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Geflüchtete aus der Ukraine: Knapp die Hälfte beabsichtigt längerfristig in Deutschland zu bleiben

DIW Wochenbericht 28 / 2023, S. 381-393

Herbert Brücker, Andreas Ette, Markus M. Grabka, Yuliya Kosyakova, Wenke Niehues, Nina Rother, C. Katharina Spieß, Sabine Zinn, Martin Bujard, Jean Philippe Décieux, Amrei Maddox, Sophia Schmitz, Silvia Schwanhäuser, Manuel Siegert, Hans Walter Steinhauer

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  • Ergebnisse der zweiten Befragungswelle der Studie „Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland (IAB-BiB/FReDA-BAMF-SOEP-Befragung)“ von Beginn des Jahres 2023
  • Zunehmender Anteil ukrainischer Geflüchteter beabsichtigt längerfristig in Deutschland zu bleiben – Rund drei Viertel haben private Unterkunft gefunden
  • Etwa ein Fünftel geht einer Erwerbstätigkeit nach, Erwerbsabsichten für nähere Zukunft sind aber deutlich höher – Bisher absolvieren viele Geflüchtete noch Integrations- und Sprachkurse
  • Nur rund sechs von zehn Kindern von drei bis sechs Jahren sind in einer Kindertagesbetreuung
  • Kinderbetreuung sollte ausgebaut werden, um Sprachkursbesuch und Weg in Beschäftigung für Mütter zu erleichtern – Schnelle Entscheidung über Verlängerung des Aufenthaltsrechts nötig

„Die Ergebnisse der zweiten Befragung ukrainischer Geflüchteter sind ermutigend. Ihre gesellschaftliche Teilhabe hat zuletzt deutliche Fortschritte gemacht. Allerdings muss ihnen auch Planungssicherheit über den März 2024 hinaus gegeben werden, wie und ob sie ihren weiteren Aufenthalt in Deutschland weiter planen und gestalten können.“ Markus M. Grabka

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat eine große Fluchtbewegung ausgelöst. Allein nach Deutschland sind seit Kriegsbeginn über eine Million Menschen gekommen. Auf Grundlage der zweiten Befragungswelle der Studie „Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland (IAB-BiB/FReDA-BAMF-SOEP-Befragung)“ zeigt sich, dass zu Beginn des Jahres 2023 ein zunehmender Anteil der ukrainischen Geflüchteten beabsichtigt längerfristig in Deutschland zu bleiben. Rund drei Viertel haben eine private Unterkunft gefunden, ein ähnlich großer Anteil hat bereits an Deutschkursen teilgenommen oder ist aktuell noch dabei. 18 Prozent der 18- bis 64-Jährigen gehen einer Erwerbstätigkeit nach – von den anderen wollen dies über zwei Drittel sofort oder innerhalb des kommenden Jahres tun. Während fast alle geflüchteten Kinder und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter eine allgemein- oder berufsbildende Schule in Deutschland besuchen, sind nur rund sechs von zehn Kindern zwischen drei und sechs Jahren in einer Kindertagesbetreuung (KiTa). Zur Stärkung der gesellschaftlichen Teilhabe und angesichts des hohen Anteils von Müttern unter den Geflüchteten sollten insbesondere Möglichkeiten zur Kinderbetreuung verbessert werden, um unter anderem die Teilnahme an Integrations- und Sprachkursen und den Weg in Beschäftigung zu erleichtern. Zudem ist es zentral, schnell eine Entscheidung über die Verlängerung des bis zum März 2024 befristeten Aufenthaltsrechts herbeizuführen und damit Rechts- und Planungssicherheit zu schaffen.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat eine der größten Fluchtbewegungen in der Nachkriegszeit ausgelöst. Allein nach Deutschland sind seit Februar 2022 rund eine Million Menschen aus der Ukraine geflüchtet. Ziel dieser Studie ist es, die Ankunft der Geflüchteten in Deutschland und verschiedene Aspekte ihrer sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Teilhabe zu untersuchen. Hierzu werden unterschiedliche Dimensionen wie Bleibeabsichten, Spracherwerb, Integration in den Arbeitsmarkt und die Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen analysiert. Datengrundlage ist die Befragung „Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland (IAB-BiB/FReDA-BAMF-SOEP-Befragung)“, ein gemeinsames Projekt des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), des Forschungszentrums des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) und des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) im DIW Berlin. Die Kooperationspartner haben bereits im Spätsommer 2022 eine große repräsentative Zufallsstichprobe von ukrainischen Geflüchteten gezogen und befragt. Die Befragung ist als Längsschnittstudie angelegt – das bedeutet, dass die Personen wiederholt befragt werden. Im Folgenden werden die Ergebnisse der zweiten Befragungswelle zu Beginn des Jahres 2023 vorgestellt (Kasten).infoZu den Befunden der ersten Befragungswelle siehe Herbert Brücker et al. (2023): Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland: Ergebnisse der ersten Welle der IAB-BiB/FReDA-BAMF-SOEP-Befragung. IAB-Forschungsbericht 2/2023 (online verfügbar; abgerufen am 3. Juli 2023. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt).

Die präsentierten Ergebnisse beruhen auf der im Jahr 2022 erstmals durchgeführten Studie „Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland (IAB-BiB/FReDA-BAMF-SOEP-Befragung)“. In der Studie wurden ukrainische Geflüchtete im Alter von 18 bis 70 Jahren befragt, die zwischen dem 24. Februar und 8. Juni 2022 nach Deutschland eingereist sind und von den Einwohnermeldeämtern registriert wurden. An der ersten Erhebung im Zeitraum von Ende August bis Anfang Oktober 2022 nahmen insgesamt 11225 Ukrainer*innen in 100 Gemeinden in ganz Deutschland teil. In der darauffolgenden zweiten Befragungswelle, die in der Zeit von Mitte Januar bis Anfang März 2023 stattfand, wurden 6754 Ukrainer*innen erneut befragt, von denen 6581 nach wie vor in Deutschland lebten. Beide Erhebungen wurden vom infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft durchgeführt. Der Fragebogen stand online und in Papierform sowie in ukrainischer und russischer Sprache zur Verfügung. Mehr als 80 Prozent der Teilnehmenden der zweiten Befragung haben den Fragebogen online und zwei Drittel in ukrainischer Sprache ausgefüllt. Von den befragten Personen waren in beiden Wellen etwas mehr als 80 Prozent Frauen; das durchschnittliche Alter lag bei knapp 40 Jahren. Durch Verwendung von Gewichten ist die Stichprobe repräsentativ für die zum Zeitpunkt der zweiten Befragung weiterhin in Deutschland lebenden ukrainischen Geflüchteten der Grundgesamtheit.

