Blog Marcel Fratzscher vom 14. April 2023
Noch immer teilen sich Paare Sorgearbeit und Erwerbstätigkeit ungleich auf – zulasten der Frauen, auch finanziell. Dabei könnte eine kluge Steuerpolitik dies verhindern.
Der Gender-Pay-Gap – der Unterschied der Stundenlöhne zwischen Männern und Frauen – von 18 Prozent in Deutschland gehört zu den höchsten in Europa. In den letzten Jahren hat Deutschland diesbezüglich kaum Fortschritte gemacht, die Lohnlücke ist in den vergangenen 30 Jahren nur in der Gruppe der unter 30-Jährigen merklich gesunken. Für alle anderen ist die geschlechtsspezifische Lohnlücke seit Jahrzehnten konstant hoch. Eine wichtige Erklärung dafür liegt im Gender-Care-Gap, also der ungleichen Aufteilung der unbezahlten Sorge- und Hausarbeit und der damit verbundenen Teilzeitfalle für viele Frauen nach Wiedereinstieg in den Beruf nach Familiengründung.
Dieser gemeinsam mit Katharina Wrohlich verfasste Text erschien am 14. April 2023 bei Zeit Online in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.
Doch dies muss nicht so sein. Die Politik sollte viele der derzeit bestehenden Hürden für Frauen abbauen, sodass mehr Chancengleichheit und Wahlfreiheit in Bezug auf die Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit in Familien in Deutschland geschaffen werden.
Analysen finden zudem einen sehr geringen Gender-Pay-Gap in jungen Jahren, also vor der Familiengründung. Frauen haben heute tendenziell sogar eine bessere Ausbildung und Qualifizierung als Männer und schließen Ausbildung und Studium häufiger erfolgreich ab. Der große Unterschied in der Bezahlung entsteht erst ab der Familiengründung. Diese geht in Deutschland mit häufigeren und längeren Erwerbsunterbrechungen für Mütter als für Väter einher. Nach Rückkehr ins Erwerbsleben arbeiten zudem viele Mütter in Teilzeit. Der Anteil der in Teilzeit erwerbstätigen Frauen ist mit knapp 50 Prozent einer der höchsten in Europa.
Das Bemerkenswerte an der Entwicklung ist, dass der Gender-Pay-Gap in höheren Altersgruppen, wenn die Kinder längst aus dem Haus sind, hoch bleibt. Frauen sind auch viele Jahre nach der Familiengründung weiterhin in Teilzeit erwerbstätig, obwohl viele von ihnen mehr arbeiten wollen. Es gibt also eine hohe Persistenz in der Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen Müttern und Vätern über die Zeit. Der Gender-Care-Gap steigt mit der Familiengründung sprunghaft an und ist auch dann, wenn die Kinder älter sind, höher als vor der Familiengründung, wie eine aktuelle Studie der Forschungsgruppe Gender Economics des DIW Berlin zeigt. Wenn einmal eine Entscheidung über die Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den Partnern getroffen wurde, ist es offenbar schwer, diese Aufteilung später zu verändern. Denn wenn Mütter aus der Elternzeit zurück in den Beruf kommen und durch ihre Teilzeittätigkeit auch noch niedrigere Löhne erhalten, dann wird es immer unattraktiver für die Familie, an dieser Aufteilung etwas zu ändern.
© DIW Berlin
Viele Frauen geraten dadurch in eine Teilzeitfalle mit vielen Nachteilen. Weniger Einkommen führt vor allem bei alleinerziehenden Müttern und ihren Kindern zu einer der höchsten Armutsrisiken in Deutschland. Es erhöht das Risiko der Altersarmut für Frauen, es begrenzt ihre beruflichen Karrieremöglichkeiten und es schwächt ihre Verhandlungsposition in der Partnerschaft.
Die gute Nachricht ist, dass sich heute viele junge Menschen – Frauen und Männer – eine gleichmäßigere Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit wünschen. Die große Mehrheit der heute jungen Männer betont, sich die gleichen Karrierechancen für ihre Partnerinnen zu wünschen wie für sich selbst und sich bei der Sorgearbeit, vor allem der Betreuung der Kinder, genauso stark einbringen zu wollen. Die finanziellen Anreize im deutschen Steuer- und Transfersystem, insbesondere das Ehegattensplitting und die steuerliche Behandlung der Minijobs, fördern jedoch nach wie vor eine Arbeitsteilung nach dem Modell: einer arbeitet Vollzeit, einer im Minijob.
Die Politik sollte und kann diese Ungleichheit und die damit verbundenen Probleme adressieren. Eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch eine bessere Qualität und Verfügbarkeit der Betreuungsinfrastruktur ist genauso wichtig wie eine Reform der Ehegattenbesteuerung. Wissenschaftliche Studien zeigen immer wieder, wie stark das Ehegattensplitting die Arbeitszeit von Frauen in Deutschland reduziert, da es kaum einen finanziellen Anreiz gibt, den Erwerbsumfang zu erhöhen. Das Ehegattensplitting sollte daher beispielsweise durch ein Realsplitting ersetzt werden. Und auch die Minijobs sollten abgeschafft werden (bei möglichen Ausnahmen für bestimmte Gruppen wie Studierende oder Rentnerinnen und Rentner), weil sie dazu beitragen, dass viele Millionen der in dieser Form Beschäftigten in der Teilzeitfalle bleiben.
Doch es gibt noch mehr Ansatzpunkte für eine gleichmäßigere Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit in Familien: So könnte der Staat beispielsweise die Lohnersatzleistungen für die maximal 14 Monate Elternzeit eines Paares so ausgestalten, dass die Anreize für eine gleichmäßigere Aufteilung steigen. Bis heute nehmen viele Väter nur das Minimum von zwei Monaten Elternzeit. Auch die Mindestzahl dieser sogenannten Partnermonate könnte erhöht werden, wenn sich eine gleichmäßigere Aufteilung allein durch finanzielle Anreize nicht einstellt.
Ein solches Instrument könnte sich als effektiv erweisen, um die oben beschriebene Dynamik der Teilzeitfalle für Mütter zu durchbrechen. Dies würde nicht nur helfen, die vielen negativen Konsequenzen vor allem für Frauen zu reduzieren. Sondern es wäre auch ein ganz wichtiger Beitrag für eine Verbesserung der Chancengleichheit und für mehr Freiheit bei den Entscheidungen von Paaren über die Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit.
Themen: Arbeit und Beschäftigung , Gender , Ungleichheit , Verteilung