ in der Zeitschrift Finanzarchiv veröffentlicht wurde, war die erste SOEP-Studie zu einer Einkommenssteuerreform, deren Ergebnisse in die Politikberatung flossen.
Im Juni 1987 reist US-Präsident Ronald Reagan zur 750-Jahr-Feier nach West-Berlin. In seiner öffentlichen Rede vor dem Brandenburger Tor fordert er den sowjetischen Parteichef Michail Gorbatschow auf, die Mauer niederzureißen und schlägt vor, Olympische Spiele in beiden Teilen der Stadt abzuhalten. Im September besucht Erich Honecker als erster DDR-Staatschef die Bundesrepublik Deutschland, und in Moskau prägt die „Perestroika“ den gesellschaftlichen Wandel.
Während sich die beiden deutschen Staaten langsam einander annähern, zeichnen die SOEP-Forscher*innen mit Hilfe der neu gewonnenen Mikro-Längsschnittdaten ein immer genaueres Bild des Lebens der Menschen in der alten Bundesrepublik.
Ute Hanefeld, wissenschaftliche Mitarbeiterin des SOEP im DIW Berlin, hatte maßgeblichen Anteil daran, dass das Panelprojekt erfolgreich innerhalb des damaligen Sonderforschungsbereichs seit 1982 vorangetrieben und begonnen wurde. 1987 veröffentlichte sie eine Monographie mit dem Titel: Das Sozio-ökonomische Panel – Grundlagen und Konzeption im Campus Verlag. Im Jahr 1987 beginnen zudem die Bemühungen, über die in dieser Monographie berichtet wird, Früchte zu tragen.
Die SOEP-Daten werden 1987 zunehmend auch von Forschern außerhalb des DIW genutzt. Unter anderem fließen sie in den vom Statistischen Bundesamt gemeinsam mit dem Sonderforschungsbereich 3 der Universitäten Frankfurt am Main und Mannheim herausgegebenen „Datenreport“. Im Mittelpunkt des Datenreports steht die Frage, wie die Lebensqualität in Deutschland beschrieben und wie sie von den Menschen bewertet wird. Bis heute ist das SOEP am Datenreport beteiligt, der seit 1985 erscheint.
Den aktuellen Datenreport sowie einen Link zu den älteren Reports finden Sie auf den Seiten des Statistischen Bundesamtes.
Es war der Super-GAU: Am 26. April 1986, um 1:23 Uhr, explodierte der Reaktorblock 4 des ukrainischen Kernkraftwerks Tschernobyl. 60.000 Kilogramm hoch radioaktive Partikel wurden in die Luft geschleudert. Die Folgen waren verheerend: Tausende Tote, Hunderttausende Hektar verstrahltes Land und ein ökonomischer Schaden in Milliardenhöhe.
Foto: AP
Im Umweltbewusstsein der Deutschen hinterließ die Reaktorkatastrophe deutliche Spuren, wie eine Studie der ehemaligen SOEP-Forscherin Eva Berger zeigt. Bereits im Mai 1986 stieg der Anteil der Befragten, die sich sehr große Sorgen um den Schutz der Umwelt machten, um neun Prozentpunkte, im Frühjahr 1987 sogar um 14 Prozentpunkte. Erst im Verlauf der 90er Jahre ließ die Umweltbesorgnis der Menschen in Deutschland wieder nach. Eine Erklärung dafür sehen die SOEP-Forscher*innen darin, dass nun die wachsende Arbeitslosigkeit in den Vordergrund trat.