Nur ein geringer Teil der Geflüchteten ist bisher in die Ukraine zurückgekehrt

Die Stichprobe umfasst Personen, die in den ersten Monaten des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine – zwischen dem 24. Februar 2022 und Anfang Juni 2022 – nach Deutschland geflohen sind. In diesem Zeitraum haben rund 811000 Ukrainer*innen in Deutschland Schutz gesucht, das entspricht rund 80 Prozent der seit Kriegsausbruch zugezogenen ukrainischen Bevölkerung.infoInsgesamt sind rund eine Million Ukrainer*innen 2022 nach Deutschland geflüchtet, über 80 Prozent in den ersten Monaten bis Juni 2022. Vgl. UNHCR (2023): Operational Data Portal: Ukraine Refugee Situation (online verfügbar). Vor dem Hintergrund der andauernden Kriegshandlungen hat nur ein vergleichsweiser kleiner Teil der Geflüchteten Deutschland – meist in Richtung Ukraine – wieder verlassen. Daten des Ausländerzentralregisters (AZR) zeigen, dass von den Ukrainer*innen im Alter von 18 bis 70 Jahren, die in diesem Zeitraum nach Deutschland eingereist sind, rund 93 Prozent Ende Februar 2023 nach wie vor in Deutschland registriert waren. Gleichzeitig können sich die Bleibeabsichten der in Deutschland lebenden Geflüchteten aufgrund von Änderungen der individuellen Lebenssituation oder der Situation im Herkunftsland ändern. Es ist von zentraler Bedeutung, die Bleibeabsichten ukrainischer Geflüchteter zu kennen, um geeignete Integrationsmaßnahmen und – sollte sich die Lage in der Ukraine entspannen – Rückkehrunterstützung planen und umsetzen zu können.

Knapp die Hälfte der Geflüchteten beabsichtigt längerfristig in Deutschland zu bleiben

Der Anteil der Geflüchteten, die längerfristig – also noch einige Jahre oder für immer – in Deutschland bleiben wollen, hat zwischen den beiden Befragungswellen um fünf Prozentpunkte auf nunmehr 44 Prozent zu Beginn des Jahres 2023 zugenommen (Abbildung 1). Im Gegenzug sind die Anteile derjenigen, die bis zum Kriegsende in Deutschland bleiben möchten beziehungsweise die sich in diesem Punkt unsicher sind, leicht von 33 auf 31 beziehungsweise von 26 auf 23 Prozent gesunken.

Großes Interesse an transnationalen Lebensformen

Geflüchtete, die nicht beabsichtigen für immer in Deutschland zu bleiben, wurden nach ihren weiteren Plänen gefragt. Auch wenn mit 38 Prozent ein großer Teil dieser Geflüchteten eine vollständige Rückkehr in die Ukraine plant, gibt eine ähnlich große Gruppe (30 Prozent) an, künftig engen Kontakt nach Deutschland aufrecht erhalten und zeitweise auch hier leben zu wollen (29 Prozent sind noch unsicher und drei Prozent beabsichtigen in ein anderes Land umzuziehen). Solche transnationalen Lebensformen, bei denen sich das Leben meist in mehr als einem Land abspielt, sind auch von anderen Migrant*innengruppen bekannt.infoPeggy Levitt und B. Nadya Jaworsky (2007): Transnational Migration Studies: Past Developments and Future Trends. Annual Review of Sociology 33, 129–156; Thomas Faist, Margit Fauser und Eveline Reisenauer (2013): Transnational Migration. Cambridge: Polity Press.

Enger Zusammenhang zwischen Bleibeabsichten und der familiären Situation sowie der sozialen Integration

Bleibe- und Rückkehrabsichten unterscheiden sich stark zwischen den Geflüchteten. Die Ergebnisse einer Regressionsanalyse zeigen, dass der familiären Situation eine wichtige Rolle für die Bleibeabsichten zukommt (Abbildung 2).infoBrücker et al. (2023), a.a.O.; Agnès Bouché und Jonna Rock (2022): Geflüchtete Frauen aus der Ukraine. Zwischen Rückkehr und Ankommen. DeZIMinutes#09; Tetyana Panchenko (2022): Anpassungsstrategien der Geflüchteten aus der Ukraine in Deutschland. Ergebnisse einer qualitativen Studie. ifo Schnelldienst 75, 58–62. Es ist zu beachten, dass Regressionsergebnisse lediglich deskriptive Zusammenhänge beschreiben und nicht kausal interpretiert werden können. Geflüchtete, deren Partner*in im Ausland lebt, haben eine um elf Prozentpunkte geringere Wahrscheinlichkeit als Singles, für immer in Deutschland bleiben zu wollen. Kinder scheinen keinen signifikanten Einfluss auf die Bleibeabsichten zu haben, wohingegen Frauen eine um elf Prozentpunkte geringere Wahrscheinlichkeit haben, für immer in Deutschland bleiben zu wollen.

Deutliche Zusammenhänge bestehen auch zwischen den Bleibeabsichten und der aktuellen beziehungsweise erwarteten Lebenssituation sowie der sozialen Integration im Zielland, wie sie auch von anderen Migrant*innengruppen bekannt sind.infoThomas de Vroome und Frank van Tubergen (2014): Settlement Intentions of Recently Arrived Immigrants and Refugees in the Netherlands. Journal of Immigrant & Refugee Studies, 12(1), 47–66; Nawras Al Husein und Natascha Wagner (2023): Determinants of Intended Return Migration among Refugees: A Comparison of Syrian Refugees in Germany and Turkey. International Migration Review, 1–35. Geflüchtete auf (Aus-)Bildungssuche haben eine um elf Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit, für immer in Deutschland bleiben zu wollen, als nicht erwerbstätige Personen. Auch bessere Deutschkenntnisse hängen positiv mit der Absicht zusammen, für immer in Deutschland bleiben zu wollen. Einerseits können gute Deutschkenntnisse eine dauerhafte Bleibeabsicht motivieren. Andererseits ist auch plausibel, dass Personen mit einer dauerhaften Bleibeabsicht mehr Zeit in das Lernen der neuen Sprache investieren und somit bessere Deutschkenntnisse aufweisen. Weiterhin zeigt sich ein positiver Zusammenhang zwischen der Zeit, die mit Deutschen verbracht wird, sowie dem Willkommensgefühl und einer dauerhaften Bleibeabsicht. Unterschiede bestehen auch hinsichtlich der Wohnsituation: Personen, die aktuell in privaten Unterkünften leben, haben häufiger dauerhafte Bleibeabsichten als Personen in sonstigen Unterkünften, beispielsweise in Hotels oder Pensionen. Im Vergleich zu den Ergebnissen aus dem Spätsommer 2022infoBrücker et al. (2023), a.a.O.; UNHCR (2023): Lives on Hold: Intentions and Perspectives of Refugees from Ukraine. Regional Intentions Report #3, Februar 2023. bestehen durchschnittlich knapp ein Jahr nach der Flucht nur geringe Zusammenhänge zwischen den Bleibeabsichten und der Herkunftsregion in der Ukraine. Jedoch beabsichtigen Personen, die sich seit ihrer Ankunft auch in der Ukraine aufgehalten haben, deutlich seltener dauerhaft in Deutschland zu bleiben.

