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Jetzt brauchen die Jungen eine Starthilfe

Blog Marcel Fratzscher vom 27. Mai 2021

Die junge Generation ist unter Druck: Die Pandemie verbaut ihr viel, zugleich muss sie die Älteren versorgen und soll die Gesellschaft voranbringen. Geld könnte helfen.

Dieser Text erschien am 27. Mai 2021 in der Zeit Online-Kolumne Fratzschers Verteilungsfragen.

Junge Menschen sind in vielerlei Hinsicht die Hauptleidtragenden der Pandemie. Nicht, weil sie vom Coronavirus gesundheitlich stärker bedroht würden. Sondern vielmehr, weil viele von ihnen in der wichtigen, formenden Lebensphase empfindlich getroffen wurden und werden. Gleichzeitig hatten sie nicht die Chance, sich vor den Auswirkungen der Pandemie zu schützen. Das trifft auf Kitakinder, Schülerinnen, Studenten, Berufseinsteigerinnen und viele andere junge Menschen gleichermaßen zu. Politik und Gesellschaft haben deren Situation zu lange ignoriert. Während viele Industrieunternehmen mit nur geringen Einschränkungen ihr Geschäft verfolgen konnten und teilweise sogar noch großzügige Hilfen erhalten haben, hatten Schulen und Kitas für mehr als ein Jahr geschlossen oder waren nur eingeschränkt funktionsfähig. Die Politik braucht nun dringend eine Strategie, wie sie diesem Schaden begegnen will. Andernfalls läuft sie Gefahr, einen Teil der jungen Generation für immer zu verlieren.

Eltern können nicht alles auffangen

Wissenschaftliche Studien von Ökonominnen und Soziologen zeigen, wie enorm groß der Schaden der Pandemie für die junge Generation ist. Viele wurden aus ihren sozialen Strukturen herausgerissen und waren auf sich allein gestellt. Natürlich haben die Eltern versucht, ihre Kinder, so gut es ging, zu unterstützen und diesen Schaden zu kompensieren. Aber selbst beim besten Willen der Eltern kann dies nur begrenzt gelingen. Zumal viele Eltern noch stärker als sonst in ihrem Arbeitsleben gefordert waren und die Mehrheit eben nicht im Homeoffice arbeiten kann, um sich nebenbei um die Kinder zu kümmern – und selbst das ist eine fast unlösbare Aufgabe.

Einkommensschwache sind besonders betroffen

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass junge Menschen zwar weniger stark direkt gesundheitlich vom Virus betroffen waren. Aber die indirekten gesundheitlichen Schäden sind häufig höher. So deutet sich an, dass Depressionen gerade unter jungen Menschen besonders stark zugenommen haben. Auch bei der Bildung haben fast alle jungen Menschen große Nachteile erfahren müssen. Aber dieser Schaden ist extrem ungleich verteilt. Kinder und Jugendliche aus einkommensschwächeren Familien und in Brennpunktbereichen haben besonders starke Bildungsnachteile erfahren müssen.

Wo ist die Strategie?

Ein solcher Schaden für Gesundheit, soziale Strukturen und Bildung ist in den meisten Fällen nicht in ein oder zwei Jahren aufzuholen. Die Pandemie wird die Schere zwischen verschiedenen sozialen Gruppen vor allem bei jungen Menschen deutlich vergrößern. Der Politik fehlt eine Strategie, bisher gab es lediglich Lippenbekenntnisse. Die Politik muss weg von einer engstirnigen und kurzfristigen Perspektive. Die zentrale Frage lautet: Was muss nun geschehen, damit alle jungen Menschen gute Zukunftsperspektiven und Chancen haben, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es möchten und verdienen?

Ein "Startgeld" oder "Lebenschancenerbe" (wie ich es in einer früheren Kolumne bereits vorgeschlagen habe) in Höhe von 20.000 Euro für jeden jungen Menschen nach Abschluss des ersten Berufsabschlusses sollte ein wichtiger Teil einer solchen Strategie sein. Dies wäre eine ganz wichtige und unmittelbar wirksame Unterstützung für junge Menschen, die jetzt vor dem Einstieg ins Berufsleben stehen.

20.000 Euro Startgeld

Ein solches Startgeld würde junge Menschen bei drei für ihr Leben existenziellen Aspekten unterstützen: Autonomie, Flexibilität und Sicherheit. So würde ein solches Startgeld jungen Menschen mehr Freiheiten eröffnen, beispielsweise einen weniger gut bezahlten Job anzunehmen und stattdessen Tätigkeiten mit einer stärkeren sozialen Komponente zu verfolgen. Es würde die Flexibilität erhöhen, weil es Menschen erleichtern würde, sich fortzubilden oder einen beruflichen Richtungswechsel zu vollziehen – beispielsweise ein Risiko einzugehen und sich selbstständig zu machen. Und es würde denen mehr Sicherheit geben, die sich beispielsweise sorgen, ob sie sich für ihre junge Familie eine Wohnung leisten können.

Die Ausgestaltung eines solchen Startgeldes könnte recht einfach und transparent geschehen: Jeder Mensch erhält einmalig nach Abschluss des ersten Berufsabschlusses oder spätestens mit dem vollendeten 21. Lebensjahr ein Lebenschancenkonto mit 20.000 Euro. Dieses Geld kann jederzeit mit einer unbürokratischen Erklärung für die Verwendung – für Fortbildung oder Qualifikation, für soziale Tätigkeit (wie die Pflege von Angehörigen oder ein gemeinnütziges Engagement) oder um sich beruflich selbstständig zu machen – abgerufen werden. Es kann aber auch gespart werden, um beispielsweise später einen beruflichen Wechsel vorzunehmen oder sich eine Auszeit für Familie oder Verwandte zu nehmen.

Mehr Autonomie

Bei knapp 600.000 Menschen in einem Jahrgang würde ein solches Startgeld den deutschen Staat jedes Jahr knapp zwölf Milliarden Euro kosten. Das ist eine erhebliche Summe. Aber aus mindestens zweierlei Perspektive ist dies weniger, als man denkt – und dazu noch hervorragend investiertes Geld. So gibt der deutsche Staat jedes Jahr allein 100 Milliarden Euro an Steuermitteln für die ältere Generation und deren gesetzliche Rente aus – langfristige Tendenz: stark steigend. Es ist gerade die junge Generation, die mit ihren Steuern und Beiträgen die heutigen Renten bezahlt. Und wenn die junge Generation diese Leistung auch in zehn oder 20 Jahren noch erbringen soll, braucht sie heute eine deutlich bessere Unterstützung, um produktiv und erfolgreich im Arbeitsleben sein zu können: durch ein exzellentes Bildungssystem, aber eben auch durch Unterstützung im Arbeitsleben und mehr Autonomie, das Leben eigenständig gestalten zu können.

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