Für das SOEP begann 1986 die zweite dreijährige Förderperiode als Teilprojekt B5 des Sonderforschungsbereich 3 „Mikroanalytische Grundlagen der Gesellschaftspolitik“. Die DFG bewilligte zwei zusätzliche Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die statistische Verfahren zur Schätzung fehlender Werte und zur Hochrechnung der Daten entwickeln sollten. Für die Dokumentation und die grafische Aufbereitung der Panelergebnisse wurde ein 16-Bit Personal Computersystem mit MS-DOS angeschafft, inklusive 640 KB-RAM Speicher, zwei Floppy Disks mit je 360 Kbyte, einer Festplatte mit 10 Mbyte und eines grünen Bildschirms - zum stolzen Preis von 17.800 DM.
1985 gewann Boris Becker als erster Deutscher das Grand-Slam-Turnier in Wimbledon, Joschka Fischer wurde in Turnschuhen als hessischer Staatsminister für Umwelt und Energie vereidigt und die ersten Folgen der „Lindenstraße“ flimmerten über die Fernsehbildschirme. Von Arbeitslosigkeit und Armut, über neue Familienformen bis hin zur Umweltbewegung – es gibt kaum gesellschaftliche Trends, die Deutschlands erste Seifenoper seither nicht aufgegriffen hätte. „Ich finde, dass Geißendörfer und seine Schreiber ein sehr waches Auge auf die gesellschaftliche Entwicklung haben“, sagte der damalige SOEP-Leiter und bekennende Lindenstraßen-Fan Jürgen Schupp in einem Gespräch mit der ‚Welt‘, zu dem er zusammen mit der Schauspielerin Sybille Waury eingeladen war.
Eine weitere Premiere im Jahr 1985: Im April erschien erstmals eine inhaltliche Studie auf der Grundlage der ersten Erhebungswelle des SOEP in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift, und zwar in den „Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung“. Der Sozialwissenschaftler Christoph F. Büchtemann, von 1983 bis Ende 1984 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der SOEP-Gruppe am DIW Berlin, hatte die damals viel diskutierte „Neue Armut“ empirisch unter die Lupe genommen. Die SOEP-Daten zeigten: Entgegen weit verbreiteter Vorstellungen waren die meisten Arbeitslosen in der damaligen Bundesrepublik Deutschland durch Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung finanziell gut abgesichert. Nur eine kleine Minderheit, etwa sieben Prozent, war von akuter Armut betroffen.
Christoph F. Büchtemann: Soziale Sicherung bei Arbeitslosigkeit und Sozialhilfebedürftigkeit – Datenlage und neue Befunde. Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (MittAB) 18 (1985), no. 4, 450-466.
Das Jahr 1984 brachte für die Menschen in Deutschland eine Reihe von Premieren mit sich: Anschnallen wurde nunmehr auch auf den Autorücksitzen zur Pflicht, IBM stellt den IBM Personal Computer/AT vor, dessen Technik mehr als zehn Jahre zum Standard in deutschen Büros wird. Das Privatfernsehen ging an den Start und Richard von Weizsäcker wurde zum Bundespräsidenten gewählt.
Im gleichen Jahr klingelten zum ersten Mal die Interviewerinnen und Interviewer von TNS Infratest an den Türen der SOEP-Befragten. Befragt wurden damals 5.921 Haushalte, in denen 12.245 persönlich befragte Erwachsene und 3.928 Kinder lebten. „Was wir machten, war neu und revolutionär", erzählt Hans-Jürgen Krupp, der Gründer und erste Leiter des SOEP: „Wir erhoben Längsschnittdaten, wir führten soziale und ökonomische Faktoren zusammen, und wir befragten Ausländer“ (Zitat SOEP-Film). Zu Beginn hoffte man, dass die Studie fünf Jahre lang gefördert würde. Dass sich das SOEP einmal zu einer Langzeitstudie zur Analyse des sozialen Wandels in Deutschland mausern würde, hielt damals noch niemand für möglich.
Auszug aus der ersten Befragtenbroschüre 1984
Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) – Genese und Implementation
Hans-Jürgen Krupp
SOEPpaper 25 (2007) (PDF, 330.09 KB)
Die ersten Fragebögen im SOEP Survey Paper 8.