Hohe Umzugsmobilität innerhalb Deutschlands

Die Unterbringung von Geflüchteten kann die Kommunen vor große Herausforderungen stellen. Informationen über die aktuelle Wohnsituation und etwaige Umzüge sind deshalb von hoher Relevanz für die Wohnungs- und Integrationspolitik. In den rund sechs Monaten zwischen der ersten und zweiten Befragungswelle sind mit 19 Prozent fast ein Fünftel der Geflüchteten aus der Ukraine innerhalb der Bundesrepublik umgezogen.

Die überwiegende Mehrheit (90 Prozent) ist innerhalb der gleichen Stadt oder Gemeinde umgezogen; nur rund zehn Prozent sind in eine andere Gemeinde oder Stadt gezogen. Gut jede zweite Person (52 Prozent) gibt an, umgezogen zu sein, da sie eine passendere Unterkunft gefunden hat. Zuweisungen durch Behörden werden von 14 Prozent als Umzugsanlass genannt.infoDer verbleibende Anteil sind Geflüchtete, die sonstige nicht näher spezifizierte Gründe angegeben haben (28 Prozent).

Mehrheit lebt in privaten Unterkünften – Tendenz steigend

Zum Zeitpunkt der ersten Befragung lebte bereits die deutliche Mehrheit in privaten Wohnungen oder Häusern (74 Prozent). Etwa ein Fünftel (17 Prozent) der Geflüchteten wohnte in einer sonstigen Unterkunft (zum Beispiel Hotels oder Pensionen) und nur knapp jede*r Zehnte (neun Prozent) in einer Gemeinschaftsunterkunft.infoBrücker et al. (2023). a.a.O. Geflüchtete in Gemeinschafts- und sonstigen Unterkünften sind in der Zwischenzeit häufiger umgezogen. Hierdurch hat der Anteil derjenigen in privaten Wohnungen oder Häusern weiter zugenommen (auf 79 Prozent). Die Anteile der Personen in Gemeinschaftsunterkünften (acht Prozent) oder sonstigen Unterkünften (13 Prozent) haben entsprechend abgenommen.

Drei Viertel der ukrainischen Geflüchteten haben Deutschkurse besucht

Um sich in Deutschland zurechtzufinden, soziale Kontakte zu knüpfen und leichter Zugang zum Arbeits- oder Ausbildungsmarkt zu erhalten, sind deutsche Sprachkenntnisse entscheidend.infoYuliya Kosyakova et al. (2021): Arbeitsmarktintegration in Deutschland: Geflüchtete Frauen müssen viele Hindernisse überwinden. IAB-Kurzbericht, 8 (online verfügbar); Wenke Niehues, Nina Rother und Manuel Siegert (2021): Vierte Welle der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten. Spracherwerb und soziale Kontakte schreiten bei Geflüchteten voran. BAMF-Kurzanalyse, 4 (online verfügbar). Wie auch anderen Geflüchteten blieb den Menschen aus der Ukraine in der Regel vor ihrer Flucht keine Zeit, die deutsche Sprache zu erlernen, so dass der Anteil mit guten oder sehr guten Deutschkenntnissen beim Zuzug sehr gering war.infoNiehues et al. (2021), a.a.O.; Brücker et al. (2023), a.a.O. Ein wichtiges Instrument, um die deutsche Sprache zu erlernen, ist der Besuch von Sprachkursen. Bei der Befragung im Herbst 2022 war die Hälfte (51 Prozent) der ukrainischen Geflüchteten dabei, einen Deutschkurs zu besuchen oder hatte bereits mindestens einen Kurs abgeschlossen. Bis Beginn des Jahres 2023 ist dieser Anteil auf drei Viertel gestiegen. Zu diesem Zeitpunkt nehmen 65 Prozent an einem Sprachkurs teil, weitere zehn Prozent haben einen Kurs abgeschlossen. Mit 59 Prozent besucht hierbei die Mehrheit einen Sprachkurs oder hat einen solchen abgeschlossen, weitere elf Prozent haben zwei Sprachkurse absolviert und fünf Prozent sogar drei oder mehr Sprachkurse. Am häufigsten nahmen die Geflüchteten an Integrationskursen teil (87 Prozent), gefolgt von anderen Sprachkursen (zwölf Prozent), Erstorientierungskursen (acht Prozent), Berufssprachkursen (drei Prozent) sowie MiA-Kursen („Migrantinnen im Alltag“, ein Prozent).infoMehrfachnennungen möglich. Integrationskurse vermitteln in meist 600 Unterrichtseinheiten grundlegende Deutschkenntnisse (Zielniveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER)). In Berufssprachkursen können berufsbezogene Deutschkenntnisse mit den Zielniveaus B1 bis C2 GER erworben werden. In Erstorientierungskursen (EOK) werden neben Deutschkenntnissen Informationen für ein Leben in Deutschland vermittelt. In MiA-Kursen steht das Empowerment der Teilnehmerinnen im Fokus. Neben diesen vier Kursformaten besteht eine Vielzahl weiterer Kurse, die in der Befragung unter der Kategorie „andere Sprachkurse“ subsummiert wurden. Die insgesamt hohe Besuchsquote von Integrationskursen überrascht nicht, da diese bereits im März 2022 für Geflüchtete aus der Ukraine geöffnet wurden. Beziehen ukrainische Geflüchtete Leistungen über das Sozialgesetzbuch (SGB) II, können sie zudem zur Teilnahme verpflichtet werden.

Integrationskursbesuch hängt mit unterschiedlichen Faktoren zusammen

Bivariate Analysen zeigen Unterschiede im Besuch von Integrationskursen nach Altersgruppen, Geschlecht, Familiensituation, Erwerbstätigkeit sowie Bleibeabsichten (Abbildung 3). Vor allem Personen ab 65 Jahren besuchen seltener Integrationskurse als jüngere Geflüchtete. Dies mag unter anderem mit einer geringeren Teilnahmeverpflichtungsquote für ältere Geflüchtete zusammenhängen. Auch das Geschlecht und die Familiensituation sind wichtig: Bis zu Beginn des Jahres 2023 haben ukrainische Geflüchtete, die mit Kindern zwischen sieben und 17 Jahren zusammenleben, häufiger an solchen Kursen teilgenommen als Geflüchtete ohne Kinder oder mit jüngeren Kindern (bis sechs Jahre). Mögliche Erklärungen sind, dass Geflüchtete ohne minderjährige Kinder häufiger nicht mehr im erwerbsfähigen Alter sind (zwölf Prozent der Personen ohne minderjährige Kinder im Haushalt sind älter als 64 Jahre) und insbesondere Personen mit jüngeren Kindern ihren Betreuungspflichten nachkommen müssen. Auch eine Erwerbstätigkeit kann aus zeitlichen Gründen einen Integrationskursbesuch erschweren, so dass nichterwerbstätige Geflüchtete häufiger einen solchen besuchen als Erwerbstätige. In Bezug auf die Bleibeabsichten zeigt sich, dass Geflüchtete mit längerfristigen („noch einige Jahre“/„für immer“) oder ungewissen Absichten bis zu Beginn des Jahres 2023 häufiger einen Integrationskurs besucht haben als Personen mit zeitlich begrenzten („bis zum Ende des Krieges“/„höchstens noch ein Jahr“) Bleibeabsichten, die womöglich auch weniger Anreize haben, die deutsche Sprache zu erlernen.

Deutscherwerb schreitet voran, gute Deutschkenntnisse jedoch weiterhin selten

Von Spätsommer 2022 bis zu Beginn des Jahres 2023 haben sich die Deutschkenntnisse nach eigener EinschätzunginfoGeflüchtete wurden gebeten, ihre eigenen Deutschkenntnisse in drei Kompetenzbereichen (Sprechen, Lesen und Schreiben) anhand einer fünfstufigen Skala einzuschätzen. Die Antwortskala reichte von „1 = gar nicht“ über „2 = eher schlecht“, „3 = es geht“, „4 = gut“ bis „5 = sehr gut“. Für die deskriptiven Analysen wurde die Summe der drei Kompetenzbereiche durch die Anzahl der Items dividiert und gerundet, so dass wieder eine fünfstufige Skala entsteht. Für die multivariaten Analysen wurde die Summe der drei Kompetenzen mit einer Skala, die von null bis zwölf Punkten reicht, verwendet. Höhere Werte spiegeln jeweils bessere selbsteingeschätzte Deutschkenntnisse wider. verbessert (Abbildung 4). So hat sich der Anteil der Geflüchteten, die angeben, „gar nicht“ der deutschen Sprache mächtig zu sein, um 23 Prozentpunkte auf 18 Prozent mehr als halbiert. Dementgegen hat der Anteil mit „eher schlechten“ Deutschkenntnissen um vier Prozentpunkte zugenommen und der mit mittleren Kenntnissen („es geht“) um 13 Prozentpunkte. Mit acht Prozent ist der Anteil ukrainischer Geflüchteter mit „guten“ bis „sehr guten“ Kenntnissen aber immer noch gering. Es ist gut möglich, dass viele Geflüchtete auch in Zukunft bemüht sein werden, ihre Deutschkenntnisse etwa im Rahmen von Sprachkursen weiter zu verbessern. Aufgrund der hohen Erwerbsorientierung unter ukrainischen Geflüchteten sowie des hohen Anteils an Personen, die einen Integrationskurs bis zu Beginn des Jahres 2023 noch nicht abgeschlossen haben (88 Prozent aller Integrationskursteilnehmenden), ist anzunehmen, dass der Besuch weiterführender Berufssprachkurse künftig zunehmen wird. Gleichzeitig können sich die Sprachkenntnisse bei vielen Geflüchteten auch durch den (beruflichen) Alltag in Deutschland verbessern.

Gruppenunterschiede bei Deutschkenntnissen nach wie vor vorhanden

Die Faktoren, die mit dem Niveau der selbsteingeschätzten Deutschkenntnisse in Zusammenhang stehen, sind in beiden Erhebungswellen sehr ähnlich und zeigen insgesamt, dass das Erlernen der deutschen Sprache nicht allen ukrainischen Geflüchteten gleich schnell gelingt.infoHierfür wird in einer multivariaten Regression untersucht, welchen Einfluss verschiedene Faktoren auf die selbsteingeschätzten Deutschkenntnisse haben. Aktuell attestieren sich Geflüchtete, die einen Sprachkurs besucht haben, die ihre Gesundheit positiver beurteilen, die besser gebildet (mit Hochschulabschluss) und jünger sind, nach wie vor bessere Deutschkenntnisse (Abbildung 5). Mit höherem Lebensalter schwächt sich die Abnahme der Deutschkenntnisse ab. Eine höhere Bildung und ein jüngeres Alter mag mit einer höheren Lerngewohnheit einhergehen, so dass Jüngere und besser Gebildete mehr von den Lernangeboten innerhalb der Sprachkurse profitieren können. Eine gute Gesundheit kann sich über einen regelmäßigeren Kursbesuch sowie Lernmöglichkeiten positiv auf den Spracherwerb auswirken.

Wie aus der Forschung zum Fremdsprachenerwerb bereits bekannt ist, schätzen Frauen ihre Sprachkenntnisse höher ein als Männer.infoFrans W. P. van der Slik, Roeland W. N. M. van Hout und Job J. Schepens (2015): The gender gap in second language acquisition: Gender differences in the acquisition of Dutch among immigrants from 88 countries with 49 mother tongues. PloS one, 10(11). Jedoch spielt die Familiensituation beim Erwerb der deutschen Sprache eine Rolle: Geflüchtete, die mit jüngeren Kindern (unter sieben Jahren) zusammen in einem Haushalt leben, schätzen ihre Sprachkenntnisse niedriger ein als Geflüchtete ohne minderjährige Kinder oder mit älteren Kindern (zwischen sieben und 17 Jahren). Grund hierfür kann die geringere Zeit zum Lernen aufgrund von Kinderbetreuungspflichten sein. Neben einer Erwerbstätigkeit steht auch der Kontakt zu Deutschen in einem positiven Zusammenhang mit den Deutschkenntnissen. Dieser Zusammenhang geht potenziell in beide Richtungen: Zum einen kann es Personen mit besseren Deutschkenntnissen leichter fallen, eine Arbeit und Kontakt zu Deutschen zu finden. Zum anderen könnten Geflüchtete durch häufigeren Kontakt und einer Erwerbstätigkeit mehr Gelegenheit haben, ihr Deutsch anzuwenden. Auch die Bleibeabsichten sind relevant: Jeweils im Vergleich zu Geflüchteten, die sich ihrer Bleibeabsichten unsicher sind, beurteilen Geflüchtete mit einer zeitlich begrenzten Bleibeabsicht ihre Deutschkenntnisse als schlechter und Geflüchtete mit einer längerfristigen Bleibeabsicht als besser. Dies spricht dafür, dass insbesondere letztere gewillt sind, Deutsch zu lernen – weil sie davon ausgehen, dass es sich für sie lohnen wird. Denkbar ist jedoch ebenfalls, dass gerade Personen mit besseren Deutschkenntnissen länger in Deutschland bleiben möchten, weil für sie Sprachbarrieren weniger markant sind.

18 Prozent der erwerbsfähigen Geflüchteten gehen derzeit einer Erwerbstätigkeit nach

Geflüchtete haben im Vergleich zu anderen Migrant*innen ungünstigere Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration. Bei ihrer Ankunft fehlen ihnen oft wichtige arbeitsmarktrelevante Ressourcen wie Sprachkenntnisse, persönliche Netzwerke und Informationen über den Arbeitsmarkt. Rechtliche Hindernisse wie Beschäftigungsverbote, die Ungewissheit bezüglich des Asylverfahrens und des langfristigen Aufenthaltsstatus,infoYuliya Kosyakova und Hanna Brenzel (2020): The role of length of asylum procedure and legal status in the labour market integration of refugees in Germany. Soziale Welt, 71(1–2), 123–159. WohnsitzauflageninfoHerbert Brücker, Andreas Hauptmann und Philipp Jaschke (2020): Beschränkungen der Wohnortwahl für anerkannte Geflüchtete: Wohnsitzauflagen reduzieren die Chancen auf Arbeitsmarktintegration. IAB-Kurzbericht, 3 (online verfügbar). sowie psychische Belastungen aufgrund traumatischer Erfahrungen erschweren die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten ebenfalls. Im Durchschnitt verläuft ihre Arbeitsmarktintegration langsamer als die von gezielt zur Erwerbsmigration nach Deutschland kommenden Migrant*innen.infoYuliya Kosyakova und Irena Kogan (2022): Labor market situation of refugees in Europe: The role of individual and contextual factors. Frontiers in Political Science, 4, 1–14;

Im Vergleich zu anderen Geflüchteten sind die rechtlichen Bedingungen für Ukrainer*innen, die befristeten Schutz erhalten haben, jedoch günstiger: Sie erhalten eine sofortige Arbeitserlaubnis und eine zunächst bis März 2024 befristete Aufenthaltserlaubnis. Durch die Integration in das Grundsicherungssystem nach dem Sozialgesetzbuch II (anstatt in das Leistungssystem nach dem Asylbewerberleistungsgesetz) haben sie einen direkten Zugang zur Förderstruktur der Jobcenter und erhalten höhere Leistungen.infoHerbert Brücker et al. (2022): Die Folgen des Ukraine-Kriegs für Migration und Integration: Eine erste Einschätzung. IAB-Forschungsbericht 2/2022 (online verfügbar). Andererseits könnten sich die hohe Ungewissheit über den Kriegsverlauf und damit die Bleibeperspektiven in Deutschland nachteilig auf die für eine gelingende Integration notwendigen Investitionen in Sprachkenntnisse, Bildung, Netzwerke und ähnliche Faktoren auswirken.infoBrücker et al. (2023), a.a.O. Zu Beginn des Jahres 2023 gehen 18 Prozent der Geflüchteten aus der Ukraine im erwerbsfähigen Alter (18 bis 64 Jahre) in Deutschland einer Beschäftigung nach.infoDas schließt Personen, die eine Vollzeit- und Teilzeit-Tätigkeit ausüben, Auszubildende, Praktikant*innen und geringfügig Beschäftigte sowie Selbstständige ein. Von diesen üben 39 Prozent eine Vollzeit-, 37 Prozent eine Teilzeit- und 18 Prozent eine geringfügige Tätigkeit aus. Weitere fünf Prozent befinden sich in einer Ausbildung und zwei Prozent absolvieren ein Praktikum. Von den nichterwerbstätigen Geflüchteten geben 93 Prozent an, ganz sicher (69 Prozent) oder wahrscheinlich (24 Prozent) eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu wollen. Von den Geflüchteten mit Erwerbsabsichten wollen 81 Prozent möglichst sofort oder innerhalb des kommenden Jahres eine Arbeit aufnehmen, weitere 19 Prozent planen, dies in den kommenden zwei bis fünf Jahren oder später zu tun.

Bei der Erwerbstätigkeit von Müttern und Vätern gibt es erhebliche Unterschiede

Rund die Hälfte der nach Deutschland geflüchteten Frauen aus der Ukraine im erwerbsfähigen Alter lebt gemeinsam mit minderjährigen Kindern, häufig im Vorschulalter.infoBrücker et al. (2023), a.a.O. Die Haushaltskonstellation der Frauen ist zudem häufig durch die räumliche Trennung vom Partner geprägt. Diese spezifischen familiären Konstellationen erschweren die Arbeitsmarkintegration geflüchteter ukrainischer Frauen.

Insgesamt sind zu Beginn des Jahres 2023 22 Prozent der geflüchteten Ukrainer und 17 Prozent der geflüchteten Ukrainerinnen erwerbstätig (Abbildung 6). Dabei gehen insbesondere geflüchtete Frauen mit Kleinkindern nur in geringem Umfang einer Erwerbstätigkeit nach (drei Prozent) – sie sind meist ohne Partner*in in Deutschland. Demgegenüber liegt die Erwerbsquote von Vätern mit Kleinkindern mit 23 Prozent deutlich höher. Diese sind meist mit Partner*in in Deutschland. Die Erwerbsquoten von Männern und Frauen ohne Kinder im Haushalt sind mit 22 beziehungsweise 20 Prozent hingegen nahezu gleich hoch.

Gute Deutschkenntnisse gehen mit einer höheren Erwerbsbeteiligung einher

Im Folgenden wird mit multivariaten Regressionsmodellen untersucht, welchen Einfluss verschiedene Faktoren auf die Wahrscheinlichkeit haben, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Danach bleibt das Geschlechtergefälle bei der Erwerbstätigkeit erheblich: Bei Berücksichtigung weiterer Erklärungsfaktoren haben Frauen eine um fünf Prozentpunkte geringere Erwerbswahrscheinlichkeit als Männer (Abbildung 7). Die Erwerbswahrscheinlichkeit hängt auch mit den Kindern im Haushalt sowie deren Alter zusammen: Geflüchtete mit (mindestens) einem Kind im Alter bis sechs Jahren haben eine niedrigere Erwerbswahrscheinlichkeit als diejenigen ohne Kinder oder mit älteren Kindern. Sie steigt, wenn der*die Partner*in in Deutschland lebt.

Ein positiver Zusammenhang besteht zwischen einer Erwerbstätigkeit und der Aufenthaltsdauer in Deutschland, dem Vorhandensein eines Hochschulabschlusses, der Erwerbserfahrung vor dem Zuzug und einer Unterbringung in einer privaten Unterkunft.

Der Zusammenhang zwischen der Teilnahme an Sprachkursen und der Erwerbstätigkeit von Geflüchteten ist nicht eindeutig. Einerseits zeigen sich klassische „Lock-in“-Effekte: Das heißt, dass Geflüchtete, die sich derzeit in einem Sprachkurs befinden, geringere Chancen haben, gleichzeitig erwerbstätig zu sein. Andererseits sind Geflüchtete, die noch keinen Sprachkurs besucht haben, häufiger erwerbstätig als diejenigen, die mindestens einen Kurs absolviert haben. Deutschkenntnisse stehen in einem positiven Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeit, erwerbstätig zu sein: So sind Geflüchtete mit guten bis sehr guten Deutschkenntnissen um 18 Prozentpunkte häufiger erwerbstätig als geflüchtete Ukrainer*innen mit geringen Deutschkenntnissen. Es gibt keinen signifikanten Zusammenhang zwischen den Bleibeabsichten der Geflüchteten und ihrer Wahrscheinlichkeit, erwerbstätig zu sein.

Haushaltsnettoeinkommen fallen niedrig aus

Da die Mehrheit der ukrainischen Geflüchteten bedingt durch die Teilnahme an Integrations- und Sprachkursen dem Arbeitsmarkt derzeit nicht zur Verfügung steht, ist mit einem niedrigen Haushaltseinkommen zu rechnen. Bei der Befragung wurde nach dem aktuellen Haushaltsnettoeinkommen gefragt, das hauptsächlich aus Erwerbseinkommen und staatlichen Transfers besteht, nach Abzug direkter Steuern und Sozialabgaben. Um Skaleneffekte des gemeinsamen Wirtschaftens zu berücksichtigen, wird eine Bedarfsgewichtung vorgenommen, die die Haushaltsgröße berücksichtigt.infoDie Quadratwurzel der Haushaltsgröße wurde als Bedarfsgewicht verwendet, was der modifizierten OECD-Skala entspricht. Diese Skala wird zur Beschreibung der finanziellen Situation von Privathaushalten herangezogen. Vgl. Markus M. Grabka (2022): Löhne, Renten und Haushaltseinkommen sind in den vergangenen 25 Jahren real gestiegen. DIW Wochenbericht Nr. 23, 329–337 (online verfügbar).

Zum Zeitpunkt der Befragung belief sich das bedarfsgewichtete Haushaltsnettoeinkommen der ukrainischen Geflüchteten im Durchschnitt auf knapp 850 Euro pro Monat, während der Medianwert mit 750 Euro etwas niedriger ausfiel (Tabelle). Im Vergleich dazu lag der Median der Haushaltsnettoeinkommen in Deutschland im Jahr 2021 bei 1909 Euro.infoVgl. Statistisches Bundesamt (2023): A.7 Mediane und Armutsgefährdungsschwellen (online verfügbar). Das Einkommen der ukrainischen Geflüchteten fällt damit im Vergleich zu dem der Bevölkerung in Deutschland insgesamt weniger als halb so hoch aus.

Tabelle: Monatliches Haushaltsnettoeinkommen nach Deutschland geflüchteter Ukrainer*innen

In Euro (nominal), bedarfsgewichtet

Perzentil Euro Erwerbstatus Mittelwert in Euro
10. Perzentil 380 Vollzeit 1730
25. Perzentil 530 Teilzeit/geringfügig 972
Median 750 Nicht erwerbstätig/Ausbildung 775
Mittelwert 848
75. Perzentil 1039
90. Perzentil 1341

Anmerkungen: Bedarfsgewicht: Quadratwurzel der Haushaltsgröße. Nur Personen mit validen Informationen zum Einkommen und zur Haushaltsgröße (71 Prozent aller Befragten). Die Stichprobe umfasst 4560 befragte Personen. Gewichtete Werte.

Quelle: IAB-BiB/FReDA-BAMF-SOEP-Befragung „Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland“, zweite Befragungswelle (Beginn des Jahres 2023).

Bei der Unterscheidung nach ErwerbsstatusinfoEs wird nur der Erwerbsstatus der befragten Person berücksichtigt, ohne Berücksichtigung einer möglichen Erwerbstätigkeit anderer Haushaltsmitglieder. zeigt sich, dass eine Beschäftigung, insbesondere in Vollzeit, die finanzielle Situation der Geflüchteten verbessert. So betrug das Haushaltsnettoeinkommen zu Beginn des Jahres 2023 durchschnittlich 1730 Euro bei einer Vollzeitbeschäftigung und knapp 1000 Euro bei einer Teilzeitbeschäftigung. Bei den nichterwerbstätigen Personen oder Personen in Ausbildung war das Einkommen mit 775 Euro entsprechend niedriger.infoInsgesamt berichten 86 Prozent der ukrainischen Geflüchteten, dass mindestens ein Haushaltsmitglied derzeit Bürgergeld bezieht. Unter den in Vollzeit beschäftigten Geflüchteten reduziert sich dieser Wert auf 22 Prozent.

Kinder und Jugendliche: Rund 60 Prozent der geflüchteten Kinder von drei bis sechs Jahren besuchen eine KiTa

Kinder und Jugendliche machen einen erheblichen Teil der aus der Ukraine nach Deutschland geflüchteten Schutzsuchenden aus. Etwa jede zweite geflüchtete Ukrainerin ist mit mindestens einem minderjährigen Kind nach Deutschland gekommen. Knapp jedes zweite Kind (49 Prozent) ist jünger als zehn Jahre. Mit der zweiten Befragungswelle liegen erstmalig für die drei jüngsten Kinder der Geflüchteten Informationen vor, die in der ersten Befragung nur auf Familienebene erhoben wurden.infoDer Anteil der Geflüchteten mit mehr als drei Kindern ist sehr gering. Die nachfolgenden Auswertungen beziehen sich auf Kinder und Jugendliche in Deutschland, die mit dem befragten Elternteil in einem Haushalt leben. Kinder, die mit ihren befragten Elternteilen zurück in die Ukraine oder ein anderes Land gezogen sind, stehen nicht im Fokus dieses Abschnitts.

Zu Beginn des Jahres 2023 besucht rund jedes zweite geflüchtete Kind bis einschließlich sechs Jahren eine Kindertagesbetreuung (KiTa) in Deutschland, mit deutlichen Unterschieden nach dem Alter der Kinder: Während 16 Prozent der Zweijährigen in eine KiTa gehen, liegt der Anteil unter den Sechsjährigen bei rund 72 Prozent (Abbildung 8).infoDie Nutzungsquoten liegen somit deutlich unter den bundesweiten Durchschnitten in den jeweiligen Altersgruppen, vgl. Statistisches Bundesamt (2022): Kindertagesbetreuung: Betreuungsquote von Kindern unter 6 Jahren nach Bundesländern (online verfügbar). Im Vergleich zur ersten Befragungswelle hat sich die KiTa-Nutzungsquote für Familien mit nur einem Kind bis einschließlich sechs Jahren um rund sieben Prozentpunkte erhöht.

Die KiTa-Nutzung hängt mit der Erwerbstätigkeit und Sprachkursteilnahme der Eltern, insbesondere der Mütter, zusammen. Auch der Wohnort ist bedeutend: So besuchen in Ostdeutschland rund 66 Prozent der geflüchteten Kinder bis einschließlich sechs Jahren eine KiTa, in Westdeutschland sind es rund 46 Prozent. Die KiTa-Nutzungsquoten von Kindern, deren befragtes Elternteil an einem Sprachkurs teilnimmt oder teilgenommen hat beziehungsweise derzeit einer Erwerbstätigkeit oder Ausbildung nachgeht, sind um 28 beziehungsweise 18 Prozentpunkte höher als bei Kindern, auf deren Eltern dies nicht zutrifft.

Auch die multivariaten Regressionsergebnisse bestätigen den positiven Zusammenhang zwischen dem KiTa-Besuch und der Erwerbstätigkeit der Eltern sowie dem Besuch eines Sprachkurses (Abbildung 9). Diese Unterschiede sind für Kinder von erwerbstätigen oder in Sprachkursen befindlichen Müttern nochmal ausgeprägter (ohne Abbildung). Damit erscheint der KiTa-Besuch als eine wichtige Voraussetzung für die (Arbeitsmarkt-)Integration der geflüchteten Frauen mit jungen Kindern. Zudem zeigt die Forschung, dass KiTas für die Integration und Bildung der Kinder eine zentrale Rolle spielen.infoMartin Bujard et al. (2020): Geflüchtete, Familien und ihre Kinder. Warum der Blick auf die Familien und die Kindertagesbetreuung entscheidend ist. Sozialer Fortschritt, 69(8–9), 561–577.

Von den geflüchteten Kindern und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter besuchen nahezu alle (97 Prozent) zum Befragungszeitpunkt eine allgemein- oder berufsbildende Schule in Deutschland (ohne Abbildung), was vor dem Hintergrund der Schulpflicht zu erwarten ist. 27 Prozent der Kinder und Jugendlichen in dieser Altersklasse nutzen darüber hinaus zusätzlich Online-Angebote ukrainischer Schulen.

Leichte Verbesserungen im psychischen Wohlbefinden der geflüchteten Kinder und Jugendlichen

Die Erfahrungen von Krieg und Flucht, der Verlust des gewohnten sozialen Umfelds oder die Trennung von Familienangehörigen können Kinder und Jugendliche gesundheitlich belasten.infoVgl. zum Beispiel Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz, SWK (2022): Stellungnahme zur Unterstützung geflüchteter ukrainischer Kinder und Jugendlicher – Integration in das Bildungssystem. Um den Gesundheitszustand der Kinder und Jugendlichen zu erfassen, wurden die Eltern gebeten, eine subjektive Einschätzung des generellen Gesundheitszustands der Kinder und Jugendlichen abzugeben. Darüber hinaus wurden sie gebeten, auf Basis einer etablierten Skala (der sogenannten KINDLR-SkalainfoUlrike Ravens-Sieberer und Monika Bullinger (1998): Assessing health related quality of life in chronically ill children with the German KINDL: first psychometric and content-analytical results. Quality of Life Research, 7(5), 399–407.) das psychische Wohlergehen ihres Kindes im Rückblick auf die letzten Wochen zu bewerten.

Zu Beginn des Jahres 2023 sind die Kinder und Jugendlichen insgesamt in einer guten bis sehr guten gesundheitlichen Verfassung: Vier von fünf Kindern und Jugendlichen haben laut Einschätzung des befragten Elternteils einen guten (55 Prozent) oder sehr guten (24 Prozent) Gesundheitszustand (Abbildung 10). Das psychische Wohlergehen der geflüchteten Kinder und Jugendlichen hat sich im Vergleich zur Befragung aus dem Spätsommer 2022 für alle Altersgruppen leicht verbessert, um durchschnittlich zwei Skalenpunkte, liegt jedoch weiterhin unter den repräsentativen Referenz- und Normwerten von Kindern und Jugendlichen in Deutschland.infoDas gilt, wenn man Familien mit nur einem Kind betrachtet, für andere Familien ist ein entsprechender zeitlicher Vergleich nicht ohne zusätzliche Annahmen möglich. Ulrike Ravens-Sieberer et al. (2008): Health-related quality of life in children and adolescents in Germany: results of the BELLA study. European Child & Adolescent Psychiatry, 17, 148–156 Insgesamt ist der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit gutem oder sehr gutem allgemeinen Gesundheitszustand unter jüngeren Kindern (83 Prozent bei den bis zu Sechsjährigen beziehungsweise 82 Prozent bei den Sieben- bis Zehnjährigen) deutlich höher als unter den elf- bis 17-jährigen Jugendlichen (74 Prozent). Ein ähnliches altersspezifisches Bild ergibt sich auch für das psychische Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen. Ob der*die Partner*in des befragten Elternteils ebenfalls in Deutschland lebt, wirkt sich deutlich positiv auf den subjektiven allgemeinen Gesundheitszustand und das psychische Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen aus: Sind beide Elternteile in Deutschland, ist das psychische Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen rund fünf Skalenpunkte höher als bei anderen Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine. Darüber hinaus lassen sich beim subjektiven allgemeinen Gesundheitszustand – jedoch nicht beim psychischen Wohlbefinden – signifikante Unterschiede nach dem Bildungsniveau der Eltern erkennen.infoAlle genannten Unterschiede bleiben auch in multivariaten Regressionsmodellen unter Berücksichtigung der jeweils anderen Merkmale sowie des Geschlechts und Alter des befragten Elternteils bestehen, verlieren jedoch etwas an Bedeutung.

Fazit: Teilhabe macht Fortschritte, benötigt aber Planungssicherheit

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges am 24. Februar 2022 sind rund eine Million Personen aus der Ukraine nach Deutschland geflohen, der Großteil bereits in den ersten Monaten nach Kriegsbeginn. Im Rahmen einer Längsschnittbefragung mit Erhebungen zu zwei Zeitpunkten (August bis Oktober 2022 und Januar bis März 2023) liegen nun zu dieser Personengruppe Erkenntnisse insbesondere über den Ankommensprozess und die Entwicklung der gesellschaftlichen Teilhabe vor. Prinzipiell zeigt sich, dass sich in verschiedenen Dimensionen die Lebensbedingungen und Teilhabechancen in dem Zeitraum von rund einem halben Jahr zwischen den beiden Befragungen verbessert haben.

Geflüchtete ukrainische Kinder bis einschließlich sechs Jahren besuchen zunehmend eine Kindertagesbetreuung (KiTa). Die geflüchteten Kinder und Jugendlichen erscheinen bei gleichzeitig gutem allgemeinen Gesundheitsstand auch psychisch etwas stabiler. Ihr psychisches Wohlergehen hat sich im Vergleich zur Befragung aus dem Spätsommer 2022 für alle Altersgruppen verbessert, liegt aber weiterhin unter den Normwerten von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Die Bleibeabsichten ukrainischer Geflüchteter haben sich vor dem Hintergrund des weiter anhaltenden Kriegsgeschehens verstetigt, mit leichten Zunahmen bei den Personen, die für immer (29 Prozent) oder noch für einige Jahre (15 Prozent) in Deutschland bleiben wollen. Nur wenige der ukrainischen Geflüchteten haben Deutschland wieder verlassen. Für diejenigen, die in Deutschland geblieben sind, hat sich deren Wohnsituation insgesamt verbessert.

Insbesondere beim Deutscherwerb sowie bei Sprachkursbesuchen zeichnet sich eine deutliche Weiterentwicklung ab: Zu Beginn des Jahres 2023 haben bereits drei von vier ukrainischen Geflüchteten einen oder mehrere Deutschkurse besucht oder abgeschlossen, am häufigsten einen Integrationskurs. Rund zwei Drittel nehmen zu diesem Zeitpunkt an einem Sprachkurs teil. Auch wenn sich der Abschluss von Sprachkursen und die Verbesserung der Deutschkenntnisse mittel- und langfristig positiv auf die Erwerbstätigkeitschancen auswirken dürften, verbinden sich damit auch kurzfristig „Lock-in“-Effekte. Dies könnte einer der Gründe sein, warum die Erwerbstätigkeitsquote zwischen den beiden Wellen nur geringfügig gestiegen ist. Gleichzeitig zeigen sich sehr hohe Erwerbsabsichten. Mit der noch niedrigen Erwerbstätigkeitsquote sind im Vergleich zur deutschen Bevölkerung entsprechend auch deutlich niedrigere Haushaltsnettoeinkommen verbunden.

Die Prozesse des Ankommens und der gesellschaftlichen Teilhabe verlaufen jedoch nicht bei allen Geflüchteten gleich, sondern es zeigen sich deutliche Gruppenunterschiede. Für den Wunsch, für immer in Deutschland zu bleiben, sind vor allem die Partnerschaftskonstellation sowie die soziale Integration bedeutend. Beim Erwerb von deutschen Sprachkenntnissen, dem Sprachkursbesuch sowie der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit spielt neben anderen Faktoren die Familiensituation eine besonders wichtige Rolle. Geflüchtete Mütter mit Kleinkindern weisen niedrigere Deutschkenntnisse auf, haben bislang seltener einen Sprachkurs besucht und sind seltener erwerbstätig. Für den Spracherwerb spielen darüber hinaus auch die Bleibeabsichten eine Rolle.

Auf Basis dieser Analysen lassen sich für die Politik drei Empfehlungen ableiten: Erstens ist für die soziale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Teilhabe insbesondere der großen Gruppe von ukrainischen Müttern ein entsprechendes Angebot an Betreuungsplätzen für Kinder von zentraler Bedeutung, damit vor allem die Mütter Sprachkurse besuchen und eine Erwerbstätigkeit aufnehmen können.

Zweitens zeichnet sich bereits ab, dass sich gerade bei der nicht kleinen Gruppe an Geflüchteten mit längerfristigen Bleibeabsichten (44 Prozent) die Frage nach einer Regelung ihres Aufenthalts über den März 2024 hinaus stellen wird. Hier ist die Bundesregierung zusammen mit ihren europäischen Partnern gefragt, schnell über die Verlängerung des vorübergehenden Schutzes zu entscheiden oder andere längerfristige Aufenthaltsperspektiven zu schaffen. Gerade vor dem Hintergrund, dass ein deutlicher Teil der ukrainischen Geflüchteten beabsichtigt längerfristig in Deutschland zu bleiben, ist das zentral. Investitionen in die Integration wie auch in Beschäftigungsverhältnisse setzen Planungs- und Rechtssicherheit und verlässliche Aufenthaltsperspektiven voraus.

Drittens sollten Bund, Länder und Kommunen weiterhin ausreichende Mittel für Integrationsprogramme, Bildung und Ausbildung sowie Kinderbetreuung zur Verfügung stellen.

Sabine Zinn

Kommissarische Direktorin SOEP und Bereichsleitung Surveymethodik und -management in der Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel

Hans Walter Steinhauer

Survey Statistiker in der Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel

Markus M. Grabka

Senior Researcher in der Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel



JEL-Classification: D31;I31;J31
Keywords: Ukrainian refugees, labor market participation, income, language acquisition, intention to stay, integration, health of children, child care
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-28-1

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/273618

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